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Elternbrief Nr. 12

(03/07)

 

(Umfangreiche Ergänzung zu 'Schreib, wie du sprichst!' in: > Elternbrief Nr. 13  unter IV: .'Schreib, wie du sprichst!' Schreiben nach Gehör und mit der Anlauttabelle )

 

 

 

 

'Schreib, wie du sprichst!' - Einprägsam, aber falsch!

 

Versäumnisse und Irrtümer der Methoden 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben'

 

Neue Unterrichtsmethoden im Anfangsunterricht gefährden in

 Deutschland alljährlich mehr als 100.000 neu eingeschulte Kinder 

 

 

 

Zu Beginn dieses Elternbriefs erscheint es sinnvoll, noch einmal an Elternbrief Nr. 3 zu erinnern:

Spätestens während oder nach der 2. Klasse muss schlüssig geklärt werden, welche Kinder Schwächen aufweisen und wie sie individuell am effektivsten gefördert werden können. 

Mit ihrem neuen Buch 'Lernschwierigkeiten am Schulanfang' (Weinheim und Basel. Dezember 2006) sorgen derzeit Prof. Dr. Dr. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen (†) bei Eltern und Lehrerinnen für Aufregung. Breuer und Weuffen fanden in ihrer langjährigen Arbeit heraus, dass von den 23.454 untersuchten Schülern in den 1. und 2. Klassen 26,5% der Kinder Lernprobleme hatten. Davon waren

 

Allesamt waren diese Kinder bereits im Anfangsunterricht durch ihre Schwierigkeiten beim Schreiben- und Lesenlernen  aufgefallen. Werden die Schwächen beim Schreiben- und Lesenlernen nicht spätestens bis zum Ende des 2. Schuljahres durch genaues Hinsehen und mit hinlänglich kritischer Urteilsfähigkeit erkannt, ist für viele dieser Kinder ein Desaster für ihre weitere Schullaufbahn vorgezeichnet. Bei derzeit alljährlich in Deutschland eingeschulten (noch) 1 Million Kindern sind Jahr für Jahr weit mehr als 100.000 Kinder betroffen.  

 

Besorgte Eltern, die vermuten, dass bei ihren Kindern Defizite beim Schriftspracherwerb vorliegen, bekommen beklagenswert oft von Lehrern und Lehrerinnen zu hören:

 

Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen warnen in ihrem neuen Buch: "Die negative Langzeitwirkung von Lernschwierigkeiten am Schulanfang kann außerdem durch gut gemeinte Verströstungen in Gang gesetzt werden. Auch Fachleute äußern gegenüber den Eltern leider die häufige Meinung, die Schwierigkeiten würden sich bald «auswachsen» und ganz von allein im Verlaufe der Zeit verschwinden. Geduld sei angezeigt. Die Realität beweist, dass damit falschen Hoffnungen das Wort geredet wird. In vielen Fällen kommt es zur Verschärfung des Konflikts." Tatsächlich, so Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen, verbessern sich nämlich lediglich 8% der betroffenen Kinder, das sind gerade einmal 8000 der insgesamt jährlich mit Defiziten eingeschulten 100.000 Kinder. 25% der betroffenen Kinder verschlechtern sich sogar nach der ersten Klasse in unterschiedlichem Ausmaß, das sind immerhin 25.000 Kinder . Dass aber in den meisten Fällen der allgemein gehaltene Ratschlag der Lehrerin "Ihr Kind muss das Gelernte noch öfter wiederholen!" oder "Ihr Kind muss mehr üben!" nicht als solide Beratung gelten kann, wird noch zu zeigen sein. 

Langzeituntersuchungen von  Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen belegen, dass nahezu 40% der Kinder mit schlechten Lernergebnissen im Anfangsunterricht mindestens einmal eine Klasse wiederholen mussten, auf eine Schule für Lernbehinderte wechselten oder vorzeitig die Schule verließen - viele der 40%  ohne Schulabschluss.

