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Elternbrief Nr. 14

(07/07)

 

 

Klassen mit mehr als 25 Kindern

 

„eine unverantwortliche Form der Vernachlässigung der Kinder durch die Politik in diesem Land“

 (Prof. Dr. Jörg Ramseger) 

 

Wenn um Klassengrößen an Grundschulen gestritten wird, und das geschieht regelmäßig zu Beginn eines neuen Schuljahrs, sind die Fronten klar:

 

 

I.

 

Über die Zukunft unserer Kinder bestimmt die 

 

Kassenlage

 

Wie Politiker  die Zukunft unseres Landes ruinieren

 

Auszug aus dem Schulgesetz des Landes NRW (Neufassung vom 27. Juni 2006):

"§ 93   Personalkosten, Unterrichtsbedarf

(1) Die Personalkosten bestimmen sich nach den Vorschriften des Landeshaushaltsrechts. Zu den Personalkosten gehören auch die Kosten für Fortbildung sowie die hierfür erforderlichen Reisekosten.

(2) Durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung der für Schulen und für Haushalt und Finanzen zuständigen Landtagsausschüsse bedarf, regelt das Ministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium das Verfahren für die Ermittlung der Zahl der Lehrerstellen und bestimmt nach den pädagogischen und verwaltungsmäßigen Bedürfnissen der einzelnen Schulformen, Schulstufen und Klassen

  1. die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden der Schülerinnen und Schüler,

  2. die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden der Lehrerinnen und Lehrer,

  3. die Klassengrößen,

  4. die Zahl der Schülerinnen und Schüler je Lehrerstelle,

  5. die Zahl der Lehrerstellen, die den Schulen zusätzlich für den Unterrichtsmehrbedarf und den Ausgleichsbedarf zugewiesen werden können,

  6. den Stichtag für die Ermittlung der Schüler- und Klassenzahlen.

(3) Die Relation der Zahl der Schülerinnen und Schüler je Lehrerstelle sowie die Zahl der Lehrerstellen, die den Schulen zusätzlich für den Unterrichtsmehrbedarf und den Ausgleichsbedarf zugewiesen werden können, sind jeweils für ein Schuljahr zu bestimmen."

 

Von daher versteht sich auch, dass im Schulgesetz des Landes NRW - wie früher üblich - keine verbindlichen Obergrenzen für Klassengrößen genannt werden. Die Kassenlage bestimmt darüber - jeweils für ein Schuljahr. Die Neufassung des  Schulgesetzes des Landes NRW vom 27. Juni 2006 enttarnt die Sonntagsreden um das hohe Gut der Bildung, um Bildungsqualität und Qualitätssicherung als hohles Geschwätz. 

Die Sieger bei PISA gehen anders mit ihren Kindern um, wie z. B. Finnland: Die  Klassengröße darf 25 Kinder nicht überschreiten. In Klassen mit über 20 Kindern wird zusätzlich eine Assistentin eingesetzt. Lernschwache Kinder werden vorübergehend getrennt von der Klasse in Einzelunterricht oder in Kleingruppen (mit bis zu vier Schülern) von fest angestellten Speziallehrern/-lehrerinnen mit fundierten diagnostischen und therapeutischen Kompetenzen unterrichtet. Schulklassen in Südtirol, die bei PISA II noch besser abschnitten als Finnland, dürfen auch mit nur 9 Schülern weitergeführt werden. Für die Länder NRW und Hessen steht seit PISA II (2003) und der IGLU-Grundschulstudie (2001)  fest: 

In Deutschland gibt es Tausende von Grundschulklassen mit mehr als 25 Kindern, in Nordrhein-Westfalen sogar mehrere hundert  Grundschulklassen mit (auch deutlich) mehr als 30 Kindern. Wenn in Nordrhein-Westfalen die Klassengrößen der einzelnen Schulformen diskutiert werden, weichen verantwortliche Schulpolitiker regelmäßig in nicht nachgefragte Schwatzhaftigkeiten jenseits von Realität und Wahrheit aus. Zwar werden sie nicht müde, immer wieder auf die PISA-Sieger als Vorbilder zu verweisen, sind aber blind für die Tatsache, dass mit einem Lehrer-Schüler-Verhältnis von 1:24  im Grundschulbereich (das hat nichts mit der Klassengröße zu tun) Deutschland  das Schlusslicht sämtlicher OECD-Länder bildet: Der Durchschnitt liegt bei 1:15. Das heißt: In Nordrhein-Westfalen stehen einer Schule mit 240 Kindern 10 Lehrer zu, dem OECD-Durchschnitt zufolge wäre mit mindetens 16 Lehrern zu rechnen. (Je nach Datum der Veröffentlichung und Quelle weichen die Zahlen leicht voneinander ab.) Laut einer OECD-Studie aus dem Jahre 2006 liegt die Durchschnittsschülerzahl je Klasse im Primarbereich in den OECD-Ländern bei 21,4 Schülern. Mit der demographischen Entwicklung in Deutschland wird auch die Entwicklung zur größeren Schulklasse hin fortschreiten, zunächst in ländlichen Regionen, bald wird sie jedoch auch die großen Städte erreicht haben. Schon jetzt lässt sich beobachten, dass zu jedem Schuljahresende die Schließung von Grundschulen zunimmt und mit den betroffenen Kindern die Klassen der verbleibenden Schulen  aufgefüllt werden: weniger Grundschulen also – mit noch größeren Klassen. Übrigens: Wenn in Statistiken zu den Klassengrößen in Grundschulen für das Jahr 1975 als durchschnittliche Schülerzahl 34 , für das Jahr 2000 die Zahl 22,4 genannt wird, lässt sich daraus nur folgern, dass die Schulpolitik mit den Jahren stetig dazugelernt hat, wie Statistiken zielführender aufzubereiten und zu verwerten sind. 
 

