Die
Einschätzung der Sicherheitslage in
Deutschland bleibt auch
weiterhin bei
"unspezifischer, abstrakter Bedrohungslage" - wie
seinerzeit vor
dem Anschlag in Berlin. Unheilspropheten
und
die
ewigen Bedenkenträger hatten das bereits im zeitigen Herbst zumindest
für Weihnachtsmärkte ganz anders gesehen. Schon am
Tage nach Berlin waren
deutschlandweit, sogar in Kleinststädten,
schlagartig die
Zufahrten und Zugänge zu
Weihnachtsmärkten von schwer bewaffneten Polizisten bewacht und durch
Betonblöcke gesichert. Wenige Tage später hieß es in der FAZ zum
Berlin-Attentat: "Die Liste derer, denen das Leben genommen
wurde, zeigt so auch, wie viel an Freiheit und Chancen wir verlieren
würden, wenn wir als Reaktion auf die Bedrohung der Versuchung
nachgeben würden, uns in unsere nationalen Schneckenhäuser
zurückzuziehen." Sollte
wohl heißen: "Nur keine spießigen Ängste jetzt!" Mögen
die Menschen 'draußen im Lande' doch ganz einfach und
kurzerhand, jetzt erst recht und fortan
auch
nach jedem Terror
schon bald den Schalter umlegen auf "schöne Stunden mit Familie und
Freunden draußen auf unseren Plätzen" - und schon sind alle Sorgen
und Ängste gestoppt. Bliebe dann nur noch die Frage,
wie die
Politik es hinbekommen könnte, Menschen die Überzeugung beizubringen,
dass die
Videokameras, die aufgestellten Betonpoller und die reichliche
Polizeipräsenz mit Maschinenpistolen bei Open-Air-Veranstaltungen
wie z. B. auch bei solchen mit 'Alaaf und 'Helau'
lediglich als stimmungssteigernde Staffage dienen. In Sachen
'Abbau von Ängsten' nach
Anschlägen irgendwo in Europa pflegt auch das
Massenmedium Fernsehen
der Politik inzwischen regelmäßig Amtshilfe zu leisten: Reihenweise
lässt man in
Fußgängerzonen junge Shopperinnen tapfer bekunden,
dass sie trotz allem keine Angst hätten, schlimmstenfalls bisweilen
"ein
etwas mulmiges Gefühl", und gewisse Printmedien ergänzen solche
Auftritte und
flachsen über die 'German Angst'*
als
einem Charakteristikum von Deutschen.
*Als 'German
Angst' bezeichnet man das Phänomen der grundlosen Angst oder
Besorgtheit.
Warum
nur mag man nicht zur Kenntnis nehmen, dass das, was wir
gemeinhin sprachlich
als 'sich Sorgen
machen', 'Furcht' oder 'Angst haben'
formulieren, urmenschliche Gefühle
sind? Sie sind oft Folgen
eigener schmerzlicher Erfahrungen oder anderer angsterregender
Geschehnisse, die einen jeden auch selbst treffen könnten. Diese
grundlegenden Emotionen können sogar lebensrettend sein. Sie helfen,
Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren, sie mahnen zu
Vorsicht
und erhöhter Aufmerksamkeit und verschaffen die
nötigen Energien, um entschlossen zu handeln, Schutzmaßnahmen zu
ergreifen und Herausforderungen annehmen zu können. Nicht
wenige Zeitgenossen haben indes längst durchschaut, wie listenreich versucht wird,
in Zeiten des
Terrors das
anlassbedingte Angstverhalten inzwischen dauerängstlich
gewordener Bürger zu
pathologisieren: Wer nach den Anschlägen von Paris, Brüssel, Berlin,
..... am Samstagnachmittag
die überfüllten großstädtischen Einkaufsmeilen meidet, muss wohl krank
sein! Vor
dem
Hintergrund konkreter bereits
stattgefundener schlimmer Ereignisse
befürchten Eltern
zu Recht - und sie können ihre
Ängste auch konkret formulieren,
dass die unter uns wohnenden Gefährder
ihre Drohungen wahr machen und irgendwann mit der bereits angekündigten
Tötungsabsicht in die Schulen
ihrer
Kinder eindringen könnten.
Empathisch geht die
französische Politik,
nicht
nur verbal, auf
die berechtigten Sorgen und Ängste der
Eltern ein und versucht mit
ihren
Maßnahmen vor Ort, das
tatsächlich vorhandene Risiko für die Kinder in den Schulen zu
minimieren.