Alle maßgeblichen Wissenschaftler sind einhellig der Ansicht, dass Früherkennung und individuelle Förderung von Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten/-störungen dringend erforderlich sind (M. Hasselhorn, W. Schneider, H. Marx: Diagnose von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Göttingen 2000.). Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen unterscheiden in terminologischer Hinsicht nicht in Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Lese-Rechtschreib-Störungen, deren Ursachen u. a. in  bestimmten genetischen Dispositionen zu suchen sind und möglicherweise  den Charakter einer Krankheit aufweisen, die als Legasthenie bezeichnet wird. Diese nur schwer therapierbare 'Krankheit', die schlüssig nur von speziell ausgebildeten Psychologen und Ärzten diagnostiziert werden kann, führt zu teilweise erheblichen Störungen bei der zentralen Aufnahme, Verarbeitung und Wiedergabe von Sprache und Schriftsprache. Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen sprechen, wenn sie die Schwierigkeiten der Kinder beim Schreiben- und Lesenlernen fokussieren, von 'Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwäche und anderen Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht'. 

 

Die Ursachen für Lese- und Rechtschreibschwäche müssen

 gefunden werden

Wegschauen schadet den Kindern

 

In der Regel sollten Kinder zum Zeitpunkt des Schuleintritts die Lautsprache auf der Laut-, Wort- und Satzebene beherrschen, zunehmend ist das jedoch eher eine Annahme, die keineswegs die Realität abbildet. Für die meisten der oben genannten  26,5% der Kinder aus 1. und 2. Klassen gilt eine andere Realität. Sie verfügen lediglich über eine schwache lautsprachliche Kompetenz, was sich negativ auf den Schreib-/Leselernprozess auswirkt. 

 

Jahrzentelange interdisziplinäre Untersuchungen, in die mehr als 10.000 Kinder einbezogen waren, zeigten, dass der Grad der Entwicklung in den sprachbezogenen Wahrnehmungsbereichen entscheidende Bedeutung für den Prozess des Schreiben- und Lesenlernens hat.

 

Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen unterscheiden fünf Sprachwahrnehmungsleistungen:

  1. Die optisch-graphomotorische Differenzierungsfähigkeit;  die optische Differenzierungsfähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für das Schreiben- und Lesenlernen, die graphomotorische Differenzierungsfähigkeit ist unentbehrlich für das Schreibenlernen.

  2. Die phonematisch-akustische Differenzierungsfähigkeit; die Voraussetzung für das Sprechen-, Schreiben- und Lesenlernen und bedeutsam für das Unterscheiden von klangähnlichen, jedoch bedeutungsunterscheidenden Vokalen und Konsonanten.  

  3. Die kinästhetisch-artikulatorische Differenzierungsfähigkeit;  eine gut ausgebildete kinästhetisch-artikulatorische Differenzierungsfähigkeit ist Voraussetzung für die Sprechmotorik, für normgerechte Lautbildung, für die richtige Reihenfolge und Vollständigkeit der Laute im Wort.

  4. Die melodisch-intonatorische Differenzierungsfähigkeit; sie ist eine unverzichtbare Voraussetzung für das Schreiben- und Lesenlernen, für das Leseverständnis und für das Erlernen der Rechtschreibung und hat besondere Bedeutung für die Ausbildung des Sprachgedächtnisses.

  5. die rhythmisch-strukturierende Differenzierungsfähigkeit; sie ist unentbehrlich für die Speicherung von Wort- und Schriftinhalten sowie von Satzschemata. 

 

 

Grundlagenfunktionen haben auch die lautsprachlichen Grundfertigkeiten, deren Entwicklung nicht nur von großer Bedeutung für das Schreiben- und Lesenlernen ist, sondern auch für die Entwicklung mathematischer Grundfertigkeiten. 

 

Weiterhin unterscheiden Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen  in vier lautsprachliche Grundfertigkeiten:

  1. Artikulationssicherheit

  2. Umfang/Qualität des Wortschatzes

  3. Sprachgedächtnis

  4. Sprachverstehen.

(Nach Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen: ebd.)

 

Nicht selten liegen bei Kindern mit Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den lautsprachlichen Grundfertigkeiten mehrere Störungen gleichzeitig vor, die in vielen Fällen wegen ihrer Interdependenzen dazu auch noch verstärkende Einflüsse untereinander ausüben.  

 

Die Ursachen für Defizite im Bereich der Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den genannten lautsprachlichen Grundfertigkeiten sind unterschiedlichster Natur: 

 

Grundschullehrerinnen berichten immer wieder davon, dass einige der genannten Ursachen für Defizite (z. B. ein anregungsarmes soziales Umfeld)  in den  Sprachwahrnehmungsleistungen und  lautsprachlichen Grundfertigkeiten  von Jahr zu Jahr häufiger auftreten. Die Schulpolitik indes ist offenbar kaum geneigt, davon Kenntnis nehmen zu wollen.