Schulpolitiker mögen an dieser Stelle der Debatte gerne die bei PISA in Mathematik besonders starken Japaner und Koreaner anführen: Dort gibt es tatsächlich Schulklassen mit an die 40 Kindern - außerhalb des Primarstufenbereichs. Der Unterricht dort ist ein mit äußerster Disziplin geführter Frontalunterricht - ohne jede Spur von Individualisierung . Hinzu kommt, dass japanische und koreanische Kinder nahezu ausnahmslos alltäglich am späten Nachmittag in Nachhilfeschulen mit straff organisierten Drillprogrammen an die zu erreichenden Lernziele herangeführt werden.

 

 Inzwischen werden in Deutschland die ersten Grundschulen von einer Aktiengesellschaft betrieben (demnächst auch in Köln).  Aktiengesellschaften arbeiten üblicherweise gewinnorientiert, und man könnte erwarten, dass sie zur Gewinnoptimierung  in ihren Grundschulklassen möglichst viele Schüler unterbringen wollten. Kluge Geschäftsleute wissen  aber offenbar, dass Gewinne an Erfolge geknüpft sind. So setzen denn auch die Firmenchefs der Phorms AG auf solche erfolgversprechenden Lösungen, die an ausländischen Staatsschulen längst regelmäßig praktiziert werden: In keiner Klasse gibt es mehr als 20 Kinder, neben den Lehrern ist stets ein Erzieher in der Klasse, gearbeitet wird in der Regel in kleinen Gruppen. Die Bildung kleiner Klassen ist auch eines der Erfolgsrezepte der anderen Privatschulen - überall in der Welt.

Von den 42.000 allgemein bildenden Schulen in Deutschland sind derzeit rund 3000 private Schulen, die im internationalen Vergleich außerordentlich leistungsfähig sind. Derzeit werden jedes Jahr etwa 100 Privatschulen neu gegründet, der Bedarf ist noch größer. Immer mehr Eltern misstrauen offenbar dem Staat in Sachen Schule. Für die wenigsten Eltern ist es jedoch erschwinglich, ihre Kinder eine Privatschule besuchen zu lassen. Es lässt sich nicht übersehen: In Deutschland stecken wir auch im Bildungsbereich längst in der Entwicklung zur Zweiklassengesellschaft. Den Kindern der breiten Masse bleibt der Unterricht in großen Klassen mit nur einer Lehrerin für oft über dreißig Kinder, deren Eltern sich von arroganten Schulpolitikern vorgaukeln lassen müssen: Schülerleistungen haben nichts mit großen und kleinen Klassen zu tun.
 
Die deutsche Schulpolitik ist derzeit nicht bereit umzudenken und setzt weiterhin auf große Klassen, in denen sich die Kinder mit Hilfe von Selbstlernkonzepten das Lesen und Schreiben selber beibringen sollen. Beispiellos weltweit: Nach den Konzepten der flexiblen Schuleingangsphase wird dabei auf die Unterstützung durch die Mitschüler gesetzt. Die Bildungswirtschaft hat Hochkonjunktur und produziert - oft ohne jeglichen Sachverstand - massenhaft solche 'individualisierenden' Arbeitsmaterialien, die  z. B. Erstklässler anleiten sollen - selbstgesteuert und eigeninitiiert - die Schrift, das Lesen und die Operationen um die Zehnerüberschreitung  zu 'entdecken'. Entlastung also für die überforderten Lehrerinnen/Lehrer in großen Klassen! Für viele Kinder bleibt das selbstgesteuerte Nicht-Lernen jedoch nur deshalb ohne Folgen, weil besorgte Eltern als Privatlehrer am Nachmittag den Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen selbst in die Hand nehmen oder ihr Kind in den Nachhilfeunterricht schicken. Schulpolitiker haben hinreichend Kenntnis von solchen Verhältnissen, auch davon, dass Kinder aus problematischen Elternhäusern bei dieser Schulpolitik kaum eine Chance haben.