Die
französische Politik scheut sich auch nicht, anstatt von Tätern
von 'Terrororisten'
zu sprechen. Sie
nimmt die Ängste ihrer
Bürger wahr - und ernst. Nur solche
Sichtweisen fordern dazu auf, die möglichen und in der Regel akribisch
vorbereiteten Tatverläufe
antizipierend zu
analysieren, um daraufhin an den Schulen entsprechende
Sicherheitsmaßnahmen in
Angriff nehmen zu
können, wie sie unten beschrieben werden. (hier)
Überschrift
im
Tagesspiegel vom 26.12.2016: "Sicherheit in
Deutschland: Was droht nach dem Jahr des Terrors? - Ansbach,
Würzburg, Hannover, Essen, Berlin: Der islamistische Terror hat
Deutschland 2016 gepackt wie nie zuvor." Mit Ausnahme von Berlin
konnten die Attentäter in Ansbach,
Würzburg, Hannover, Essen ihre Pläne
nicht in vollem Umfang umsetzen. Zahlreiche der
geplanten Anschläge werden vorher aufgedeckt - nicht selten
nur zufällig -, das erfahren wir alle paar Tage aus den
Medien
in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Belgien, ... . So war
z. B. aus
der Rheinischen Post vom 20.01.2017 zu erfahren:
"Die Anschlagspläne für die
Düsseldorfer Altstadt sind offenbar doch
wesentlich konkreter gewesen als bisher angenommen. Nach Angaben des
Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe sollten sich zunächst zwei
Selbstmordattentäter im Stadtzentrum in die Luft sprengen und damit
eine Massenpanik auslösen.
Zudem
sollten sich an vier Ausgängen der Altstadt je zwei
Terroristen mit Kalaschnikows postieren. "Sie sollten möglichst viele
flüchtende Menschen erschießen und sich nach der Entleerung ihrer
Magazine ebenfalls selbst in die Luft sprengen", teilte der BGH gestern
mit. Der Anschlag sollte an einem Freitag oder Samstag verübt werden,
"weil die Altstadt an diesen Tagen regelmäßig besonders belebt ist".
Schon Zweit- und
Drittklässler/innen tauschen sich inzwischen in ihren schulischen
Pausenzeiten
über das für Aufsehen
erregende Zeitgeschehen aus, verfolgen die Gespräche ihrer besorgten
und bedrückten Eltern, der Erwachsenen
überhaupt. Sie fragen und fragen, wollen Antworten, auch von ihren
Lehrerinnen. Wurden viele der Kinder doch zuletzt auch noch live
konfrontiert mit
videoüberwachten und zugesperrten Weihnachtsmärkten sowie mit den
schwer bewaffneten
Polizisten vor Ort, mit bewachten Wochenmärkten und Open-Air-Karnevalsveranstaltungen,
mit
Taschenkontrollen sogar vor
Gottesdiensten! "Könnten die auch in unsere Schule kommen?" - "Was
sollen wir dann machen, wenn die kommen?" - "Könnt ihr mich dann
schnell
abholen?" Wie und was den Kindern
darauf antworten? Die
Kinder haben Angst. Sie
wie auch ihre Eltern wissen eher noch nichts davon, dass in
Frankreich,
anders als in Deutschland, die Bedrohung von Schulen längst ein großes
Thema ist. Angesichts
der terroristischen Bedrohung hatten der
französische Premierminister Bernard Cazeneuve und Bildungsministerin
Najat
Vallaud-Belkacem zum
Beginn des
Schuljahrs 2016/17 für alle Schulen aktualisierte Richtlinien zu einer
'neuen Kultur der Sicherheit' (« nouvelle culture
de la sécurité ») herausgegeben, "en première ligne face à la menace terroriste" ("in erster
Linie wegen der terroristischen Bedrohung"), heißt es bei
'Le Monde.fr' (hier).
Bei der ersten Serie
islamistischer Anschläge in Frankreich galt 2012 ein Attentat einer
jüdischen Schule. Drei Schüler kamen damals ums Leben. Auch deshalb gehörten für Premierminister Bernard
Cazeneuve
seitdem
Schulen mit zu den sensibelsten
Orten für Terroranschläge. Das
wissen auch Eltern und machen sich Sorgen. Nachdem
Terroristen in jüngster Zeit erneut mehrfach dazu aufgerufen hatten,
Anschläge auf Schulen
zu verüben, wurde im Sommer 2016 noch einmal heftig am
Sicherheitskonzept geschraubt. Schließlich hätten die Schulen für den
Islamischen Staat "oberste Priorität" als Ziel für Terroranschläge,
heißt es von offizieller Seite. Daher stand mit
Schuljahresbeginn 2016/17 die Sicherheit der
Schulen ganz oben auf ihrem Stundenplan. Man
ergänzte die dahin schon getroffenen Maßnahmen um weitere,
"... mit denen wir eine Kultur der Sicherheit in den Lehrplänen
verankern
wollen.", so die Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem.