Für Defizite in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten sind oft mehrere Faktoren verantwortlich, die in gewissen Fällen ein bestimmtes Problem verschärfen können.

Generell ist davon auszugehen, dass - mit Ausnahme der allgemeinen Lernschwäche - die genannten Ursachen aber nicht mit einer Intelligenzschwäche korrelieren. ADS/ADHS- und legasthene Kinder z. B. sind oft intelligente, auch hochbegabte Kinder. 

 

Die Methoden 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben'

 erkennen die Problemlage nicht - oder  ignorieren sie 

 

Die Verfechter der Methoden 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben' versuchen sich seit Jahren gegen diese Problematik zu immunisieren, indem sie ohne jegliche seriöse Begründung, erst recht nicht aufgrund wissenschaftlicher empirischer Untersuchungen, vom ersten Schuljahr an die Kinder in lernstarke, schnell lernende und langsam lernende Kinder einteilen und damit die Frage der Defizite in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten bei immerhin hierzulande derzeit weit über 100.000 neu eingeschulten Kindern mit Schwierigkeiten/Störungen  schlichtweg ignorieren. Aus der Anlage seiner Schrift „Richtig Schreiben lernen von Anfang an“ (Berlin 2001.) sowie aus dem Konzept seiner 'Rechtschreibwerkstatt' wird deutlich, dass  Sommer-Stumpenhorst - wie auch alle anderen, die die Konzepte 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben' vertreten - nur von  lernstarken, schnell lernenden und langsam lernenden Kindern spricht und ganz offenbar davon ausgeht, dass Lese-Rechtschreib-Schwächen/-Störungen  ausschließlich die Folge von Entwicklungsverzögerungen sind. Die Folge dieser Annahme ist, dass er es für richtig hält, die lernstarken, die schnell lernenden und die langsam lernenden Kinder mit denselben Materialien bedienen zu können. Der oben beschriebene Problemkreis der Kinder mit Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten, immerhin  weit über 100.000 der alljährlich insgesamt Eingeschulten, bleibt außen vor. Es gibt sie zweifelsohne, die lernstarken, schnell lernenden und langsam lernenden Kinder, aber es gibt eben auch die große Gruppe der Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwächen/-Störungen, von denen die allermeisten keinerlei Intelligenzschwächen aufweisen.

Dieses Prozedere ist von wirklicher Individualisierung weit entfernt. Für Kinder mit den oben aufgezeigten unterschiedlich verursachten Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten von vornherein anzunehmen, sie seien allesamt langsam lernende Kinder, ist ein schlimmes Versäumnis mit fatalen Folgen. Die sogenannten langsam lernenden Kinder jahrelang mit immer denselben Materialen, Wiederholungen und stereotypen Abschreibübungen zu befassen und sie beim freien Schreiben über die Maßen fehlerhafte Wörter/Texte konstruieren zu lassen und darauf zu warten, dass der Knoten dennoch eines Tages platzt, sind auch die Folgen einer verantwortungslosen, leider oft genug kommerziell gesteuerten Didaktik. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Lehr-/Lernmittelentwickler und Didaktiker noch nie etwas von den möglichen vielfältig auftretenden Defiziten bei Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten gehört haben. Bei der 'Begründung' des Glaubenssatzes von den schnell lernenden und langsam lernenden Kinder gehen moderne Didaktiker sowie sämtliche Entwickler neuer Lehr-/Lernmittel für den neuen Anfangsunterricht, wie sie selber formulieren, von 'Annahmen', (selbst entwickelten) 'Thesen' und 'Theorien' aus, für Prof. Hanke genügt sogar, dass der "pädagogisch-didaktische Ansatz der ’Öffnung des Unterrichts’ sich als ein Konstrukt aus theoriegeleiteter Perspektive als plausibel und für die Realisierung des Bildungsauftrags der Grundschule als brauchbar erweist" (in: Öffnung des Unterrichts in der Grundschule. Münster 2005).  Für die Urbanek-Fibel 'Tinto' heißt es in der Werbung:  „Grundlage der Materialien in der Lehrwerksreihe ist die Idee, dass Kinder sich den Weg in die Schriftsprache weitgehend selbstständig erarbeiten können.“  Beim Einsatz von  Unterrichtsmethoden, die sich auf "Konzepte", "Annahmen", "Thesen", "Theorien" oder auf eine "'Idee" gründen, können folglich Kinder auch nur den Stellenwert von Versuchskaninchen haben. Zunehmend hat sich inzwischen auch bei Universitätsprofessoren, die ihre Lehre auf ihren theorieorientierten Unterrichtsmethoden aufbauen, der Sinn fürs Kommerzielle entwickelt. Sie greifen werbend in den Lehr-/Lernmittel-Markt ein oder entwickeln und verkaufen inzwischen sogar ihre eigenen theoriekonformen Lehr-/Lernmittel. Der Absturz der eigenen Glaubenssätze würde Einbußen in zweierlei Hinsicht bedeuten: Prestigeverlust und finanzielle Ausfälle. Schwache Voraussetzungen also für Hoffnungen, die Risiken und Folgen der Methode 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben'   mit Lehr-/Lernmittelentwicklern und Didaktikern auf der ethischen Ebene diskutieren zu können. Besondere Bedeutsamkeit gewinnt das alles vor dem Hintergrund, dass es bisher nicht eine Studie gibt,  die das Konzept 'Lesen durch Schreiben' mit den Methoden Sommer-Stumpenhorst, 'Tinto', 'Lesen durch Schreiben' (von Reichen) sowie die im Anschluss daran praktizierte und zu Recht immer wieder angegriffene Form des freien Schreibens als erfolgreicher als den Unterricht mit einer modernen Fibel ausgewiesen hätte, die von Schulleuten mit jahrzehntelanger Erfahrung in Grundschulen konzipiert wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Es spricht übrigens nichts dagegen, in den ersten Schulmonaten der ersten Klasse die Anlauttabelle als zusätzliches Arbeitsmittel zur Fibel hinzuzuziehen und mit ihrer Hilfe sogar Texte entstehen zu lassen. Spätestens nach einem halben Jahr jedoch sollte die Anlauttabelle als konstituierendes Unterrichtsmittel ihren Platz räumen.  Um diese Zeit sollte auch das Freie Schreiben durch angeleitetes Schreiben (Schreiben nach Vorgaben) ergänzt werden. Dabei fordert Dr. Cordula Löffler, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg/Reutlingen für das freie Schreiben schon in der 1. Klasse: "Texte von Kindern, die im Unterricht entstehen, werden auch beurteilt und korrigiert (in: Füssenich/Löffler: Schriftspracherwerb. München 2005.)". Viele Lehrerinnen haben nie aufgehört nach dem Prinzip zu verfahren, dass während des Schriftspracherwerbs produzierte Falschschreibungen nicht als Fehler zu gelten haben, weil die Kinder sich noch in einem Lernprozess befinden. Das lässt sich den Kindern auch erklären, ohne den stigmatisierenden Terminus „Fehler“ anzuwenden: „Du möchtest ja schreiben lernen, wie die Erwachsenen es können.“ So zu verfahren ist alles andere als demotivierend für Kinder, hilft die Lehrerin ihnen doch mit ihrem Bemühen dabei, 'wachsen' zu dürfen. 

Eine Anlauttabelle kann ohnehin nur den Stellenwert haben, Kindern auf den ersten Schritten beim Erlernen der Phonem-Graphem-Korrespondenz behilflich zu sein. Wer Kindern über längere Zeit vorgaukelt, mit Hilfe einer Anlauttabelle ließen sich regelmäßig alle Wörter der deutschen Sprache verschriften, schickt sie in die falsche Strategie. Nicht einmal ist das  richtig, dass es ohne Bedeutung sei, mit welchem Wortmaterial die Kinder bei ihren Konstruktionsversuchen mit Hilfe der Anlauttabelle arbeiten! Prof. Ossner (Mitglied des Rats der deutschen Rechtschreibung, Vorsitzender des «Symposion Deutschdidaktik» e.V.) betont, "dass auf die Wortauswahl am Anfang so viel Wert gelegt werden muss, wie nur irgend möglich" (in: Sprachdidaktik Deutsch. Paderborn 2006.).  Nach einem weiteren Postulat Prof. Ossners "sollen sie (= die Kinder/Anm. des Autors dieses Elterbriefs) aber mit Wörtern umgehen, die sie in die Systematik der deutschen Rechtschreibung einführen" (ebd.). Diese sprachdidaktischen Grundsätze für den Schriftspracherwerb im Anfangsunterricht werden von den Vertretern der Methoden 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben' schlichtweg ignoriert. Das kann in der Tat nur eine gute Fibel leisten: eine zielführende Wortauswahl zu treffen, die geeignet ist, in die Systematik der deutschen Rechtschreibung einzuführen. Dass inzwischen gute Fibeln auch die Arbeit mit einer sorgfältig konstruierten Anlauttabelle vorsehen,  ist zur Selbstverständlichkeit geworden.