So muss
jede
Schule in Frankreich
künftig, zusätzlich zu den schon alljährlich vorgeschriebenen mehreren
Feueralarmübungen, drei
Terrorübungen pro Schuljahr durchführen, sie soll sogar selber
Terroranschläge simulieren. Das gilt für alle Klassen aller Schulen,
auch für die 3- bis 6-jährigen Kinder in den écoles maternelles
(Kindergärten). Dabei sind die 'gefährdeten Bereiche' in
den Schulgebäuden besonders zu sichern. Ziel der Terrorübungen ist,
dass die Schulen ihre Fähigkeit trainieren, auf Terroranschläge zu
reagieren
und wie ihre Schüler einen Terroranschlag auf ihre Schule überleben
können.
Außerdem müssen alle Schüler ab einem Alter von 14
Jahren
über ein gewisses Repertoire an lebensrettenden Maßnahmen verfügen
können. Die nicht angekündigten Übungen werden durch spezielle
Alarmtöne, die sich vom Feueralarm unterscheiden, in Gang gesetzt. Im
Falle eines Anschlags soll ein Alarmsystem die
Schüler auch mit Textnachrichten warnen. Ausdrücklich wird darauf
hingewiesen, dass die
Schulleiter gehalten sind,
auf Elternabenden die
neuen Maßnahmen zu erklären.
Die Schulen
haben seit
August 2016, den
neuen Verordnungen folgend, aufgerüstet und richten sich nach deren
Vorschriften:
- Fensterscheiben
wurden
durch einbruchsicheres und blickdichtes Glas ersetzt, zusätzlich wurden
Fenster im Erdgeschoss vergittert.
- Vor
den Schulen stehen jetzt Absperrgitter/Betonpoller,
damit keine Fahrzeuge mit möglicherweise explosiver Ladung vor dem
Schulgebäude geparkt werden
können.
- Grundsätzlich,
so heißt es, dürfen vor Schulen keine
Fahrzeuge anhalten oder parken.
- Ebenso
verboten ist jegliche Ansammlung von Personen vor dem
Schulgelände.
- Schuleingangstüren
sind immer abgeschlossen.
- An
den Eingangen hängen
Überwachungskameras.
- Hinter
den Eingangstüren wurde der Einbau von Schleusen als
Sicherheitsbereich verpflichtend.
- Eingänge
müssen ständig
von Erwachsenen kontrolliert
werden.
- Die
Hausmeister müssen stets das Schulhandy
bei sich tragen, um im Zweifelsfall sofort den Schulleiter und die
Polizei
informieren zu können.
- Wer
ins Innere einer Schule darf, muss auf einer Liste verzeichnet sein,
die die
Hausmeister kontrollieren. Die
Identität fremder Besucher muss eindeutig geklärt sein, ehe sie
eintreten
dürfen.
- Ausnahmslos
werden alle
Taschen, auch die der Schüler, einer
visuellen Kontrolle unterzogen.
- Auffällig
gewordene Kinder, bei denen Anzeichen für eine
Radikalisierung beobachtet werden, sollen einer ständigen sensiblen
Überwachung durch das schulische Personal unterliegen.
- Mülltonnen
sowie andere Behältnisse
(Kartons, ...) dürfen nicht mehr vor Schulgebäuden platziert
werden.
- Wie
angekündigt patrouillieren zur
Unterrichtszeit vor allen Schulen im Land Sicherheitskräfte,
Gendarmerie/Polizei und/oder Soldaten/Reservisten.
- Zudem gilt,
dass Eltern in einigen
Städten nicht mehr morgens die Schulen
und Kindergärten betreten
dürfen, weil das
Bildungsministerium in Paris eine
Übergabe der Töchter und Söhne an der Eingangspforte angeordnet hat.
Bildungsministerin Najat
Vallaud-Belkacem versicherte im August 2016: "All diese Vorkehrungen
sollen an allen schulischen
Einrichtungen im Land gelten. Wir wollen so ein Höchstmaß an
Sicherheit gewährleisten."