 

Qualitative Fehleranalysen, die Problemkindern nicht

 weiterhelfen können

'Schreib, wie du sprichst!' - Ein Merkspruch mit fatalen Folgen

 

In diesem Zusammenhang soll die Bewertung der äußerst fragwürdigen qualitativen Fehleranalyse  bei Sommer-Stumpenhorst  und ihre Auswertung zunächst ausgeklammert werden, davon wird später an anderer Stelle noch die Rede sein. - Greifen wir noch einmal zurück auf den früher schon einmal erwähnten 'guten' Rat des Sommer-Stumpenhorst-Moderators 'Thomas', den dieser am 05. Juni 2005 über das Forum der Rechtschreibwerkstatt einer Lehrerin gab:   

Bei einem individualisierten Konzept ist das mit dem Durchschnitt (gemeint ist die durchschnittliche Arbeitsdauer im Bereich LB*, Anm. des Autors dieses Elterbriefs) so ein Problem. Wenn man gründlich gearbeitet hat, sind die meisten Kinder nach zwei Schuljahren ’in der Regel’ in der Laut-Buchstabenzuordung weitgehend sicher. Aber es hängt natürlich sehr stark vom Umfeld der Schule, von der jeweiligen Zusammensetzung der Klasse und den jeweiligen Kindern ab. Es ist ja möglich, dass du Kinder mit ganz spezifischen Schwierigkeiten  hast. Diese Kinder müssen die Möglichkeit haben, so lange an ihrem Lernbereich zu arbeiten, wie sie es benötigen" (Anm.: Markierungen erfolgten d. d. Autor dieses Elterbriefs). Das ist exakt die Philosophie Sommer-Stumpenhorsts und die der anderen Verfechter der Methoden 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben'.  

* Mit "LB" bezeichnet Sommer-Stumpenhorst den Lernbereich "falsche Buchstabenzuordnung" in seiner 'qualitativen Analyse' als Folge von 

(in: Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten vorbeugen und überwinden. Berlin 2006)

Weiter heißt es: "Das Kind hätte die Verschreibung vermeiden können, wenn es dem vorgegebenen Laut den richtigen Buchstaben zugeordnet hätte. Hierzu muss es die Buchstaben und den Lautwert der Buchstaben kennen"(ebd.).

Dieser (richtige) Schritt ist allerdings lediglich der erste auf dem Weg in die beschwerliche 'qualitative Analyse': Die Feststellung der Fehlerkategorie. Zur wirklichen qualitativen Analyse fehlen nach der ersten zwei weitere eminent wichtige Fragen:

  1. In welchem Lernbereich gibt es Defizite?

  2. Sind die Schwierigkeiten/Störungen, wenn ein Kind nach zwei, drei oder gar vier Jahren noch immer erhebliche Probleme im Lernbereich 'LB' hat, Folgen von Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und/oder in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten? Um welche Defizite handelt es sich? Darüber könnten Analysen, wie Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen sie vorschlagen, Klarheit schaffen.

  3. Welche sind die Ursachen für Defizite im Bereich der oben genannten Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den  lautsprachlichen Grundfertigkeiten? Bei einigen der aufgezeigten Defizite ergeben sich aus den Ergebnissen einer gründlichen Diagnose auch bereits Hinweise auf die defizitverursachenden Faktoren. 

Erst wenn die Art der Schwierigkeiten/Störungen und ihre Ursachen geklärt sind, dürfte an dieser Stelle  die Frage heißen: Wie ist das betroffene Kind zu fördern? Und zwar je nach  

für jedes betroffene Kind - also individualisierend - 

Bei Sommer-Stumpenhorst heißt es bereits nach Schritt 1 (Zitat oben): "Diese Kinder müssen die Möglichkeit haben, so lange an ihrem Lernbereich zu arbeiten, wie sie es benötigen". Eine verhängnisvolle Maßnahme, mit der Eltern bisweilen in die 3. und 4. Klasse hinein vertröstet werden. 

Ohne Kenntnis der genauen Schwierigkeiten/Störungen und der verursachenden Faktoren begnügt sich die Methode  Sommer-Stumpenhorst mit der Feststellung der Fehlerkategorie und schlägt ohne weitere gründliche Analyse folgende weitere Fördermaßnahmen vor (in: Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten vorbeugen und überwinden. Berlin 2006):

  1. "Schreib, wie du sprichst. Sprich deutlich und hochdeutsch."

  2. "Laut-/Buchstabenfolgen; schreiben und dabei mitsprechen"

  3. "Abschreibübungen, mitsprechen; bildgestützte Hörübungen; Modellwortschatz; Such- und Sortieraufgaben"

Zur Diagnose aller oben aufgeführter Schwierigkeiten/Störungen in den  Sprachwahrnehmungsleistungen und in den  lautsprachlichen Grundfertigkeiten existieren inzwischen spezielle Testprogramme, zur Behebung der ausgemachten Schwächen gibt es individualisierende Trainingsprogramme. Man muss sie nur einsetzen wollen - und damit fachgerecht zu arbeiten wissen. Denn bisweilen sind Fortschritte nur mit Hilfe einer fachkompetenten Psychologin und/oder einer Logopädin zu erwarten.    

Bei vermuteten Defiziten in der optisch-graphomotorischen Differenzierungsfähigkeit, die bei Sommer-Stumpenhorst vereinfachend "motorische Schwierigkeit" heißt, rät er Lehrerinnen, "sie immer auch am Schriftbild zu erkennen" oder "bei der isolierten Betrachtung einzelner Buchstaben". Es wird empfohlen: "Um bei diesen Kindern  gar nicht erst Misserfolge beim Schreiben aufkommen zu lassen, habe ich schon frühzeitig diese besondere Schwierigkeit bei den Kindern angesprochen und bei ihnen gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Hilft es dir, wenn die Abstände größer sind? Solltest du vielleicht zunächst nur eine Linie nutzen?" (in: Richtig Schreiben lernen von Anfang an. Berlin 2001.). Das muss nicht kommentiert werden! Die optische Differenzierungsfähigkeit ist eine sehr wichtige Voraussetzung für das Schreiben- und Lesenlernen, die graphomotorische Differenzierungsfähigkeit ist unentbehrlich für das Schreibenlernen. Auf diese Weise leichtfertig sollten Lehrerinnen also mit diesem Problem umgehen (!), das in Wirklichkeit einer gründlichen Diagnose bedarf, um dann mit einem  Trainingsprogramm gezielt eingreifen zu können.  

Die Schriften Sommer-Stumpenhorsts böten viele weitere Anlässe, mit der Aufzählung der gravierenden Versäumnisse der Methoden 'Lesen durch Schreiben' und 'Freies Schreiben' fortzufahren. Es ist besonders bedenklich, wenn bei der Praxis der Methoden 'Lesen durch Schreiben' /'Freies Schreiben' nur von schnell lernenden und langsam lernenden Kindern gesprochen wird und die derzeit alljährlich mehr als 100.000 neu eingeschulten Kinder mit Schwierigkeiten/Störungen in den  Sprachwahrnehmungsleistungen und in den  lautsprachlichen Grundfertigkeiten per Methode bis in die 3. und 4. Klasse, oft bis in die Sekundarstufe hinein, nicht wahrgenommen werden können - oder sollen.

 

'Lesen durch Schreiben', 'Freies Schreiben' und die Frage der

 Legasthenie

 

Mit den Schwierigkeiten der ADHS-Kinder oder der legasthenen Kinder mit 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben' wollen sie sich alle nicht aufhalten, die Sommer-Stumpenhorsts, Urbaneks, ..... . Dass ADHS-Kinder nicht einfach nur langsam lernende (jedoch oft sehr intelligente) Kinder mit erheblichen Schwierigkeiten beim Lernen, insbesondere  beim Lernen mit den Selbstlernkonzepten 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben' sind, wird ständig verschwiegen. Und gegen die Wissenschaft, die mit konkreten Beweisen die Existenz genetischer Dispositionen , die das Entstehen einer Legasthenie begünstigen können, inzwischen vielfach belegt hat, führen sie inzwischen  einen geradezu peinlichen Krieg. Denn auch Kinder mit einer genetischen Disposition zur Legasthenie verderben das Konzept 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben' und setzen der Legende um die langsam und schnell lernenden Kinder ein Ende. Schwierigkeiten/Störungen bei legasthenen Kindern sind in ihrem Erscheinungsbild den anderswie verursachten Schwierigkeiten/Störungen sehr ähnlich. Eine genaue Diagnose der 'Legasthenie' ist allerdings äußerst schwierig und langwierig und kann schlüssig nur von Fachleuten gestellt werden, u. a. nach von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschlagenen Ausschlusskriterien: Erst wenn die oben genannten Ursachen für Schwierigkeiten/Störungen ausgeschlossen sind, kann eine 'Legasthenie' angenommen werden, d. h. nach einer genetischen Disposition gesucht werden (Gert Schulte-Körne: Lese-Rechtschreib-Störung. In: Günther Thomé [Hrsg.]: Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Legasthenie. Weinheim und Basel 2004).             

Für die Vertreter von 'Lesen durch Schreiben'/'Freies Schreiben'  haben die in zunehmendem Maße eintreffenden neuen wissenschaftlichen Befunde den Charakter von Hiobsbotschaften. Mediziner, Genetiker und Neurologen etwa, die bei ihrer Forschung zu wissenschaftlich abgesicherten Ergebnissen kommen, die die Geschäfte des Schulpsychologen Sommer-Stumpenhorst beeinträchtigen könnten, beschimpft Sommer-Stumpenhorst als "Skalpellakrobaten" oder "Reagenzglasschwenker" und zitiert - neue Forschungsergebnisse abwehrend - aus der Literatur der 60er, 70er oder der frühen 80er Jahre (in: Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten vorbeugen und überwinden. Berlin 2006**). Solche Tiraden eignen sich wohl kaum als Kontradiktion, mit der sich eine wissenschaftliche Position einnehmen ließe, sie offenbaren unzweideutig den Geist, aus dem das Konzept 'Rechtschreibwerkstatt' generiert wurde. Weltweit, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, wird indes weiterhin - unter den Begriffen 'Dyslexie' und 'Dysgraphie' -  nach den genauen Ursachen für 'Legasthenie' geforscht.  

In Deutschland sind etwa fünf Millionen Menschen von Legasthenie betroffen.  Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) der Universitäten Bonn, Lübeck und Marburg fanden jüngst  heraus, dass eine Veränderung des DCDC2-Gens zu einem erhöhten Legasthenie-Risiko führt. Der genetisch bedingte Zusammenhang konnte durch die Studien des Nationalen Genomforschungsnetzes bewiesen werden. In einer ersten Studie wurde zunächst das Erbgut von 137 Legasthenie- Kindern und deren Eltern untersucht, darauf das Erbgut in 239 Familien, deren Kinder ebenfalls an der Lese-Rechtschreibschwäche leiden. Bei beiden Untersuchungen stellten die Forscher  Veränderungen im Bereich des DCDC2-Gens (Region von Chromosom 6), fest. "Das DCDC2-Gen spielt anscheinend in der Entwicklung des Gehirns eine Rolle, genauer gesagt bei der Wanderung von Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn", sagte vor kurzem Professor Markus Nöthen vom Life & Brain Zentrum der Universität Bonn, der mit seiner Arbeitsgruppe für die molekularen Arbeiten verantwortlich war. NGFN-Forscher vermuten, dass bei Legasthenikern eine Fehlregulation vorliegt, so dass zu viel oder zu wenig des entstehenden Proteins produziert wird, für welches DCDC2 den Bauplan liefert. 

Prof. Schulte-Körne, Marburg, Hochschuldozent für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie stellte in seinen Untersuchungen fest, dass bestimmte Hirnregionen von Legasthenikern beim Wiedererkennen bzw. bei der Unterscheidung von Wörtern als gelernte bzw. nicht gelernte Wörter ein anderes Aktivierungsmuster zeigen. Während der Wahrnehmung von unterschiedlichsten Sprachreizen diagnostizierte er bei Jugendlichen mit gestörtem Schriftspracherwerb eine wesentlich geringere Gehirnaktivierung als bei Jugendlichen ohne Störung  (in: Elternratgeber Legasthenie. München 2004).   

Die Frage, ob Legasthenie wirklich als 'Krankheit' zu werten ist, wird noch zu entscheiden sein. Veränderungen im Bereich des DCDC2-Gens als Disposition für eine Lese-Rechtschreibschwäche hatten jedenfalls  zu Zeiten,  als eine Lese-/Schreibkultur noch nicht entwickelt und die Teilhabe daran nicht lebensnotwendig war, keinerlei Bedeutung  und konnten daher auch keineswegs  lebensentscheidend sein. 

Legasthene Auffälligkeiten beim Schreiben und Lesen der Kinder als langsames Lernen infolge von Entwicklungsverzögerungen, wie sie bisweilen beim Wachstum beobachtet werden, zu verharmlosen, ist nicht verantwortbar. Gewisse genetische Dispositionen,  die u. U. im Zusammenwirken mit anderen Faktoren, zur Lese-Rechtschreibschwäche führen können, sind aufgrund neuester Forschungsergebnisse nicht mehr wegzudiskutieren. 

Wie ADHS-Kinder können auch legasthene Kinder sehr intelligent oder hochbegabt sein, sogar der Weg zum Professor muss einem Legastheniker nicht versperrt bleiben. Der Humangenetiker Professor Tiemo Grimm von der Universität Würzburg, selber Legastheniker,  äußerte sich einmal so: "Man wird zwar immer Fehler machen, aber eben so weit lesen und schreiben lernen, dass die berufliche Laufbahn nicht gefährdet ist. Das sieht man auch an mir: Ich habe trotz meiner Legasthenie Medizin studieren können und bin Hochschullehrer geworden."

Ob  Legastheniker dann allerdings so gut lesen und schreiben lernen, dass die berufliche Laufbahn nicht gefährdet ist, hängt davon ab, ob eine vorliegende Legasthenie

 

 

Grundschule heute, insbesondere auch bedingt durch die Anwendung der Methoden 'Lesen durch Schreiben' /'Freies Schreiben', ist dazu nicht in der Lage:

 

 

Prof. Dr. Wilhelm Grießhaber, Leiter des Sprachenzentrums der WWU Münster, Studiendekan 'Allgemeine Studien' an der Universität Münster,  urteilt in den 'Examenshinweisen' für seine Studenten im Telegrammstil, und dennoch eindeutig, über das Niveau der grundlegenden Schriften Sommer-Stumpenhorsts  'Richtig schreiben lernen - Schritt für Schritt' und 'Richtig Schreiben lernen von Anfang an': "Mit minimalen Äußerungen zu theoretischen oder linguistischen Grundlagen; mitunter auch Eigenschöpfungen, die man in der Phonetik oder Phonologie vergeblich sucht - oder nicht nachvollziehbaren Einordnungen wie z.B. des Konsonanten h als Plosiv; deshalb mit gebührend kritischer Distanz zu behandeln." Offenbar gibt es aber nicht allen Praktikern zu denken, wenn die "theoretischen oder linguistischen Grundlagen" für ihr unterrichtliches Tun deutlich schief sind. Ähnliche substantielle Mängel charakterisieren auch die anderen Methoden des 'Lesens durch Schreiben' /'freien Schreibens'. 

 

Nach Erkenntnissen von Elternbriefe-online  stellen zunehmend Eltern mit Erleichterung fest, dass in vielen Schulen inzwischen ein Umdenken stattfindet und sich viele Lehrerinnen von den Methoden 'Lesen durch Schreiben' /'Freies Schreiben' - wie bei  'Sommer-Stumpenhorst', 'Tinto' und 'Lesen durch Schreiben' (nach Reichen) praktiziert -  abwenden. Anstatt dessen  präferieren sie nunmehr eine moderne Fibel, die den Erfordernissen der Individualisierung entspricht.

 

** Sommer-Stumpenhorsts Schrift 'Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten vorbeugen und überwinden' (Berlin 2006) ist eine erweiterte Neuauflage der Erstausgabe aus dem Jahr 1991.  

 

Siehe dazu auch den Elternbrief Nr. 13: 

 

Pädagogik gegen das Kind 

'Lesen durch Schreiben' mit dem Unterricht nach Sommer-Stumpenhorst, Tinto und Reichen

Wie wissenschaftsferne Dogmen unseren Kindern schaden

(Umfangreiche Ergänzung zu 'Schreib, wie du sprichst!' in : > Elternbrief Nr. 13,  unter IV.: 'Schreib, wie du sprichst!' Schreiben nach Gehör und mit der Anlauttabelle )

 


 

J. Günter Jansen