Grundsätzlich
haben die
aufgezeigten Maßnahmen Gültigkeit auch für die 'écoles maternelles'
(Kindergärten) und die 'écoles
élémentaires' (Grundschulen), erhebliche Schwierigigkeiten dürfte es
allerdings bei der Umsetzung der Anweisungen
zum Schülertraining für den Ernstfall geben. Es gibt Fortbildungen für
Erzieherinnen und Lehrerinnen in großer Anzahl. Spielerisch, so heißt
es da, solle man solche Übungen mit den Kleinsten anlegen: wie etwa 'roi
du silence' mit den Kindern spielen, ein Spiel, in dem es darum geht,
sich
möglichst lange ruhig zu halten, oder wie etwa solche Spiele, bei denen
die Kinder sich geräuschlos fortbewegen müssen, ... . Man
müsse den Kindern einschärfen, dass sie sich nicht eigenmächtig aus den
jeweiligen Aufenthaltsräumen entfernen, dass sie ohne Nachfragen und
Einwände den stummen Befehlen ihrer Erzieherinnen und Lehrerinnen
folgen. Bei all
ihren Überlegungen und all ihrem Handeln ist für die Erzieherinnen und Lehrerinnen
als rote Linie vorgegeben: die Kinder vor dem
Aufkommen von Panik zu schützen. Als komplizierter
erachtet man die Trainingsarbeit mit den etwas älteren Grundschülern.
"In ihrem Alter kann man solche Übungen nicht einfach so durchziehen,
ohne ihnen zu erklären, was das soll.", weiß man vor Ort in den
Schulen. Eine immer wiederkehrende Forderung ist,
man solle die Trainingsarbeit nur ganz
behutsam thematisieren und sehr vorsichtig angehen, auf
jeden Fall dürfe man die Kinder nicht in Panik versetzen. Man
muss hoffen, dass der Ernstfall
nie eintritt!
'German
Angst' in
Frankreich? Wohl
nicht. Franzosen haben viel öfter als wir in Deutschland erfahren
müssen, wie konkret die Bedrohungslage für sie tatsächlich geworden
ist. Für unerträglich hielte man daher dort Politiker, die
sich samt ihrer Entourage erdreisteten, in diesen Zeiten die Bürger per Appell in schattenfreie
Gefühlslagen versetzen zu wollen. Die französische Politik
handelt jetzt, wie sie handeln muss. Ganz offenbar
nimmt man dort die Sorgen der Bürger ernst, denkt an die Ängste
der
Kinder, die Folgen
eigener schmerzlicher Erfahrungen in jenen Tagen oder medial
vermittelter terrorbedingter
und somit angsterregender
Vorkommnisse sein
mögen, die auch
sie selbst hätten treffen können. Der Staat reagiert auf die erkannten Gefahren: Man nimmt die beträchtlichen
Herausforderungen an und trifft mit erheblichen Anstrengungen
Schutzmaßnahmen,
die das zweifelsohne
vorhandene Risiko für die Kinder in den Schulen minimieren können.
Hilflose Politiker dieses Landes rufen die Bürger auf, "die Kraft zu finden, für
das Leben, wie wir es in Deutschland gut und gerne leben
wollen: frei, miteinander und offen." Wo und wie sollten in Zeiten wie den jetzigen jedoch die Menschen das Fundament finden, auf dem
sie
dieser Kraft für ein freies und offenes Leben zu Wachstum verhelfen könnten?
Zu erinnern sei an den
niederländischen Philosophen Baruch Spinoza (1632-1677): "Der Zweck
des Staates ist in Wahrheit die Freiheit." Ohne staatlich
gewährleistete innere Sicherheit werden seine Bürger jedoch von Furcht
beherrscht und sind
daher unfrei. Mit
verordneten
Gefühlslagen oder mit Belehrungen wird die aktuelle
Bedrohungslage um nichts minimiert, trägt der Staat
auch nichts bei zum Sicherheits- und
Geborgenheitsgefühl
seiner Bürger. Was die aktuelle
Sicherheit der in deutschen Schulen
versammelten Kinder anbetrifft, so können
wir
derzeit nicht darauf hoffen, dass die Verantwortlichen
auch nur irgendwie auf den durchaus möglichen Ernstfall vorbereitet
sein werden, nicht einmal
gedanklich. Wir kennen das: In der deutschen Politik kommt das
Wohlergehen von Kindern nur
in Sprechblasen mit unscharf konturierten Verzierungen vor.
Bildtafeln/Flyer,
wie
sie in
französischen Schulen zu finden sind oder an Eltern verteilt werden, Beispiele: