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Elternbrief Nr. 13
(Januar 2013)




Elternbrief Nr. 24
Grundschrift in der Kritik

Elternbrief Nr. 26
Schreiben nach Gehör: Die Anlauttabelle - ein absurdes Unterrichtsmedium






'Schreiben nach Gehör' (Lesen durch Schreiben) - in der Kritik

"eine Mischung aus
un­terlassener Hilfeleistung und gezielter Irreführung"
 (Zitat: Prof. Dr. W. Sendlmeier, Sprachwissenschaftler)



Inhaltsangabe

A.

Einführende Information



B.

Wie wissenschaftsferne Dogmen unseren Kindern schaden



C.

Klärung häufig verwandter Begriffe



I.

Schnelle Erfolge sind oft nur Scheinerfolge - Anfangsunterricht mit 'Lesen durch Schreiben'/ 'Spracherfahrungsansatz'/'Schreiben "nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle'/'Freies Schreiben'



II.

'Sprechen und Sprache' entwickeln sich beim Kind naturwüchsig. Ist das wirklich so?



III.

Sommer Stumpenhorst: "Ähnlich wie das Sprechen - verläuft auch das Schreibenlernen, wenn Kinder von Beginn an alles schreiben dürfen." - "Beim Schreibenlernen ist vieles einfacher."



IV.

'Schreiben nach Gehör' mit der Anlauttabelle I. : Schreib, wie du sprichst!



V.

'Schreiben nach Gehör' mit der Anlauttabelle II. : die Folgen für den Unterricht



VI.

Die qualitative Fehleranalyse bei Sommer-Stumpenhorst: Wenn dem Lehrmittelautor die grundlegenden Fachkenntnisse fehlen



VII.

Schritt für Schritt lernen – doch beim Schreiben lernen ist manches anders!



VIII.

'Freies Schreiben'



IX.

Zur Praxis des ’Freien Schreibens’ im Schulalltag



X.

’Learning by doing’ - ein Prinzip, das der Überwachung bedarf



XI.

Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten und –störungen werden zu oft nicht erkannt



XII.

Wegschauen schadet den Kindern - Den meisten Kindern könnte nachhaltig geholfen werden



XIII.

Die Methoden 'Lesen durch Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz'/ 'Freies Schreiben': Probleme werden nicht erkannt - oder per Definition aus dem Wege geräumt



XIV.

Eltern werden von Lehrerinnen/Lehrern getäuscht: "Wir unterrichten nicht nach 'Schreiben nach Gehör' oder 'Lesen durch Schreiben', sondern mit einem Methodenmix!"



XV.

Qualitative Fehleranalysen, die Problemkindern nicht weiterhelfen



XVI.

Die Frage der Legasthenie



XVII.

- Individualisierung - Mit 'Lesen durch Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz'/ 'Freies Schreiben'?



XVIII.

Exkurs in die Essentials des Reichen-Konzepts: "Lesen durch Schreiben - das muss vielleicht noch einmal eigens betont werden - ist ein Leselehrgang"



XIX.

Prof. Dr. rer. soc. H. Brügelmann: Reformpädagoge ohne Lehramtsbefähigung - Erfinder der radikal-reformpädagogisch gedachten 'Lesen-durch-Schreiben'-Version



XX.

'Lesen durch Schreiben' und 'Spracherfahrungsansatz': ein vernichtendes Urteil aus der Hirnforschung



XXI.

Die nationale Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 mit Fokus auf den Orthographieunterricht: ernüchternde Befunde und falsche Konsequenzen



XXII.
"Früher waren die Rechtschreibleistungen besser!" - Alles dummes Geschwätz? Bemühungen um Klarheit gab es etliche - und die Befunde sind eindeutig


XXIII.

Zielerreichendes Mogeln: Warum sich durch bundesweite 'Lern-standserhebungen' wie VERA die tatsächlichen Lernstände nicht mehr ermitteln lassen



XXIV.

Deutschlandradio Kultur - Radiofeuilleton am 23.07.2012 - Thema: Medienkompetenz sehr gut, deutsche Sprache mangelhaft - Studie fördert bestürzende Lücken bei Studienanfängern zutage



D.

Ein vorläufiges Schlusswort

 

Siehe auch: Pressemitteilung des Landes Baden-Württemberg vom 15. 12.2016

In einem Brief an die Schulen erteilt die Kultusministerin Susanne Eisenmann  Lernmethoden wie 'Schreiben nach Gehör' eine Absage. (http://www.grundschulservice.de/1746594.htm/Text Nr. 23: 'Schreiben nach Gehör'/'Lesen durch Schreiben': Neues zur Rechtschreibwerkstatt des N. Sommer-Stumpenhorst: "eine Mischung aus unterlassener Hilfeleistung und gezielter Irreführung"  [Prof. Dr. W. Sendlmeier, Sprachwissenschaftler])


Betrifft: Elternbriefe-online/www.grundschulservice.de in Sachen Plagiat

Ein Plagiat ist das bewusste Aneignen sowie eine damit verbundene illegitime und illegale Veröffentlichung oder Verwendung fremder Erkenntnisse und geistiger Leistungen. Wie mir gemeldet wird, bedient man sich zunehmend in unterschiedlicher Absicht auch dieser Seiten und verzichtet dabei auf die übliche Zitations­praxis bzw. auf eine Quellenangabe bei der Übernahme des fremden Gedankengutes.


A. Einführende Information

Dieser Aufsatz 'Elternbrief Nr. 13' versteht sich einerseits als erweiterte Fassung bereits erwähnter Positionen gegen die vielerorts noch immer praktizierten Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Sprach- erfahrungsansatz'/schreiben lernen "nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle (darunter u. a. 'Rechtschreibwerkstatt’ (Sommer-Stumpenhorst), 'Tinto’ (Urbanek) und 'Lesen durch Schreiben’ (Reichen), die heute deshalb allesamt auch unter dem Namen 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben[LdS]) bekannt sind, weil sie sich aus denselben Ideen - die übrigens nie auch nur ansatzweise zu einer plausiblen Theorie führten - und denselben didaktisch-methodischen Prinzipien herleiten. Den Ideen Jürgen Reichens und dessen abwegigem Konzept 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben’) folgend, entwickelte Sommer-Stumpenhorst vor gut einem Jahrzehnt für den Anfangsunterricht seine 'Rechtschreibwerkstatt’. Auf den Seiten seiner Homepage weist Sommer-Stumpenhorst in unzweideutiger Absicht auf die Wurzeln seiner 'Rechtschreibwerkstatt’ hin: “Das Konzept 'Lesen durch Schreiben' von Jürgen Reichen hat gezeigt, dass Kinder auch dann lesen lernen, wenn man das Schreiben in den Mittelpunkt des Anfangsunterrichtes stellt und keine weiteren Leseübungen durchführt. Manche Kinder lernen auf diese Weise recht schnell, andere erst sehr spät. Auf dem hier geschilderten Weg kann der Leselernprozess fachlich fundiert begleitet und deutlich beschleunigt werden.“ (156)

Ein naher Verwandter des Ansatzes 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') ist der 'Spracherfahrungsansatz' des Hans Brügelmann. Neuere Entwicklungen legen die Annahme nahe, dass beide Ideen, 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben’) und 'Spracherfahrungsansatz', inzwischen in Theorie und Praxis eine enge Symbiose eingegangen sind, die häufig als "lernwegsorientiert" bezeichnet wird. Als Irrtum beider Ansätze sehen Didaktiker und wissenschaftliche Forschung vor allem die ins Zentrum des Unterrichts gestellte Arbeit mit Anlauttabellen. Darüber hinaus führen Kritiker für beide Ansätze die schwache Systematik sowie die fehlende Übersichtlichkeit der Methode an, was schnell zur Überforderung der Lehrerinnen/Lehrer und der Kinder führen könne. Hinzu kommt, dass es den Eltern bei diesen Konzepten in der Regel unmöglich ist, den Lernstand ihres Kindes richtig einzuordnen und ihm somit gegebenenfalls die richtige Hilfestellung leisten zu können. Neben anderen sind derzeit die am häufigsten nach dem Konzept 'Spracherfahrungsansatz' vorgehenden Lehr-/Lernmittel: sämtliche Materialen des 'Spracherfahrungsansatz'-Erfinders Hans Brügelmann und seiner Co-Autorin Erika Brinkmann sowie die Lehrwerke ZEBRA, Confetti, Kunterbunt, ABC-Lernlandschaft (etc.).

In diesem Aufsatz werden aber auch zahlreiche weitere Argumente gegen die derzeit weit verbreitete Didaktik diskutiert. Außerdem erscheint es in diesem Zusammenhang als notwendig, noch einmal die Methode 'Freies Schreiben’ zu thematisieren, da sie stets der Praxis des Konzepts 'Lesen durch Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz'/Schreiben "nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle folgt.

B. Wie wissenschaftsferne Dogmen unseren Kindern schaden

Sat 1-Bericht v. 21.11.2011 zum Thema 'Lesen durch Schreiben' /'Spracherfahrungsansatz'/schreiben lernen "nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle unter:

http://www.planetopia.de/archiv/news-details/datum/2011/11/21/fallsche-raeschtschreibung-wie-schueler-mit-lautschrift-besser-lernen-sollen.html

"Wie kann das sein? Meine älteste Tochter hat mit der Methode >Lesen durch Schreiben< das Lesen und Schreiben ganz gut gelernt, aber ihre jüngere Schwester hat noch in Klasse 4 große Probleme damit. Beide Kinder wurden nach derselben Methode unterrichtet, beide von derselben Lehrerin." Dies schrieb eine besorgte und ratsuchende Mutter im November 2006 an Elternbriefe-online.

Nachgewiesen ist, dass nicht immer alle Kinder nach ein und derselben Methode gleich gut oder schlecht lernen, die Ursachen dafür sind auf die unterschiedlichsten Bedingungsfaktoren zurückzuführen, die oft nur sehr schwer zu definieren sind. Es gilt aber unbezweifelbar: Es gibt höchst effektive Unterrichtsmethoden, mit deren Hilfe die weitaus meisten Kinder einer Klasse auch effektiv lernen können, und es gibt auch die eher ungeeigneten Methoden, die viele Kinder zurücklassen. Das hat die Marburger Studie (2002-2004) gezeigt (Siehe Anlage zu Elternbrief Nr. 1!). Nach Klasse 2 lag seinerzeit in Sommer-Stumpenhorst-Klassen die Zahl der rechtschreibschwachen Kinder bei 23%, bei dem Unterricht mit einer Fibel lag die Zahl der rechtschreibschwachen Kinder bei 5%. Die Anzahl der schlechten Rechtschreiber war bei Kindern, die nach der Methode Sommer-Stumpenhorst unterrichtet wurden, also nahezu 5 mal so hoch wie bei Kindern, die nach einer Fibel unterrichtet wurden. Hinzukommt, dass viele der Kinder, die in der Studie als nicht-rechtschreibschwach eingestuft wurden, durch den Unterricht mit einer anderen Methode zu besseren Ergebnissen hätten geführt werden können. Dazu heißt es in dem offiziellen Bericht der Marburger Studie: "Die Konzeptgruppen unterscheiden sich in erster Linie durch den Abstand zwischen den Kindern mit mittlerem und geringem Risiko. Insbesondere in der RSW-Gruppe* haben die Kinder mit geringem Risiko einen vergleichsweise ungünstigen Verlauf und erreichen am Ende der zweiten Klasse die gleichen mittleren RST-Werte wie die Kinder mit mittlerem Risiko." Auch diese Tatsache, die sehr wohl für den Verlauf jeglichen weiteren Lernens eine entscheidende Rolle spielen kann, wird kaum wahrgenommen.

*RSW-Gruppe = Testgruppe des Unterrichts mit der Methode Sommer-Stumpenhorst

C. Klärung häufig verwandter Begriffe

Offener Unterricht

Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat in der Konzeption des Schriftspracherwerbsunterrichts ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Das derzeit favorisierte Konzept, die konstruktivistische Didaktik, geht von der Annahme aus, dass Sprach- und Schreibfähigkeit nicht lehrgangsgemäß vermittelt werden können. Über dem Unterricht nach den Lesen-durch-Schreiben-Versionen könnte - wie für das Lehrwerk "Tinto" - die Überschrift stehen: "Grundlage der Materialien in der Lehrwerksreihe ist die Idee, dass Kinder sich den Weg in die Schriftsprache weitgehend selbstständig erarbeiten können." Dieser sog. Offene Unterricht läuft ab nach den Maßgaben:

Der Unterricht nach den Konzepten der Lesen-durch-Schreiben-Versionen folgt stets den Prinzipien des Offenen Unterrichts.

Anlauttabelle

Mit Hilfe einer Anlauttabelle (Lauttabelle, Buchstabentabelle) versuchen Schreibanfänger, Laut für Laut eines gesprochenen Wortes in Buchstaben zu übersetzen: So sollen sie gem. der neuen Heilslehre eingeführt werden in das System, nach dem die gesprochene Sprache verschriftet wird. Das heißt, mit dem Angebot an Anlauten sollen sie selbst bei der Verschriftung von Inlauten und Endlauten erfolgreich sein können. Die Praxis zeigt indes, dass die Umsetzung nur in wenigen Fällen gelingen kann. Dennoch verspricht die Lehre, auf diesem Wege könne es den Kindern sogar gelingen, auch Sätze, ja ganze Texte zu verschriften: Diese Prozedur wurde unter dem Terminus 'Freies Schreiben' bekannt.

Freies Schreiben

Die Konzepte der Lesen-durch-Schreiben-Versionen sind auch die Konzepte des sog. 'Freien Schreibens' im Anfangsunterricht. Die Arbeit mit der Anlauftabelle und das 'Freie Schreiben' sind die tragenden Säulen des 'Unterrichts' nach den Prinzipien der Lesen-durch-Schreiben-Versionen. Mit 'Freiem Schreiben' ist hier das 'Freie Schreiben' derjenigen Strömung in der sog. modernen Didaktik gemeint, die ihr Hauptaugenmerk nicht auf das Schreibprodukt, sondern auf den Schreibprozess richtet, der vorrangig unter den Aspekten der Selbstbestimmtheit, der Selbstregulierung, der Spontaneität und der Kreativität beurteilt wird. Texte dürfen dabei - oft über Jahre hinweg – 'unbelastet' vom Regelwerk der Orthographie oder der Grammatik verfasst werden. Den Eltern wird auferlegt, die Texte ihrer Kinder in keinerlei Hinsicht zu korrigieren.

I.

Schnelle Erfolge sind oft nur Scheinerfolge

Anfangsunterricht mit 'Lesen durch Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz'/Schreiben "nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle/'Freies Schreiben'

Die Berichte von Eltern ähneln sich: Bereits in den Ersten Schulwochen verfügen ihre Kinder bei den Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' und 'Freies Schreiben' über ein recht großes Buchstabenrepertoire, und schon bald schreiben sie mehr als nur ihren eigenen Namen, einige trauen sich schon, eigene kleine Texte zu verfassen: mit Hilfe der Anlauttabelle, oder, wie andere sie nennen, mit der Buchstabentabelle. (1) Bei etlichen Kindern wird das verwendete Vokabular schnell umfangreicher, die Texte werden länger. Lehrerinnen sehen hierin den großen Vorteil gegenüber dem Lernen mit einer Fibel und bemühen sich wortreich, mit ihrer Begeisterung für die neue Didaktik auch die Eltern mitzureißen. Dass die verschrifteten Wörter eher nur Wortruinen sind und die Texte daher vorerst oft noch unlesbar bleiben, ist in den ersten Wochen und Monaten in der 1. Klasse in der Tat durchaus kein Mangel, befinden sich die Kinder doch in dieser Phase in einem Lernprozess. Laut der neuen Theorie sind das die Monate, in denen die Kinder den Weg des Verschriftens der gesprochenen Sprache erst experimentierend entdecken sollen. Ziel ist das Erlernen der Phonem-Graphem-Korrespondenz, also die Zuordnung von Lauten zu Buchstaben: Die Schüler verschriften mit Hilfe der Anlauttabelle auf dem Papier die Lautfolgen, also Wörter, die sie, gesprochen von ihren Mitschülern, hören oder die sie sich selbst vorsprechen. Buchstabe für Buchstabe wird so analog zum Hören aufgeschrieben. Manche Eltern halten schon nach einem halben Jahr ihre Bedenken nicht zurück, wenn nämlich auch weiterhin die Lehrerin das Prinzip der „verschrifteten Mündlichkeit“ (2) verfolgt und sie die Kinder nicht doch endlich behutsam an die Normierungen, denen die geschriebene Schrift unterliegt, heranführt. Es sind Fälle bekannt, in denen Lehrerinnen, offenbar guten Gewissens, bis weit in die dritte Klasse hinein dieses Prinzip nicht aufgeben wollen und so unreflektiert bei vielen Kindern eine Karriere als Schulversager anbahnen. Eltern, die zu Hause in das Lerngeschehen eingreifen, haben leider oftmals mit rechthaberischen Verweisen von den Lehrerinnen ihrer Kinder zu rechnen. FAZ-Leser Gus Holler formuliert im Internet-Forum der Frankfurter Allgemeinen 'FAZ.NET' vom 06.02.2006 seine Erfahrungen mit den modernen Schriftspracherwerbsmethoden:

Gus Holler hat ganz ohne Zweifel Recht! Etliche der Kinder, die zu Beginn des Anfangsunterrichts noch eine rasante Entwick­lung zu nehmen scheinen, bleiben dennoch auf Dauer nur unterdurchschnittliche Rechtschreiber. Enttäuschte Eltern berich­ten immer wieder davon. Inzwischen gibt es Untersuchungen, die die Erfahrungen der Eltern bestätigen. Die Professorin Agi Schründer-Lenzen beschreibt in ihrem Buch zum Schriftspracherwerb zahlreiche Ergebnisse aus der Wissenschaft, die bestätigen, was viele Eltern nur vermuten können: Nach 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' und 'Freies Schreiben' unterrichtete Kinder erzielen oft recht bald schon verblüffende Lese- und Schreibleistungen, die aber offenbar nicht tragfähige Grundlagen für den weiteren Lernprozess sind - und es auch nicht sein können. (3) Hinzu kommt, dass diese Kinder auch wei­terhin fortwährend in methodischer Hinsicht nur einseitig bedient werden und so in einen Rückstand geraten, der ohne recht­zeitige Hilfe nicht wettgemacht werden kann. Wenn ihre speziellen Schwächen unbemerkt bleiben und nicht rechtzeitig, d. h. bis spätestens in der zweiten Klasse, Fördermaßnahmen eingeleitet werden, kann die unterlassene Hilfeleistung zu irreversiblen Schäden führen. Dabei könnte den Kindern in den allermeisten Fällen geholfen werden, wenn die Lese-Rechtschreib-Schwächen bzw. -störungen, die auch schon einmal durch eine ungeeignete Unterrichtsmethode verursacht sein können, er­kannt würden. Lehrerinnen der neuen Methoden ziehen es indes noch über lange Zeit hinweg vor – oft bis in die dritte Klasse hinein -, die Eltern zu vertrösten, sie reden von 'Entwicklungsverzögerungen' bei den Kindern und prophezeien, die Schwie­rigkeiten würden sich bald 'auswachsen'.

II.

'Sprechen und Sprache' entwickeln sich beim Kind naturwüchsig. Ist das wirklich so?

 

Sommer-Stumpenhorst sieht es so: Die Sprache entwickelt sich in einem qualitativen Prozess, den Eltern allenfalls be­schleunigen können. (4) Darum kann es aber nicht gehen, das ist nicht die Rolle der Eltern. Eltern müssen zwingend - von Anfang an - initiativ werden, um bei ihren Kindern das Sprechenlernen anzustoßen und ihnen dann sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht dabei zu helfen, das Sprechen und die Sprache zu lernen. Das Sprechenlernen und das Er­lernen der Sprache sind nämlich keine naturwüchsigen Entwicklungsprozesse, wie Sommer-Stumpenhorst et. al. an­nehmen, Kinder bedürfen zum Sprechenlernen anregender Initiativen von außen und vielfältiger Unterstützungsmaßnahmen.

Von Natur aus ist der Mensch nicht einmal mit Sprechorganen zum Erlernen des Sprechens ausgestattet. Der Phonologe Prof. Dr. Utz Maas, wohl der renommierteste deutsche Vertreter dieser Fachwissenschaft, weiß, wie die Spezies Mensch diesen Mangel überwand: „Der physiologische Apparat ist phylogenetisch zu anderen, für unsere Lebenspraxis grundlegenderen Zwecken entwickelt worden als den sprachlichen (man kann ohne Sprache überleben, nicht aber ohne die Funktion des Apparates). Wir haben also keine 'Sprechorgane', sondern wir nutzen für sprachliche Zwecke Organe, die ihre spezifische Form und Funktionspotentiale in der Anpassung an andere Funktionen erhalten haben.“ (5) Beim Einsatz dieser Organe entstehen Geräusche wie Schmatzen, Rülpsen, Zähneknirschen und -klappern, Gähnen, Stöhnen etc., von denen einige genutzt werden, um damit Sprachlaute zu erzeugen. Prof. Dr. Utz Maas: „Bei der Nutzung des Apparates für die Lautproduktion handelt es sich also um einen Filter gegenüber der breiten Palette von Geräuschmöglichkeiten, der zugleich auch ein Filter für die dabei be­nutzten Organe ist. Dieser Filter ist selbst wiederum eine kulturelle Leistung, keine physiologische Notwendigkeit." Nach Prof. Dr. Utz Maas besteht daher auch die Möglichkeit, nach gravierenden Operationen z. B. „gewissermaßen kompensatorisch an­dere als die 'Standardorgane' für die Sprechproduktion zu nutzen." Für die Ohren als 'Hörorgan' gilt Ähnliches. Diese organi­sche Ausstattung dient phylogenetisch und (auch jetzt noch) funktional ganz anderen Zwecken als ausgerechnet dem 'Emp­fang' von mündlichen Sprachäußerungen: nämlich der räumlichen Orientierung und der Kontrolle des Gleichgewichts. Auf solche Nutzungserweiterungen bzw. -veränderungen treffen wir auch in etlichen Hirnregionen.

Sprache im heutigen Sinn gibt es seit etwa 100.000 bis 150.000 Jahren. Schon vor dieser Zeit muss es also beim Menschen hirnanatomische Entwicklungen gegeben haben, die im Hirn zu bestimmten Dispositionen führten, das Sprechen (und damit Sprachen) lernen zu können. Die kulturelle Evolution hat vielfältig die Spezies Mensch gezwungen, auch bestimmte Bereiche des Gehirns für Aufgaben zu benutzen, für die sie von der Natur nie vorgesehen waren:

Hirn3 

Die in Anlehnung an Prof. Uta Frith (9)/Prof. Dr. Uwe Multhaup (10) gewählte Darstellung zeigt - stark vereinfacht - die am Sprechen/Lesen/Schreiben beteiligten Hirnregionen, die allesamt miteinander verbunden sind und komplexe Prozesse im Millisekunden-Bereich ermöglichen.

Hirn4

Diese 'Landkarte' der linken Hirnhälfte zeigt einige der vielen Areale, in denen Gelerntes abgespeichert wird. (Prof. Dr. Uwe Multhaup)(11)

Hirn5

 Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren können heute die Vorgänge um das Sprechen sichtbar gemacht werden. (12)

Jedes Wissen und Können beruht auf dem Zusammenspiel vieler Areale des Gehirns. Im menschlichen Hirn sind viele Hirnregionen - mehrheitlich über die linke Hirnhälfte verteilt - angelegt, das erworbene Wissen und Können um Sprechen und Sprache abzuspeichern. Zum Sprechen werden diese Regionen parallel in Millisekunden-Schnelle zur anteiligen Wahr­nehmung ihrer lexikalischen, grammatischen und sprechmotorischen Aufgaben aktiviert. Dazu müssen natürlich die Abruf­prozesse automatisiert sein.

Das erworbene Wissen und Können um Sprechen und Sprache allein in Wernickes Areal mit seinen lexikalischen und in Brocas Areal mit seinen grammatischen Beständen verorten zu wollen (Sommer-Stumpenhorst nennt als drittes noch das Lesezentrum), wäre aber sicherlich falsch, denn dabei würde offenbar vergessen, dass Sprache eine hochkomplexe Fähigkeit ist, die sich von lexikalischen und grammatischen bis hin zu sprechmotorischen, pragmalinguistischen, stilistischen, affektiven und vielen weiteren Aspekten von Sprache erstreckt. "Bekannt ist zum Beispiel, dass melodische Aspekte der Sprache in der Regel in der rechten Hirnhälfte 'verwaltet' werden. Sie speichert auch die mit episodischen Erinnerungen und persönlichen Bewertungen verknüpften Aspekte von Sprachelementen. Der Spracherwerb wie auch der Sprachgebrauch sind außerdem nicht ohne das Mitwirken von nur motivationspsychologisch zu erklärenden affektiven Faktoren zu verstehen. Die aber haben ihren Ursprung in limbischen Regionen, die außerhalb von Wernickes und Brocas Areal liegen." Im Übrigen: Auch die frühere Vorstellung, es existiere nur ein Lesezentrum, ist heute nicht mehr haltbar. Wissenschaftler wie Shaywitz/Shaywitz sprechen seit längerem von vielen, mindestens 17 verschiedenen Regionen, die allein beim Lesen wechselseitig beteiligt sind. (13) (159)

Kein Menschenkind bekommt indes die Beherrschung seiner Sprache in die Wiege gelegt. Zwar ist die Fähigkeit, sprechen zu lernen, angeboren, das Kind muss das Kulturgut ‚Sprache’ – entsprechend der Sprachzugehörigkeit - aber erst erwerben, um daran teilhaben zu können. Das heißt, dass das Gehirn das Erlernen von Sprache zwar ermöglicht, ohne dass jedoch ein bestimmtes Sprachsystem bereits vorprogrammiert ist.

" [.....] Wer glaubt, Kinder ..... müssten dies von selbst hervorbringen, der irrt. Man würde ja auch nicht das Sprechen mit einem Kind vermeiden, um ihm zu ermöglichen, seine eigene Sprache zu entwickeln. Wir wissen aus Erfahrungen mit den so genannten Wolfskindern, dass dies nicht funktioniert: Sprache muss von einer bereits existierenden Gemeinschaft übernommen werden, sonst entwickelt sie sich gar nicht. Beim Sprechen sieht also jeder ein, dass es des klaren und strukturierten Inputs bedarf, damit gelernt wird."(129)

Andererseits weiß man aber auch, dass Kinder nicht von allein lernen zu sprechen, wenn sie im frühen Kindesalter nicht mit Sprache konfrontiert werden, etwa weil sie ohne den Kontakt zu anderen Menschen aufwachsen (so genannte Kaspar-Hauser-Kinder). Den dadurch erlittenen Entwicklungsrückstand können sie meist nicht mehr aufholen und können das Sprechen nicht mehr vollständig erlernen. Diese Erkenntnis demonstriert, dass die genetische Bereitschaft zum Spracherwerb nicht zeitlich unbegrenzt ist. Demzufolge scheint es also eine sensible Periode zu geben, während der das menschliche Gehirn am empfänglichsten für das Erlernen von Sprache ist.“ (14)

Unter der Voraussetzung, dass Kinder unter sprechenden Erwachsenen aufwachsen und man sich ihnen regelmäßig zuwendet, läuft der Sprachlernprozess bei allen Kindern ähnlich ab:

Sprechen und das Kulturgut ’Sprache’ erlernen die Kinder nur in einer sprachfähigen und sprachaktiven Umgebung, und die Annahme, dies sei ein naturwüchsiger Prozess, ist unhaltbar. Ohne sprachfähige und sprachaktive Umgebung, ohne anregende Initiativen von außen, ohne vielfältige Unterstützungsmaßnahmen würde ein Kind nicht viel mehr lernen als die unterschiedlichsten Laute hervorzubringen.

Eltern wissen in aller Regel, dass es, wenn sie ihr Kind in die Teilnahme am Kulturgut Sprache hineinführen wollen, nicht ausreicht, es in seiner sprachaktiven Umgebung einfach vor sich hin wachsen zu lassen. Für die unterschiedlichsten Kommunikationssituationen haben sie mit großer Sensibilität sprachliche Korrektur- und Erweiterungsmuster entwickelt, so dass sie mit diesem Repertoire situationsadäquat die kindliche Sprache

Beispiel 1 (17):

Das nachfolgende Beispiel des Gesprächsangebotes eines Zweijährigen soll die unterschiedlichen gesprächsausbauenden Reaktionen veranschaulichen:
Das Erzähl- oder Mitteilungsangebot des Kindes: "Schau mal, ich habe einen Elefanten!" wird sprachlich mit "Fant!" realisiert. Es entspricht damit noch nicht der sprachlichen Norm.


1

"Fant" --> "E-le-fant!"

2

"Fant" --> "Da ist der Elefant. Wie heißt der? Sag mal Elefant!"

3

"Fant" --> "Ja, das ist der Elefant, wie der Elefant "Jumbo" im Bilderbuch. Weißt du noch, wir haben auch einen richtigen Elefanten gesehen. Als wir im Zoo waren, am Wochenende. Der hatte einen ganz langen Rüssel. Und einer hat dem Elefanten eine Banane gegeben, die hat der mit seinem langen Rüssel genommen und dann aufgegessen. Weißt du noch?"

Beispiel 2 (18):

Alter

kindliche Äußerung

reaktive Äußerung des Erwachsenen

1;3

da!

Kühe, da sind Kühe

1;6

Due!

ja, viele Kühe

1;9

siele Due (viele Kühe)

viele Kühe, ja, die Kühe fressen Gras

2;0

Due Da:s (Kühe Gras)

hm, die Kühe fressen Gras, weil sie Hunger haben

2;0

Du: (Kuh)

eine Kuh (K:uh)

Ein Selbstläufer ist also das Erlernen des Sprechens und der Sprache nicht, und durchaus könnte man das, was oben gezeigt wurde, schon als Lernsituation bezeichnen - von den Eltern gesteuert. Die Psycholinguisten H. Papousek/M. Papousek haben daher das Eingreifen der Eltern als "intuitive elterliche Didaktik bezeichnet". (19) Die Spracherwerbsforscherin Prof. Gisela Szagun kommt zu dem Ergebnis: "Lernen spielt eine sehr große Rolle. Kinder konstruieren sprachliche Strukturen aus dem Umweltangebot. Dabei nutzen sie statistische Information und Information aus dem kommunikativen Kontext." Und viele Male hebt sie hervor: "Es gibt keine Evidenz für für angeborene sprachliche Module für Grammatik und Semantik." (20) Mit ihren sprachlichen Zuwendungen helfen die Eltern ihren Kindern entscheidend bei deren Sprachentwicklung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Dabei geht es weniger um schnelleres Lernen! Die Linguistin Prof. Gisela Klann- Delius ergänzt: "Die elterlichen Verhaltensweisen unterstützen, dass die existierenden Fähigkeiten des Kindes dynamisch reorganisiert werden, so dass Fähigkeiten emergieren, die das Kind zuvor nicht hatte." (21) Besonders in jüngster Zeit hören und lesen wir viel über die Folgen, wenn Eltern sich zu wenig um ihre Kinder kümmern, auch in sprachlicher Hinsicht. Bei Kindern mit Migrationshintergrund, wenn Eltern die deutsche Sprache nicht oder nur unzureichend beherrschen, können die Ursachen für sprachliche Defizite natürlich auch in diesem Umstand zu suchen sein.

Wie wichtig eine optimale Sprachentwicklung schon in den ersten Lebensjahren ist, betonen Prof. Christoph Herrmann/Dr. Dipl. Psychologe Christian Fiebach:

Bei vernachlässigten Kindern oder bei Kindern, deren Eltern kaum die deutsche Lautung korrekt beherrschen, nur über ein eingeschränktes deutsches Wortrepertoire verfügen und die dazu in einem Umfeld leben, in dem vorwiegend nicht Deutsch gesprochen wird, können bereits in einer besonders sensiblen Periode, in der das menschliche Gehirn am empfänglichsten für das Erlernen von Sprache ist, - also bis zu Beginn der Kindergartenzeit - schlimme Defizite entstanden sein, die kaum oder gar nicht mehr auszugleichen sind. Diese frühen Defizite

sind schlechte Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einstieg in den Lese-/Schreiblernprozess, selbst dann sogar, wenn in der Kindergartenzeit daran gearbeitet werden konnte.

Erzieherinnen sind vor die schwere Aufgabe gestellt, die Schwierigkeiten bei sprachlich fehlentwickelten Kindern

Defizite, die schon bis zum Beginn des Kindergartenbesuchs entstanden sein können, lassen sich ordnen in die Bereiche ’Sprachwahrnehmungsleistungen’ und ’lautsprachliche Grundfertigkeiten’:

Defizite in den Sprachwahrnehmungsleistungen bei

Defizite in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten bei


Zusammenfassung:

III.

Sommer Stumpenhorst:

"Ähnlich wie das Sprechen - verläuft auch das Schreibenlernen, wenn Kinder von Beginn an alles schreiben dürfen." -

"Beim Schreibenlernen ist vieles einfacher."

Befürworter der neuen Didaktik nach Sommer-Stumpenhorst (’Rechtschreibwerkstatt’), Urbanek (’Tinto’), Reichen (’Lesen durch Schreiben’) sowie nach dem 'Spracherfahrungsansatz' stört es aber ganz offenbar nicht, dass solche Thesen, nach denen sich das Sprechenlernen und die Sprache vorwiegend naturwüchsig entwickeln, völlig haltlos sind. Um ihre Konzepte zu legitimieren, gehen sie noch einen Schritt weiter und verkünden dogmatisierend, dass sich, - ähnlich natürlich - wie Kinder das Sprechen und ihre Sprache erlernen, auch die Schriftsprache naturwüchsig entwickeln könne. Man müsse ihnen nur genügend Freiräume zugestehen und sie mit Schrift experimentieren lassen, damit sie die Schrift, den Weg in das richtige Schreiben und schließlich die Rechtschreibung ’entdecken’ können. Wie alle anderen Verfechter dieser Methoden hakt Sommer-Stumpenhorst die Problematik mit ziemlich exotischen Randbemerkungen ab:

Entsprechend verfahren Sommer-Stumpenhorst et al. denn auch mit ihren Konzepten für den Schriftspracherwerbs­unterricht: "Ähnlich wie das Sprechen- verläuft auch das Schreibenlernen, wenn Kinder von Beginn an alles schreiben dürfen." (25) Etliche Studien wie auch die die Marburger Studie (siehe oben!) haben inzwischen gezeigt, was dabei herauskommt, wenn Kinder in der Anfangsphase des Schreibenlernens

Folgten Eltern den schiefen Thesen Sommer-Stumpenhorsts, Urbaneks und Reichens und schauten beim Sprech-/Sprachlernprozess ihrer Kinder auch vorwiegend nur abwartend zu, anstatt ihnen mit sprachlichen Zuwendungen ausschlaggebend bei deren Sprachentwicklung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu helfen und in der jeweils aktuellen Kommunikationssituation unmittelbar korrigierend und/oder mit sprachlichen/inhaltlichen Erweiterungen einzugreifen (wodurch die Kinder auch implizit die grundlegenden syntaktischen Regeln erlernen), wären weitgehend sprachlose und spracharme Kinder das Ergebnis ihres falschen Spracherziehungskonzepts.

Sprache im heutigen Sinn gibt es seit etwa 100.000 bis 150.000 Jahren, die Schrift gibt es erst seit etwa fünf- bis sechstausend Jahren. Während sich über einen langen Zeitraum hinweg im menschlichen Hirn bestimmte Dispositionen zum Erlernen des Sprechens herausbilden konnten, war dies für das Erlernen des Schreibens und Lesens in der kurzen Zeit von nur wenigen tausend Jahren natürlich nicht möglich. Es gab auch keinen Evolutionsdruck, der auf die Entwicklung der Fähigkeiten zu lesen oder zu schreiben im Hirn hingewirkt hätte. Über die Folgen lassen wir an dieser Stelle den Neurobiologen und Psychiater Prof. Manfred Spitzer zu Wort kommen: „Unser Gehirn ist für das Lesen nicht gebaut. Es entstand lange vor der Erfindung der Schrift und aufgrund von Lebensbedingungen, die mit den heutigen wenig gemeinsam haben. Eines zeichnete diese Lebensbedingungen ganz gewiss nicht aus: Schrift auf Schritt und Tritt. Wer liest, der missbraucht also zunächst einmal seinen Wahrnehmungsapparat für eine nicht artgerechte Tätigkeit, etwa wie ein Fliesenleger seine Knie missbraucht, um in Bädern herumzukriechen oder wie ein Tennisspieler, der seinem Ellenbogen das Aufnehmen von mehr Kräften zumutet, als dieser verkraften kann. Noch einmal anders ausgedrückt: Das Gehirn verhält sich zum Lesen wie ein Traktor zum Formel 1 Rennen, für dessen Tuning man kurz vor dem Rennen zwei Stunden Zeit bekommt.“ Dass nach tausenden Stunden des Übens Menschen tatsächlich lesen können, ist für Spitzer ein wichtiger Beweis: Das menschliche Hirn "kann Tätigkeiten lernen, die ihm nicht in die Wiege gelegt sind." (26) Alles bezüglich des Lesens Gesagte gilt natürlich erst recht auch für das Schreiben: Beides, Lesen und Schreiben, sind eigentlich unnatürliche Handlungen. Und auch hier gilt: Mit dem Erlernen des Lesens und Schreibens benutzt der Mensch bestimmte Bereiche des Gehirns für Aufgaben, für die sie von der Natur nie vorgesehen waren.

Während Rüdiger Urbanek die seiner Methode 'Tinto' zugrunde liegende Theorie weitestgehend verschweigt, verkündet Jürgen Reichen ohne Unterlass seine wissenschaftsfernen Thesen, die allenfalls bei pädagogischen und psychologischen Laien auf offene Ohren stoßen (157):

Diese Frage muss in diesem Zusammenhang offen bleiben: Welche Art von Hintergrundwissen eigentlich treibt Leh­rerinnen/Lehrer dennoch zum Unterricht mit den Methoden 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz', für die es (wörtlich wie z. B. in der Werbung für Rüdiger Urbaneks 'Tinto' oder bei den anderen irgendwie umschrieben) heißt: „Grundlage der Materialien in der Lehrwerksreihe ist die Idee, dass Kinder sich den Weg in die Schriftsprache weitgehend selbstständig erarbeiten können.“ Was ist das für eine Pädagogik, wenn es denn eine solche überhaupt noch sein kann, die vorsieht, dass sich alle Kinder weitgehend selbstständig das Lesen und Schreiben beibringen sollen, wofür ihnen allen aber weitestgehend die dazu notwendigen natürlichen Dispositionen fehlen? Expressis verbis sollte es ja aber auch nur eine 'Idee' sein!

Es ist notwendig, an dieser Stelle auch das noch einmal zu erwähnen: Lautstark verkünden die Streiter für die Methode 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' und für das selbstbestimmte, selbstständige, selbstorganisierte, selbstgesteuerte, selbstregulative Lernen, wie sehr in den letzten Jahren die Heterogenität in den ersten Klassen angewachsen sei, wie unter­schiedlich bei den einzelnen Kindern die Ausgangsbasis für das zu Lernende oder das Dazuzulernende sei. Ohne weiteres und heftig, aber argumentationslos insistierend nehmen Verfechter von 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' jedoch für alle Kinder eine Art naturgegebener Homogenität für die Fähigkeit an, mit der sie alle gleicherma­ßen vom ersten Schultag an selbstinitiiert, selbstständig, eigeninitiativ, eigenverantwortlich, selbstbestimmt und selbststeu­ernd lernen und auf eben diesem Wege sich sogar das Lesen und Schreiben selbst beibringen könnten. Entsprechend wider­sprüchlich verhalten sich viele Lehrerinnen:

Ganz offenbar ohne sprachwissenschaftliche und neurophysiologische Absicherung behauptet Sommer-Stumpenhorst: „Beim Schreibenlernen ist alles viel einfacher.“ (27) Er et al. ignorieren schlichtweg auch, " dass die mündliche Sprache und die Schriftsprache zwei verschiedene Sprachsysteme sind." (28) Prof. Enders weiter dazu: „In einer populären, aber laienhaften Auffassung erscheint die Schriftsprache häufig nur als eine Fixierung des mündlich Gesprochenen, das bei seiner Niederschrift einem leichten Reinigungsprozess unterzogen wird. Die Linguisten wissen aber, dass die Schriftsprache ganz anderen Regeln folgt als die mündliche Sprache. Die Schrift ist nämlich ein eigenständiges Sprachsystem; ihre Grammatik, ihre Semantik und ihre Pragmatik, ihre Regeln also, die Bedeutung der Wörter und ihre Anwendung folgen anderen Gesetzen als die mündliche Sprache.“ (29) Das Sprechenlernen und das Schreibenlernen hinsichtlich der Schwierigkeiten miteinander vergleichen zu wollen, ist also ein ziemlich unsinniges Ansinnen. Auch Prof. Ossner weist immer wieder auf solche hartnäckigen Stereotypen hin: „Schreiben ist nicht nur medial anders als Sprechen, sondern auch konzeptionell. Während die Lautsprache das Ohr anspricht, also einen Sinn, der linear-sequentiell ausgelegt ist, spricht die Schrift das Auge an, also einen Sinn, mit dem wir vieles simultan erfassen können. Lautsprache braucht die Artikulationswerkzeuge zu ihrer Produktion, Schrift die Hand, die ein Werkzeug führt, mit dem geschrieben wird (Stift oder heute ein technisches Medium wie Schreibmaschine oder Computer mit einer Textverarbeitung).“ (30) Eine andere Ebene beleuchten die Professorinnen Dr. I. Füssenich und Dr. C. Löffler: „Der Schriftspracherwerb stellt erhebliche Anforderungen an die sprachlich-kognitiven Fähigkeiten der Kinder. Sie müssen sich von den subjektiv erlebnisbezogenen Vorstellungen von Sprache lösen und ihre Aufmerksamkeit auf formale Aspekte von Sprache lenken und ... .“ (31) Auch Prof. H. Andresen gibt zu bedenken, dass das Segmentieren sprachlicher Ketten ein bewusstes, geradezu analytisches Verhalten zu Sprache und zur eigenen Artikulation verlangt. Diese Prozedur sei ein Akt geistiger Erkenntnis, der Distanz zur eigenen Sprache voraussetzt. (32) In Übereinstimmung mit Prof. M. Dehn, Prof. G. Otto und Prof. H. W. Giese konkretisiert die Grundschuldidaktikerin Prof. Dr. S. Weinhold: "Die Abstraktheit der geschriebenen Sprache erfordert von den jungen Schreibern eine andere, willkürlichere und bewusstere Einstellung beim Schreiben als das Sprechen. Die geschriebene Sprache zwingt das Kind intellektueller zu handeln. Sie zwingt es, sich den Prozess des Sprechens selbst stärker bewusst zu machen. Im Unterschied zum automatischen Sprechen von Wörtern verlangt das Aufschreiben die bewusste Zergliederung von Äußerungen in ihre schreibrelevanten Bestandteile. Bei der Übertragung von gesprochener Sprache (oder Gedachtem) in Schrift muss das Kind sprachanalytisch tätig werden, d. h., es muss zunächst aus dem kontinuierlichen Signalstrom des Gesprochenen die Phoneme extrahieren und die graphematische Zuordnung leisten." (33)

Während Vorschulkinder die zum mündlichen Sprachgebrauch notwendigen sprachlichen Regeln, z. B. zur Satzkonstruktion, ohne jegliche Mühe unbewusst, also implizit, erworben haben, müssen sie sich die Regeln zur Verschriftung, also auch die der Orthographie, jetzt mit Anstrengungsbereitschaft und mancher Anstrengung explizit aneignen. Der Prozess trägt zurecht die Bezeichnung ’Schriftspracherwerb’ und ist keineswegs zu vergleichen mit einer naturwüchsigen Entwicklung, während der Lehrerinnen und Eltern nur einfach abzuwarten hätten. In diesem Sinn bringt es auch Eva Maria Kirschhock , Dozentin an der Universität Erlangen-Nürnberg, für die hier genannten Selbstlernkonzepte noch einmal auf den Punkt : „Zum anderen hat sich das Missverständnis einiger Theoretiker und Praktiker, dass sich nämlich die schriftsprachliche Entwicklung bei dem einzelnen Kinde völlig „aus sich heraus“ vollziehen würde, mittlerweile relativiert. Die Erkenntnis, dass jedes Lernen ein eigenaktiver Prozess ist, bedeutet nicht, dass ein anregungsreicher Unterricht und die Konfrontation mit der normgerechten Schriftsprache nicht auch wichtig wäre, um die Entwicklung anzustoßen oder voranzutreiben.“ (34)

IV.

Schreiben nach Gehör und mit der Anlauttabelle I.: 'Schreib, wie du sprichst!'

Vorbemerkung: Mit 'Schreiben nach Gehör und mit der Anlauttabelle' wird in diesem Aufsatz dasjenige methodische Vorgehen moderner Rechtschreibkonzepte fokussiert, das einseitig und oft über Jahre hinweg Kinder nach einer Strategie schreiben lässt, die nahe legt, geschriebene Wörter/Texte seien einfach nur 'verschriftete Mündlichkeit'.

Richtig schreiben lernen von Anfang an“, so lautet der Titel der Schrift Sommer-Stumpenhorsts, in der er seine Methode er­klärend darstellt. Ein Zynismus besonderer Art! Kinder, die nach dem darin - wie auch bei Urbanek und Reichen - propagier­ten Dogma "Schreib, wie du sprichst!" von Anfang an 'richtig schreiben lernen' sollen, lernen in Wirklichkeit: nach einem falschen Prinzip falsch zu schreiben - von Anfang an. Der Deutsch-Didaktiker Prof. J. Ossner wird nicht müde, immer wie­der darauf hinzuweisen: „Nichts wäre also fataler, als das Deutsche als eine Schrift zu beschreiben, die nach dem Grundsatz Schreib, wie du sprichst! verfährt.“ (35) Für die Wissenschaft steht schon lange unbezweifelbar fest, was Prof. Ossner an an­derer Stelle für sämtliche heute bedeutsamen Didaktiker formuliert: "Die deutsche Schrift gehört zu den alphabetischen Schriften. Dies bedeutet, dass es eine irgendwie geartete Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben gibt. Jeder weiß aber, dass eine Maxime wie Schreib, wie du sprichst! im Deutschen in die Irre führt." (36) Das liegt natürlich auch daran, dass sich die gesprochene deutsche Sprache nicht 1:1 in Schriftsprache umsetzen lässt. Prof. Eichler unterscheidet im Deutschen bis zu 4000 Laute (= Phone), die zu 40 "Lautklassen" (Klassen phonetisch ähnlicher Laute = Phoneme) zusammengefasst werden. 'Phone' sind immer als lautliche Substanz real vorhanden, während der Begriff 'Phonem' als Oberbegriff zu sehen ist. (148) Phoneme werden mit 30 Graphemen (Zeichen/Buchstaben) bzw. Graphemclustern (z. B. sch) schriftlich dargestellt.

Nach Sommer-Stumpenhorst - oder nach Tinto und Reichen - soll es allen 5- und 6-Jährigen gelingen können, selbst ausge­wählte Zuordnungsaufgaben (Einzelwörter, ganze Texte) mit Hilfe einer Anlauttabelle und gewisser Arbeitsmaterialien (z. B. Kärtchen) in Einzel- oder Partnerarbeit zu lösen, um auf diesem Wege in die Rechtschreibung zu finden. Während im Finni­schen, im Serbokroatischen, fast im Italienischen, die Phonem-Graphem-Korrespondenz nahezu 1:1 ist, ist sie im Englischen und Französischen 1:n. Im Deutschen liegt die Phonem-Graphem-Korrespondenz irgendwo dazwischen, eher in der Mitte zwi­schen zwei gedachten Extremen (37) (Anm. des Autors: Über Jahrzehnte hinweg schwanken - je nach Betrachtungsweise - die Angaben zur Phonem-Graphem-Korrespondenz im Deutschen beträchtlich.) Ganze Wörter oder gar Texte mit Hilfe der Anlauttabelle konstruieren zu lassen, würde sich kein Lehrer in den USA, in England oder Frankreich einfallen lassen.

Prof. Sarah-Jane Blakemore vom Institute of Cognitive Neuroscience am University College in London und Uta Frith, Professorin für Kognitionspsychologie und Direktorin dieses Instituts, berichten in diesem Zusammenhang über neue Ergebnisse der Hirnforschung, die in einem europäischen Kooperationsprojekt (Eraldo Paulescu [Mailand], Jean-François Demonet [Toulouse] und Uta Frith [London] ) gewonnen wurden. In 'Wie wir lernen/Was die Hirnforschung darüber weiß' wird das Schreibsystem des Italienischen (Phonem-Graphem-Korrespondenz nahezu 1:1) mit dem des Englischen (Phonem-Graphem-Korrespondenz 1:n) verglichen:

Es sei noch einmal daran erinnert: Im Deutschen liegt, verglichen mit dem Englischen und dem Italienischen, die Phonem- Graphem-Korrespondenz irgendwo dazwischen, eher in der Mitte zwischen zwei gedachten Extremen.

Bei den länderübergreifenden Untersuchungen stellte sich heraus, dass geübte englische und italienische Leser genau die gleichen Regionen des Lesesystems im Gehirn nutzen. Aber es zeigten sich gravierende Unterschiede in der Aktivierung bestimmter Regionen innerhalb des Lesesystems,

Es stellte sich auch heraus, dass je nach Sprache eine bestimmte Hirnregion in besonderem Maße aktiv war:

Das internationale Forscherteam konnte aus ihren Untersuchungen schließen:

Wenn wir bedenken,

dann müssen wir zu dem Schluss kommen, dass Kinder, die nach der Methode 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracher­fahrungsansatz' lernen, nach Konzepten unterrichtet werden, die sich zwar ganz gut dazu eignen würden, finnischen, serbokroatischen und italienischen Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen, aber für den Schriftspracherwerb in deutschen Schulen recht wenig taugen. Wenn Kinder, wie es derzeit geschieht, u. U. über Jahre hinweg nach dem Lehrsatz "Schreib, wie du sprichst!" schreiben dürfen/müssen, so wie es für finnische Kinder in Ordnung wäre, wird hierzulande einseitig allzu lange nur die eine Gehirnregion, die für die Laut-Buchstaben-Übersetzung zuständig ist, beansprucht, während die andere, die mit der Verarbeitung der Schreibweise und der Lautung und Bedeutung von Wörtern zu tun hat, das Wortformareal also, weitgehend brach liegt, d. h. anhaltend in einer wichtigen Lernphase nicht hinreichend aktiviert/trainiert wird. Das Ergebnis ist eine "antrainierte Schwäche", wie Gus Holler seinerzeit in 'FAZ.NET' (siehe Zitat oben!) schrieb. Die schwierigen Gegebenheiten der Phonem-Graphem-Korrespondenz im Deutschen legen nahe, beide oben beschriebenen Hirnregionen gleichermaßen zu aktivieren/trainieren, und zwar von Anfang an.

Der Phonologe Prof. Karl-Heinz Ramers zeigt die Problematik um die Phonem-Graphem-/und Graphem-Phonem-Beziehungen an zwei Beispielen auf:

Der [k]-Laut:

Der Buchstabe <ch>:

Weiter führt K. - H. Ramers aus: "Diese zwei Beispiele (man könnte viele weitere aufzählen) illustrieren eindrücklich, dass die Relationen zwischen Schriftsystem und Lautsystem vielschichtig und z. T. verwickelt, ja verworren sind. Keineswegs bildet die Orthographie eine reine oder auch nur halbwegs klare Abbildung des phonetisch/phonologischen Systems." (39)

Einige wenige weitere Beispiele - mit anderen Beispielen ließen sich Bücher füllen - mögen einen kleinen Einblick in die schwierige Phonem-Graphem-Beziehung im Deutschen und in die Problematik des Verschriftens nach Gehör bzw. mit Hilfe der üblichen Anlauttabellen gewähren:

Umgangssprachlich oder/und dialektal bedingt kommt es beim Schreiben nach Gehör bzw. mit Hilfe der Anlauttabelle zu unzähligen weiteren Schwierigkeiten, von denen hier jedoch nur einige wenige erwähnt werden können. Dazu gehören

In all diesen Fällen hilft auch alles sog. 'Dehnsprechen' (Pilotsprache) nicht weiter, und alle Lehreranweisungen wie 'Du musst noch deutlicher sprechen!' sind ziemlich unsinnig: Und wenn das Kind auch noch so langsam und deutlich spricht, so spricht es dennoch weiterhin, wenn es das Wort 'Amt' lesen soll, > [a-m-p-t] < - und wir täten es auch.

Der Phonologe Prof. Dr. Johannes Schwitalla dazu: "Schriftliche Texte in einer Buchstabenschrift legen die Ansicht nahe, wir würden auch beim Sprechen einen Laut nach dem anderen hervorbringen und jeder Laut sei an einer anderen Äußerungsstelle mit sich selbst identisch. In Wirklichkeit beeinflussen sich aber nacheinander gesprochene Laute. Jeder Vokal ändert seine Qualität, je nachdem welcher Konsonant vorausgeht oder folgt." (40)

In dem Wort 'Tore' wird das konsonantische [r] schriftlich als <r> realisiert, in 'Tor' wird in der Regel beim Sprechen aus dem konsonantischen [r] ein tiefer a-ähnlicher Vokal (etwa [to:a]*), der dennoch aber als< r> verschriftet wird. Auch an der Schreibung des <r>-Lauts lässt sich ansatzweise die Problematik verdeutlichen:

* Aus technischen Gründen kann hier die Lautschrift nicht durchweg in IPA, der internationalen Lautschrift, wiedergegeben werden.

  1. In 'Mutter', 'Vater', 'brüderlich', 'weiter' z. B. wird beim Sprechen aus dem geschriebenen <r> am Silbenende ein tiefer a-ähnlich klingender Vokal. Dieses Phänomen wird in der Phonologie als 'vokalisiertes R' bezeichnet. Kinder schreiben daher nach Gehör lautgerecht, wenn sie <Vata>, <Mutta>, <Lehra> und< weita> verschriften.

  2. In den einsilbigen Wörtern 'Ohr', 'ihr', 'hört' und 'Pferd' z. B. treffen wir auf ein ähnliches Phänomen: Hinter dem ersten Vokal wird das [r] ebenfalls vokalisiert und als tiefer a-ähnlicher Vokal gesprochen, z. B. [oa] für 'Ohr'.

  3. In 'Bar', 'Haar', 'Bart', Harz' z. B. fällt in der Umgangssprache das [r] völlig weg, dafür wird der vor dem <r> stehende Buchstabe gedehnt gesprochen (phonolog.: Ersatzdehnung), z. B. ein langgezogenes [ba:] für 'Bar'. (41)

In vielen Fällen entstehen Fehlschreibungen jedoch nicht aus einer fehlenden Orientierung an der sog. 'Normsprache'. Aber dennoch würde schon ein phonologisches Basiswissen verantwortungsbewusste Lehrer gewiss davon abhalten, über längere Zeit - bisweilen über Jahre - hinweg Kinder nach Gehör bzw. mit Hilfe der Anlauttabelle schreiben zu lassen. Viele Didaktiker sehen darin auch eine Überforderung:

Inzwischen gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, die belegen, "dass die deutsche Orthographie in ihrem Kernbereich von hoher Systematik geprägt ist, die als Grundlage für eine sach- und lerngerechte Thematisierung im Rechtschreibunterricht dienen kann. Die sprachwissenschaftliche Grundlage dieser rechtschreibdidaktischen Ansätze bietet die Graphematik, die sich mit Strukturen und Regularitäten des Schriftsystems beschäftigt und zeigt, dass Schrift keine aufgeschriebene Sprache ist, sondern eigenen, von der gesprochenen Sprache relativ unabhängigen Gesetzmäßigkeiten folgt." (107) In ihrem jüngst erschienenen Buch postuliert Prof. Dr. Astrid Müller, dass Rechtschreiblernen als Teil eines bewussten Sprachlernens verstanden werden muss, "das in wechselnder Abhängigkeit zum Lesen, Schreiben, Sprechen und zur Sprachreflexion steht." (107) Mit dem neuen didaktischen Ansatz dürften im Schriftspracherwerbsunterricht dem über lange Zeiträume ausgedehnten selbsttätigen Herumrätseln um die 'korrekte Zuordnung von Lauten und Buchstaben', den Aufforderungen zum 'Dehnsprechen' und zum 'genaueren Hinhören' sowie den ständigen Ermahnungen zum Befolgen der unsinnigen Maxime 'Schreibe, wie du sprichst!' endlich engere Grenzen gesetzt worden sein. Die Graphematik weist neben dem phonographischen drei weitere grundlegende Prinzipien aus, die den Aufbau der deutschen Schriftsprache regeln: das silbische Prinzip, das morphologische Prinzip, das syntaktische Prinzip. Inzwischen weiß man: In einem modernen Schriftspracherwerbsunterricht darf keines der genannten Prinzipien vernachlässigt werden, von Anfang an nicht. (Siehe dazu auch: Elternbrief Nr.13 > , Abschnitt XV.: Die nationale Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 mit Fokus auf den Orthographieunterricht: ernüchternde Befunde und falsche Konsequenzen!)

Viele Male ist beschrieben worden, dass Anlauttabellen aus vielerlei Gründen oft genug schon ausgerechnet bei dem versagen, was sie eigentlich leisten sollten: mit ihrer Hilfe korrekt Anlaute verschriften zu können. Die Problematik um die Phonem-Graphem-/und Graphem-Phonem-Beziehungen in der deutschen Schriftsprache insgesamt sowie die Tatsache, dass das phonematische Prinzip überformt ist durch andere Prinzipien (z. B. d. d. morphematische, historische, grammatikalische, semantische Prinzip), die die Wirksamkeit der Anlauttabelle für die Verschriftung insbesondere von Inlauten und Wortendungen außer Kraft setzen, verbieten es geradezu, Kinder mit Hilfe von Anlauttabellen ganze Wörter/Sätze verschriften zu lassen. Nahezu skandalös ist es, wenn LehrerInnen über viele Wochen, Monate (sogar Jahre) hinweg nach solchen Konzepten ihre Kinder arbeitsaufwendig Wörter/Sätze verschriften lassen - und sie dies darüber hinaus mit der Erfahrung tun, dass Kinder mit einem solchen Arbeitsmittel in der Regel keineswegs zu zielführenden oder sonst wie hilfreichen Ergebnissen kommen können. Alerte Eltern monieren diese Art von Unterricht, der ein solcher eigentlich nicht mehr ist: Die Kinder sind beschäftigt.

LehrerInnen geraten bei der Arbeit mit der Anlauttabelle immer wieder in dieses Dilemma:

Noch immer sind viele LehrerInnen der Auffassung, Anlauttabellen seien Erfindungen aus neuester Zeit, völlig Ahnungslose tippen nicht selten auf Jürgen Reichen, Norbert Sommer-Stumpenhorst & Co. Tatsächlich gab es schon Anlauttabellen vor fast 500 Jahren. Es blieb reformgierigen Pädagogen des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorbehalten, die seinerzeit schon für untauglich gehaltene und sogar verbotene Anlautmethode wieder auszugraben und sie mit dem Etikett 'modern' zu versehen: Heute sollen Kinder - der neuen Theorie folgend - an Hand der Anlauttabelle selbstgesteuert und eigenaktiv mit Buchstaben experimentieren und dabei die Schrift, den Weg in das richtige Schreiben und schließlich die Rechtschreibung 'entdecken'. Viele Kinder ahnen es schon, etliche wissen es sogar bald, dass sie bei ihrer Arbeit mit der Anlauttabelle - insbesondere wenn es um die In- und Auslaute geht - fast ständig verstoßen gegen festgezurrte Prinzipien der Rechtschreibung, die die Leistungs­fähigkeit der Anlauttabelle außer Kraft setzen. Die Diskussion um die Lernökonomie eines solchen Unterrichtskonzepts könn­te sich eigentlich an dieser Stelle anschließen.

Unter http://www.familothek.de/anlauttabelle.html bietet das Familienmagazin 'Familothek' eine Anlauttabelle zum kostenlosen Download an, immerhin mit der Verbesserung, dass für die Schreibung des -i-/-I- nicht das Igel-Bild gewählt wurde. In vielen Anlaut-/Buchstaben-/ABC-/Laut-/Schreibtabellen, die im Anfangsunterricht nach den unterschiedlichen Konzepten des Spracherfahrungsansatzes bzw. des 'Schreibens nach Gehör' und mit der Anlauttabelle eingesetzt werden, finden wir als bildliche Darstellung für das lange /i:/ als Anlaut den 'Igel'. Daneben werden für die Darstellung des kurzen /I/ als Anlaut der 'Indianer' oder die 'Insel' verbildlicht. Das lange /i:/, verschriftet als -I-/-i- am Anfang eines Wortes wie z. B. in 'Igel' oder 'Isar', oder als Inlaut verschriftet wie z. B. bei 'Bibel' und 'Fibel', in 'mir' und 'dir, gehört indes mit nur 8,89% aller Fälle von /i:/-Schreibungen zu den Ausnahmeschreibungen, wie auch (mit 17,63%) das lange /i:/ z. B. in 'ihr' und 'ihnen' zu den Ausnahmeschreibungen gehört. In 72,11 % aller Fälle (!) wird nämlich das lange /i:/ verschriftet als -ie-, wie in 'Sieg', 'Liebe', 'Tier', ..... . In nur sehr wenigen Fällen - in 1,36% aller Verschriftungen des langen /i:/ - wird das lange /i:/ als -ieh- verschriftet wie in 'flieht', 'zieht'. 

Irreführende Anleitung: Igel

Igel


Interessant wohl auch der notwendige Hinweis: “Die meisten Eltern lernen sie (Anm. 'die Anlauttabelle') kennen, wenn ihr Kind in die Schule kommt. Die einen finden es toll, die anderen sagen, »mein Kind kommt damit gar nicht zurecht«“.

Hier wird sinnvollerweise mit 'Indianer' auf das kurze -I-/-i- am Anfang eines Wortes hingewiesen:

Anl. Tabel

Unwidersprochen und nie umstritten gelten seit Jahrzehnten wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse, die belegen, dass nur etwa 7% der deutschen Wörter lauttreu geschrieben werden. (151) (152) (153) (154) Von Anfang an darf daher den Kindern nicht vermittelt werden, die Schrift sei ein Abbild der Lautsprache. Tatsächlich ist nämlich das Schreiben der meisten Wörter im Deutschen nur für einen geübten Schreiber scheinbar lautgetreu. So darf auch schon für Schreibanfänger grundsätzlich die Regel "Schreib', wie du sprichst!" nicht mehr als Maxime gelten. Damit erhält auch der Einsatz der (An)Laut- bzw. Buchstabentabellen, der ohnehin wegen der konzeptionellen Mängel aller Anlauttabellen nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung erhalten darf, einen neuen Stellenwert. So sind die Schulanfänger durchaus in der Lage, mit Hilfe der Anlauttabelle 'Papa' und 'Mama' zu schreiben, bei 'Tomate' wird es jedoch schon schwierig: der Laut für den Buchstaben am Ende des Wortes, der unbetonte sog. Schwa-Laut, findet in keiner Anlauttabelle eine ensprechende Darstellung. Wer ’Hemd’ mit Hilfe der Anlauttabelle und nach der Anweisung ’Sprich langsam und deutlich!’ schreibt, wird< Hämpt> schreiben. So treffen wir auch auf Schreibungen wie 'vela' (Fehler), 'Toa' (Tor) und 'Oa' (Ohr), 'Ha' (Haar) und 'Bat' (Bart), 'Muta' (Mutter) und 'Lera' (Lehrer), 'Müe' (Mühe) und 'saen' (sahen), auch regional-/dialektbedingt auf 'Plume' (Blume), 'trei' (drei), 'Fich' (Fisch), 'Fert' (Pferd) und 'Schtän' (Stern). Die sog. 'Rechtschreibwerkstatt' (Sommer-Stumpenhorst) verfolgt als Reparaturprinzip: »Schreib, wie du sprichst! Sprich deutlich und hochdeutsch!«: Hier stößt man gleich auf drei sich schädlich auswirkende Regeln: auf die 'Schreib, wie du sprichst!'-Regel, auf die 'Sprich-deutlich!'-Regel (auch für das Kind mit Sprach-/Hörfehler) sowie auf die 'Sprich-hochdeutsch!'-Regel, die auch bei Kindern mit nicht-deutschsprachigem Hintergrund und mit dialektgefärbter Aussprache (u. U. auch mit noch anderen sonstigen regional- auch familienspezifischen sprachlichen Beeinträchtigungen, auch grammatischer/syntaktischer Art) Anwendung finden soll. Welchem Kind könnte auch nur eine dieser drei Regeln helfen? Entdecken Kinder schließlich - mit wessen Hilfe auch immer - , dass sie sich mit der Anlauttabelle weder der orthographisch richtigen noch auf Dauer einer wenigstens irgendwie lesbaren Verschriftung nähern können, mögen sie, da demotiviert, an einem solchen 'Unterricht' nicht mehr aktiv teilnehmen.

Die Annahme, dass es einem Kind, das ausschließlich 'hochdeutsch' und deutlich spricht, gelingen könnte, mit Hilfe der Anlauttabelle selbständig eine kommunikationsfähige Schreibung zu "entdecken", ist völlig abwegig. Schrieben wir mit Hilfe der Anlauttabelle das Wörtchen 'und', so käme 'unt' dabei heraus: den Hinweis zur (ziemlich) lautgetreuen Schreibung finden wir auch im aktuellen Duden-Aussprachewörterbuch:> [ʊnt]*. So ging es auch mit 'elf', was wir laut Anlauttabelle wie 'älv' [ɛlf] oder älf> [ɛlf]* schreiben würden, Tor wie 'Toa' > [to:ɐ]*, Qualm wie Kwalm > [kvalm]*, Haar wie Ha > [ha:ɐ]*. Es gibt Eltern und Lehrer/innen, die davon berichten, dass Schreibungen wie diese noch in Klasse 2 durchaus keine Einzelfälle sind: 'UT RE H DAZ' oder 'RÄN SE AP'. (158) Fremdleser sind kaum bzw. meistens nicht mehr in der Lage, solche Wörter/Texte, die nach Brügelmanns Prinzip des "konstruierenden Schreibens von Wörtern" verschriftet wurden, in gesprochene sinngebende Wörter/Texte zurückzuübersetzen, das können oft sogar die schreibenden Kinder auch nicht mehr. Schon nach wenigen Tagen sind sie jedoch regelmäßig nicht mehr in der Lage, sich daran zu erinnern, was sie mit Verschriftungen wie z. B. 'VAKATEN' oder 'FAT' wohl gemeint haben könnten. Solche Schreibungen mit Hilfe der Anlauttabelle finden sich auch noch in der dritten (!) Klasse, und das bei Kindern, die das feinste Hochdeutsch sprechen. Was Kinder mit fremdsprachlich akzentbeschwerter oder dialektgefärbter Aussprache bei ihren Verschriftungen mit Hilfe der Anlauttabelle so alles schreiben, bekommen Eltern in aller Regel nicht zu sehen. Eltern fühlen sich mit ihren Sorgen nicht ernst genommen, wenn Brügelmann erklärt, nach seinem Konzept, das er Spracherfahrungsansatz nennt, seien Kinder in der Lage, "von Anfang an ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen zu Papier zu bringen und damit anderen mitzuteilen". (160) Kinder, die so schreiben, wie oben gezeigt, erleben keineswegs das Schreiben "frühzeitig als funktional" (ebd.), sie erkennen so auch nicht die "Bedeutsamkeit der Schrift" (ebd.) Dass ihre Motivation zu schreiben nach etlichen fehlgeschlagenen Kommunikationsversuchen gestärkt würde, ist undenkbar. Eltern erwarten von der Institution Schule keine schönen Beschreibungen von herbeigewünschten Lernprozessen und erhofften Lernerfolgen - wie etwa Professor Brügelmann sie beifallheischend präsentiert.

*laut Duden-Aussprachewörterbuch

An dieser Stelle ist noch einmal zu bedenken, dass auch mit Hilfe einer wirklich guten Anlauttabelle höchstens nur etwa 7% der deutschen Wörter korrekt verschriftet werden können, da nur bei dieser geringen Anzahl von Wörtern eine Phonem-Graphem-Korrespondenz von 1:1 vorzufinden ist. Nichts dürfte gegen den Einsatz von (An)Laut- bzw. Buchstabentabellen für einen sehr eng bemessenen Zeitraum von etwa einigen Wochen einzuwenden sein, in dem die Kinder mit ausgesuchten Wörtern mit lauttreuer Verschriftung an die Lautorientierung der Schrift bzw. an die irgendwie vorhandenen Relationen zwischen Schriftsystem und Lautsystem herangeführt werden, die in Wirklichkeit außerordentlich vielschichtig und z. T. verwickelt sind und von einem Schreibanfänger überhaupt nicht durchschaut werden können.

Eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Lehrerinnen/Lehrern weiß offenbar nicht, was sie da tut bzw. tun lässt, wenn sie über Wochen und Monate hinweg ihre Kinder mit der Anlauttabelle beschäftigt:

Es gibt Kinder, die kommen - mit wessen Hilfe auch immer - schon recht bald dahinter, dass sie sich mit Hilfe der Anlauttabelle weder der orthographisch richtigen noch auf Dauer einer wenigstens - auch für andere - irgendwie lesbaren Verschriftung nähern können. Die Folge: Sie mögen, da demotiviert, an einem solchen 'Unterricht' nicht mehr aktiv teilnehmen. Ihre Zweifel bezüglich der Kompetenz des ihnen gebotenen Schriftspracherwerbsunterrichts nähren nicht selten neue Zweifel: am gesamten unterrichtlichen Geschehen überhaupt. Die Folgen könnten verheerend sein.

LehrerInnen, die mit Hilfe der Anlauttabelle verfasste Texte korrigieren oder den Kindern als Rückmeldung eine korrigierte fehlerfreie Version mit der Anmerkung „So schreiben die Erwachsenen!“ (o. ä.) anbieten, meinen es sicherlich gut. GrundschullehrerInnen berichten jedoch immer wieder davon, dass etliche SchreibanfängerInnen schon recht bald nach einigen solcher Lehrerinterventionen vor der Klasse (!) die Frage nach dem Sinn ihres Tuns mit der Anlauttabelle stellen – und manche sogar mürrisch folgern: „Dann kann ich die nicht brauchen!“ (Dazu auch: Ursula Bredel/Nana Fuhrhop/Christina Noack: Wie Kinder lesen und schreiben lernen. Tübingen 2011) Die möglichen Folgen müssen hier nicht noch einmal beschrieben werden (s.o.). Außerdem: Lehrer/innen, die sich damit begnügen, den Kindern die korrigierten Schreibversuche/Texte lediglich als stumme Rückmeldung anzubieten, hätten sich Ihre Korrektur auch ersparen können. Selbst wenn - im günstigsten Fall - die Kinder den korrigierten Text noch einmal lesen: Der Transfer-Effekt zwischen Lesen und Rechtschreiben wird leider immer - auch von vielen GrundschullehrerInnen noch – überschätzt. Da gemeinhin das Lesen – in ersten Klassen schon gar nicht - eher nicht eine die Rechtschreibung reflektierende Begegnung mit den einzelnen Wörtern eines Textes ist, wird der Lernzuwachs bezüglich der Rechtschreibung höchstens bei Null liegen. Solche Korrekturen wären völlig umsonst, folgten LehrerInnen nicht der Lebensweisheit "Aus Fehlern lernt man!". Was könnte man schon aus Fehlern lernen, wenn nicht daran gearbeitet wird?

Lehrer/innen berichten davon, dass sich den Kindern beim Konstruieren von Schreibungen mit Hilfe der Anlauttabelle der gefundene 'Lösungsweg' und das in intensivem und mühevollem Konstruktionsprozess gewonnene Ergebnis in besonderem Maße dann einprägen, wenn sie durch entsprechende Signale das Bemühen der Kinder z. B. als "Prima!" oder als „Klasse! Kann man gut lesen!“ bewertet haben (Siehe Beispiele unten in Kap. VIII!). Eine solche Belobigung wirkt sich, wie die pädagogische Psychologie lehrt, verstärkend auf die Speicherung im Langzeitgedächtnis aus: Auch falsch Geschriebenes wird so gut behalten.

Es darf nicht mehr die Auffassung gelten, dass Kinder ihre Schreibkompetenzen dann am besten entwickeln, wenn sie möglichst lange in einem regelfreien Raum verbleiben. Wenn man Kinder zunächst frei schreiben lässt und erst später die Rechtschreibung vermittelt, spricht das gegen sicheres Wissen in der Hirnforschung: »Umkehrlernen dauert länger und erhöht die Fehlerquote.« Einmal gelernte Routinen sind kaum mehr abzutrainieren. Von Anfang an muss den Kindern ein sprachsystematischer Unterricht erteilt werden. In unserer Rechtschreibung gibt es tatsächlich Regelmäßigkeiten, die bereits in den ersten Wochen des Anfangsunterrichts für die Schüler durchschaubar gemacht werden können. Sprachsystematischer Unterricht ist jedoch nicht mit dem Auswendiglernen von Regeln gleichzusetzen.

Jordann

Peter Jordan (1533): Anlauttabelle

Orbispict

Johann Amos Comenius: Lauttabelle (Orbis sensualium pictus, 1658)

Prof. Agi Schründer-Lenzen warnt zurecht davor, sich als Lehrerin damit zu begnügen, Kinder immer wieder aufzufordern, genauer hinzuhören, denn Lernfortschritte seien so nicht zu erwarten. An anderer Stelle rät sie dringend: „Anlauttabellen als zentrales (!) Unterrichtsmittel, den Kindern Einsicht in die Struktur der Schriftsprache zu vermitteln, sind daher ungeeignet, weil damit gerade jenen Kindern, die unter ungünstigen Bedingungen der Lernausgangslage in den Schriftspracherwerbsprozess eintreten, ein inadäquates Lernmittel in die Hand gegeben wird. Dieses Fazit lässt sich durch empirische Forschungsbefunde absichern". (43) Dem ist hinzuzufügen, dass auch die Mehrzahl der anderen Kinder durch andere Methoden bessere Ergebnisse in der Rechtschreibung erzielen könnten.

Eine Anlauttabelle kann ohnehin nur den Stellenwert haben, Kindern auf den ersten Schritten beim Erlernen der Phonem-Graphem-Korrespondenz behilflich zu sein. Wer Kindern über längere Zeit vorgaukelt, mit Hilfe einer Anlauttabelle ließen sich regelmäßig alle Wörter der deutschen Sprache verschriften, schickt sie in eine falsche Strategie. Nicht einmal ist das rich­tig, dass es ohne Bedeutung sei, mit welchem Wortmaterial die Kinder bei ihren Konstruktionsversuchen mit Hilfe der Anlaut­tabelle arbeiten! Prof. Ossner (Mitglied des Rats der deutschen Rechtschreibung, Vorsitzender des «Symposion Deutschdi­daktik» e.V.) betont, "dass auf die Wortauswahl am Anfang so viel Wert gelegt werden muss, wie nur irgend möglich." (44) Nach einem weiteren Postulat Prof. Ossners "sollen sie (= die Kinder/Anm. des Autors dieses Elternbriefs) aber mit Wörtern umgehen, die sie in die Systematik der deutschen Rechtschreibung einführen." (45) Diese sprachdidaktischen Grundsätze für den Schriftspracherwerb im Anfangsunterricht werden von den Vertretern der Methoden 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracher­fahrungsansatz'/'Freies Schreiben' schlichtweg ignoriert. Das kann in der Tat nur eine gute Fibel leisten: eine zielführende Wortauswahl zu treffen, die geeignet ist, in die Systematik der deutschen Rechtschreibung einzuführen. Prof. Agi Schründer-Lenzen verweist auf die vielen Didaktiker, die, um Kindern die Phonem-Graphem-Korrespondenz auf einem didaktisch ver­einfachten Niveau begreifbar zu machen, ihnen lautgetreue Wörter anbieten, ganz so wie es fibelorientierte Lehrgänge tun. (46) Und das fand sich sogar in einem Schulbuch: Das Lollipop-Sprachbuch für die 2. Klasse (!) weist die Kinder mit einem Merkspruch auf die schwierigen Phonem-Graphem-Verhältnisse im Deutschen hin: „Achtung! Wir können uns auf das Ohr nicht verlassen.“ Dass inzwischen gute Fibeln auch die Arbeit mit einer sorgfältig konstruierten Anlauttabelle vorsehen, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Als fibelbegleitendes Medium dient sie allerdings vornehmlich anderen Zielen, als wenn sie als zentrales Arbeitsmittel im Anfangsunterricht eingesetzt wird. Wenn die hessischen Lehrpläne vorschlagen, dass sich die Erstklässler sogar die Buchstaben, die sie lernen wollen, selber aussuchen dürfen:

widerspricht das jedem Sachverstand.

Aus der Praxis als Vater und Lehrer berichtet Vater und Lehrer Rolf in Sommer-Stumpenhorsts Gästebuch am 05.03.2007:

Tinto soll übrigens nicht als ’Fibel’ beworben werden. Es heißt daher in der Werbung des Cornelsen-Verlags: „Schon wieder eine neue Fibel? Nein, denn TINTO ist keine Fibel, sondern eine Materialsammlung für ein offenes Konzept zum Schriftspracherwerb.“ Die zu Tinto herausgegebene Anlauttabelle heißt ’Buchstabenhaus’, mit dessen Hilfe "Kinder lauttreues Schreiben und dadurch auch Lesen" lernen sollen. Könnte sein, dass sie damit tatsächlich lauttreues Schreiben lernen – dies sogar fürs ganze Leben.

V.

Schreiben "nach Gehör" und mit der Anlauttabelle II.: die Folgen für den Unterricht


Der 'Unterricht' nach den Lesen-durch-Schreiben-Versionen folgt den Prinzipien des Offenen Unterrichts. Schon lange vor der Hattie-Studie zeigten zahlreiche unangreifbare wissenschaftliche Studien im In- und Ausland: Offene Unterrichtsformen schaden lernschwächeren wie auch lernstarken Kindern.
Darauf weist auch Professorin Dr. Inez De Florio-Hansen (Universität Kassel) in ihrer neuesten Veröffentlichung wiederholt hin:

"Offene Unterrichtsformen hingegen, zu denen auch von den Schülerinnen und Schülern verantwortetes individualisiertes Lernen gehört, schaden dem 'Mittelfeld' und den Lernschwächeren. Leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler kommen mit diesen Lernformen zwar zurecht, aber auch sie könnten noch bessere Lernergebnisse erzielen, wenn die 'Individualisierung' durch Vorgaben und Feedback stärker lehrergesteuert wäre." (244)

Wiederum mit Verweis auf die internationale Forschungslage räumt sie auch mit weiteren reformpädagogischen Heilsversprechungen der Vertreter des Offenen Unterrichts auf, indem sie zusammenfasst, "dass soziale, affektive und sonstige, über Sach- und Fachwissen hinausgehende Ziele mit angemessener Direkter Instruktion genauso gut, wenn nicht sogar besser und vor allem in kürzerer Zeit erreicht werden können. Das gilt für alle Schülerinnen und Schüler, insbesondere aber für Lernschwächere und Benachteiligte." (244) Kulturtechniken wie Schreiben und Lesen, ebenso wie auch z. B. das Klavier- und Geigenspiel, können seit jeher nur weitergeben werden von erfahrenen und fachkompetenten Personen, die zugleich wissen- und könnengeleitet durch die Vermittlung von erprobten Aneignungs- und Verwendungsstrategien Lernende vor Irrwegen und unökonomischen Verfahrensweisen bewahren können.

Schon 1988 weist Prof. Slavin darauf hin, dass Offener Unterricht zu Lasten des Lernfortschritts beim Lesen, Schreiben und Rechnen geht und dem Lernfortschritt gewisse Grenzen gesetzt sind. (177) Gerade für den Anfangsunterricht wird schon lange mit eindeutigen Aussagen von der Überlegenheit traditioneller Unterrichtsformen berichtet : “Wenn am Ende der 1. Klasse die Auswirkungen der beiden Unterrichtsarten auf den schulischen Fortschritt der Kinder bestimmt wurden, zeigte sich ein klarer Vorteil des traditionellen Unterrichts“. (178) Prof. Wolfgang Schnotz formuliert vorsichtig, aber dennoch dezidiert: „Beim Erwerb von Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen sind dem Offenen Unterricht relativ enge Grenzen gesetzt.“ (179)

Erinnert sei an bereits hier zitierte Studien:

"Das Prinzip der Selbstbestimmung, das heute im Offenen Unterricht gilt, führt oft zur Überforderung der jüngeren Kinder."

"Im Zusammenhang mit der Unterrichtsführung soll der Unterricht in der Grundschule nach den vorliegenden Befunden aus der Wissenschaft eher traditionell gestaltet werden."

Zentrales Arbeitsmittel im Anfangsunterricht ist in den ersten Monaten – oft sogar Jahren – die 'Anlauttabelle'. Einer der führenden Vertreter des Konzepts “Schreiben nach Gehör und mit der Anlauttabelle“, Prof. H. Brügelmann, liefert seine Begründung für den schulischen Einsatz von Anlauttabellen: "Wie Jürgen Reichen [Erfinder der Methode "Lesen durch Schreiben"] und viele andere sehe ich im Übersetzen der eigenen Aussprache in Buchstaben den Schlüssel für Kinder, um unser Schriftsystem zu verstehen." (248) Prof. Angela Enders, Sprachwissenschaftlerin, erklärt hingegen: "In einer populären, aber laienhaften Auffassung erscheint die Schriftsprache häufig nur als eine Fixierung des mündlich Gesprochenen, das bei seiner Niederschrift einem leichten Reinigungsprozess unterzogen wird. Die Linguisten wissen aber, dass die Schriftsprache ganz anderen Regeln folgt als die mündliche Sprache. Die Schrift ist nämlich ein eigenständiges Sprachsystem; ihre Grammatik, ihre Semantik und ihre Pragmatik, ihre Regeln also, die Bedeutung der Wörter und ihre Anwendung folgen anderen Gesetzen als die mündliche Sprache." (212) Das Lautprinzip ist durch andere Prinzipien (z. B. durch das morphemische, grammatikalische, semantische, historische Prinzip) überformt, die die Wirksamkeit der Anlauttabelle für die Verschriftung insbesondere von Inlauten und Wortendungen weitestgehend außer Kraft setzen. Es verbietet sich daher geradezu, Kinder mit Hilfe von Anlauttabellen ganze Wörter/Sätze und sogar Texte verschriften zu lassen: Fachwissenschaftler sprechen von "irgendwie vorhandenen Relationen zwischen Schriftsystem und Lautsystem", die außerordentlich vielschichtig und z. T. verwickelt sind und von einem Schreibanfänger überhaupt nicht durchschaut werden können. Auch Prof. Renate Valtin, ehem. Leiterin der Abteilung Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität Berlin, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS), lehnt den Anfangsunterricht nach 'Freies Schreiben'/'Lesen durch Schreiben' mit der Anlauttabelle ab: "Renate Valtin hält diese Methode für schädlich. Die Kinder lernten mit dem rein phonetischen Schreiben eine falsche Strategie, die sie sich im Laufe ihrer Schulkarriere mühsam wieder abgewöhnen müssten." (55)

Es gibt vermutlich keinen Lebens-/Lernbereich, in dem zugelassen wird, dass Ausbilder zuschauen, wie Lernende sich selbstregulativ über lange Zeit falsche und schädlich sich auswirkende Strategien aneignen, die sie sich dann mühsam wieder abgewöhnen müssen: um dann vielleicht eine Chance zu haben, - wiederum selbstregulativ und andere Strategien entdeckend - die Ausbildungsziele dennoch erreichen können. Solches widerfährt der Pilotin nicht, dem Koch, der Pianistin, dem Leistungssportler nicht. In Grundschulen ist dieses Prozedere beim Schriftspracherwerb üblich geworden. Als wichtigstes Werkzeug erhalten dazu die Schreibnovizen die Anlauttabelle.

Anlauttabelle von Professorin Erika Brinkmann (Online-Werbung)

(Autorin/Herausgeberin des LdS-Lehrwerks “Lernlandschaft“)

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Für Schulanfänger ist es bereits eine kognitive Höchstleistung, gesprochene Wörter in Einzellaute zu zerlegen. Es ist zu verstehen, wenn sogar Sprachwissenschaftler aus unseren Nachbarländern sich über die schulische Arbeit mit Anlauttabellen belustigen und dabei recht deutlich werden: Um mit Hilfe von Anlauttabellen lesbare Wörter und Texte korrekt verschriften zu können, müsse man bereits geübter Schreiber sein, für Schreibnovizen seien Anlauttabellen jedenfalls völlig ungeeignet.

Während IPA (Liste der Zeichen des Internationalen Phonetischen Alphabets) zur Umsetzung der deutschen 'Hochsprache' in eine lautaffine Darstellung (z. B. ts-u-ʁ-ʏ-k für das gesprochene 'zurück') etwa 60 Zeichen bereitstellt, bietet diese Anlauttabelle zur Umsetzung der deutschen 'Hochsprache' in Buchstabenschrift lediglich 37 Grapheme an: Zur Schreibung aller deutschen Wörter benötigen wir indes etwa 89 Grapheme - ein Defizit von 52 Graphemen!

Die meisten Kinder sprechen bei Schuleintritt nicht einmal standardlautlich. Die üblicherweise gesprochene Standardsprache ist in erheblichem Umfang variationsreich und mit unterschiedlicher Stärke – auch einzellautlich - regional/dialektal geprägt. Die Folge ist, dass es noch weniger gelingen kann, mit Hilfe der Anlauttabelle alle zusätzlichen individuellen Aussprachevarianten - auch von Einzellauten - mit entsprechenden Zeichen/Zeichenkombinationen lesbar darzustellen. Hinzu kommen nicht selten Migrantenkinder mit einem ausgeprägt anderen Lautbestand sowie Kinder mit Störungen der normalen Sprech- und Sprachentwicklung, mit anatomisch oder sonst wie bedingten Hörfehlern, mit anatomisch oder sonst wie bedingten Aussprachefehlern. Die so entstehenden lautlichen Abweichungen von der Hochsprache bedeuten oft nicht nur ein weiteres Anwachsen des individuellen Lautbestandes, sondern auch, dass diese Kinder erhebliche Probleme haben, von ihrem persönlichen Lautinventar ausgehend, Wörter/Texte mit Hilfe der in der Anlauttabelle vorgefundenen Zeichen/Zeichenkombinationen lesbar zu verschriften.

Auch darum können Kinder auch mit dieser Anlauttabelle von Prof. Erika Brinkmann nicht einmal wenigstens annähernd orthographisch korrekt schreiben - einige wenige Beispiele:

Für Kinder sind etliche Abbildungen nicht eindeutig: So sehen sie z. B. unter S> Laterne, unter V > Taube, unter Y>Stier, unter J > Männchen, unter Ö>Gießkanne, unter O > Osterei/Ordner (??? Wenn es denn einer sein soll: Den Ordner kennen nicht alle Schulanfänger), unter Ü > ?, …....).

Nicht wenige Buchstaben werden beim Sprechen lautlich nicht dargestellt oder repräsentieren beim Lesen einen ganz anderen Lautwert: [o:ɐ]/Ohr; wir schreiben Buchstaben nicht, deren Laute wir jedoch mitsprechen: [ampt]/Amt.

Es hängt auch damit zusammen, dass eine nicht geringe Anzahl der in der Hochsprache hervorgebrachten Laute lediglich als Inlaute oder Auslaute, nie jedoch als Anlaut vorkommen.

Dazu gehört das stimmlose [s]/'s' (wie in 'Spaß', 'Fass', 'Mais'), das per Anlaut nicht dargestellt werden kann. Kinder, die also 'Spaß' oder 'Kreis' schreiben wollen, finden den entsprechenden Anlaut nicht in der Anlauttabelle: Schreibanfänger können auch nicht ahnen, dass das stimmlose 's' in 'Kreis' mit demselben Buchstaben verschriftet wird wie das stimmhafte [z]/'s' im Anlaut von 'Sonne'.

Den als 'e' verschrifteten (Schwa-)Laut am Ende eines Wortes wie in 'Mücke' wie auch den als 'e' verschrifteten Laut in 'el' (Regel), 'en' (Regen), 'er' ('Bruder', gesprochen als dumpfes etwas helles [a]) werden die Kinder als Anlaute nie finden. Für erfahrene Schreiber ist auch das kein Problem: Dass der [e]-Laut in 'Erich' mit 'e' verschriftet wird, in 'Ente' aber der Buchstabe 'e' auch für den [ɛ]/{ä}-Laut steht, der wiederum auch als 'Ä' wie in 'Ärmel' verschriftet werden kann.

Den als IPA-Zeichen verschrifteten [ŋ]-Laut, geschrieben als 'ng' ( 'lang', 'eng', 'Engel'), finden wir ebenfalls nie als Anlaut. Dass zur Verschriftung des [ŋ]-Lautes ein 'ng' benötigt wird, weiß nur der erfahrene Schreiber.

Das 'ch'-Graphem, das in 'ich' und 'Milch' anders gesprochen als in 'Dach': Für den [ç]-Laut in 'Milch' wie auch für den [x]-Laut in 'Dach' finden die Kinder keinen Anlaut. Sie können auch nicht Wörter wie 'eilig' schreiben: Für das Graphem 'g' in '-ig' ist z. B. lt. Duden-Aussprachewörterbuch wie für das 'ch'-Graphem in 'ich' und 'Milch' der [ç]-Laut (nicht [k]!) vorgesehen. Ein Kind möchte um die Weihnachtszeit 'Christbaum' schreiben: Das Abbild 'Chamäleon', das den Anlaut liefern soll, wird es nicht erkennen, es wird das 'K' unter Kerze nehmen.

Den gesprochenen Endlaut in 'Wald' verschriften Kinder mit dem Anfangsbuchstaben 'T'/'t' wie in 'Tiger', den Endlaut in 'Zwerg' mit dem Anfangsbuchstaben 'K'/'k' wie in 'Kerze', den gesprochenen Endlaut in 'Korb' mit dem Anfangsbuchstaben 'P' in 'Palme'.

Die vor sich hin experimentierenden ratlosen und gefrusteten Kinder belassen es dann schließlich bei Wortruinen.

Unwidersprochen gelten seit Jahrzehnten wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse, die belegen, dass nur etwa 7% der deutschen Wörter nach dem Prinzip 'Schreib, wie du sprichst!' geschrieben werden. (62) Für gut ausgebildete Lehrerinnen/Lehrer war es immer schon selbstverständlich, dass daher Eltern nicht vorgetäuscht werden darf, die Arbeit mit der Anlauttabelle führe die Kinder in das Verstehen des Schriftsystems, dass den Kindern nicht vermittelt werden darf, die Schrift sei ein Abbild der Lautsprache. Das Schreiben der meisten Wörter ist im Deutschen nämlich nur für einen geübten Schreiber scheinbar lautgetreu. Schulanfänger sind jedoch durchaus in der Lage, mit Hilfe der Anlauttabelle einige der lauttreuen Wörter wie 'Papa' und 'Mama' zu schreiben. Die Lesen-durch-Schreiben-Versionen, darunter auch die 'Rechtschreibwerkstatt' (Sommer-Stumpenhorst), verfolgen als Prinzip: »Schreib, wie du sprichst! Sprich deutlich und hochdeutsch!«. Hier stößt man bei der Arbeit mit der Anlauttabelle gleich auf drei sich schädlich auswirkende Regeln, die 'Schreib, wie du sprichst!'-Regel, die 'Sprich-deutlich!'-Regel die 'Sprich-hochdeutsch!'-Regel, mit deren Hilfe Kindern oft monatelang vorgaukelt wird, dies sei der tragende Königsweg, das rechte Schreiben zu erlernen.

So sprechen wir [fuks] und könnten folglich schreiben:

Fuchs – Fucks – Fux – Fugs – Fuggs - Vuchs – Vucks – Vux – Vugs – Vuggs - Phuchs – Phucks – Phux – Phugs – Phuggs

Nach dem Duden-Ausprachewörterbuch sprechen wir: ['le:rɐ]* (Lehrer) ['fa:tɐ]* (Vater) - ['vaitɐ]* (weiter) [fa:ɐt]* (Fahrt) [0:ɐ]* (Ohr) etc. . Kinder verschriften mit der Anlauttabelle: ['le:rɐ] zu > Lera, ['fa:tɐ] zu > Vata oder> Fata, ['vaitɐ] zu> weita, [fa:ɐt] zu >Fat oder >Vat, [0:ɐ] zu> Oa.

Dialektbeeinflusste Verschriftungen/Wie Kinder nach Gehör und mit Hilfe der Anlauttabelle schreiben: zwischen Köln und Frankfurt: ’Pferd’ am Anfang des Wortes wie [f] in <fährt> > Ferd; im Moselfränkischen nicht ’Blume’, sondern > Plume - nicht 'gleiten', sondern >kleiten - nicht ’Grippe’, sondern > Krippe - nicht ’drei’, sondern> trei; im Raum Koblenz:> Fleich und > Fich.

In vielen Wörtern finden wir Buchstaben, die beim Sprechen lautlich nicht dargestellt werden oder beim Lesen einen ganz anderen Lautwert repräsentieren (s. unten > a !), andrerseits schreiben wir Buchstaben nicht, deren Laute – insbesondere bei dem in der Schule verlangten Dehnsprechen - gehört werden (s. unten > b !):

(a) [to:ɐ]*> Tor, [o:ɐ]*> Ohr, [ba:ɐ]*> Bar, [ba:ɐt]*>Bart, [my:ə]* >Mühe, [tsi:ən]* >ziehen

(b) [hεmpt]*>Hemd, [ampt] > Amt, [gants] > Gans, (rheinisch) [kɔrəp]*>Korb, [rɛntst]*> rennst

Lautanpassungen beim Sprechen: aus<leben>/[le:bən] wird>[le:bn] [le:bm] [le:m] mit den entsprechenden Schreibungen, aus <Senf> kann leicht <Semf>, aus< fünf> kann< fümf> oder <fünnef> werden.

*v in 'waitɐ wird als IPA-Lautzeichen als w verschriftet/* ' = Betonungszeichen/* ɐ = dumpfes etwas helles a, zwischen a und æ, eine der deutschen Aussprachen des unbetonten -er am Wortende/* : = Längenzeichen; vorhergehendes Zeichen muss lang ausgesprochen werden/* y = ü/* ə = unbetontes deutsches e/* ts = z/* ɔ = deutsch o (offenes o)/* ɛ = deutsches e (offenes e)

Schrieben wir, wie wir sprechen, und zwar so, wie Kinder es «nach Gehör' und mit der Anlauttabelle» tun sollen, könnten wir uns mit unseren Texten kaum mehr verständlich mitteilen: Man kommt nicht so leicht darauf, dass das geschriebene fat (lt. Aussprache-Duden [fa:ɐt]) eigentlich <Fahrt> bedeuten soll - und vakatn/fakatn tatsächlich< Fahrkarten>. Wie wir unserem Sprechen nicht entnehmen können, welche Wörter nach welchen Regeln 'groß' oder 'klein' geschrieben werden, so können wir aus unserem Sprechen auch nicht heraushören, an welchen Stellen das Regelwerk der Rechtschreibung die naiven Vorstellungen vom lauttreuen Verschriften außer Kraft setzt, drei einfache Beispiele dazu: bei <dass>/<das> sprechen wir in beiden Fällen (lt. Aussprache-Duden) [das], bei< wieder>/<wider> heißt es in beiden Fällen (lt. Aussprache-Duden) ['vi:dɐ], wir schreiben< Bad> und sprechen [ba:t] (zur Erklärung: Bad > Bäder).

Nicht einmal aus der deutschen Hochsprache lassen sich Verschriftungen im Verhältnis 1:1 ableiten. Die meisten Kinder sprechen allerdings bei Schuleintritt oft nicht einmal zumindest standardlautlich. Die üblicherweise gesprochene Standardsprache ist in erheblichem Umfang variationsreich und schriftfern, darüber hinaus nicht selten mit unterschiedlicher Stärke regional geprägt. Außerdem würden die auf der vorhergehenden Seite (unter 'Schreib, wie du sprichst!' III) aufgezeigten Beschwernisse eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Kindern daran hindern, die hochdeutsche Sprache korrekt wahrzunehmen und Wörter, Sätze und Texte zumindest 'standardlautlich' gesprochen und 'deutlich' wiedergeben zu können. Sämtliche Konzepte des «Schreibenlernens nach Gehör' und mit der Anlauttabelle» bzw. der Lesen-durch-Schreiben-Versionen gehen von völlig falschen Annahmen aus.

Wie Prof. Brügelmann fordern auch die anderen Vertreter der Lesen-durch-Schreiben-Versionen "dass Schulanfänger sich auch mit der Orthographie als der 'Buchschrift' oder der 'Erwachsenenschrift' auseinander setzen." (248) Nicht einmal alle LehrerInnen beherrschen solche Regeln der Orthographie - wie die zur Verschriftung des langen /i:/ - mit denen Kinder sich "auseinander setzen" sollen:

Die meisten, die sich aufs normgerechte Schreiben verstehen, kennen z. B. die Regeln bezüglich der Schreibungen von i – ie – ih – ieh wohl kaum in der eben gezeigten Differenziertheit. Nach der heute so verschmähten Didaktik wurden bis in die 70er Jahre die Rechtschreiblerner mit häufigem und gezieltem Üben mit Einsicht, das sich an der Systematik der Orthographie orientierte, zum richtigen Schreiben geführt. Nur durch dieses viele Üben konnte sich dann ein 'in Fleisch und Blut' übergegangenes regelgeleitetes Schreibverhalten entwickeln: Ein Pianist wird bei seinem konkreten Handeln auf der Bühne über den Ablauf der unzählige Male geübten noch so komplizierten Handlungsschritte auch nicht wieder und wieder und Schritt für Schritt nachdenken können. Eine Anmerkung nebenbei: Jede sich an der Systematik der Orthographie orientierende Übung lässt sich bei sorgfältiger Planung in hohem Maße so gestalten, dass auch kreatives, entdeckendes und individuelles Lernen nicht zu kurz kommen.

Selbstverständlich sollten LehrerInnen die Regeln des rechten Schreibens beherrschen – was jedoch offenbar, wie sattsam bekannt – durchaus nicht immer der Fall ist. Auch Kinder sollten im Laufe der Schulzeit die Rechtschreibregeln lernen, nach dem Prinzip vom Leichten zum Schwierigen. Daran sollte auch in den weiterführenden Schulen noch gearbeitet werden. Regelwissen kann dabei helfen, sich in schwierigen Fällen daran zu orientieren.

Der wissenschaftliche Kenntnisstand zum Offenen Unterricht nach 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben') bzw. nach den Lesen-durch-Schreiben-Versionen ist eindeutig. Vor dem 'Ausschuss für Schule und Weiterbildung' des Düsseldorfer Landtags wies am 07.05.2014 die Deutschdidaktikerin Prof. Schründer-Lenzen (Universität Potsdam) auf den aktuellen sprachwissenschaftlichen und deutschdidaktischen Kennt­nisstand hin, dass "zentrale didaktische Entscheidungen, die mit der Methode «Lesen durch Schreiben» populär geworden sind, wie das Verschriften mit einer Anlauttabelle, Freies Schreiben und Fehlertoleranz, fehlende oder nur geringe Übungen basaler Leseprozesse und rechtschriftlicher Muster nicht lernförderlich sind: mit besonders schlimmen Auswirkungen für aus unterschiedlichen Gründen benachteiligte Kinder. Nach Auswertung einer von namhaften Wissenschaftlern (Ehlich/Valtin/Lütke, 2012) (245) erstellten Expertise "Erfolgreiche Sprachförderung unter Berücksichtigung der besonderen Situation Berlins" zog die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft im sog. Methodenstreit als erstes Bundesland 2012 mit dem Befund daraus die Reißleine und reagierte u. a. mit diesen Empfehlungen, die am 03.12.2012 an alle Grundschulen Berlins verschickt wurden:

"Die Hinführung zur Struktur der Buchstabenschrift sollte mit der analytisch‐synthetischen Methode* erfolgen. Abgeraten wird von dem von Reichen propagierten «Lesen durch Schreiben», bei dem Kinder mit Hilfe einer An­lauttabelle in der ersten Jahrgangsstufe das lautorientierte Verschriften erlernen und keinen Leseunterricht erhalten und nicht die korrekte Schreibweise der Buchstaben üben." (246)

*Dieses Fibelkonzept wurde in den 70er Jahren in der DDR entwickelt und ist seit den 80er Jahren auch in den meisten Ländern der Bundesrepublik Deutschland verbreitet. Die 'analytisch-synthetische Methode' basiert wesentlich auf Erkenntnissen aus der entwicklungspsychologischen Leseforschung.

Viele Kinder verlieren über ihr aussichtsloses Tun mit der Anlauttabelle schon bald die Lust am Schreibenlernen. : Diesen Frust der Kinder wollen LehrerInnen nicht wahrhaben: Es gibt Kinder, die kommen - mit wessen Hilfe auch immer - schon recht bald dahinter, dass sie sich mit Hilfe der Anlauttabelle weder der orthographisch richtigen noch auf Dauer einer wenigstens - auch für andere - irgendwie lesbaren Verschriftung nähern können. Bei ihrem 'Freien Schreiben' von Anfang an konstruieren sie mit Hilfe der Anlauttabelle erwartungsgemäß Wortruinen: Das kurz zuvor Verschriftete können sie oft auch bald schon selber nicht mehr lesen. Die Folge: Sie mögen, da demotiviert, an einem solchen 'Unterricht' nicht mehr aktiv teilnehmen. Ihre Zweifel bezüglich der Kompetenz des ihnen gebotenen Schriftspracherwerbsunterrichts nähren nicht selten neue Zweifel: am gesamten unterrichtlichen Geschehen überhaupt. Die Folgen können verheerend sein.

LehrerInnen, die mit Hilfe der Anlauttabelle verfasste Texte korrigieren oder den Kindern als Rückmeldung eine korrigierte fehlerfreie Version mit der Anmerkung „So schreiben die Erwachsenen!“ (o. ä.) anbieten, meinen es sicherlich gut. GrundschullehrerInnen berichten jedoch immer wieder davon, dass etliche SchreibanfängerInnen schon recht bald nach einigen solcher Lehrerinterventionen vor der Klasse (!) die Frage nach dem Sinn ihres Tuns mit der Anlauttabelle stellen – und manche sogar mürrisch folgern: "Dann kann ich die Anlauttabelle nicht brauchen!" Wie Recht die Kinder haben!

LehrerInnen, die sich damit begnügen, den Kindern die korrigierten Schreibversuche lediglich als stumme Rückmeldung anzubieten, könnten sich ihre Korrektur allerdings auch ersparen: Nur im günstigsten Fall lesen die Kinder den korrigierten Text noch einmal. Außerdem: Der Transfer-Effekt zwischen Lesen und Rechtschreiben wird von vielen überschätzt. Da gemeinhin das Lesen – in ersten Klassen schon gar nicht - eher nicht eine die Rechtschreibung reflektierende Begegnung mit den einzelnen Wörtern eines Textes ist, wird der Lernzuwachs bezüglich der Rechtschreibung höchstens bei Null liegen. Solche Korrekturen wären völlig umsonst, würde im Anschluss nicht auf die normwidrigen Schreibungen unterrichtlich reagiert: stumm bleibende Rückmeldungen führen zu nichts. Was könnten Kinder schon aus ihren "Privatschreibungen", die nicht den Regeln der Orthographie entsprechen, lernen, wenn nicht daran gearbeitet wird?

In 2007 warfen die Professoren Eichler, Röber-Siekmeyer, Thomé u. a. dem Professorenpaar Brügelmann/Brinkmann vor, sie gaukelten mit ihrer Lehre den Kindern eine 1:1-Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben vor, außerdem wiesen sie darauf hin, dass sich eine solche Vorstellung bei Kindern bald verfestige. (249) Die Antwort des Duos Brügelmann/Brinkmann: "Dagegen, dass der Unterricht so wirke, spricht, dass die Kinder die Wörter immer wieder anders schreiben, also neu konstruieren, und dabei die Zeichenvielfalt voll ausschöpfen." (249) Im Anschluss an dieses ziemlich sinnfreie Statement fragten Eltern: "Was sollen Kinder eigentlich gelernt haben, wenn sie bei der Konstruktion eines bestimmten Wortes mehrfach die 'Zeichenvielfalt voll ausschöpfen' dürfen - und das jeweils mit einer Belobigung durch die Lehrerin?"

Alle Lesen-durch-Schreiben-Versionen gaukeln den Kindern zunächst eine 1:1-Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben vor: Schon nach kurzer Zeit verfestigt sich diese Vorstellung bei den Kindern wie auch dieser zwar einprägsame, aber gefährliche Slogan: 'Schreib, wie du sprichst!'. Kinder, die wieder und wieder nach diesem Prinzip "Da die Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben eine 1:1-Beziehung ist, gilt die Regel 'Schreib, wie du sprichst!'. " schreiben, haben diese Denk- und Handlungsprozeduren nämlich schon bald verinnerlicht, sogar im Hirn 'verankert': Sie sind zu 'Routinen' geworden. Von der Hirnforschung haben wir das sichere Wissen: Einmal gelernte Routinen sind kaum mehr abzutrainieren: Der weltweit anerkannte Grundlagenforscher der Neurowissenschaft, Prof. Dr. Dr. Onur Güntürkün betont außerdem, dass es nicht ratsam ist, erst etwas Leichtes, aber Falsches zu lernen. Der bessere Weg ist, sofort das Richtige zu lernen, auch wenn dieser zunächst als schwieriger erscheint. (133) Nicht wenige Eltern von Abiturientinnen/Abiturienten berichteten Elternbriefe-online, dass ihre Kinder sich noch immer an diesen falschen Prinzipien orientieren.

"Ich tue meine Schue in die Tasche." Julia verschriftet "Schue" wie "tue". Die Lehrerin sagt: "Schön!" Das Kind hat ein Erfolgserlebnis. Abspeichern wird sich bei Julia das Erlebnis ihres erfolgreichen Konstruktionsprozesses, wie sie über die Lautabfolge "tue" die Schreibung zu "Schue" gefunden hat, und natürlich wird Julia - mit allergrößtem Vorrang - auch behalten, dass die Lehrerin ihr Wohlgefallen signalisiert hat – das macht sie sicher. Nach demselben Konstruktionsprinzip wird Julia auch anstatt "Ruhe" nun "Rue" schreiben. Jedes verinnerlichte falsche (wie auch richtige) Konstruktionsprinzip hat jedoch Folgen. Die pädagogische Psychologie weiß: Jede Rückmeldung wie "Schön!" oder "Prima!" oder "Kann man ja gut lesen!" wirkt sich verstärkend auf die Speicherung des Gelernten im Langzeitgedächtnis aus: sowohl des Richtigen, das gelernt wurde, als auch des Falschen. Die Folgen: Wenn man Kinder zunächst frei schreiben lässt und nicht auch schon bald an den normwidrigen Verschriftungen arbeitet, sondern die Rechtschreibung erst später vermittelt, spricht das gegen sicheres Wissen der Hirnforschung: "Umkehrlernen dauert länger und erhöht die Fehlerquote." Zur Erinnerung: "Einmal gelernte Routinen sind kaum mehr abzutrainieren." Der Hirnforscher Prof. Spitzer beschreibt, wie sich Kinder dann in Klasse 3 fühlen, wenn sie über lange Zeit hinweg frei schreiben durften: "Und damit sind die Kinder ab der 3 erstens gefrustet, weil das, was vorher toll war, nun ganz furchtbar ist, und zweitens kriegen sie ab der 3 auch noch Noten, und dann kriegen sie ihren Frust - dann gleich auch noch schriftlich. Und wenn es dann so läuft - und leider läuft es halt oft so, das weiß ich von vielen Schulen, dann läuft es natürlich maximal schlecht." (250) Dennoch, für Brügelmann & C0. ist es der richtige Lernweg, wenn Kinder nach den verinnerlichten falschen Konstruktionsprinzipien "die Wörter immer wieder anders schreiben, also neu konstruieren, und dabei die Zeichenvielfalt voll ausschöpfen." (249)

In E-Mails von Eltern wurde u. a. berichtet, dass am Ende einer 1. Klasse die Schreibnovizen eine kleine Geschichte schreiben sollten. Dabei hatten die Wörter "Vase"/"Blumenvase" für den Ablauf eine zentrale Bedeutung. Drei miteinander befreundete Mädchen schrieben diese Wörter unterschiedlich:

A. Vase

B. Plumwase

C. Blumnfase

Alle drei Texte wurden mit einem lobenden Signal – jedoch unkorrigiert - den Kindern zurückgegeben. Bei allen hieß die Rückmeldung: "Schön!" Wie Kinder das eben so tun: Sie verglichen ihre belobigten Texte miteinander und waren einigermaßen irritiert. Was haben diese Kinder, die die "Zeichenvielfalt" voll ausgeschöpft haben, wohl gelernt?  In einer weiteren E-Mail wurde berichtet: Kinder einer zweiten Klasse schrieben in einer Geschichte "Pfeat", "Vert", "Pfert" und "Feat". Sie alle wurden belobigt - und den Eltern wurde versichert, ihre Kinder seien auf einem guten Weg: Auch deshalb wohl, weil sie die "Zeichenvielfalt" wieder einmal voll ausgeschöpft hatten.

LehrerInnen beruhigen die Eltern, wenn sie ihre bedenken gegen diese Praxis vorbringen: "Falschschreibungen prägen sich nicht ein!" Gelesen haben sie das beim Professorenduo Brügelmann/Brinkmann: "… und weil wir inzwischen wissen, dass diese falschen Schreibungen sich nicht einprägen, wie die lange dominante Wortbild-Theorie unterstellt hatte, die zwar längst widerlegt wurde (vor allem von Gerheid Scheerer-Neumann zuletzt 1995 in einer sorgfältig begründeten Kritik), aber in vielen Lehrer- und Kursleiterköpfen noch vorhanden ist." (251) Dass es so wäre, hätten die Professoren Brügelmann/Brinkmann gern: Es würde ihnen ins Konzept passen! Wie so viele Erfinder der modernen Pädagogik es vorziehen, ihre neuen Lehren lieber nicht mit soliden Studien in Klassenzimmern begründen zu wollen, so wollte auch die Grundschuldidaktikerin Gerheid Scheerer-Neumann tatsächlich an ihrem Schreibtisch (!) herausgefunden haben, dass sich falsch Geschriebenes nicht einprägt. Als "Unsinn" bezeichnet der renommierte Würzburger Professor für pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie Dr. Wolfgang Schneider – im Einklang mit anderen Fachwissenschaftlern - diesen misslungenen Forschungsversuch Scheerer-Neumanns: "Seit vierzig Jahren beschäftige ich mich mit Gedächtnisforschung. Dass sich ein falsches Schriftbild einprägt, ist belegbar.“ Aus Sicht der Gedächtnisforschung bezeichnet er die aktuell verwendete Schreiblernmethode als "falsch." (252)

VI.

Die qualitative Fehleranalyse bei Sommer-Stumpenhorst:

Wenn dem Lehrmittelautor grundlegende Fachkenntnisse fehlen

Die bisherige einseitige Ausrichtung des Schriftspracherwerbsunterrichts, mit unangemessenen Akzenten und in der Regel eingleisig das phonographische Prinzip zu fokussieren, verhinderte denn auch differenzierte und zutreffende 'qualifizierte Fehleranalysen', indem sie die Fehlerquellen für Verschreibungen mit großer Ausschließlichkeit in Verstößen gegen die Gebote "Schreib, wie du sprichst!" und "Sprich deutlich und hochdeutsch!" sah. Dazu vier Beispiele aus einer 'qualitativen Fehleranalyse', die Sommer-Stumpenhorst seit etlichen Jahren in seinen Fortbildungsveranstaltungen als Muster für qualitative Textanalysen vorstellt, es handelt sich um ein 50 Wörter umfassendes Diktat der Schülerin/des Schüler Pa.(108):

Diktat zur 'qualitativen Fehleranalyse' von Sommer-Stumpenhorst (Screenshot vom 01.07.2010)

Josef

1. Beispiel: "Josef beschfert sich ....."

Sommer-Stumpenhorst ordnet diese Fehlschreibung der von ihm erfundenen Kategorie 'LB' als 'LB-Fehler' zu:

Sowohl der f-Laut als auch der w-Laut sind Lippenzahnreibelaute (labiodentale Frikative), der f-Laut stimmlos, der w-Laut stimmhaft. Zur Bildung dieser Laute heißt es: "Das Gaumensegel (Hintergaumen) schließt den Durchgang vom Rachen zum Nasenraum ab. Die Unterlippe nähert sich bis zur Berührung der Unterkante der oberen Schneidezähne, wobei sich eine Enge bildet: ... ." (109)

Dass der Buchstabe <w> zwischen Vokalen in 'Löwe' u. 'Möwe' stimmhaft gesprochen wird, in 'Löwchen' und 'Möwchen', in 'Calw' (Kleinstadt in Baden-Württemberg) oder in (Joachim) 'Löw' (Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft) jedoch zum stimmlosen f-Laut wird, ist nicht durchweg explizit geläufig, ebenso nicht, dass z. B. der Buchstabe< v> am Endrand von <ak­tiv> als stimmloser f-Laut gesprochen wird, in <aktivieren> jedoch als w-Laut. Dialektal bedingt oder aufgrund von anatomi­schen Besonderheiten in der Ausbildung der Lippen und des Gebisses wird in der Aussprache nicht weniger Sprecher nach 'sch' z. B. in 'beschweren' aus dem stimmhaften w-Laut nicht selten ein stimmloser f-Laut. Wie nahe in der Aussprache des Verbs 'beschweren' der stimmhafte Lippenzahnreibelaut als w-Laut und der stimmlose Lippenzahnreibelaut [f] beieinander liegen, ist im Selbstversuch leicht nachvollziehbar: durch besonders schnelles Sprechen oder beim sog. Dehnsprechen.

2. Beispiel: "veler"

Sommer-Stumpenhorst ordnet diese Fehlschreibung in die Kategorie "AF" ein: "Dehnungs - h = Ausnahmeschreibung" (108):

In Verlegenheit geraten die Verfechter von 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' mit Ihren Aufforderungen zum 'genaueren Hinhören' sowie zu ihrem 'Schreibe, wie du sprichst!' regelmäßig auch dann, wenn sie es mit dem< h> als stummem Graphem zu tun haben. Prof. Dr. Peter Eisenberg nennt als Beispiele (110):

Eisenberg als Kommentar dazu: "Leider halten manche Didaktiker nach wie vor die Überzeugung hoch, es gebe hier etwas zu hören." (110) Auch Prof. Dr. Ursula Bredel äußert sich ebenso eindeutig dazu und schildert, wie die Praxis mit dem stummen Graphem umgeht:

"Besonders problematisch ist es, wenn Operationen, die von den Schülern/Schülerinnen durchgeführt werden sollen, auf falschen Hypothesen über den Gegenstand beruhen: Das geschieht z. B. dort, wo die Kinder zur Ermittlung des h in gehen oder Weiher eine Hauchprobe durchführen sollen: Bei besonders klarer Aussprache soll dann hörbar werden, was in Wahrheit nur sichtbar ist: das h. Lehrer/innen, die mit den Schülern/Schülerinnen die Hauchprobe durchführen wollen, haben einen Teil ihres eigenen Analysewissens über Schrift (gehen .... wird mit h geschrieben) auf der Grundlage einer falschen Schrifttheorie zum schülerseitigen Prozesswissen über Laute umdefiniert (bei gehen ... können wir ein h hören). Schüler/Schülerinnen, die bereits wissen, dass gehen mit h geschrieben wird, die also keine Probe mehr brauchen, werden bei der Hauchprobe erfolgreich sein: Sie nutzen ihr Analysewissen zur Durchführung der Probe und sprechen das h, weil sie wissen, dass es lehrerseitig verlangt ist. Schüler/Schülerinnen, die noch nicht wissen, dass gehen mit h geschrieben wird, also solche, für die die Hauchprobe durchgeführt wird, scheitern." (111)

Mit diesem Beispiel charakterisiert Bredel auch für unzählbar weitere Fälle eine der Schwächen der falschen Prinzipien wie 'genaueres Hinhören' und 'Schreibe, wie du sprichst!' und entlarvt sie als Methoden, die dem die Orthographie erlernenden Kind keinesfalls hilfreich sein können: Der bereits kompetente Rechtschreiber wird beim Sprechen zu Ergebnissen kommen können, die lehrerseitig erwartet werden, die Kinder, die sich selbsttätig um die korrekte Schreibung bemühen, werden jedoch scheitern.

Prof. Dr. Peter Eisenberg erklärt die Bedeutung des silbeninitialen stummen <h> (110):

  1. Die Häufung bestimmter Vokalbuchstaben kann vermieden werden: <zieen> zugunsten von <ziehen>,< ween> zugunsten von <wehen>

  2. Fiele in den Verben nahen, drohen und muhen das stumme <h> fort, würde man sicherlich in einem ersten Fehlversuch bei 'naen' > [næːn] wie die Verschriftung <nän>, bei 'droen'> [dʀøːn] wie <drön> und bei 'muen' > [myːn] wie< mün> lesen.

Bei der Rechtschreibung geht es eben an erster Stelle eigentlich "um das leichte Lesen". (H. Munske: Lob der Recht­schreibung. München 2005. [In: 107])

Ein Dehnungs-h finden wir bei vielen Verben nach einem gespannten Vokal wie z. B. in <fehlen> und den Ableitungen daraus, z. B. in< Fehler>. Prof. Dr. Peter Eisenberg: "Interessant ist, dass das Dehnungs-h bei Verben des Kernwortschatzes mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit auftritt." (110) Was natürlich heißt, dass das Dehnungs-h auch in Nomen und Adjektiven, die von solchen Verben abgeleitet werden, zu setzen ist. Bei dem Dehnungs-h in <Fehler> handelt es sich also keineswegs um eine Ausnahmeschreibung. Prof. Dr. Nanna Fuhrhop zum Dehnungs-h: "Wann steht das Dehnungs-<h>? Rein statistisch gesehen steht es am häufigsten in Verben mit folgendem Stammende: gespannter Vokal - Dehnungs-<h> - Sonorant (insbesondere< r>, <l>,< m> und <n> - (Flexions- bzw. Infinitivendung) zum Beispiel< fahren>,< mahlen>,< nehmen> und <dehnen>." (112) In ihrem Aufsatz "Schriftstrukturen entdecken" erfahren wir darüber hinaus von Prof. Nanna Fuhrhop und Prof. Astrid Müller, dass das Dehnungs-h in 70% der Verben, deren vokalischem Kern <r>, <l>, <m> und <n> folgen, zu finden ist. (113) Der weitaus geringere Teil der Verben, deren vokalischem Kern <r>, <l>, <m> und< n> folgen, kommt ohne das Dehnungs-h aus, bemerkenswert dabei: das Gros dieser Verbgruppe ist abgeleitet von Nomen und Adjektiven:< garen>, <planen>, <ölen>, <scharen> etc.. (110) Beiden Verbgruppen ist gemeinsam, dass das Vorhandensein/Nichtvorhandensein des <h> beim Sprechen keinerlei Bedeutung hat.

3. Beispiel: "geschaft"

Der Kommentar von Sommer-Stumpenhorst dazu (108):

Solche Bewertungen folgen der (falschen) Annahme, nach 'kurzem Vokal' sei eine Konsonantenverdopplung regelhaft, was da­her wiederum bei 'genauerem Hinhören' hörbar und nach dem Prinzip 'Schreibe, wie du sprichst!' umzusetzen sei. Betrachten wir folgende Beispiele:

Bei Nanna Fuhrhop ist nachzulesen (112): "So ist zwar richtig, dass der Vokal vor einer Geminate (Anmerkg. Jansen: Verdoppelung eines Konsonaten) ungespannt zu lesen ist, aber es ist nicht richtig, dass der ungespannte Vokal die Geminatenschreibung bedingt."

In der Duden-Grammatik finden wir die Erklärung für die Konsonantenverdoppelung bei <schaffen> (114): Als regelhaft gilt:

  1. "Weist eine Wortform zwischen zwei Silbenkernen oder einem Diphthong und einem Silbenkern einen Konsonanten auf, so gehört dieser zur zweiten Silbe." (114)

  2. Im Deutschen gilt eine allgemeine Beschränkung für den Aufbau von betonten Silben mit ungespanntem Vokal. Sie besagt, dass solche Silben nicht offen sein können: Betonte Silben mit ungespanntem Vokal haben mindestens einen Konsonanten im Endrand." (114)

Weder die Schreibung von 'scha-fen' noch von 'schaf-en' würde diesen Prinzipien gerecht werden können, das <f> gehört zu beiden Silben gleichzeitig.: Wir schreiben folglich 'schaf-fen', verdoppeln also den Konsonanten, sprechen jedoch lediglich - wie/was auch sonst - den einen Laut [f]. Eisenberg nennt dieses Konstrukt "Silbengelenk", er betont, dass die Schreibung, in diesem Fall <ff>, auch dann erhalten bleibt, wenn das Silbengelenk aus morphologischen Gründen diese Funktion nicht mehr hat: geschafft, schaffst, schafft, geschafft ... .

Die Betrachtung sowohl von< Schaft> als auch des Suffixes< -schaft> braucht daher nicht weiter verfolgt zu werden: Beide Schreibungen sind einsilbig.

4. Beispiel: "Nachtban"

Kommentar Sommer-Stumpenhorsts (108):

  1. "WZ falsche Wortzerlegung"

  2. "LD Buchstabe fehlt (oder WZ wegen Endsilbe „-bar“)"

Zur Herkunft von 'Nachbarn' aus dem "ONLINE ETYMOLOGY DICTIONARY" (115):

neighbor

"O.E. neahgebur (W.Saxon), nehebur (Anglian), from neah "near" (see nigh) + gebur "dweller," related to bur "dwelling" (see bower). Common Gmc. compound (cf. Du. (na)bur, O.H.G. nahgibur, M.H.G. nachgebur, Ger. Nachbar). The verb is first attested in 1580s. Related: Neighbored; neighboring. Good neighbor policy attested by 1937, but good neighbor with reference to U.S. policy toward Latin America was used by 1928 by Herbert Hoover."

Was Sommer-Stumpenhorst unter "WZ falsche Wortzerlegung" versteht, muss unklar, sogar unverständlich bleiben, Schülerin/ Schüler Pa. wird in der 4. Klasse nicht über etymologische Kenntnisse verfügen. Wenden wir uns daher der Fehlerbeurteilung unter b.) zu!

Wer< Nachbar> und <Nachbarn> liest, wird [naxba:ɐ] und [naxba:ɐn] sprechen (Siehe dazu: Duden: Das Aussprachewörterbuch. Mannheim 2005), und auch nach dem Drill zum genaueren Hinhören können Kinder nicht anders: Sie schreiben <Nachban>. Nach der Lehre vom 'Schreibe, wie du sprichst!' fehlt kein Buchstabe, also nicht die Verschriftung des r-Lauts. Geradezu blamabel ist die Anmerkung «WZ wegen Endsilbe „-bar“». Die Silbe <-bar> ist an dieser Stelle vielmehr abzuleiten von nehebur bzw. nahgibur (ahd. 'bur' - Bauer) (Siehe oben: Eintrag "ONLINE ETYMOLOGY DICTIONARY"), dem nahebei wohnenden Bauern. Das Suffix <-bar> ist ausschließlich für Adjektive vorgesehen: begehbar, einsehbar, erreichbar, .... . Zudem dies: Adjektive, die z. B. mit dem Suffix <-bar> enden, werden durch Erweiterung eines an Nomen gebundenen Suffixes wie z. B.< -keit> zum Nomen : erreich-bar > Erreich-bar-keit, verwund-bar > Verwund-bar-keit, ... . Vermutlich weiß Schülerin/ Schüler Pa. jedoch mit dem gehörten [naxba:ɐ] nichts anzufangen, das Wort kommt in ihrem/seinem Sprachschatz nicht vor: Sie/er denkt sich eine plausible Lösung aus, vielleicht ist ihr/ihm das Wort 'Nacht', vielleicht sogar 'Nachtbar' bekannt.

Für LehrerInnen ist ein fundiertes fachwissenschaftliches Repertoire die Voraussetzung für die Herleitung einer soliden Fach­didaktik und eines guten Unterrichts, ohne profundes Wissen bleiben Fachdidaktik und Unterricht stümperhaft. Der moderne Schriftspracherwerbsunterricht verlangt solide sprachdidaktische Grundlagen, die sich aus der neueren Sprachwissenschaft, insb. der Graphematik, herleiten lassen, das heißt, neben dem phonographischen Prinzip müssen von Anfang an im Schriftspracherwerbsunterricht auch das silbische, das morphologische und das syntaktische Prinzip einen hohen Stellenwert erhalten.

Qualitative Fehleranalysen, die davon ausgehen, dass das deutliche Sprechen für Richtigschreibungen ausschlaggebend sei, sind völlig unbrauchbar. In der oben schon mehrfach erwähnten qualitativen Fehleranalyse von Sommer-Stumpenhorst beschreibt dieser 35 Fehlschreibungen (108), eine Vielzahl davon vor dem Hintergrund der irrigen Annahme, beim Sprechen liefere der Sprecher auch regelmäßig die erforderlichen Informationen zur korrekten Schreibung mit.

Die mit Sommer-Stumpenhorsts 'Rechtschreibwerkstatt' kooperierende Lerndesign GmbH hat für dessen sog. qualitative Fehleranalyse ein "Analyseprogramm" - so heißt es tatsächlich - entwickelt. (Siehe: http://www.grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%202.htm!)Die vorgegebenen Analysediktate haben allesamt eine Länge von 50 Wörtern. Nach der Auswertung werden die Kürzel für die Fehlerart (z. B. LB, LV, WZ etc., siehe oben!) in die Formulare des auf EXCEL basierenden Programms ein­getragen, dieses ist imstande, daraus farbige Fehler- und Leistungskurven zu generieren. Das Programm funktioniert, aber es analysiert natürlich nicht. Dies muss nämlich der Anwender besorgen: ob die 'qualitativen Fehleranalysen' dann durchweg in so hohem Maße bedenklich sind, wie Sommer-Stumpenhorst selber dies in seinem Beispiel vorführt, ist nicht bekannt. Viele (die meisten?) LehrerInnen dürften ebenfalls nicht so ohne weiteres über das erforderliche Fachwissen verfügen, eine weitge­hend sachgerechte qualitative Fehleranalyse durchzuführen. Immerhin: LehrerInnen haben ihre Freude mit den 'qualitativen Fehleranalysen' nach Sommer-Stumpenhorst, und die Eltern sind zufrieden. Ob Letztere dann nach Erhalt der schriftlich überreichten Fehleranalyse viel mehr als ein Blatt mit farbigen Diagramm und unzutreffendem Fehlerprofil oder tatsächlich ein solches mit verwertbaren Ergebnissen nach Hause tragen, hängt ausschließlich von der fachlichen Kompetenz der Lehre­rin/des Lehrers ab.

Es ist übrigens völlig irreführend, wenn es immer wieder heißt, die qualitative Fehleranalyse sei eine Errungenschaft aus neuester Zeit. Solange es den Rechtschreibunterricht gibt, waren Lehrer immer wieder bemüht, Fehlerarten zu kategorisieren und Fehlerquellen für Fehlschreibungen herauszufinden. Es wird davon berichtet, dass viele Lehrer von ihren Schülern schon zu Anfang des letzten Jahrhunderts individuelle Fehlerkarteien führten. Dabei orientierten sie sich an den unterschiedlichsten Systemen der sog. Fehlerkunde, eines der bekanntesten war seinerzeit "Das strukturell-funktionale Fehlersystem" des Paul Bi­schoff (in: 116).

Auszug aus "Das strukturell-funktionale Fehlersystem" des Paul Bischoff

Paul Bischoff

Den Terminus 'qualitative Fehleranalyse' finden wir in der Fachdidaktik seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts immer häufiger, so etwa bei Alexander Beinlich, in: 'Handbuch des Deutschunterrichts' [Emsdetten 1966] (48), oder bei Oswald Watzke, in: Rechtschreibunterricht in der Primarstufe [München 1976] (116). In der letztgenannten Schrift wird die 'qualitative Fehleranalyse' der angehenden Lehrerin Jutta Arz beschrieben (Erfassung und Betreuung rechtschreibschwacher Kinder in einem 3. Schülerjahrgang. PH Würzburg 1968/II).

Fehlerprofil der Schülerin 'Andrea' (Jutta Arz, angehende Lehrerin, Arbeit zur 1. Lehramtsprüfung) (1968)

Fehlerprofil Andrea

Unter 'Behandlungsergebnis' lesen wir bei O. Watzke weiter: "In der Fördergruppe erfuhr nun Andrea ein gezieltes Rechtschreibtraing. Insbesondere wurden mit ihr Ableitungen, Groß- und Kleinschreibungen, Dehnungen und Dopplungen, die Wahrnehmungstrennschärfe (d:t, g:k, b:t) geübt. Die Schlussmessung, die bereits nach einer halbjährigen Betreuung durchgeführt werden musste, ergab einen bedeutenden Leistungsfortschritt. Andrea verbesserte, wie die gestrichelte Linie im Fehlerprofil zeigt, ihren früheren Prozentrang von 6/10 auf 51/65. Der Rohwert beträgt nunmehr 13. Er liegt damit an der Grenze zum schlechteren Wert (PR 36/50). In der Gesamtpopulation Geschlechtergruppe Mädchen entspricht dieser RW einem PR von 36/50. Andrea gelingen nun durchschnittliche Leistungen. Im Leistungsbereich der Mädchen der Arbeiterschicht befindet sie sich in der oberen Hälfte (51/65)." (in: 116)

Fehlerprofil der Schülerin/des Schülers Pa./Ergebnis des oben mehrfach zitierten Analysediktats von Sommer-Stumpenhorst (2010)(108)

Fehlerprofil

 

VII.

Schritt für Schritt lernen – doch beim Schreiben lernen ist manches anders!

 

Sommer-Stumpenhorst mag nicht aufhören, ohne Unterlass immer wieder zu betonen: „Ich betrachte den Recht­schreiblernprozess als einen qualitativen Entwicklungsprozess“. Er hat Recht, aber das ist seit Jahrzehnten bekannt. Schon im Handbuch des Deutschunterrichts von 1966 (48) findet sich dieser Befund wie auch bei Uta Frith (1980). (49)

Für Eltern, die es genauer wissen wollen, die (stark) verkürzte Darstellung der Stufen des Entwicklungsprozesses (nach Prof. Peter May, Universität Hamburg):

  1. logographische Stufe (etwa Kindergartenalter): Kinder bekommen eine Ahnung von der Phonem-Graphem-Korrespondenz, der Beziehung zwischen Lauten und Zeichen/Buchstaben. Sie lernen - sich anbahnend – Zeichen zu unterscheiden und dass sich Wörter bezüglich Anzahl der Buchstaben und der Buchstabenfolgen unterscheiden.

  2. alphabetische Stufe (Beginn der Schulzeit bis etwa Ende der ersten Klasse): Sie lernen, den Lautstrom aufzuschließen und mit Hilfe von Buchstaben und Buchstabenfolgen schriftlich festzuhalten. (Die Lösungsstrategien dieser Stufe werden aber auch später nicht aufgegeben.)

  3. orthographische Strategie: Sie haben die Fähigkeit, mit einfachen Laut-Buchstabenzuordnungen unter Beachtung bestimmter orthographischer Regeln und Prinzipien zu operieren. Auf dieser Stufe werden die Kinder sowohl bereits mit „Lernwörtern“ befasst, mit Wörtern, die z. B. nicht lautgerecht verschriftet werden, als auch mit Regelelementen, z. B. „auf Kurzvokal folgen zwei Konsonanten“ .

  4. morphematische Strategie: Kinder haben die Fähigkeit, Wörter zu zerlegen, auf den Wortstamm zurückzuführen, abzuleiten etc. . Sie erhalten daraus Hinweise über die Richtigkeit ihrer Schreibung und Regeln für die Konstruktion weiterer Wörter.

  5. Wortübergreifende Strategie: Die Kinder lernen weiterführende Aspekte der Rechtschreibung kennen: Verwendung der Satzarten, Satzgrammatik für die Kommasetzung, dass-Schreibung, Zusammen-/Getrenntschreibung etc.

Ein weiterer großer und zugleich verhängnisvoller Irrtum der Verfechter der Methode 'Lesen durch Schrei­ben'/'Spracherfahrungsansatz', insbesondere bei Sommer-Stumpenhorst: Er betrachtet den Verlauf der Entwicklungsphasen im Schriftspracherwerb als eine streng sequentielle Abfolge, also auf Stufe 1 folgt Stufe 2, auf Stufe 2 folgt Stufe 3, etc.. Dieser falschen Theorie folgt auch der Aufbau seiner Materialien. Längst gibt es Studien darüber, die besagen, dass Kinder sich in der Regel auf verschiedenen Stufen gleichzeitig befinden. So sieht es - laut Wissenschaft - der natürliche Entwicklungsprozess vor. Fazit: Kinder, die additiv nach vorgefertigten Materialien die Stufen 1, 2, 3, ... abarbeiten müssen, werden per Unterrichtskonzept davon abgehalten, sich gleichzeitig nebeneinander auf mehreren Stufen fortzuentwickeln. Das heißt: Kinder, welche noch die Materialien zur Stufe 2 bearbeiten – was bei der Methode Sommer-Stumpenhorst auch schon einmal bis Klasse 3 dauern kann (Siehe dazu Elternbrief Nr. 3!) – haben keine Chance, schon Kompetenzen der Stufen 3, 4 oder 5 zu erwerben. Ein Irrtum zum Nachteil der Kinder: Der Leitgedanke ist falsch, Kinder erst nach Abarbeitung der zu jeder Stufe gehörigen Materialien in die Arbeit auf der nächsten Stufe zu entlassen. Was tatsächlich im Unterricht der „Rechtschreibwerkstatt“ geschieht, ist ohne Zweifel alles andere als wirkliche Individualisierung - zum Schaden der Kinder. Dabei sind die Unterrichtsmodernisierer mit dem Anspruch angetreten, einen in besonderem Maße individualisierenden Unterricht zu vertreten! Mit der neuen Theorie einher ging auch die 'Erkenntnis', dass – mit Ausnahme von Einzelfällen – Kinder beim Erlernen der Rechtschreibung nicht einfach Wörter auswendig lernen, sie dann auf Dauer auf der graphischen Ebene abspeichern, um sie dann gegebenenfalls korrekt anwenden zu können. Damit folgte man der der Frontstellung Gerheid Scheerer-Neumanns gegen die Wortbildtheorie. (50) Den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend führen das lineare Füttern mit orthographischen Einheiten und Regeln oder das Auswendiglernen von Wörtern einer Wort­liste nicht zur wirklichen Rechtschreibkompetenz. Als Lernvoraussetzungen für den Schriftspracherwerb werden heute gesehen: z. B. die Einsicht in das alphabetische Prinzip unserer Schriftsprache, das Erkennen der Struktur von Laut- und Schriftsprache sowie die Einsicht in die formalen Strukturen unserer Schriftsprache. Zum Zustandekommen jeglichen Lernens gehört Eigenaktivität. Was jedoch keinesfalls heißt, dass von ernst zu nehmenden Fachwissenschaftlern irgendwo die Forderung erhoben würde, Kinder sollten sich das Lesen und Schreiben selber beibringen, das Gegenteil ist der Fall. So werden übrigens nicht in einer einzigen wissenschaftlich relevanten Veröffentlichung zum Schriftspracherwerb, also weder aus fachdidaktischer, pädagogischer, psychologischer oder sprachwissenschaftlicher Sicht, die Methoden Sommer-Stumpenhorst oder Tinto erwähnt. Die dritte Lesen-durch-Schreiben-Methode hingegen, die Methode Reichen, wird zwar bisweilen erwähnt, dann aber heißt etwa so wie bei Wolfgang Einsiedler (51): „Ab dem 2. Schuljahr wurden die orthographisch korrekten Schreibungen verglichen. Dabei zeigten sich im Diktat im 2., 3. und 4. Schuljahr signifikante (= bedeutsame, Anm. des Autors) Nachteile der Reichen-Methode.“ Auch G. Augst/M. Dehn weisen auf methodisch verursachte Defizite beim Erlernen der Rechtschreibung durch die Methode Reichen hin. (52)

VIII.

'Freies Schreiben'

Vorbemerkung: In diesem Aufsatz wird das 'Freie Schreiben' derjenigen Strömung in der sog. modernen Didaktik fokussiert, die ihr Hauptaugenmerk nicht auf das Schreibprodukt, sondern auf den Schreibprozess richtet, der ausschließlich unter den Aspekten der Selbstbestimmtheit, der Spontaneität und der Kreativität beurteilt wird. Texte dürfen dabei - oft über Jahre hinweg - zu selbstbestimmten Zeiten, auf selbstbestimmte Weise und unbelastet vom Regelwerk der Orthographie oder der Grammatik verfasst werden.

Freies Schreiben? Das gab es schon einmal. Aber die Grundschulpädagogik ist offenbar nicht imstande dazuzulernen. Das freie Schreiben von heute hieß damals „Freier Aufsatz“. Heinrich Scharrelmann (53) und Fritz Gansberg (54) waren seinerzeit die Protagonisten der schulischen Innovation. So hieß es bei Scharrelmann schon vor fast 100 Jahren: „Die Kinder schreiben Geschichten auf, ohne Zwang, nur dem inneren Drange folgend, mit wilder Orthographie, mit einer Fülle grammatischer Feh­ler, mit einer Schrift, die nur die Schreiber selbst mitunter mit Mühe entziffern.“ Noch vor Ablauf des 2. Jahrzehnts im letzten Jahrhundert wurde diesem Konzept Einhalt geboten: Man hatte herausgefunden, dass man die Kinder nach einer langen Pha­se orthographischer und grammatischer Beliebigkeiten kaum mehr an regelgerechtes Schreiben heranführen konnte und man auch keinerlei Möglichkeiten sah, die bereits eingeprägten Muster von Fehlschreibungen wieder zu korrigieren. Genau das fand Prof. Dr. Renate Valtin, Leiterin der Abteilung Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität Berlin, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS), nach fast hundert 100 Jahren wiederum heraus: Auch sie sieht es als erwiesen an, dass Kinder, die bis weit in die Grundschule hinein – bis sogar ans Ende der 3. Klasse - unkorrigiert Texte nach dem Motto „Schreib wie du sprichst!“ schreiben dürfen, eine falsche Strategie erlernen, die sie sich später wieder müh­sam abgewöhnen müssen – oft mit katastrophalen Ergebnissen (55). Diese Position hat Prof. Dr. Renate Valtin - wie biswei­len fälschlicherweise behauptet wird - nie zurückgenommen. Allerdings bleibt völlig unverständlich, wenn Valtin meint, die Kinder müssten sich die von Lehrerinnen jahrelang eingedrillte zur Lese-Rechtschreibschwäche führende Strategie später selber abgewöhnen.

Ähnlich wie Scharrelmann und Gansberg hat die moderne Didaktik der Grundschule von heute ihr Hauptaugenmerk weniger auf das Schreibprodukt als auf den Schreibprozess gerichtet, den sie unter den Aspekten der Selbstbestimmtheit, der Spontaneität und der Kreativität beurteilt. Darüber hinaus fokussiert sie auch eine vermeintlich parallel dazu naturwüchsig
und stufenweise verlaufende Entwicklung der Rechtschreibkompetenz. Die allerdings wird nach neuem Verständnis über Grundschuljahre hinweg heute in aller Regel und ziemlich diffus als 'Rechtschreibgespür' definiert, und das Anleiten zum Einhalten von rechtschriftlichen Normen, bei dem sich schon zeitig die Entwicklung zur Rechtschreibkompetenz
anbahnen könnte, wird günstigstenfalls nach hinten verschoben: In der dritten Klasse jedenfalls halten heute viele Grundschullehrerinnen das noch für verfrüht. An dieser Stelle stoßen wir also wieder auf die mehr als fragwürdige These: „Ähnlich wie das Sprechen- verläuft auch das Schreibenlernen, wenn Kinder von Beginn an alles schreiben dürfen.“ (56) So dürfen auch heute wieder, wie schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts, Kinder freie Texte schreiben, zu selbstbestimmten Zeiten, auf selbstbestimmte Weise, unbelastet vom Regelwerk der Orthographie oder der Grammatik. Im Mittelpunkt steht vom ersten Schultag an das kreative Schreiben. Bei den Spontanschreibungen dieser neuen Didaktik ist die Lehrerin gehalten, sich zurückhalten: Das Kind merkt selbst, dass es etwas nicht richtig geschrieben hat. Es gibt Lehrerinnen, die diesem Prinzip bis in die dritte und vierte Klasse hinein folgen. Studien belegen, dass eine solchen Pädagogik weltfremd und den Kindern letztlich nicht dienlich ist. Eine Untersuchung Prof. Andreas Helmkes in 1997 zeigte, dass die Mehrheit der Grundschüler bei Schuleintritt kaum über ein Fähigkeitskonzept verfügt, das der Realität entspricht: So schätzten sich in den von ihm untersuchten Klassen 60% aller Erstklässler als Klassenbeste ein. (57) Zu vermuten wäre, dass über die Grundschulzeit hinweg zunehmend alle Schüler ihr eigenes stabiles Fähigkeitskonzept mit einer realistischen Selbsteinschätzung entwickeln könnten, das ist aber nicht der Fall. Vielmehr verläuft die Entwicklung bei sehr vielen Kindern beträchtlich schwankend und oft unterschiedlich in den einzelnen Schulfächern – warum das so ist, lässt sich nur vermuten. Nach Prof. Helmke kann eine falsche Selbsteinschätzung dazu führen, „dass die notwendigen Lernanstrengungen gar nicht mehr unternommen werden, weil der Lernerfolg für selbstverständlich gehalten wird.“ (58) Wie Ch. Klicpera/B. Gasteiger-Klicpera berichten, verhalten sich gerade schwächere Rechtschreiber bei Aufgaben, die auf die Überarbeitung von Texten abzielen, sehr unkritisch und neigen regelmäßig dazu, ihre Leistungen zu überschätzen. (59)

Die Theorie des ’Freien Schreibens’, das mit kaum plausiblen Akzentverschiebungen auch als ‚’kreatives Schreiben’, ’produktives Schreiben’, ’produktionsorientiertes Schreiben’ oder ’weiterführendes Schreiben’ bezeichnet wird, brandmarkt einen Aufsatzunterricht, wie es ihn in der Grundschule schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt. Längst sind die alten Aufsatznormen gefallen, da gibt es nicht mehr die Aufsätze - Erlebniserzählung, Phantasieerzählung, Beschreibung und Bericht, die nach strengen Strukturvorschriften verfasst werden mussten. Kreative Lehrerinnen (wie auch gute Fibeln und Sprachbücher) verfügen heute über ein reiches Repertoire an Schreibanlässen, die Kinder - fernab vom alten Aufsatzzwang - zum kreativen Schreiben herausfordern. Da dürfen, wie im richtigen Leben in vielen Texten, das Erzählen, Berichten, Beschreiben - und auch das Appellieren - ineinander übergehen, der Kreativität, dem gesamten schöpferischen Tun werden keinerlei Grenzen gesetzt. Es ist geradezu absurd, wenn heute beim sog 'Freien Schreiben' Kindern noch bis in vierte Klassen hinein vorwiegend nur 'Geschichten' mit 'Erzählhöhepunkt' abverlangt werden. Kinder heute müssen (rechtzeitig!) lernen, dass man sich > mit einem geschriebenen Text > in einer bestimmten Absicht > an jemanden wenden kann, der (augenblicklich) mündlich nicht erreichbar ist. Denn richtig Sinn macht das Schreiben dem Kind erst dann, wenn sein Text auch einen wirklichen Leser/den Leser ’erreicht’/'erreichen' kann – und das in vielfacher Hinsicht. Eine solche Schreibhaltung verträgt sich natürlich nicht mit den Freiheiten des ’Freien Schreibens’, denn sollen Texte wirklich kommunikative Funktionen übernehmen können, müssen sie so gestaltet sein, dass sie imstande sind, sowohl die eigenen Erwartungen als auch die eines Kommunikationspartners zu erfüllen und darüber hinaus die Bedingungen eines speziellen Kommunikationsprozesses einzuhalten. Maximen wie
Selbstbestimmtheit und Spontaneität sind da nicht zielführend, auf lange Sicht ohnehin nicht. Geht man davon aus, dass Kinder so schreiben können wollen wie die Erwachsenen, gilt das natürlich auch für die Textgestaltung. Nichts übrigens ist bei einer Schreibaufgabe für Kinder schlimmer, als wenn die Lehrerin ihnen sagt: Ihr dürft schreiben, was Ihr wollt.“ Der geneigte Leser möge sich gedanklich selber in diese Situation versetzen: Einen Text verfassen zu müssen, der auch abgefragt wird, wobei der Adressat und alle anderen Rahmenbedingungen jedoch unbekannt sind. Schwächere Kinder sind übrigens dankbar, wenn sie auch schon einmal umfangreichere Orientierungshilfen an die Hand bekommen - die ja nicht unbedingt einengenden Charakter haben müssen.

Von den zu selbstbestimmten Zeiten, auf selbstbestimmte Weise und unbelastet vom Regelwerk der Orthographie oder der Grammatik verfassten freien Texten der Kinder wissen Eltern zu berichten, wie zunehmend auch selbstbestimmte Vorstellungen auf die formalen Qualitäten von verschrifteten Texten Einfluss nehmen: Beklagt werden unordentliche und unleserliche Schrift und chaotisch anmutende Layouts - mit der Tendenz, sich gegen das Ende der Grundschulzeit hin noch weiter zu verschlechtern. Das Ergebnis ist, dass die Verfasser oft selber ihre Texte nicht lesen können - und erst recht auch nicht andere dazu in der Lage sind. Dabei sollen Kinder in der Schule Kommunikationskompetenz erlangen, die ja zugleich auch soziale Handlungskompetenz ist. Kreatives Schreiben in der Grundschule über Jahre hinweg zur Freude der Lehrerin in der Manier von l’art pour l’art zu initiieren, ist nicht nur völlig abwegig. Es wird so auch die Chance verpasst, Kinder rechtzeitig mit den Anforderungen verschrifteter kommunikativer Texte vertraut zu machen. Geschickten Lehrerinnen gelingt es, auch in dieser Hinsicht Motivationen für die Kinder zu entwickeln. Schon zeitig in der Grundschule – ab der zweiten Klasse etwa - müssen Kinder lernen, dass man mit Texten bestimmte Absichten verfolgen kann, dass Texte sich an (konkrete) Adressaten richten, dass Texte ganz sicherlich nicht „auf selbstbestimmte Weise“ und "irgendwie" geschrieben werden dürfen – dass Texte nicht einfach nur Texte sind, die z. B. folgenlos im Papierkorb enden. Schon Kinder in der Grundschule müssen zunehmend die Einstellung internalisiert haben: Das, was ich – jetzt oder später - an/für einen Kommunikationspartner schreibe, muss diesen ansprechen/erreichen und für ihn zumutbar sein: Der Text muss einer bestimmten Form entsprechen (Ordnung, Sauberkeit), er muss verständlich sein (Aufbau, Satzbildung, erkennbare Schreibabsicht, mit einer Rechtschreibung, die [zunächst mindestens] eindeutig die Wortbedeutung zu erkennen gibt), er muss lesbar sein (lesbare Schrift). Das ist die Messlatte, mit der Kommunikationskompetenz als soziale Handlungskompetenz gemessen wird! Und auch das sollen Kinder beizeiten wissen: Texte sagen in vieler Hinsicht stets auch etwas über den Verfasser und dessen Verhältnis zum Empfänger aus, und - mit ihren Texten können sie Reaktionen herausfordern.

Etliche Studien berichten mittlerweile darüber, dass die Methode 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben') /'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' schlechtere Rechtschreiber hervorbringt als ein guter Fibelunterricht. Nicht einmal das, was durch freies Schreiben besser gelingen sollte, wird erreicht: Durch eine Untersuchung fanden G. Augst/M. Dehn (60) heraus, dass nach 'Lesen durch Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' unterrichtete Kinder nicht nur die bei weitem schlechteren Rechtschreiber waren, sondern auch beim Verfassen von freien Texten nicht mithalten konnten. Nach dem ersten Schulhalbjahr

Die heute an unseren Grundschulen in Verbindung mit den Lesen-durch-Schreiben-Versionen praktizierten Formen Freien Schreibens orientieren sich an den derzeit weit verbreiteten Leerformeln reformpädagogischer Pseudopädagogik.

Die Vertreter der Lesen-durch-Schreiben-Versionen behaupten, SchulanfängerInnen warteten durchweg voller Spannung und neugierig darauf, endlich so wie die Erwachsenen schreiben zu lernen: um nunmehr wie sie in der Lage zu sein, "ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen zu Papier zu bringen" und sie anderen mitteilen zu können – und zwar "von Anfang an". Brügelmann als Wortführer:

Bis auf wenige Ausnahmen dürften die heutigen Schulanfänger private Briefe, Tagebuch oder Geschichten schreibende Erwachsene, auch ihre Eltern, die "ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen zu Papier bringen", noch nicht erlebt haben. Offenbar haben Brügelmann und all die anderen nicht mitbekommen, dass es die privat gepflegte Schreibkultur so nicht mehr gibt: ausgedehnte Telefonate und SMS-Botschaften haben sie längst ersetzt. Die schreibenden Vorbilder, denen die Schulanfänger von heute angeblich so sehr nacheifern wollen, gibt es kaum mehr. Gäbe es sie noch, so müsste man jedoch wegen Überforderung - der meisten Kinder bis in die dritte Klasse hinein - diese dennoch davor bewahren, in Geschichten die "eigenen Gedanken und Erfahrungen zu Papier" bringen zu müssen. Das wusste die Grundschulpädagogik schon in den 60ern des letzten Jahrhunderts, so z. B. Karl Graucob (125), Alexander Beinlich (48), Hermann Helmers, (254).

Die verbale Kommunikationsform der Schulanfänger ist die Mündlichkeit. Das Erlernen der Schriftsprache ist der Einstieg in ein hochkomplexes eigenständiges Sprachsystem: Brügelmann et al. gehen von der absurden Annahme aus, Schriftlichkeit sei einfach nur verschriftete Mündlichkeit. Der Sprachpsychologe Prof. Galliker erklärt, warum die Lehren vom Freien Schreiben von Anfang an in die Irre führen müssen: "Ein Schüler, der mit dem Schreiben beginnen soll, verspürt dazu kein Bedürfnis, da er höchstens eine vage Vorstellung davon hat, wozu er das Schreiben überhaupt gebrauchen kann. Demgegenüber benötigt das Sprechen in der Regel keine besondere Motivierung, denn die mündliche Sprache wird in ihrem Ablauf situativ reguliert." (255) Insofern ist das Freie Schreiben von Anfang an tatsächlich eine große Überforderung der Schreibnovizen. Prof. M. Galliker ergänzt dazu: "Die Schriftsprache ist eine Sprache ohne unmittelbar antwortenden Gesprächspartner, was für das Kind eine ungewohnte sprachliche Situation darstellt. […] 'Es handelt sich um eine monologische Sprache, das Gespräch mit einem weißen Blatt Papier, mit einem eingebildeten oder nur vorgestellten Gesprächspartner, während jede Situation der mündlichen Sprache ohne Anstrengungen des Kindes eine Gesprächssituation ist.' " (255)

Die zu erlernende Schriftsprache setzt einen hohen Grad an Abstraktionsfähigkeit voraus: Die so ganz anderen Bedingungsfaktoren für schriftsprachliche Kommunikation stellen Höchstanforderungen an die Schreibnovizen. Sie haben es nun mit einer Sprachform zu tun, die eine ausgeprägte syntaktische Gliederung verlangt, während sie doch zusätzlich auch gehalten sind, sich bei ihren Verschriftungsversuchen mit Hilfe der Anlauttabelle Wort für Wort und Satz für Satz um lautorientierte Schreibungen zu bemühen – mit Ergebnissen, die sie um das Erfolgserlebnis bringen, dass sie mit ihrem Schreiben - wie versprochen - erfolgreich kommunizieren könnten.

Auch der Sprachdidaktiker Prof. W. Eichler warnt vor der falschen Didaktik: Je stärker die Schreibnovizen inhaltlich involviert sind, umso schlechter ist die rechtschriftliche Umsetzung. (256) Er zieht Erfahrungswissen sowie empirische Untersuchungen und neueste Publikationen heran und bringt damit eine weitere der tragenden Säulen der Lesen-durch-Schreiben-Versionen und des brügelmannschen Schriftspracherwerbskonzepts zum Einsturz. Die frühen Texte der Kinder, so betont er, sind eher verschriftlichte orale Äußerungen, in mündlichem Sprachgebrauch abgefasst und grammatisch weitgehend spontan: "Dieses Wissen hat die Grundschuldidaktik eigentlich schon lange, vgl. u. a. H. Helmers Begriff des 'mündlichen Aufsatzes'. Auch in unseren empirischen Studien (u. a. VERA 3) kommen wir immer wieder zur Erkenntnis, dass die schriftlichen Produkte auch von Drittklässlern den Grundanforderungen an Texte nicht oder nur sehr eingeschränkt genügen." (256) Prof. Eichler weiter: "Wenn noch nicht einmal das Buchstabenarsenal vollständig erworben ist und kaum Regelbewusstheit in Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung vorhanden ist, würde ich bis zum Ende des 2. Schuljahrs auf das Verfassen von Texten, die mehr als eine Kurzäußerung sind, verzichten. Das schließt nicht aus, dass man gemeinsam z. B. eine kleine Anzeige, eine Grußkarte oder dergleichen in der Klasse gemeinsam verfasst oder dass die Kinder in vorgefertigte Formate (Lückentexte) etwas hineinschreiben. Ich würde auch die SMS gerne in die Frühtextsorten aufnehmen, wenn der Umgang mit Handys in diesem Alter tatsächlich unterstützt werden sollte.“ (256)

Mit der derzeit nach den Maßgaben des Offenen Unterrichts gängigen Unterrichtspraxis schon in Grundschulen

geben Pädagogen (gr./lat. = Kinderführer) ihre Rolle auf.

Mit Ideen dieser Art, dass Kinder sich mit Hilfe von Materialien den Weg in die Schriftsprache selbstregulativ lernend erarbeiten könnten, begründete Brügelmann seinen Ruf als Wissenschaftler:

"Ist wirklich ein systematischer Unterricht nötig, damit die Kinder lesen und schreiben lernen? Reicht es nicht aus, eine Vielfalt an Material und konkrete Anlässe zum Lesen und Schreiben bereitzustellen, um die natürliche Neugier der Kinder herauszufordern? Noch provozierender: Ist es gerade die Schule, die durch ihre Art der Unterweisung Barrieren zwischen den Kindern und der Schrift errichtet und damit Ursache für Lernschwierigkeiten wird?" (257)

Darüber, dass Unterrichtskonzepte für den Schriftspracherwerb didaktische Konzepte sein sollten, an deren Entwicklung wesentlich auch die betreffenden Bezugswissenschaften beteiligt sein müssen, setzen sich praxisferne Professoren und Seiteneinsteiger wie Brügelmann hinweg. Heute werden Unterrichtskonzepte für Grundschüler – von Ideen ausgehend - an Schreibtischen konstruiert: Irgendwie alternativ müssen sie sein und Auf-sehen erregen können - und nie zuvor erreichte Erfolge versprechen: Die jedoch nicht im Wissen und Können liegen müssen. Im Dunstkreis der neuen 'Pädagogik' gilt Kreativität gar als vorrangig anzustrebende Kompetenz.

Die neue Schriftspracherwerbsdidaktik hat es stets vermieden, die Kinder danach zu fragen, ob sie den materialzentrierten Unterricht tatsächlich lieber mögen, die Eltern hat sie ebenfalls nie zu Rate gezogen, welche Art von Unterricht sie – nach ihren Erfahrungen mit Kindern – für kindgerecht und erfolgversprechender halten, und die Ergebnisse aus Lehr-/Lernforschung sowie aus der Psychologie nahm man erst gar nicht ernst. Wer kennt diese Fragen nicht:

"Papa, zeigst du mir, wie man einen Drachen baut?"

"Mami, zeigst du mir, wie man sich eine Mütze häkelt?"

Auch an solchen immer wiederkehrenden Kinderfragen wird deutlich, wie Kinder es gerne hätten. Die Hintergründe für die Formulierungen solcher Kinderwünsche mag die moderne Schriftspracherwerbsdidaktik indes nicht zur Kenntnis nehmen: Sie könnten die Mär von der kindlichen Sehnsucht nach selbstregulativem Ausprobieren und Lernen beschädigen. Schulanfänger warten darauf, dass 'die Lehrexperten' ihnen mit personaler Nähe und im dialogisch geführten Unterricht erklären, zeigen und vormachen, warum etwas, was genau und wie etwas zu lernen ist. Und wie auch ihre Eltern vertrauen sie darauf, dass ihnen außer Wissen und solidem Können auch solche erprobten Aneignungs- und Verwendungsstrategien vermittelt werden, die sie vor Irrwegen und unökonomischen Verfahrensweisen beim Schreibenlernen bewahren können.

Während anderswo in Europa nach empirisch abgesicherten Erkenntnissen gelehrt wird, setzt die deutsche Pseudopädagogik auf nette Ideen. Hinreichend bekannt ist, dass die empirische Forschungskompetenz in der deutschen Erziehungswissenschaft stark unterentwickelt ist. Der junge Wissenschaftler Maik Philipp (Sprachdidaktiker), auf der Suche nach empirisch abgesicherten Studien zur Lehr- und Lernforschung, sah sich folglich im Ausland um und wurde gleich zigfach fündig, mit erstaunlichen daraus zu gewinnenden Erkenntnissen. (258) Als besonders wirksam für den Lernerfolg zeichnete sich dort der Unterricht nach der so benannten "kognitiven Meisterlehre" aus, die sich an der traditionellen Handwerkslehre orientiert: Der Meister demonstriert einen Werkablauf bis zu Fertigstellung eines Produkts – der Lehrling wiederholt mit der Unterstützung des Meisters den Werkablauf, übt darauf mehrere Male noch mit der (nach und nach abnehmenden) Unterstützung des Meisters – das eigenständige Üben schließt sich an, wovon Philipp sagt, es sei "etwas, das jeder erfolgreiche Sportler und Musiker ebenfalls tun muss. (Ericsson, 2006/in: 258)".

Nach einem in den USA hochgeachteten Pädagogen, Prof. Rosenshine, referiert M. Philipp in seinem Plädoyer "für die direkte, explizite Vermittlung kognitiver Fähigkeiten" (258):

"Nach allem, was bekannt ist, ist es günstig, Strategien direkt und explizit zu vermitteln. Das bedeutet, dass die Lehrperson vormacht und kommentiert, wie eine Strategie in der Anwendung aussieht, ehe die Schüler sie kleinschrittig anwenden und üben. Diese lehrpersonzentrierte Vermittlung dient dazu, ein Maximum an Struktur und Sicherheit zu geben, während es erklärtes Ziel ist, dass Schüler Fähigkeiten aktiv erwerben (Rosenshine, 2008)". (258)

"Den Einsatz von Methoden und Vorgehensweisen, die nicht auf ideologischen Moden basieren, sondern empirisch fundiert sind - wie in anderen Ländern weltweit bereits der Fall.", fordert auch Erziehungswissenschaftler Prof. M. Wellenreuther und verweist auf: "Warum minimale Hilfen während des Unterrichts nicht ausreichen: Eine Analyse des Versagens konstruktivistischen, entdeckenden, problembasierten, experimentellen und entdeckenden Unterrichtens (vgl. Kirschner, Sweller, Clark 2006)." (259)

Dass Schüler durch direktes Instruieren, Vormachen und durch direktes verständliches Erklären schneller und effektiver lernen als mit offenen Lernmethoden und dieses Wissen auch auf neue Situationen transferieren können, finden wir in nicht mehr zählbaren anglo-amerikanischen Studien, zuletzt bei Hattie, in Deutschland jüngst gewissenhaft aufgearbeitet bei Prof. M. Wellenreuther (forschungsbasierte Schulpädagogik). (260)

Eltern bezeichnen inzwischen die Lesen-durch-Schreiben-Versionen als Konzepte mit eingebauter Verantwortungslosigkeit, und eine nicht mehr zu übersehende Anzahl namhafter Fachwissenschaftler ist entsetzt darüber, dass solche wissenschaftsfernen und schädlichen Konzepte Eingang in die Schulen finden konnten. (Siehe dazu: http://www.­grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%2022.htm !) Bundesweit beklagen Eltern den kinderfeindlichen Anfangsunterricht - mit Konzepten, deren wissenschaftliche Seriosität und Erfolge nie nachgewiesen werden konnten. Die Erfinder und Verbreiter solcher kruden Unterrichtslehren schieben ihre Verantwortung für das Debakel auf die LehrerInnen vor Ort ab. Galleonsfigur der Abwiegler ist wieder einmal Brügelmann:

Dieser penetranten Werbung, dass die Lesen-durch-Schreiben-Versionen "fruchtbare methodische Ansätze" seien, wird von Fachwissenschaftlern schon seit langem auf der Basis solider Forschungsergebnisse vehement widersprochen. Die LehrerIn­nen müssen allerdings nicht beunruhigt sein, wenn sie nun für das Scheitern so vieler Kinder verantwortlich gemacht werden: Nicht wenige haben ebenso Strategien entwickelt, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Sie greifen zurück auf die abstru­sen Lehren der Reichens und Brügelmänner, der konstruktiven Didaktik also, und erklären den Eltern ihre pseudowissen­schaftlichen Positionen: Schreibfähigkeit kann nicht lehrgangsgemäß vermittelt werden, sie wird vielmehr aufgrund eigener Erfahrungen vom Individuum als aktiver Umgang mit dem Lerngegenstand selbst konstruiert: nämlich von Anfang an beim selbstregulativen und eigenverantwortlichen Lernen. Prof. M. Wellenreuther (forschungsbasierte Schulpädagogik) formuliert mit deutlicher Kritik: "Da Schüler nur lernen, wenn sie sich alles selbst konstruieren und aneignen, verlagert sich das Gefühl der Verantwortlichkeit für das Lernen in der Schule vom Lehrer auf den Schüler. Wenn Schüler dann wenig lernen, ist dafür der Schüler, und nicht der Lehrer verantwortlich. Der Lehrer braucht also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn manche Schüler wenig lernen. Lehrer können sich dann auch mal zurücklehnen und das Lernen den neuen Unterrichtsmaterialien überlassen." (260) Würden Eltern von Schreibnovizen bei solchen unterrichtlichen Verhältnissen nur untätig zuschauen, müsste man ihnen Kindeswohlgefährdung vorwerfen.

IX.

Zur Praxis des ’Freien Schreibens’ im Schulalltag

Die Konzepte der Lesen-durch-Schreiben-Versionen sind auch die Konzepte des 'Freien Schreibens'. Das kennen Eltern mindestens aus den Klassen 1-3:

Fragen Eltern die Lehrerin ihres Kindes, ob sie nicht ihre Befürchtungen teilen könne,

hören sie in aller Regel nach dieser Frage Folgendes:

Exakt dies sind auch die Argumente der Lernmittelentwickler und der Lernmittelindustrie, mit denen die Grundschullehrerinnen in deren Sinn positioniert wurden. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen lässt sich diese Argumen­tation nicht ableiten, das Gegenteil ist der Fall. Unkritische Lehrerinnen, die ohnehin in der Regel nur wenig geneigt sind, neuere pädagogische Fachliteratur nach den aktuellen Entwicklungen zu befragen, folgen allerdings auch dieser Argumentati­on sehr engagiert. Auch das ist Realität:

X.

'Learning by doing’ - ein Prinzip, das der Überwachung bedarf

 

Mit den Unterrichtskonzepten 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' und 'Freies Schreiben' vergrößert sich für ein Kind mit der Einsicht, dass Schrift die Verschriftlichung der gesprochenen Sprache ist, der Handlungsrahmen für seine eigenen Schreibversuche mit Hilfe der Anlauttabelle. Beabsichtigt ist mit diesem neuen Unterricht auch, auf diesem Wege die Kinder zu größerer Eigenaktivität herauszufordern: Das Kind darf mit Hilfe der gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse konstruieren, ausprobieren, experimentieren und dabei zu einem für sich schlüssigen Ergebnis kommen. Learning by doing! Bekannt ist: Was auf diesem Wege gelernt wird, bleibt besonders gut haften. Verhängnisvoll ist, dass sich Kinder, deren zentrales Arbeitsmittel über viele Monate oder gar Jahre hinweg die Anlauttabelle ist, falsche Prinzipien und Strategien aneignen: Schließlich ist das phonematische Prinzip überformt durch andere Prinzipien (z. B. d. d. morphematische, historische, grammatikalische, semantische Prinzip), die die Wirksamkeit der Anlauttabelle insbesondere für die In- und Auslaute außer Kraft setzen. Das wiederum bedeutet, dass der Lernweg mit der Anlauttabelle in einer nicht übersehbaren Anzahl von Fällen nicht der richtige Weg sein kann, die Rechtschreibung zu erlernen, - und die auf diesem Wege gelernten Fähigkeiten und nicht unerhebliche Anteile des mit Hilfe der Anlauttabelle erworbenen Wissens lediglich vorläufigen Charakter haben, also falsch sind. Bei Kindern prägen sich der gefundene Lösungsweg und das in intensivem und mühevollem Konstruktionsprozess gewonnene Ergebnis in besonderem Maße dann ein, wenn die Lehrerin durch entsprechende Signale das Bemühen der Kinder z. B. mit einem „Prima!“ als 'erfolgreich' bewertet. Das menschliche Gehirn ist indes kaum vergleichbar mit einer Computerfestplatte, auf der Daten beliebig oft gelöscht und ersetzt werden können. Lernen und Gedächtnis gehen stets mit Strukturveränderungen im Gehirn einher, und nach häufigem Üben und Wiederholen haben sich dann neue stabile Nervenbahnen aufgebaut. (130) Hirnforscher berichten davon, dass sich solche strukturellen Veränderungen häufig nicht mehr rückgängig machen lassen. (131) Kinder, die einmal ein falsches und holpriges Deutsch "perfekt" gelernt haben, haben größte Schwierigkeiten, die Sprache korrekt zu erlernen. Der Hirnforscher Manfred Spitzer dazu:

"Ja, das Gehirn ist natürlich nur bedingt eine Computerfestplatte. Das Gehirn ist eine verschneite Landschaft, auf der dann Spuren entstehen, dadurch, dass man auf der rumläuft. Und je besser man sozusagen von A nach B und wieder von B nach A läuft, entstehen halt schöne Trampelpfade. Und der Punkt ist der, der Schnee wird dann immer härter und immer härter, und dann sind neue Trampelpfade immer schwieriger zu machen. Und wenn Tiefschnee ist, ist das sowieso sehr beschwerlich, und man nimmt viel lieber den, der schon da ist. Und es hat tatsächlich im Jahr 2003 z. B., da gibt’s ne schöne Arbeit, die ist in dem Fachblatt Science erschienen, wo man ganz klar nachgewiesen hat, dass, wenn erst mal Repräsentationen in der menschlichen Gehirnrinde entstanden sind, also Nervenzellen, die für was Bestimmtes stehen, dann hat man ganz große Mühe, die zu löschen und dann wieder was Neues zu lernen: im Gegenteil, die sind sehr veränderungsresistent. Und gerade, wo man so was weiß, finde ich es sehr wichtig, dieses Wissen zu nutzen und dann zu sagen: «Wir lernen’s von Anfang an richtig und nicht erst falsch - und dann noch mal anders.»" (129)/(http://www.grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%2013.htm/Kap. XVII.)

Auch gegen diese Praxis haben Eltern Bedenken - zurecht: dass Kinder sich Falschschreibungen, die ohne den Gebrauch der Anlauttabelle entstanden sind, unumkehrbar einprägen könnten, wenn selbst die ärgsten Fehlschreibungen ständig mit posi­tiven Kommentaren wie „Weiter so!“ bedacht werden:

Ich tue meine Schue in die Tasche.

Greta verschriftet „Schue“ wie „tue“. Die Lehrerin sagt: “Schön!“ Das Kind hat ein Erfolgserlebnis. „Schue“ werde sich bei Gre­ta nun nicht etwa als Schriftbild abspeichern, so konnten es lange Jahre die Vertreter des Spracherfahrungsansatzes verbrei­ten: Die Didaktikerin Gerheid Scheerer-Neumann wollte herausgefunden haben, dass sich falsch Geschriebenes nicht ein­prägt. (50) Bereits in 1990 veröffentlichte A. S. Brown eine Reihe von Untersuchungen, die allerdings eindrücklich belegen, dass die häu­fige Konfrontation mit falschen Schreibweisen die Fähigkeit zur korrekten Schreibung nachhaltig beeinträchtigen kann. Dabei treffen diese Befunde auf alle Altersklassen zu. (64) Gar für “Unsinn“ hält ein renommierter Würzburger Wissenschaftler den Befund Scheerer-Neumanns (in: 'Mainpost Würzburg' vom 16.02.2012/Stand 10.11.2013/ ferner in seinen Veröffentlichungen zur Entwicklungspsychologie): “«Seit vierzig Jahren beschäftige ich mich mit Gedächtnisforschung. Dass sich ein falsches Schriftbild einprägt, ist belegbar», so der Würzburger Psychologieprofessor Wolfgang Schneider. Aus Sicht der Gedächtnisfor­schung sei die aktuell verwendete Schreiblernmethode falsch“.

Abspeichern wird sich bei Greta also gleich mit zweifacher Gewissheit die Schreibung “Schue“: als Schriftbild und, vielleicht nachhaltiger noch, der Konstruktionsprozess, wie sie über die Lautabfolge „tue“ die Schreibung zu „Schue“ gefunden hat – und natürlich wird Greta auch behalten, dass die Lehrerin ihr Wohlgefallen signalisiert hat – das macht sie sicher. Nach demselben Konstruktionsprinzip wird Greta nun auch anstatt «Ruhe» >«Rue» schreiben. Jedes verinnerlichte falsche (wie auch richtige) Konstruktionsprinzip hat Folgen. Die pädagogische Psychologie weiß: Jede Rückmeldung wie „Schön!“ wirkt sich verstärkend auf die Speicherung im Langzeitgedächtnis aus. Beispiel «fertig»: Greta schreibt: „Die Suppe ist fertig. Die Mutter hat aber das Salz fergessen. Die Lehrerin kommentiert: “Fein, Greta!“ Freies Schreiben eben! Greta hat soeben wieder ein falsches Konstruktionsprinzip dazugelernt, sie wird es abspeichern und auch anwenden bei der Verschriftung von verbrennen, verschließen, verplempern, ..... . Eltern wie Lehrerinnen werden in die Irre geführt, wenn sie - wie bei Sommer-Stumpenhorst gefunden – lesen: „Kinder prägen sich keine Falschschreibungen ein. [Der Irrtum mit dem Wortbildspeicher].“ (62) Diese Versicherung ist nicht mehr als der Versuch, Eltern auf unredliche Weise ruhig zu stellen. Noch einmal:

Zu ergänzen sei noch, worauf denn nun Kinder bei ihrem Konstruktionsprozess zurückgreifen. Schon seit Beginn des Schreiblernprozesses, der bei manchen Kindern ja auch schon vor dem eigentlichen Schuleintritt liegen kann, speichern die Kinder sog. „Schreibschemata“: Schreibschemata sind durch „abstrakte" Laut-Buchstaben-Zuordnungen gebildet: als lineare Buchstabenfolgen mit Verwandtschaft zum jeweiligen Lautschema. Die konkrete Schreibung wird dann durch Schreibregeln bestimmt. Schemata sind aber nicht nur Wörter, sondern auch Buchstabenkombinationen, dann allerdings bezeichnen G. Augst/M. Dehn diese als „Muster“. (65) Schon bald in der 1. Klasse werden die verinnerlichten Schreibschema­ta und Muster abgespeichert. Kindern dienen Schreibschemata/Muster quasi als Konstruktionselemente für ihre Konstruk­tionsprozesse, zu denen auch Analogbildungen (Siehe Beispiel oben „Rue“!) gehören. Aus den erfolgreich abgearbeiteten Kon­struktionsprozessen heraus entwickeln die Kinder regelrechte Lösungsstrategien. (66)

Die von den Prof. Brügelmann/Brinkmann vorgetragenen Ansichten sind nicht mehr als eben dies - Ansichten, die sie durch nichts belegen können, es gibt nicht eine Studie, die dies zu Tage gefördert hätte: "Insofern ist der Vorwurf , den Kindern werde vorgegaukelt, es gebe eine 1:1-Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben und eine solche Vorstellung verfestige sich bei ihnen, unberechtigt. Dagegen, dass der Unterricht so wirke, spricht, dass die Kinder die Wörter immer wieder anders schreiben, also neu konstruieren, und dabei die Zeichenvielfalt voll ausschöpfen." (67) Im Anschluss an dieses Statement ist aber auch eine ganz andere Frage zu stellen: Was sollen Kinder eigentlich gelernt haben, wenn sie bei der Konstruktion eines bestimmten Wortes mehrfach die "Zeichenvielfalt voll ausschöpfen" dürfen - und das jeweils mit einer Belobigung durch die Lehrerin?

Die Gefahr, dass Kinder sich falsche Konstruktionsprinzipien bzw. -muster einprägen, ist jedoch beim Schreiben nach Gehör/bei der Arbeit mit der Anlauttabelle recht groß. Anderslautende Ansichten, dass sich die Verschriftungsergebnisse aus der Arbeit mit der Anlauttabelle nicht verfestigen und Kinder ihre Wörter bei jedem neuen Konstruktionsversuch immer wieder anders schreiben, sind weder plausibel noch in irgendeiner wissenschaftlichen Studie abgesichert. Gegen diese Annahme spricht:

Die Folgen des freien Schreibens, bei dem die Lehrerin die Rechtschreibung unberücksichtigt lässt und wildes Drauflosschreiben regelrecht fördert, sind schlimm:

Geradezu närrisch ist die vielfach aufgestellte Behauptung, man dürfe Kinder in ihrer Kreativität nicht einschränken und ihre Schreibmotivation könnte schon dann gehemmt werden, wenn man daran ginge, mit ihnen Fehlschreibungen korrigieren zu wollen. Schon seit Jahrzehnten dürfte sich unter Lehrerinnen herumgesprochen haben, dass während des Schriftspracherwerbs produzierte Fehlschreibungen nicht als Fehler zu gelten haben, weil die Kinder sich noch in einem Lernprozess befinden. Das lässt sich den Kindern auch erklären, ohne den stigmatisierenden Terminus „Fehler“ anzuwenden: „Du möchtest schreiben lernen, wie die Erwachsenen es können.“ Danach sollte man allerdings den Kindern auch erklären, nach welcher Strategie die Erwachsenen ein Wort z. B. anders schreiben. Freilich, viele Male muss man ihnen auch erklären, dass das betreffende Wort eines der Lernwörter ist, die man ganz einfach lernen muss, zu dessen Schreibung es keine Regel gibt, vielleicht aber eine Eselsbrücke weiter helfen kann. Völlig unstrittig bei seriösen Fachleuten ist, dass Kindern auf Nachfrage nach einer Schreibung immer nur eine wirklich zutreffende Erklärung zu geben ist. Vom einfachen Vorma­chen oder Vorschreiben profitiert das Kind in keiner Weise. Gerne bezeichnen nach dem Konzept 'Lesen durch Schrei­ben'/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' unterrichtende Lehrerinnen die vielen beim freien Schreiben produzierten Fehler als „Lernchancen“. Wie aber das, wenn nicht daran gearbeitet wird? Das kennen Eltern doch selbst noch aus Ihrer eige­nen Schulzeit, wenn die Lehrerin sagte: „Aus Fehlern lernt man!“. Und dann wurde daran gearbeitet. So waren Fehler wirklich „Lernchancen“. Prof. Mechthild Dehn, Erziehungswissenschaftlerin mit den Fachgebieten Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, hält es für richtig, in den ersten Monaten nach der Einschulung schreibmotorische und orthographische Fehler zu dulden, aber auch während dieser Zeit schon die Kinder zum Fragen aufzufordern und ihnen auch bereits Möglich­keiten zur Orientierung an der orthographischen Norm anzubieten. (68) Auch die Professorinnen Dr. Iris Füssenich und Dr. Cordula Löffler fordern eine verantwortliche (und nachahmenswerte) Auffassung vom freien Schreiben : „Meist überwiegt in der ersten Klasse das freie Schreiben und wird durch angeleitetes Schreiben (Schreiben nach Vorgaben) ergänzt. Texte von Kindern, die im Unterricht entstehen, werden auch beurteilt und korrigiert.“ (69) Nur derjenige, der auf diese Weise pädagogisch handelt, nimmt Kinder wirklich ernst. Das spüren natürlich auch die Kinder. Denn: Kommen sie dahinter, dass ihre Schreibungen nur den Charakter des Vorläufigen haben und letztlich nicht als vollwertig angesehen werden, ist das schon ziemlich demotivierend für die Kinder - eine vorerst kaum mehr zu korrigierende Arbeitshaltung ist die unausbleibliche Folge. An dieser Stelle soll noch einmal Prof. Agi Schründer-Lenzen zu Wort kommen: „Trotz teilweise euphorisch vorgetragener Hoffnungen, die sich mit dem Konzept des ’Freies Schreibens’ verbinden, hat sich doch zunehmend die Einsicht durchgesetzt, dass ‚’Rechtschreiben von Anfang an integrierter Teil der Rechtschreibentwicklung ist’ (Bartnitzky) ist und auch der Systematisierung durch angeleitete und wiederholende Übungsphasen bedarf.“ (70)

XI.

Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten und –störungen werden zu oft nicht erkannt:

Die Folgen können lebensentscheidend sein.

Spätestens während oder nach der 2. Klasse muss schlüssig geklärt sein, welche Kinder Schwächen aufweisen und wie sie individuell am effektivsten gefördert werden können.

Lese-Rechtschreib-Schwächen können sich aber nicht nur etwa bei späteren Einstellungstests oder beim beruflichen Werdegang nachteilig auswirken. Der schon oben erwähnte Prof. Schulte-Körne warnt darüber hinaus vor möglichen schlimmen krankhaften Erscheinungen, die Folge nicht behandelter Lese-Rechtschreib-Schwäche sein können:

Das alles muss nicht zwangsläufig eintreten, wenn ein Kind von einer nicht behandelten Lese-Rechtschreib-Schwäche betroffen ist, aber das Risiko ist da.

Mit ihrem Buch 'Lernschwierigkeiten am Schulanfang' (78) sorgen derzeit Prof. Dr. Dr. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen (†) bei Eltern und Lehrerinnen für Aufregung. Breuer und Weuffen fanden in ihrer langjährigen Arbeit heraus, dass von den 23.454 untersuchten Schülern in den 1. und 2. Klassen 26,5% der Kinder Lernprobleme hatten. Davon waren

Allesamt waren diese Kinder bereits im Anfangsunterricht durch ihre Schwierigkeiten beim Schreiben- und Lesenlernen aufgefallen. Werden die Schwächen beim Schreiben- und Lesenlernen nicht spätestens bis zum Ende des 2. Schuljahres durch genaues Hinsehen und mit hinlänglich kritischer Urteilsfähigkeit erkannt, ist für viele dieser Kinder ein Desaster für ihre weitere Schullaufbahn vorgezeichnet. Bei derzeit alljährlich in Deutschland eingeschulten (noch) 1 Million Kindern sind Jahr für Jahr weit mehr als 100.000 Kinder betroffen.

Besorgte Eltern, die vermuten, dass bei ihren Kindern Defizite beim Schriftspracherwerb vorliegen, werden beklagenswert oft von Lehrern und Lehrerinnen vertröstet: "Geduld! Ihr Kind lernt nur langsamer als die anderen!"

Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen (†) warnen : "Die negative Langzeitwirkung von Lernschwierigkeiten am Schulanfang kann außerdem durch gut gemeinte Verströstungen in Gang gesetzt werden. Auch Fachleute äußern gegenüber den Eltern leider die häufige Meinung, die Schwierigkeiten würden sich bald «auswachsen» und ganz von allein im Verlaufe der Zeit verschwinden. Geduld sei angezeigt. Die Realität beweist, dass damit falschen Hoffnungen das Wort geredet wird. In vielen Fällen kommt es zur Verschärfung des Konflikts." (79) Tatsächlich, so Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen, verbessern sich nämlich lediglich 8% der betroffenen Kinder, das sind gerade einmal 8000 der insgesamt jährlich mit Defiziten eingeschulten 100.000 Kinder. 25% der betroffenen Kinder verschlechtern sich sogar nach der ersten Klasse in unter­schiedlichem Ausmaß, das sind immerhin 25.000 Kinder. (80) Dass aber in den meisten Fällen der allgemein gehaltene Ratschlag der Lehrerin "Ihr Kind muss das Gelernte noch öfter wiederholen!" oder "Ihr Kind muss mehr üben!" nicht als solide Beratung gelten kann, wird noch zu zeigen sein.

Langzeituntersuchungen von Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen belegen, dass nahezu 40% der Kinder mit schlechten Lernergebnissen im Anfangsunterricht mindestens einmal eine Klasse wiederholen mussten, auf eine Schule für Lernbehinderte wechselten oder vorzeitig die Schule verließen - viele der 40% ohne Schulabschluss. (81) Alle maßgeblichen Wissenschaftler sind einhellig der Ansicht, dass Früherkennung und individuelle Förderung von Kindern mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten/-störungen dringend erforderlich sind. (82) Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen unterscheiden in terminologischer Hinsicht nicht in Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Lese-Rechtschreib-Störungen, deren Ursachen u. a. in bestimmten genetischen Dispositionen zu suchen sind und möglicherweise den Charakter einer Krankheit aufweisen, die als Legasthenie bezeichnet wird. Diese nur schwer therapierbare 'Krankheit', die schlüssig nur von speziell ausgebildeten Psychologen und Ärzten diagnostiziert werden kann, führt zu teilweise erheblichen Störungen bei der zentralen Aufnahme, Verarbeitung und Wiedergabe von Sprache und Schriftsprache. Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen sprechen, wenn sie die Schwierigkeiten der Kinder beim Schreiben- und Lesenlernen fokussieren, von 'Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwäche und anderen Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht'.

XII.

Wegschauen schadet den Kindern:

Den meisten Kindern könnte nachhaltig geholfen werden

In der Regel sollten Kinder zum Zeitpunkt des Schuleintritts die Lautsprache auf der Laut-, Wort- und Satzebene beherrschen, zunehmend ist das jedoch eher eine Annahme, die keineswegs die Realität abbildet. Für die meisten der oben genannten 26,5% der Kinder aus 1. und 2. Klassen gilt eine andere Realität. Sie verfügen lediglich über eine schwache lautsprachliche Kompetenz, was sich negativ auf den Schreib-/Leselernprozess auswirkt. Jahrzentelange interdisziplinäre Untersuchungen, in die mehr als 10.000 Kinder einbezogen waren, zeigten, dass der Grad der Entwicklung in den sprachbezogenen Wahrnehmungsbereichen entscheidende Bedeutung für den Prozess des Schreiben- und Lesenlernens hat.

Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen unterscheiden fünf Sprachwahrnehmungsleistungen:

Grundlagenfunktionen haben auch die lautsprachlichen Grundfertigkeiten, deren Entwicklung nicht nur von großer Bedeutung für das Schreiben- und Lesenlernen ist, sondern auch für die Entwicklung mathematischer Grundfertigkeiten.

Weiterhin unterscheiden Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen in vier lautsprachliche Grundfertigkeiten:

Nicht selten liegen bei Kindern mit Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den lautsprachlichen Grundfertigkeiten mehrere Störungen gleichzeitig vor, die in vielen Fällen wegen ihrer Interdependenzen dazu auch noch verstärkende Einflüsse untereinander ausüben.

Die Ursachen für Defizite im Bereich der Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den genannten lautsprachlichen Grundfertigkeiten sind unterschiedlichster Natur:

Grundschullehrerinnen berichten immer wieder davon, dass einige der genannten Defizite in den Sprachwahrnehmungsleis­tungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten von Jahr zu Jahr häufiger auftreten. Die Schulpolitik indes ist offenbar kaum geneigt, davon Kenntnis nehmen zu wollen.

Für Defizite in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten sind oft mehrere Faktoren ver­antwortlich (z. B. auch ein anregungsarmes soziales Umfeld), die in gewissen Fällen ein bestimmtes Problem verschärfen kön­nen. Generell ist davon auszugehen, dass - mit Ausnahme der allgemeinen Lernschwäche - die genannten Ursachen aber nicht mit einer Intelligenzschwäche korrelieren. ADS/ADHS- und legasthene Kinder z. B. sind oft intelligente, auch hochbegabte Kinder.

*Forschungsergebnisse besagen, das Zweisprachigkeit durchaus nicht zu Nachteilen führen muss, wenn die Herkunftssprache systematisch (als Gegenstand und Medium des Unterrichts) didaktisch in das Unterrichtsgeschehen einbezogen wird. Der Deutsch-Didaktiker Prof. J. Ossner führt dazu aus: "Man kann nicht darauf bauen, dass ständiger Sprachkontakt automatisch zu positiven Ergebnissen führt." Weiter heißt es: "Wünschenswert wäre also ein Unterricht, in dem zweitsprachige Kinder und Jugendliche zweisprachig unterrichtet werden. Davon ist die Realität allerdings häufig weit entfernt und ein solcher Zustand ist auf die Schnelle auch nicht erreichbar." (85) Das heißt, dass bei Migrantenkindern die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache durchaus auch weiterhin Ursache für Defizite im Bereich der Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den genannten lautsprachlichen Grundfertigkeiten sein können.

 

XIII.

'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') /'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben':

Probleme werden nicht erkannt - oder per Definition aus dem Wege geräumt

 


Die Verfechter der Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' versuchen sich seit Jahren gegen diese Problematik zu immunisieren, indem sie ohne jegliche seriöse Begründung, erst recht nicht aufgrund wissenschaftlicher empirischer Untersuchungen, vom ersten Schuljahr an die Kinder in lernstarke, schnell lernende und langsam lernende Kinder einteilen und damit die Frage der Defizite in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten bei immerhin hierzulande derzeit weit über 100.000 neu eingeschulten Kindern mit Schwierigkeiten/Störungen schlichtweg ignorieren. Aus der Anlage seiner Schrift „Richtig Schreiben lernen von Anfang an“ (86) sowie aus dem Konzept seiner 'Rechtschreibwerkstatt' wird deutlich, dass Sommer-Stumpenhorst - wie auch alle anderen, die die Konzepte 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' vertreten - nur von lern­starken, schnell lernenden und langsam lernenden Kindern spricht und ganz offenbar davon ausgeht, dass Lese-Rechtschreib-Schwächen/-Störungen ausschließlich die Folge von Entwicklungsverzögerungen sind. Die Folge dieser Annahme ist, dass er es für richtig hält, die lernstarken, die schnell lernenden und die langsam lernenden Kinder mit denselben Materialien bedienen zu können. Der oben beschriebene Problemkreis der Kinder mit Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten, immerhin weit über 100.000 der alljährlich insgesamt Eingeschulten, bleibt außen vor. Es gibt sie zweifelsohne, die lernstarken, schnell lernenden und langsam lernenden Kinder, aber es gibt eben auch die große Gruppe der Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwächen/-Störungen, von denen die allermeisten keinerlei In­telligenzschwächen aufweisen.

Dieses Prozedere ist von wirklicher Individualisierung weit entfernt. Für Kinder mit den oben aufgezeigten unterschiedlich verursachten Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten von vornherein anzunehmen, sie seien allesamt langsam lernende Kinder, ist ein schlimmes Versäumnis mit fatalen Folgen. Die sogenannten langsam lernenden Kinder jahrelang mit immer denselben Materialen, Wiederholungen und stereotypen Abschreibübungen zu befassen und sie beim freien Schreiben über die Maßen fehlerhafte Wörter/Texte konstruieren zu lassen und darauf zu warten, dass der Knoten dennoch eines Tages platzt, sind auch die Folgen einer verantwortungslosen, leider oft genug kommerziell gesteuerten Didaktik. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Lehr-/Lernmittelentwickler und Didaktiker noch nie etwas von den möglichen unterschiedlichen Defiziten bei Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten gehört haben. Bei der 'Begründung' des Glaubenssatzes von den schnell lernenden und langsam lernenden Kindern gehen gewisse moderne Didaktiker sowie sämtliche Entwickler neuer Lehr-/Lernmittel für den neuen Anfangsunterricht, wie sie selber formulieren, von 'Annahmen', (selbst entwickelten) 'Thesen' und 'Theorien' aus, für Prof. Hanke genügt sogar, dass der "pädagogisch-didaktische Ansatz der ’Öffnung des Unterrichts’ sich als ein Konstrukt aus theoriegeleiteter Perspektive als plausibel und für die Realisierung des Bildungsauftrags der Grundschule als brauchbar erweist." (87) Für Urbaneks 'Tinto' heißt es in der Werbung: „Grundlage der Materialien in der Lehrwerksreihe ist die Idee, dass Kinder sich den Weg in die Schriftsprache weitgehend selbstständig erarbeiten können.“ Beim Einsatz von Unterrichtsmethoden, die sich auf "Konzepte", "Annahmen", (selbst entwickelte) "Thesen", "Theorien" oder auf eine "'Idee" gründen, können folglich Kinder auch nur den Stellenwert von Versuchskaninchen haben. Wer eigentlich würde sich von einem Arzt operieren lassen, der sich bei seinen Operationsmethoden auf fragwürdige und widerlegte Konzepte, Annahmen und Theorien oder gar auf eine Idee beruft? Zunehmend hat sich inzwischen auch bei Universitätsprofessoren, die ihre Lehre auf ihren theorieorientierten Unterrichtsmethoden aufbauen, der Sinn fürs Kommerzielle entwickelt. Sie greifen werbend in den Lehr-/Lernmittel-Markt ein oder entwickeln und verkaufen inzwischen sogar ihre eigenen theoriekonformen Lehr-/Lernmittel. Der Absturz der eigenen Glaubenssätze würde Einbußen in zweierlei Hinsicht bedeuten: Prestigeverlust und finanzielle Ausfälle. Schwache Voraussetzungen also für Hoffnungen, die Risiken und Folgen der Methode 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' mit Lehr-/Lernmittelentwicklern und Didaktikern auf der ethischen Ebene diskutieren zu können. Besondere Bedeutsamkeit gewinnt das alles vor dem Hintergrund, dass es bisher nicht eine Studie gibt, die das Konzept 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') mit den Methoden Sommer-Stumpenhorst, 'Tinto', 'Lesen durch Schreiben' (von Reichen), /'Spracherfahrungsansatz' sowie die im Anschluss daran praktizierte und zu Recht immer wieder angegriffene Form des freien Schreibens als erfolgreicher als den Unterricht mit einer modernen Fibel ausgewiesen hätte, die von Schulleuten mit jahrzehntelanger Erfahrung in Grundschulen konzipiert wurde. Das Gegenteil ist der Fall.

XIV.

Eltern werden von Lehrern/Lehrerinnen getäuscht:

"Wir unterrichten nicht nach 'Schreiben nach Gehör' oder 'Lesen durch Schreiben', sondern mit einem Methodenmix!"


Nicht wenige Verfechter der Schreiben-nach-Gehör- oder Lesen-durch-Schreiben-Versionen desinformieren planvoll die Eltern und versichern:

Entscheidungen zum Einsatz von Unterrichtsmethoden sind stets abhängig vom Gesamtrahmen didaktischen Handelns. Für alle Lesen-durch-Schreiben-Versionen gibt die von Prof. Brügelmann geforderte konstruktivistische Didaktik als Gesamtrahmen didaktischen Handelns vor, dass Schreibfähigkeit nicht lehrgangsgemäß vermittelt werden könne, Schreibfähigkeit werde vielmehr aufgrund eigener Erfahrungen vom Individuum als aktiver Umgang mit dem Lerngegenstand selbst konstruiert: nämlich von Anfang an beim selbstregulativen und eigenverantwortlichen Lernen.Das heißt, dass die vielen methodischen Formen des direkten Unterrichts, die sich seit Jahrzehnten in internationalen Studien als besonders wirksam erweisen, im modernen Unterricht keinen Stellenwert mehr haben sollen. Unterrichtsbeherrschend ist die konstruktive Didaktik mit den Methoden des Offenen Unterrichts, deren Unwirksamkeit, nach zahllosen empirisch arbeitenden Wissenschaftlern, zuletzt Hattie in seiner großen Studie nachwies (214)

Kinder sollen sich mit Hilfe von Materialien weitgehend selber unterrichten, ihr "Wissen" sollen sie sich selber "konstruieren": selbstregulatives Lernen von Anfang an. Der Lehrer wird zum Lernbegleiter, Moderator oder Coach, die neuen Veranstaltungen werden zum "Unterricht ohne Belehrung" und laufen 'materialzentriert' ab: 'Stilles' Arbeiten mit Abschreibvorlagen, mit allen möglichen Versionen von Arbeitsblättern, Kärtchen, Spielen, … . Dieses ständig sich wiederholende selbstregulative und materialzentrierte 'Lernen' ist zweifelsohne kein 'Lernen mit einem Methodenmix', sondern 'Lernen' nach den unwirksamen Konzepten des Offenen Unterrichts.

LehrerInnen, die dem Diktat der konstruktivistischen Didaktik folgen, bringen sich vielmehr selbst gewählt um ihre Methodenfreiheit. Wer den Glaubenssätzen der konstruktiven Didaktiker verfallen ist, kennt nur noch diesen Unterricht: in dem Kinder sich mit Hilfe von Materialien ihr "Wissen" selber "konstruieren" sollen.Ein Sammelsurium von Raubkopien und Ideen aus Lehrwerken mit den unterschiedlichsten Denkansätzen sowie aus Stegreiferfindungen dominiert derzeit unter dem irreführenden Terminus 'Methodenmix' den modernen Schriftspracherwerbsunterricht: mit einer kruden Vermischung von Angeboten zum 'selbstregulativen Lernen', die nicht miteinander kompatibel sind oder sich tatsächlich auf einen soliden sprachdidaktischen Ansatz berufen können. Aufgehübscht haben inzwischen alle Herausgeber der Lesen-durch-Schreiben-Versionen ihre Materialsammlungen mit Häppchen aus den Aufgabenstellungen der fundierten Lese- und Schreiblehrkonzepte und bezeichnen auch das als 'Methodenmix', als Vorlagen dienen dazu

die analytisch-synthetischen Lese- und Schreiblehrkonzepte:

seit Jahrzehnten in BRD und DDR erfolgreich praktizierte Ansätze, in der Expertise "Erfolgreiche Sprachförderung …" (2012) Berlin-Brandenburg ausdrücklich empfohlen von Prof. Dr. Renate Valtin (Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben), Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Ehlich, Dr. Beate Lütke et al. . (263)

die Silbenkonzepte:

besonders erfolgreich auch im Einsatz bei Kindern mit Problemen beim Schriftspracherwerb, insbesondere sehr gut geeignet für Migrantenkinder mit geringen Sprachkenntnissen.

die morphembasierten Schreiblehrkonzepte:

besonders erfolgreich im Einsatz bei Kindern mit Problemen beim Schriftspracherwerb (255)

Diese Konzepte können sich auf konsistente sprachdidaktische Ansätze berufen. Versuche, aus den darauf basierenden Lehrwerken besonders attraktive Arbeitsaufgaben als Häppchen für die 'Stillarbeit' irgendwo und irgendwie in dem systemlosen Unterricht nach den Lesen-durch-Schreiben-Versionen unterzubringen, darf man durchaus als Alibi-Veranstaltungen sehen. Werden Unterrichtselemente aus systembasierten Konzepten in die Systemlosigkeit des Unterrichts nach den Prinzipien des »Schreibenlernens 'nach Gehör' u. mit der Anlauttabelle« eingefügt, finden sie dort keine Bezugsebene und bleiben völlig wirkungslos. Auf die Verwirrung stiftenden Wirkungen bei Kindern, die ohnehin bereits per Unterricht ohne System in die Irre geführt werden, muss hier nicht weiter eingegangen werden. Hinzu kommt: Die analytisch-synthetischen und morphembasierten Lese- und Schreiblehrkonzepte sowie die Silbenkonzepte bedürfen der Direkten Instruktion bzw. eines Unterrichts im Sinne der 'kognitiven Meisterlehre'. Kein Problem für die Methodenmixer: Sie verfahren mit den aus den systemgeleiteten didaktischen Ansätzen entlehnten Ideen ihren Dogmen entsprechend: Schreibfähigkeit kann nicht lehrgangsgemäß vermittelt werden.

Zu den wohl am häufigsten im sog. 'Methodenmix' angebotenen Aufgaben gehört das Abschreiben. Im Zusammenhang mit dem Unterricht nach den Lesen-durch-Schreiben-Versionen werden solche Arbeitsaufgaben regelmäßig und über die Maßen oft eingesetzt. Abschreibkompetenz ist jedoch nicht gleich Rechtschreibkompetenz: Die Deutsch-Didaktikerinnen Ingrid Naegele/Prof. Dr. Renate Valtin mahnten schon vor Jahren, "dass viele schwache SchreiberInnen erfolgreich abschreiben können, ihnen aber diese Übungsform beim Erwerb von Rechtschreibregeln nicht viel nützt.". (264) Ingrid M. Naegele weiter: "Da viele SchülerInnen mit Rechtschreibproblemen vorzüglich abschreiben können, nützt ihnen diese Übungsform nichts." (265)

Prof. Dr. Sandra Deneke fand mit einer Studie heraus, dass selbst für Schüler mit unterdurchschnittlicher Intelligenz das fehlerfreie Abschreiben kein Problem sein muss. (266) Hier zwei Beispiele aus Gutachten zum schriftsprachlichen Leistungsstand:

"Ersin: Ersins Leistungen im Lesen, Schreiben und Rechtschreiben werden laut Gutachten als unterdurchschnittlich bezeichnet. Stärken sind im Abschreiben, einer sauberen Handschrift sowie dem Auswendiglernen von Gedichten zu verzeichnen." (ebd.)

"Nicolas: Große Schwierigkeiten hat er im sinnentnehmenden Lesen und Schreiben von Texten. Abschreiben dagegen gelingt ihm. Er hat eine ordentliche Handschrift und kann Gedichte recht genau wiedergeben." (ebd.)

Über Jahrhunderte hinweg galt in der Deutschdidaktik das Abschreiben als eine Übungsform neben vielen anderen. In nahezu allen Bundesländern gehört inzwischen in den Lehrplänen für Grundschulen das Abschreibenkönnen - bis ans Ende der 4. Klasse - zu den wichtigsten unter dem Schwerpunkt "Richtig schreiben" genannten Kompetenzen. Das führt seit Langem dazu, dass bezüglich des Rechtschreibunterrichts Fluten von Abschreibtexten das Unterrichtsgeschehen bestimmen und fehlerfrei abgeschriebene Texte als Indikatoren für gute Rechtschreibleistungen gehalten werden. Auch dieser Aspekt gehört wohl zur Rechtschreibkatastrophe: Das Abschreibenkönnen schon für eine besondere Rechtschreibleistung zu halten.

XV.

Qualitative Fehleranalysen, die Problemkindern nicht weiterhelfen

In diesem Zusammenhang sollen die Bewertung der äußerst fragwürdigen qualitativen Fehleranalyse bei Sommer-Stumpenhorst und ihre Auswertung ausgeklammert bleiben. Die Problematik um die qualitative Fehleranalyse ist allerdings auch eine grundsätzliche: Es bedarf schon profunder Kenntnisse der Phonologie, um Fehler korrekt klassifizieren zu können. Grundschullehrerinnen sind in aller Regel aber nicht entsprechend ausgebildet. Schreibt ein Kind z. B. 'Fel' anstatt 'Fell', hat es nicht einfach nur einen Buchstaben weggelassen, sondern es hat das Graphem< l> anstatt des [ll] geschrieben: Einfachschreibung für Verdopplung. (88) Außerdem: Nicht jede Falschschreibung ist auf fehlerhafte Überlegungen des Schreibers zurückzuführen - und nicht jede Richtigschreibung auf richtige. Viele Fehler können gleichzeitig auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden, zumal die Ursachen auf verschiedenen Ebene liegen können. (89) Greifen wir noch einmal zurück auf den früher schon einmal erwähnten 'guten' Rat des Sommer-Stumpenhorst-Moderators 'Thomas', den dieser am 05. Juni 2005 über das Forum der Rechtschreibwerkstatt einer Lehrerin gab:

Bei einem individualisierten Konzept ist das mit dem Durchschnitt (gemeint ist die durchschnittliche Arbeitsdauer im Bereich LB*, Anm. des Autors dieses Elterbriefs) so ein Problem. Wenn man gründlich gearbeitet hat, sind die meisten Kinder nach zwei Schuljahren ’in der Regel’ in der Laut-Buchstabenzuordung weitgehend sicher. Aber es hängt natürlich sehr stark vom Umfeld der Schule, von der jeweiligen Zusammensetzung der Klasse und den jeweiligen Kindern ab. Es ist ja möglich, dass du Kinder mit ganz spezifischen Schwierigkeiten hast. Diese Kinder müssen die Möglichkeit haben, so lange an ihrem Lernbereich zu arbeiten, wie sie es benötigen" (Anm.: Markierungen erfolgten d. d. Autor dieses Elterbriefs). Letzteres ist allerdings die Philosophie Sommer-Stumpenhorsts

* Mit "LB" bezeichnet Sommer-Stumpenhorst den Lernbereich "falsche Buchstabenzuordnung" in seiner 'qualitativen Analyse' als Folge von

Weiter heißt es: "Das Kind hätte die Verschreibung vermeiden können, wenn es dem vorgegebenen Laut den richtigen Buchstaben zugeordnet hätte. Hierzu muss es die Buchstaben und den Lautwert der Buchstaben kennen." (91)

Lassen wir an dieser Stelle einmal die Problematik der Laut-Buchstabenzuordnung beiseite! Solche Überlegungen wären allerdings lediglich die ersten auf dem Weg in die beschwerliche 'qualitative Analyse': Die Feststellung der Fehlerkategorie. Zur wirklichen qualitativen Analyse fehlen nach der ersten zwei weitere eminent wichtige Fragen:

  1. In welchem Lernbereich gibt es Defizite?

  2. Sind die Schwierigkeiten/Störungen, wenn ein Kind nach zwei, drei oder gar vier Jahren noch immer erhebliche Probleme im Lernbereich 'LB' hat, Folgen von Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und/oder in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten? Um welche Defizite handelt es sich? Darüber könnten Analysen, wie Prof. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen sie vorschlagen, Klarheit schaffen.

  3. Welche sind die Ursachen für Defizite im Bereich der oben genannten Sprachwahrnehmungsleistungen und bei den lautsprachlichen Grundfertigkeiten? Bei einigen der aufgezeigten Defizite ergeben sich aus den Ergebnissen einer gründlichen Diagnose auch bereits Hinweise auf die defizitverursachenden Faktoren.

Erst wenn die Art der Schwierigkeiten/Störungen und ihre Ursachen geklärt sind, dürfte an dieser Stelle die Frage heißen: Wie ist das betroffene Kind zu fördern? Und zwar je nach

für jedes betroffene Kind - also individualisierend -

Bei Sommer-Stumpenhorst heißt es bereits nach Schritt 1 (Zitat oben): "Diese Kinder müssen die Möglichkeit haben, so lange an ihrem Lernbereich zu arbeiten, wie sie es benötigen". Eine verhängnisvolle Maßnahme, mit der Eltern bisweilen in die 3. und 4. Klasse hinein vertröstet werden.

Ohne Kenntnis der genauen Schwierigkeiten/Störungen und der verursachenden Faktoren begnügt sich die Methode Sommer-Stumpenhorst mit der Feststellung der Fehlerkategorie und schlägt ohne weitere gründliche Analyse als weitere Fördermaßnahmen vor:

 

  • "Schreib, wie du sprichst. Sprich deutlich und hochdeutsch."
  • "Laut-/Buchstabenfolgen; schreiben und dabei mitsprechen"
  • "Abschreibübungen, mitsprechen; bildgestützte Hörübungen; Mo­dellwortschatz; Such- und Sortieraufgaben" (92)

Zu I.: Wie spricht ein Kind mit stark dialektgefärbter Aussprache in stark dialektgeprägtem sprachlichen Umfeld, u. U. auch mit weiteren sonstigen regionalspezifischen sprachlichen Beeinträchtigungen, insbesondere auch grammati­scher/syntaktischer Art? Ein Kind, das kaum die deutsche Lautung korrekt beherrscht und in einem Umfeld lebt, in dem vorwiegend nicht Deutsch gesprochen wird? Ein Kind mit einem umgangssprachlich und von anderen sprachlichen Nachlässigkeiten geprägten sprachlichen Umfeld? Ein Kind mit – wie auch immer bedingten – Störungen auf dem Weg vom Hören zum Sprechen? Ein Kind mit nur von Fachkräften zu diagnostizierenden Sprachfehlern? Täglich operieren auch heute noch Lehrerinnen, die nach den Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' unterrichten, mit dem schon oben diskutierten Slogan der Urgroßeltern: "Schreib, wie du sprichst! Sprich deutlich und hochdeutsch." Vom 'Hochdeutschen' im Sinne einer real existierenden Norm spricht indes schon lange niemand mehr. Durch den wachsenden Einfluss der Medien hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts eine deutsche Standardlautung herausgebildet, wie sie heute von den Sprecherinnen/Sprechern der Nachrichten verwandt wird. Das ist in aller Regel jedoch nicht die Lautung, mit der Kinder aufwachsen. Der Phonologe Prof. Ritter macht auf die Konsequenzen aufmerksam: "Diese Standardlautung, wie sie in 'reiner' Form alltäglich über die Nachrichtensendungen verbreitet wird, ist im Grunde eine an der Schrift orientierte Lautung. Das Bewusstsein dafür schlägt sich vor allem in Dialektgebieten in Formulierungen wie 'nach der Schrift sprechen' deutlich nieder. Die dahinter stehende Konsequenz für den Anfangsunterricht an den Schulen dürfte klar sein: Wer Orthographiekenntnisse erwirbt, muss gewissermaßen in einem Zug auch die schriftorientierte Aussprache erlernen." (93) Die Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' gehen dagegen von der völlig falschen Annah­me aus, dass Kinder bei Schuleintritt bereits zumindest standardlautlich sprechen. Dass dem nicht so ist, wussten schon Didaktiker vor mehr als 200 Jahren. Und auch das war seinerzeit schon eine unbestrittene Erkenntnis, dass sich nach der Maxime "Schreib, wie du sprichst! Sprich deutlich und hochdeutsch!" das Schreiben nicht erlernen lässt. In 1804 schlug daher Ferdinand Olivier vor , schon vor den Lese- und Schreibunterricht einen Aussprachekurs zu legen, "in dem der Lehrer die Schüler anhält, 'die Sätze, die er ihnen vorspricht, treu und richtig nachzusprechen' (zit. n. Lay 1897, 52)." (94)

Ein Beispiel aus dem Forum Sommer-Stumpenhorsts (08.05.2007) zeigt ein weiteres Mal die Schwächen des Schreibens nach Gehör und der vorgeschlagenen 'Fördermaßnahmen'. Eine ratlose Lehrerin fragt:

 

"Hallo,

mir brennt eine Frage auf den Nägeln:
Wenn ein Kind schpielt, Schtein, oder Aimer schreibt, ist das dann ein LB oder ein LD Fehler?

Meines Erachtens ist es ein LB Fehler, da der Laut "sp" bzw. "ei" nicht mit dem richtigen Graphem wiedergegeben wird.

Gruß"

XXX

Antwort des 'Tommy43', seinerzeit Leiter von Fortbildungsveranstaltungen in Sachen 'Rechtschreibwerkstatt':

"....das siehst Du genau richtig!

Gruß

Tommy"

Nach der Maxime "Schreib, wie du sprichst! Sprich deutlich und hochdeutsch!" werden Kinder im Rheinland (und auch an­derswo in Deutschland) auch beim tausendsten Schreibversuch <schpielt> und <Schtein> schreiben. Wie schon oben gezeigt bezeichnet Sommer-Stumpenhorst in seiner 'qualitativen Analyse' mit "LB" den Lernbereich "falsche Buchstabenzuordnung" als Folge von

Dieser Befund greift hier nicht. Das rheinländische Kind spricht deutlich ausgeprägt, auch wenn es standardlautlich sprechen möchte, [schpielt] und [schtein] und schreibt folglich nach der mehr als fragwürdigen Regel der Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz', also "Schreib, wie du sprichst!", völlig korrekt< schpielt> und< Schtein>. Weder mangelt es dem Kind aus rheinischen Landen an "Buchstabenunsicherheit" noch handelt es sich hier um eine "nicht korrekte Zuordnung von Laut und Buchstabe". Auch in diesem Fall versagt nicht das Kind, sondern die Methode. Weiter üben zu lassen nach dem Grundsatz "Sprich deutlich und hochdeutsch!" und beim Schreiben mitsprechen zu lassen führt zu nichts.

Zu II. und III.: Auch diese Übungen sind natürlich keine Maßnahmen mit individualisierenden Materialien für Kinder mit Schwierigkeiten/Störungen und mit unterschiedlichen Verursachungen: Bei Sommer-Stumpenhorst werden zum Üben dieselben wirkungslosen Materialien/Methoden der 'Rechtschreibwerkstatt' verwandt, mit denen die Kinder auch schon zuvor gearbeitet haben. Die nach ähnlichen Konzepten (gemeint ist 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz') unterrichteten Kinder konstruieren mit der Anlauttabelle individualisiert und eigeninitiiert auch weiter vor sich hin, ohne dass Schwierigkeiten/Störungen und die Ursachen dafür erkannt und behandelt worden wären - aber selbstverständlich nach dem ihnen eingepaukten Merkspruch 'Schreib, wie du sprichst!'. Üben bei Schwierigkeiten/Störungen in den Sprachwahrnehmungsleistungen sowie in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten ist sinnlos, wenn die Arten der Schwierigkeiten/Störungen und ihre genauen Ursachen im Dunklen liegen. Da hilft auch keine Maßnahme wie einfach nur mehr Unterricht oder Förderunterricht irgendwie. Nur gezieltes Üben ist erfolgversprechend, wobei es keineswegs wie beim kindlichen Würfelspiel heißen darf: „Zurück zum Start!“ Was nichts anderes heißt als: „Derselbe Durchlauf mit denselben Materialien noch einmal!“ Nicht eben motivierend und alles andere als pädagogisch sinnvoll sind solche immer und immer zu wiederholenden Durchläufe! Es gibt Lehrerinnen, die ehrlicherweise auch davon berichten: Eine Null-Bock-Haltung mit schlimmen Folgen baut sich bei den Kindern auf! Üben mit Materialien, die nicht speziell auf die Behebung des diagnostizierten Defizits ausgerichtet sind, ist Zeitvergeudung.

Zur Diagnose aller oben aufgeführter Schwierigkeiten/Störungen in den Sprachwahrnehmungsleistungen und in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten existieren inzwischen spezielle Testprogramme, zur Behebung der ausgemachten Schwächen gibt es individualisierende Trainingsprogramme. Man muss sie nur einsetzen wollen - und damit fachgerecht zu arbeiten wissen. Denn bisweilen sind Fortschritte nur mit Hilfe einer fachkompetenten Psychologin und/oder einer Logopädin zu erwarten.

Bei vermuteten Defiziten in der optisch-graphomotorischen Differenzierungsfähigkeit, die bei Sommer-Stumpenhorst vereinfachend "motorische Schwierigkeit" heißt, rät er Lehrerinnen, "sie immer auch am Schriftbild zu erkennen" oder "bei der isolierten Betrachtung einzelner Buchstaben". Es wird empfohlen: "Um bei diesen Kindern gar nicht erst Misserfolge beim Schreiben aufkommen zu lassen, habe ich schon frühzeitig diese besondere Schwierigkeit bei den Kindern angesprochen und bei ihnen gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Hilft es dir, wenn die Abstände größer sind? Solltest du vielleicht zunächst nur eine Linie nutzen?." (95) Das muss nicht kommentiert werden! Die optische Differenzierungsfähigkeit ist eine sehr wichtige Voraussetzung für das Schreiben- und Lesenlernen, die graphomotorische Differenzierungsfähigkeit ist unentbehrlich für das Schreibenlernen. Auf diese Weise leichtfertig sollten Lehrerinnen also mit diesem Problem umgehen (!), das in Wirklichkeit einer gründlichen Diagnose bedarf, um dann mit einem Trainingsprogramm gezielt eingreifen zu können.

Die Schriften Sommer-Stumpenhorsts böten viele weitere Anlässe, mit der Aufzählung der gravierenden Versäumnisse der Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' und 'Freies Schreiben' fortzufahren. Es ist besonders bedenklich, wenn bei der Praxis der Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' nur von schnell lernenden und langsam lernenden Kindern gesprochen wird und die derzeit alljährlich mehr als 100.000 neu eingeschulten Kinder mit Schwierigkeiten/Störungen in den Sprachwahrnehmungsleistungen und in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten per Methode bis in die 3. und 4. Klasse, oft bis in die Sekundarstufe hinein, nicht wahrgenommen werden können - oder sollen.

XVI.

Die Frage der Legasthenie

Mit den Schwierigkeiten der ADHS-Kinder oder der legasthenen Kinder mit den Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben)/'Sprach­erfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' wollen sie sich alle nicht aufhalten, die Sommer-Stumpenhorsts, Urbaneks, Reichens ..... . Dass ADHS-Kinder nicht einfach nur langsam lernende (jedoch oft sehr intelligente) Kinder mit erheblichen Schwierigkeiten beim Lernen, insbesondere beim Lernen mit den Selbstlernkonzepten Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfah­rungsansatz'/'Freies Schreiben' sind, wird vorwiegend verschwiegen. Und gegen die Wissenschaft, die mit konkreten Bewei­sen die Existenz genetischer Dispositionen, die das Entstehen einer Legasthenie begünstigen können, inzwischen vielfach be­legt hat, führen sie inzwischen einen geradezu peinlichen Krieg. Denn auch Kinder mit einer genetischen Disposition zur Leg­asthenie verderben das Konzept 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' und setzen der Legende um die langsam und schnell lernenden Kinder ein Ende. Schwierigkeiten/Störungen bei legasthenen Kindern sind in ihrem Erscheinungsbild den anderswie verursachten Schwierigkeiten/Störungen sehr ähnlich. Eine genaue Diagnose der 'Legasthe­nie' ist allerdings äußerst schwierig und langwierig und kann schlüssig nur von Fachleuten gestellt werden, u. a. nach von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschlagenen Ausschlusskriterien: Erst wenn die oben genannten Ursachen für Schwierigkeiten/Störungen ausgeschlossen sind, kann eine 'Legasthenie' angenommen werden, d. h. nach einer genetischen Disposition gesucht werden. (96)

Für die Vertreter von 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' haben die in zunehmendem Maße eintreffenden neuen wissenschaftlichen Befunde den Charakter von Hiobsbotschaften. Mediziner, Genetiker und Neurologen etwa, die bei ihrer Forschung zu wissenschaftlich abgesicherten Ergebnissen kommen, die die Geschäfte des Schulpsycholo­gen Sommer-Stumpenhorst beeinträchtigen könnten, beschimpft Sommer-Stumpenhorst als "Skalpellakrobaten" oder "Rea­genzglasschwenker" und zitiert - neue Forschungsergebnisse abwehrend - aus der Literatur der 60er, 70er oder der frühen 80er Jahre. (97) Solche Tiraden eignen sich wohl kaum als Kontradiktion, mit der sich eine wissenschaftliche Position einneh­men ließe, sie offenbaren unzweideutig den Geist, aus dem das Konzept 'Rechtschreibwerkstatt' generiert wurde. Weltweit, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, wird indes weiterhin - unter den Begriffen 'Dyslexie' und 'Dysgraphie' - nach den genauen Ursachen für 'Legasthenie' geforscht.

In Deutschland sind etwa fünf Millionen Menschen von Legasthenie betroffen. Wissenschaftler des Nationalen Ge­nomforschungsnetzes (NGFN) der Universitäten Bonn, Lübeck und Marburg fanden jüngst heraus, dass eine Veränderung des DCDC2-Gens zu einem erhöhten Legasthenie-Risiko führt. Der genetisch bedingte Zusammenhang konnte durch die Studien des Nationalen Genomforschungsnetzes bewiesen werden. In einer ersten Studie wurde zunächst das Erbgut von 137 Legasthenie- Kindern und deren Eltern untersucht, darauf das Erbgut in 239 Familien, deren Kinder ebenfalls an der Lese-Rechtschreibschwäche leiden. Bei beiden Untersuchungen stellten die Forscher Veränderungen im Bereich des DCDC2-Gens (Region von Chromosom 6), fest. "Das DCDC2-Gen spielt anscheinend in der Entwicklung des Gehirns eine Rolle, genauer gesagt bei der Wanderung von Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn", sagte vor kurzem Professor Markus Nöthen vom Life& Brain Zentrum der Universität Bonn, der mit seiner Arbeitsgruppe für die molekularen Arbeiten verantwortlich war. NGFN-Forscher vermuten, dass bei Legasthenikern eine Fehlregulation vorliegt, so dass zu viel oder zu wenig des entstehenden Proteins produziert wird, für welches DCDC2 den Bauplan liefert.

Prof. Schulte-Körne, Marburg, Hochschuldozent für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie stellte in seinen Untersuchungen fest, dass bestimmte Hirnregionen von Legasthenikern beim Wiedererkennen bzw. bei der Unterscheidung von Wörtern als gelernte bzw. nicht gelernte Wörter ein anderes Aktivierungsmuster zeigen. Während der Wahrnehmung von unterschiedlichsten Sprachreizen diagnostizierte er bei Jugendlichen mit gestörtem Schriftspracherwerb eine wesentlich geringere Gehirnaktivierung als bei Jugendlichen ohne Störung. (98)

Die Frage, ob Legasthenie wirklich als 'Krankheit' zu werten ist, wird noch zu entscheiden sein. Veränderungen im Bereich des DCDC2-Gens als Disposition für eine Lese-Rechtschreibschwäche hatten jedenfalls zu Zeiten, als eine Lese-/Schreibkultur noch nicht entwickelt und die Teilhabe daran nicht lebensnotwendig war, keinerlei Bedeutung und konnten daher auch keineswegs lebensentscheidend sein.

Legasthene Auffälligkeiten beim Schreiben und Lesen der Kinder als langsames Lernen infolge von Entwicklungsverzö-gerungen, wie sie bisweilen beim Wachstum beobachtet werden, zu verharmlosen, ist nicht verantwortbar. Gewisse genetische Dispositionen, die - u. U. im Zusammenwirken mit anderen Faktoren - zur Lese-Rechtschreibschwäche führen können, sind aufgrund neuester Forschungsergebnisse nicht mehr wegzudiskutieren.

Wie ADHS-Kinder können auch legasthene Kinder sehr intelligent oder hochbegabt sein, sogar der Weg zum Professor muss einem Legastheniker nicht versperrt bleiben. Der Humangenetiker Professor Tiemo Grimm von der Universität Würzburg, selber Legastheniker, äußerte sich einmal so: "Man wird zwar immer Fehler machen, aber eben so weit lesen und schreiben lernen, dass die berufliche Laufbahn nicht gefährdet ist. Das sieht man auch an mir: Ich habe trotz meiner Legasthenie Medizin studieren können und bin Hochschullehrer geworden." (99)

Ob Legastheniker dann allerdings so gut lesen und schreiben lernen, dass die berufliche Laufbahn nicht gefährdet ist, hängt davon ab, ob eine vorliegende Legasthenie

Grundschule heute, insbesondere auch bedingt durch die Anwendung der Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfah­rungsansatz'/'Freies Schreiben', ist dazu nicht in der Lage:

Prof. Dr. Wilhelm Grießhaber, Leiter des Sprachenzentrums der WWU Münster, Studiendekan 'Allgemeine Studien' an der Universität Münster, urteilt in den 'Examenshinweisen' für seine Studenten im Telegrammstil, und dennoch eindeutig, über das Niveau der grundlegenden Schriften Sommer-Stumpenhorsts 'Richtig schreiben lernen - Schritt für Schritt' und 'Richtig Schreiben lernen von Anfang an': "Mit minimalen Äußerungen zu theoretischen oder linguistischen Grundlagen; mitunter auch Eigenschöpfungen, die man in der Phonetik oder Phonologie vergeblich sucht - oder nicht nachvollziehbaren Einordnungen wie z.B. des Konsonanten h als Plosiv; deshalb mit gebührend kritischer Distanz zu behandeln." (100) Offenbar gibt es aber nicht allen Praktikern zu denken, wenn die "theoretischen oder linguistischen Grundlagen" für ihr unterrichtliches Tun deutlich schief sind. Ähnliche substantielle Mängel charakterisieren auch die anderen Methoden des 'Lesens durch Schreiben' /'freien Schreibens'.

XVII.

Individualisierung

Mit 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben'?

Schon Lehrer vor mehr als 50 Jahren wussten: Der Unterricht allein mit einer Fibel und eine unbewegliche Orientierung daran führen keineswegs für möglichst viele Kinder zu einer sicheren Bewältigung des Lese- und Schreiblernprozesses: Den Lernstärkeren ohne irgendwie bedingte Beeinträchtigungen bot der Lehrer zusätzliches 'Futter', die Lernschwächeren unterstützte er mit zielführenden Maßnahmen und Materialien, die damals noch nicht vorfabriziert waren, 'aus der Kiste' kamen oder aus dem Kopierer. Lehrer damals verfügten über ein reiches Methodenrepertoire, das sie dazu einsetzen konnten - je nach Bedarf und mit ihrer personalen Nähe, - den Kindern mit jener oder einer anderen Methode zu helfen. Die Methode 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' dagegen hält heute für alle Kinder starr und einseitig an dem einen Prinzip fest:

Das hört sich vielversprechend nach Individualisierung und Öffnung des Unterrichts an. Indes müssen Kinder mit den unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen, in nicht wenigen Klassen über Jahre hinweg, dem eingleisigen Prinzip folgen und sollen auf einem für viele von ihnen zu engen Pfad - experimentierend - den Weg in Schriftsprache 'entdecken' - mit dem Ziel, richtig schreiben zu lernen. Für den Lese- und Schreiblernprozesses wird von der modernen Didaktik zudem ein wichtiger Aspekt völlig ausgeblendet, den der schulerfahrene Grundschuldidaktiker und Fibel-Autor Wilfried Metze* so formuliert: "Bei den Vorgängen des Lesens und Schreibens greift nämlich eine Reihe von Prozessen ineinander, die sich nur schwerlich analytisch voneinander trennen lassen." (101) Und diese Erkenntnis ist nicht neu: Wer nicht richtig lesen kann, kann auch nicht rechtschreiben. Ein kleines Beispiel der Schulpsychologin Dr. Dipl.-Psych. Christine Mann soll dies (noch einmal) erläutern:

Auch dieses Beispiel zeigt übrigens ein weiteres Mal, wie wenig dieses 'Sprich hochdeutsch und deutlich' als Prinzip taugt.

Dass ein von 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' geprägter Unterricht nicht nur weniger effektiv ist als ein Un­terricht mit der Fibel, stellte Peter May schon 1994 fest. Er verwies darauf, dass in Klassen mit hohem Lernerfolg schon in der 1. Klasse deutlich mehr lehrergesteuerte Schreibaufgaben bearbeitet werden. Minderleistungen in Klassen mit vorwiegend freier Aufgabenstellung führte er auf die Überforderung jüngerer Kinder zurück. (103)

Dass für viele Kinder der offene Weg ein Irrweg ist, ist längst erwiesen. Das gilt unzweifelhaft insbesondere für Kinder mit irgendwie bedingten Beeinträchtigungen. Es existiert nicht eine Studie, die 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsan­satz'/'Freies Schreiben' als einen geeigneten Weg ausweisen würde.** Dass auch viele andere Kinder, vielleicht sogar die meisten - das ist keine Frage der Intelligenz -, mit anderen Methoden besser bedient wären, wird schlichtweg ignoriert. Den­noch nach der neuen Didaktik zu unterrichten konterkariert geradezu die Idee von der Individualisierung. Die Professorin Agi Schründer-Lenzen fasst die vorliegenden Ergebnisse der neueren empirischen Unterrichtsforschung zusammen und zieht dar­aus das Fazit:

Beim Lese- und Schreiblernprozesses in der Grundschule geht es darum, die Kinder an die "Lese-Schreib-Kultur" ( den Begriff hat seinerzeit Bartnitzky in die Diskussion eingebracht) heranzuführen. Dass mit Unterrichtsmethoden, die sich mit Phonem-/Graphem-Experimenten über lange Zeit und/oder mit der oft jahrelangen Arbeit mit schier unüberschaubarem und kontextlosem Wortmaterial begnügen, zumeist isoliert von jeglichem unterrichtlichen Kontext überhaupt, für viele Kinder das hehre Ziel höchstens annähernd erreicht werden kann, bleibt in der Methodendiskussion weitgehend unbeachtet. Nachgeschobene Bemühungen, diese Defizite auszugleichen, erwiesen sich bisher als groteskes Stückwerk. Die Tatsache, dass sich inzwischen der Fibelunterricht - in der Hand kompetenter Lehrerinnen - zu einem Unterricht entwickeln konnte, dem dies gelingen kann (weil er es auch beabsichtigt), der zudem eine zielführende Individualisierung im Unterrichts nicht nur ermöglicht, sondern der sogar dazu herausfordert, indem er ein breites Repertoire an Gestaltungsmöglichkeiten zur effektiven Individualisierung anbietet, scheint vielen entgangen zu sein. Dennoch: Kompetente Lehrerinnen werden sich darüber hinaus in mancher Situation sehen, in der auch das noch nicht ausreicht und sie bei besonderen Schwierigkeiten ad hoc ein spezielles Arbeitsmaterial selbst entwickeln müssen.

Unterdessen scheint die Entwicklung im Anfangsunterricht in eine andere Richtung zu gehen. Zunehmend stellen Eltern mit Erleichterung fest und berichten davon, dass in vielen Schulen mittlerweile ein Umdenken stattfindet und sich viele Lehrerinnen von den Methoden 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' - wie bei 'Sommer-Stumpenhorst', 'Tinto' und 'Lesen durch Schreiben' (nach Reichen) praktiziert - abwenden. Anstatt dessen präferieren sie nunmehr eine moderne Fibel, die den Erfordernissen der Individualisierung entspricht. Prof. H. Brügelmann neigte in einem Spiegelartikel vom März 2006 (105) dazu, den derzeitigen Anfangsunterricht mit seiner Methode 'Lesen durch Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz' als Modeerscheinung darzustellen. Er vergaß dabei zu erwähnen, dass in den vergangenen Jahren eben durch diese Modeerscheinung Hunderttausenden von Kindern in Deutschland nicht revidierbare Schäden zugefügt wurden. Bei jeder Lehrstellendiskussion werden die defizitären Leistungen der Lehrstellenbewerber im Lesen und Schreiben heute mitdiskutiert.

*Wilfried Metze weist bereits seit 1995 in seinem Buch 'Differenzierung im Erstleseunterricht' (Berlin 1995) auf die Bedeutung von Differenzierung im Erstleseunterricht hin und zeigt die Möglichkeiten und die Vielfalt auf, wie mit einem modernen Fibelunterricht Individualisierung methodisch vielfältig zu realisieren ist. Inzwischen hat sich in sämtlichen zur Verfügung stehenden Untersuchungen gezeigt, dass die Methode 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' mit ihrer Eingleisigkeit nicht einmal für alle Kinder mit vorausgesagtem geringem Risiko beim Schriftspracherwerb geeignet ist.

**In einer Studie kurz nach dem Mauerfall wurden die Rechtschreibleistungen in BRD, DDR und Schweiz untersucht. Die Schweizer Vergleichsgruppe war ausschließlich nach der Methode 'Lesen durch Schreiben' von Reichen unterrichtet worden. In der Rechtschreibung schnitten seinerzeit DDR-Schüler nach der Grundschulzeit am besten ab, die Leistungen der BRD-Schüler und der Kinder aus der Schweiz lagen dicht beieinander. Die Wissenschaft ist allerdings nur wenig geneigt, diese Studie anzuerkennen, da

Grundschul-Sprachdidaktiker wie Prof. Schründer-Lenzen ziehen daraus den durchaus nachvollziehbaren Schluss, die Vertreter des Spracherfahrungsansatzes (= die Vertreter der unterschiedlichsten Konzepte von 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')) hätten die Ergebnisse dieses Vergleichs danach so gewichten können, dass man daraus eine Akzeptanz des Reichen-Konzepts ableiten konnte. (106) Besondere Brisanz: Prof. Hans Brügelmann, Frontkämpfer für das Konzept 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') /'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' und Anhänger des Konzepts von J. Reichen, war seinerzeit federführend an der Untersuchung beteiligt.

XVIII.

Exkurs in die Essentials des Reichen-Konzepts:


"Lesen durch Schreiben - das muss vielleicht noch einmal eigens betont werden - ist ein Leselehrgang"

(http://www.heinevetter-verlag.de/05/a2k.htm. Verlagsseite Heinevetter-Verlag. Stand 01.02.2011)


Erfinder der Methode 'Lesen durch Schreiben' war der Schweizer
Jürgen Reichen. Reichen wurde 1939 in Basel geboren. Nach seinem Abitur studierte er bis zu seinem 31. Lebensjahr an der Universität Basel zunächst Psychologie mit den Nebenfä­chern Philosophie und Soziologie. Danach absolvierte er einen zweijährigen Primarlehrerkurs und nahm eine Stelle als Pri­marlehrer an. Bereits nach wenigen Jahren, in 1975, schied er aus dem Schuldienst aus und war danach als Sekretär der Erzie­hungsdirektion des Kantons Zürich sowie als erziehungswissenschaftlicher Mitarbeiter in der dortigen pädagogischen Abtei­lung tätig, nebenher bereitete er seine Methode 'Lesen durch Schreiben' samt der dazu entwickelten Lernmaterialien auf eine wirkungsvolle Publikation vor. 1987 schied er aus seinen bisherigen Tätigkeiten aus und arbeitete in der Lehrerfortbildung. Daneben beschäftigte er sich mit der Entwicklung neuer Lehr-/Lernmittel für den Sachunterricht und der Fortentwicklung seines Werkstattunterrichts mit größtmöglicher Öffnung des Unterrichts. Ab 1995 war er für einige Jahre als Referent für Grundschulpädagogik am 'Institut für Lehrerfortbildung' in Hamburg angestellt. Bis zu seinem Tode im Jahre 2009 widmete er sich darauf vorwiegend in Deutschland der Verbreitung seiner Ideen und Materialien zu seiner Methode 'Lesen durch Schreiben'.

Schon nach seinem ersten Dienstjahr als Lehrer hatte Reichen begonnen, auf eigene Faust 'Schulreform' zu betreiben. Als er eine erste Klasse übernahm, lehnte er es ab, sich mit einem bestimmten Lehrwerk festzulegen. Er wollte die Kinder vom gleichschrittigen Lernen und der Fibel-Gängelei befreien und ihnen stattdessen verstärkt die Möglichkeiten zum selbständi­gen Arbeiten geben. Seine Idee zu 'Lesen durch Schreiben' leitete er ab von einem Versuch in Russland, bei dem die Kinder mit der Schulung der Lautanalyse vor dem eigentlichen Leselehrgang begannen. Danach werden Wörter akustisch in einzelne Laute zerlegt, was dazu führen soll, dass es Kindern gelingt, den isolierten Lauten die entsprechenden Buchstaben zuzuord­nen. Reichen entwickelte daher eine Buchstaben-Tabelle, mit ihrer Hilfe sollten die Kinder über Bilder die Laute (Anlaute) identifizieren, diese Buchstaben zuordnen und sie 'abmalen' können: ganze Wörter sollten sie auf diesem Wege entwickeln können.
Von Anfang an war in der Schweiz Reichens 'Lesen durch Schreiben' berechtigten sachlich begründeten Anfeindungen ausgesetzt. Das genau war der Grund, weshalb sich Reichen zunehmend seit den 80er Jahren in Deutschland engagierte und dort auch mit seiner Methode große kommerzielle Erfolge erzielen konnte: Es mag der schlechten Ausbildung der deutschen Grundschullehrerschaft geschuldet sein, dass viele von ihnen sich immer wieder unprofessionell gedankenlos in die Fänge wissenschaftsferner Heilsverkünder begeben.

Dass Reichen nicht eine kontinuierliche jahrelange praktische Tätigkeit als Grundschullehrer vorweisen konnte und er somit überhaupt nicht über hinreichende Erfahrung verfügte, eine neue Methode zum Schriftspracherwerb begründen zu können, macht auch weiterhin die begeisterte Lehrerschaft nicht misstrauisch. Reichen kritisiert die Konzepte 'Tinto', 'Zebra', 'Rechtschreibwerkstatt', 'Konfetti' als "Nachahmerprodukte" seines von ihm entworfenen Konzepts 'Lesen durch Schreiben'.

In einer Beschreibung der Methode Reichen heißt es: "Reichen erlebte schon während seiner ersten Lehrertätigkeit eine gravierende Differenz zwischen Theorie und Praxis. Er sah, dass der einzelne Lehrer damit überfordert war, er­ziehungswissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, und er erkannte, dass auch die Wissenschaft hierzu wenig in der Lage war. Daher fühlte er sich herausgefordert, zwischen Theorie und Praxis zu vermitteln und von der traditionellen Unterrichtstheorie weg zu kommen." (161) Letztlich führten Reichens Bestrebungen, der angeblichen Überforderung von Lehrern und der Unfähigkeit der Wissenschaft entgegenzuarbeiten, dazu, dass er seine eigenen auf Hypothesen, Vermutungen, Ansichten sowie auf diffuse Gedankensplitter sich stützende Theorien entwickelte, auf deren Basis er schließlich das Konzept 'Lesen durch Schreiben' konstruierte, all das zu finden auf 455 Seiten unter "Was ist 'Lesen durch Schreiben'?". (162) Zielstrebig schnürte Reichen auch bald schon in den 80er Jahren "Das Lernpaket 'Lesen durch Schreiben' ", das über den Heinevetter-Verlag vertrieben wird. Wer aus der Schar seiner Anhänger den Glauben an die neue Heilslehre stärken mochte, konnte und kann diesem Begehren auch weiterhin auf den alljährlichen Seminarveranstaltungen im 4-Sterne Hotel Park Inn in Weimar nachkommen.

Erstaunt ist der Leser des Reichen-Scripts "Was ist 'Lesen durch Schreiben'?" gleich zu Beginn der Lektüre (Zitat Reichen-Script):

 

Zu 'Lesen durch Schreiben' gibt es mittlerweile viel Wissen, aber auch viel Halb-Wissen, Nicht-Wissen, Missverständnisse, Vor-Urteile und sogar Verleumdungen.

Daher heißt die erste Frage: Was ist 'Lesen durch Schreiben'?

  • Ist es eine Methode des Schriftspracherwerbs?

  • Ist es (Stichwort: Werkstattunterricht) eine Didaktik des Grundschulunterrichts?

  • Ist es ein lernpsychologisches Konzept des impliziten (selbstgesteuerten) Lernens?

  • Ist es eine pädagogische Anthropologie (oder gar Philosophie)?

Peinlicherweise weiß ich es selber nicht. Wahrscheinlich spielt alles oben Aufgeführte (und noch einiges mehr) eine Rolle, ist doch das Ganze eine Mischung von 'Theorie' und 'Praxis'.

Immerhin stellt der Heinevetter-Verlag auf seinen Seiten klar (163):

 

"Lesen durch Schreiben - das muss vielleicht noch einmal eigens betont werden - ist ein Leselehrgang"

An anderer Stelle ist zu erfahren (Zitat Reichen-Script):

 

'Lesen durch Schreiben' - der einzige Leselehrgang mit wirklich emanzipatorischem Anspruch (164)

Verwundert mag der Leser zur Kenntnis nehmen, dass 'Lesen durch Schreiben' in erster Linie aber noch etwas ganz anderes ist (Zitat Reichen-Script):

Lesen durch Schreiben' ist deshalb eigentlich erst in zweiter Linie ein Leselehrgang. In erster Linie ist es der Versuch, dem Ideal eines offenen, kommunikativen und selbstgesteuerten Unterrichts den Weg zu bereiten, in dem die Schüler nicht nur das Lesen, sondern vor allem das Lernen lernen.

(ebd.)

 Und: Ein Leselehrgang ist um so wirkungsvoller, je unspezifischer er ist (Zitat Reichen-Script):

Ein Leselehrgang ist um so wirkungsvoller, je unspezifischer er ist, d.h. je weniger er sich nur auf Lesaufgaben konzentriert und je mehr er anderes, das scheinbar gar nicht dazu gehört, aufgreift.

(ebd)

Lehrerinnen, die sich auf das Konzept 'Lesen durch Schreiben' nach Reichen einlassen, dürften also wissen, was sie tun:

Wenn Reichen sich nicht darüber im Klaren ist, ob denn 'Lesen durch Schreiben' wohl auch eine Methode des Schriftspracherwerbs sei (Siehe oben!), ist diese Unsicherheit durchaus verständlich. Wenn heute von Schriftspracherwerb gesprochen wird, ist üblicherweise an den Erwerb auch der korrekten Rechtschreibung gedacht, und unbestritten gilt heute: Den Aufbau der deutschen Schriftsprache regeln vier grundlegende Prinzipien: das phonographische Prinzip, das silbische Prinzip, das morphologische Prinzip, das syntaktische Prinzip; daher darf in einem modernen Schriftspracherwerbsunterricht keines der genannten Prinzipien vernachlässigt werden, von Anfang an nicht. (107/113) Reichen erläutert, was er unter 'Schriftspracherwerb' auf dem Weg zum Lesen versteht (Zitat Reichen-Script):

 

Methode

Ausgehend von der Überlegung, dass Lesen und Schreiben prozesshaft zusammengehören, lernen die Schüler im Lehrgang 'Lesen durch Schreiben' zunächst nicht Lesen, sondern ausschließlich 'Schreiben', wobei 'Schreiben' nicht als motorische Fertigkeit verstanden wird, sondern als der geistige Akt, Sprache mit Schriftzeichen auszudrücken.

Grundaufgabe

Das wesentliche Lernziel ist die Fähigkeit des Schülers, ein beliebiges Wort in seine Lautabfolge zu zerlegen und danach pho­netisch vollständig aufzuschreiben. Zu diesem Zweck vermittelt der Lehrgang dem Schüler von Anfang an Einsicht in das Prinzip unserer Lautschrift und stellt die Hinführung zur Lautstruktur der Sprache in den Mittelpunkt der Lernanstrengun­gen des Anfangsunterrichts. Für die praktische Arbeit steht dem Schüler als zentrales Hilfsmittel eine Buchstabentabelle zur Verfügung, aus welcher er die richtige Zuordnung eines jeden Buchstabens zu seinem Lautgehalt ablesen kann. Mit dieser Hilfe kann er prinzipiell alles schreiben, was er schreiben will. Es wird also von Anfang an mit dem gesamten Laut- und Buch­stabenbestand gearbeitet, so dass der Wortschatz keinerlei Einschränkungen unterliegt.

(165)

Die Einwände gegen das Prinzip des 'Schreib, wie du sprichst!' bzw. gegen die einseitige Fokussierung des phonographischen Prinzips und des Schreibens nach Gehör und mit der Anlauttabelle, der Lauttabelle oder der Buchstabentabelle werden in Kapitel IV. ausführlich vorgetragen. Reichen beeindruckte es offenbar keineswegs, dass gem. dem Stand der neueren Wissenschaft im Schriftspracherwerbsunterricht von Anfang an neben dem phonographischen auch das silbische Prinzip, das morphologische Prinzip sowie das syntaktische Prinzip eine bedeutende Rolle übernehmen müssen. Obschon 'Lesen durch Schreiben' - nach Reichen - eigentlich ein Leselehrgang ist, befasst sich Reichen in seinem Script ausführlich mit der Rechtschreibung und dem Rechtschreibunterricht. Offenbar weiß er, dass die von ihm und seiner Methode enthusiasmierten Lehrerinnen sich eng an die dogmatischen Reichen-Vorgaben halten und dabei auch seinem ausdrücklichen Gebot folgen, ne­ben der Arbeit mit seinem Konzept die Rechtschreibung in keinerlei Ausformung zu fokussieren. Damit entsprechen sie dann einem weiteren Dogma Reichens, dass man nämlich den Schriftspracherwerb " 'laufen lassen' sollte, d.h. dass man didaktisch nicht eingreifen darf" (166), wie auch diesem absurden Postulat: "Der bisherige, didaktisierte Rechtschreibunterricht gehört abgeschafft". (167)

Für den "Zweitleseunterricht", d.h. für den Unterricht nach dem Erlernen der lautgetreuen Schreibung, heißt es bei Reichen für das Erlernen der Rechtschreibung (Zitat Reichen-Script):

 

  • Die Kinder im Rahmen natürlicher Schreibanlässe viel Vernünftiges und Sinnvolles schreiben lassen und auf traditionellen Rechtschreibunterricht verzichten. Die Rechtschreibung kommt mit der Zeit von selbst.

  • Dieser Prozess ist weitgehend "naturwüchsig", d.h. er entzieht sich didaktischer Beeinflussung. Der übliche Recht­schreibunterricht nutzt nichts und schadet viel.

  • Die traditionelle Schule organisiert das Lernen als eine Angelegenheit, die bewusst und willentlich gesteuert abläuft. Den Kindern werden Sachverhalte erklärt, die sie sich aneignen sollen. Deshalb werden unzählige Übungen usw. erson­nen, um diesen Prozess zu unterstützen. Geht man jedoch davon aus, dass dieser Prozess eine genetische Grundlage hat, dann muss man folgern, dass er implizit (also nicht bewusst und nicht willentlich steuerbar) verläuft und durch bewusst ablaufende Maßnahmen nicht unterstützt, sondern gestört wird. Wenn der Schriftspracherwerb eine genetische Grund­lage hat, dann gibt es in unserem Genbestand ein "Gen", das den Prozess des "Leserwerdens" steuert. Allerdings ereig­net sich dieser Prozess nur, sofern das „Lese“-Gen „eingeschaltet“ ist. Eingeschaltet aber wird es durch Schreiben.

  • Wird akzeptiert, dass zum Verständnis von Prozessen auch Erkenntnisse beitragen, die aus Störungen des Prozesses ge­wonnen wurden, dann liefern auch Erkenntnisse der Legasthenieforschung Antworten zur Frage, wie der Schriftsprach­erwerb erfolgt. Das aber bedeutet: Wird Legasthenie durch Gendefekte verursacht, dann gilt der Umkehrschluss: Der Schriftspracherwerb wird genetisch mitgesteuert. Bestimmte Gene bewirken den Schriftspracherwerb, sind diese Gene beschädigt/verändert/fehlend, dann scheitert er. Angenommen, das sei so. Dann ist doch die logische Konsequenz, dass man den natürlichen, genetisch-determinierten Prozess "laufen lassen" sollte, d.h. dass man didaktisch nicht eingreifen darf. (168)

Auf solche und ähnliche Vorstellungen vom Lesen- und Schreibenlernen stützen sich - wie oben in den Kapiteln II. und III. bereits ausführlich diskutiert - ebenso Sommer-Stumpenhorst (’Rechtschreibwerkstatt’), Urbanek (’Tinto’) sowie das Konzept die Erfinder des 'Spracherfahrungsansatz', sie alle stört es aber ganz offenbar nicht, dass solche Thesen, nach denen sich das Sprechenlernen und die Sprache vorwiegend naturwüchsig entwickeln, sich als völlig haltlos erweisen. "Keine der rund 7000 noch lebenden Einzelsprachen ist angeboren. Das menschliche Genom bringt keine Sprache hervor; vielmehr schafft es durch eine besondere Organisation des menschlichen Hirns und mancher peripherer Organe die Voraussetzungen dafür, dass sprachliche Systeme geschaffen, gelernt und zu Sprachproduktion und Sprachverstehen genutzt ("verarbeitet") werden können."* Der Mensch hat die genetische Prädisposition sprechen zu können (Kehlkopf, Zunge und Gehirn haben genetisch die notwendigen Voraussetzungen): Das Sprechen und die Sprache müssen allerdings erlernt werden, schließlich ist die Sprache ein Kulturgut. (169)

Um ihre Konzepte zu legitimieren, gehen Reichen et al. noch einen Schritt weiter und verkünden dogmatisierend, dass sich, - ähnlich natürlich - wie Kinder das Sprechen und ihre Sprache erlernen, auch die Schriftsprache naturwüchsig entwickeln könne. Reichens Ideen, "Der Schriftspracherwerb ist genetisch bedingt“ oder “Es gibt in unserem Erbgut 'Gene', die den Prozess des 'Leserwerdens' steuern, – weshalb der Schriftspracherwerb didaktisch kaum zu beeinflussen ist!" sind ebenso schon lange als völliger Unsinn entlarvt. Nichtsdestotrotz nehmen Lehrerinnen argumentationslos insistierend für alle Kinder eine Art naturgegebener Homogenität für die Fähigkeit an, mit der sie alle gleichermaßen vom ersten Schultag an selbstge­steuert lernen und auf eben diesem Wege sich sogar das Lesen und Schreiben selbst beibringen könnten. Aus diesem Ansatz heraus schaffte es die Anlauttabelle ins Zentrum des neuen Schriftspracherwerbsunterrichts. Prof. Agi Schründer-Lenzen warnt indes: “Anlauttabellen als zentrales (!) Unterrichtsmittel, den Kindern Einsicht in die Struktur der Schriftsprache zu vermitteln, sind daher ungeeignet, weil damit gerade jenen Kindern, die unter ungünstigen Bedingungen der Lernausgangslage in den Schriftspracherwerbsprozess eintreten, ein inadäquates Lernmittel in die Hand gegeben wird. Dieses Fazit lässt sich durch empirische Forschungsbefunde absichern". (170)

Die Beherrschung einer Schriftsprache ist kein Naturgut, es sind Wissen und Können, die als Kulturtechnik sozial vermittelt werden. Kulturtechniken wie Schreiben und Lesen, wie auch z. B. das Klavier- und Geigenspiel, werden von erfahrenen und fachkompetenten Personen weitergeben, die zugleich wissen- und könnengeleitet durch die Vermittlung von erprobten Aneignungs- und Verwendungsstrategien Lernende vor Irrwegen und unökonomischen Verfahrensweisen bewahren können. Dass Kinder sich Kulturtechniken, die über Jahrhunderte hinweg entwickelt wurden, entdeckend und selbstgesteuert aneignen könnten, ist eine Mär. Dass die Kulturtechnik des Klavierspiels nicht naturwüchsig ist und erlernt und gelehrt werden muss, scheint indes eher einleuchtend zu sein. Es ist nicht auszudenken, was aus Mozart oder Beethoven geworden wäre, wenn deren Väter ihnen Klavier, Geige und Noten ins Kinderzimmer gestellt bzw. gelegt hätten mit dem Ansinnen „Nun entdeckt mal schön!“. Musikfreunde, die deren Biographien kennen, wissen, dass sich die Genialität Mozarts und Beethovens nur unter stetiger personaler Anleitung und sogar straff geführter Aufsicht ihrer Väter entfalten konnte.

Die Geschichte des Schreibens ist untrennbar verknüpft mit der Geschichte der Schrift, es gibt sie erst seit etwa fünf- bis sechstausend Jahren. Bereits zu Beginn der deutschen Schriftgeschichte im 8. Jahrhundert war die Grammatikalisierung der Orthographie weit fortgeschritten, da sich die Schreiber der frühen deutschsprachigen Texte an den weitgehend grammatika­lisierten lateinischen Schriften orientierten. (171) Bis dahin gab es vielfältige Versuche, den Dialekt des jeweiligen Schreibortes nach den lateinischen Schreibkonventionen möglichst phonemtreu abzubilden. Lautschrift im engeren Sinn wurde lediglich einmal - ansatzweise - versucht, durch Notker von St. Gallen (um 1000 n. Chr.). Es blieb bei lautorientierten Schreibungen, was u. a. auch daran lag, dass es für deutsche Phoneme im Lateinischen keine Entsprechungen gab. (172) Seit etwa dem 8. Jahrhundert verlaufen die Bestrebungen zur Regelung/Optimierung der lautorientierten Schreibung, zur Beachtung von syntaktischer Gliederung/syntaktischer Regeln sowie die Grammatikalisierung der Orthographie parallel zueinander - bis in die jüngste Zeit (Rechtschreibreform). Nach dem Ausgang des Mittelalters setzten Grammatiker im Laufe der Zeit zahlreiche orthographische Änderungen durch, die aber keineswegs durchweg dem morphematischen Prinzip zuzuordnen sind. (ebd.) Neben den Schreibungen nach dem morphematischen Prinzip seien insbesondere auch das historische Prinzip, das grammatikalische Prinzip, das semantische Prinzip und das ästhetische Prinzip zu nennen. Ein besonderes - bleibendes - Problem für die deutsche Rechtschreibung ist, dass das ältere phonematische Prinzip durch andere Prinzipien überformt ist, insbesondere durch das morphematische Prinzip. (173) Auch das führte schließlich dazu, "dass die Relationen zwischen Schriftsystem und Lautsystem vielschichtig und z. T. verwickelt, ja verworren sind. Keineswegs bildet die Orthographie eine reine oder auch nur halbwegs klare Abbildung des phonetisch/phonologischen Systems." (174) Bei diesem Sachverhalt ist es erfahrungsgemäß nahezu unmöglich, dass Kinder selbstgesteuert und selbst entdeckend eine lediglich dem phonematischen Prinzip folgende Verschriftung hinbekommen, die - in kommunikativer Absicht verfasst - weder von anderen, noch für den Schreiber selber dekodierbar wäre. Kinder im 21. Jahrhundert in der 1. Klasse - bereits ab dem 1. Schultag geht es um den Schriftspracherwerb - selbstgesteuert und selbstentdeckend Sprache prinzipiell möglichst phonemtreu abbilden zu lassen - was schon vor mehr als 1300 Jahren scheiterte -, ist nicht nur kurios, sondern verantwortungslos. Selbstverständlich hat auch das phonematische Prinzip beim Erlernen der Rechtschreibung einen gewissen Stellenwert.

Schon immer galten im Übrigen Fehlschreibungen bei Schreibanfängern nicht als Fehler, denn bei Schreibanfängern ist tat­sächlich nicht vorauszusetzen, dass sie bereits all die Überformungen des phonematischen Prinzips durch andere Prinzipien durchschauen könnten. Das müssen sie erst lernen - und zwar von Anfang an. Erfahrene und bemühte Lehrerinnen verfügen über ein großes Repertoire, Fehlschreibungen dezent und leserlich zu korrigieren und individuell und konkret am 'Fehler' auf die vereinbarten Regeln der Rechtschreibung einzugehen.

Diese Aussage Reichens bedarf einer besonderen Betrachtung (Zitat Reichen-Script)

 

Das aber bedeutet: Wird Legasthenie durch Gendefekte verursacht, dann gilt der Umkehrschluss: Der Schriftspracherwerb wird genetisch mitgesteuert.

(ebd.)

Die Anzahl der tatsächlich von einer genetisch bedingten Legasthenie betroffenen Kinder ist verschwindend gering. Dieser Sachverhalt dürfte eigentlich auch Jürgen Reichen nicht entgangen sein. Rechtschreibschwierigkeiten ergeben sich zumeist aus Defiziten bei den

Bei Kindern in diesen Ausgangssituationen müssen also keineswegs "bestimmte Gene" "beschädigt, verändert, fehlend" sein, in den allermeisten Fällen ist das Scheitern beim Schriftspracherwerb auf andere Ursachen zurückzuführen. (Zitat Reichen-Script)

 

Bestimmte Gene bewirken den Schriftspracherwerb, sind diese Gene beschädigt/verändert/ fehlend, dann scheitert er. Angenommen, das sei so. Dann ist doch die logische Konsequenz, dass man den natürlichen, genetisch-determinierten Prozess "laufen lassen" sollte, d.h. dass man didaktisch nicht eingreifen darf.

(ebd.)

Lehrerinnen, folgten sie den Prinzipien Reichens, wäre Verantwortungslosigkeit in höchstem Ausmaß vorzuwerfen. Verantwortungsvolle Lehrerinnen würden rechtzeitig an die bestehenden Defizite anknüpfen und diese durch einen in jeder Hinsicht angepassten und geeigneten Förderunterricht zu beheben versuchen. Insgesamt zeigt sich, dass auch Reichens Konzept alles andere als ein Konzept zur Individualisierung ist, Reichens "Laufen lassen" führt unweigerlich dazu, dass Kinder mit Defiziten - und das sind nicht wenige - beim Schriftspracherwerb scheitern, das Scheitern ist hauptsächlich auch seinem Dogma geschuldet, "dass man didaktisch nicht eingreifen darf." Prof. Dr. Rudolf Kretschmann, Universität Bremen: "Spätestens vom zweiten Schuljahr an ist der bis dahin erreichte Lernstand der zuverlässigste Prädiktor der weiteren Lernentwicklung. Ein bis dahin erfolgreiches Kind wird mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit erfolgreich bleiben. Lernrückstände dagegen werden zu weiteren Rückständen führen, wenn das Kind keine professionelle Hilfe erfährt" (175). In Finnland z. B. wird Förderunterricht sogar schon während des Anfangsunterrichts erteilt: "Gründe sind in der Anfangsphase der Gemeinschaftsschule meist Probleme beim Lesen oder Lernschwierigkeiten in Mathematik. In diesen Fällen wird Förderunterricht oft auch vorbeugend erteilt, wenn der Lehrer weiß, dass eine für später wichtige Thematik bevorsteht, z. B. in Mathematik." (176)

Schon 1988 weist Prof. Slavin (177) darauf hin, dass Offener Unterricht zu Lasten des Lernfortschritts beim Lesen, Schreiben und Rechnen geht und dem Lernfortschritt gewisse Grenzen gesetzt sind. Gerade für den Anfangsunterricht wird schon länger mit eindeutigen Aussagen von der Überlegenheit traditioneller Unterrichtsformen berichtet (178): “Wenn am Ende der 1. Klasse die Auswirkungen der beiden Unterrichtsarten auf den schulischen Fortschritt der Kinder bestimmt wurden, zeigte sich ein klarer Vorteil des traditionellen Unterrichts“. Prof. Wolfgang Schnotz formuliert eher vorsichtig, aber dennoch dezidiert: „Beim Erwerb von Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen sind dem Offenen Unterricht relativ enge Grenzen gesetzt“. (179)

Dagmar Tews, eine junge Wissenschaftlerin der Universität Kiel, legte mit ihrer Dissertationsschrift "Der sogenannte Offene Unterricht vor dem Hintergrund schultheoretischer, curricularer und psychologischer Kriterien" [2000] nach akribischen Untersuchungen zur wissenschaftlichen Befundlage eine wegweisende Betrachtung zur Machbarkeit Offenen Unterrichts in der Grundschule vor:

"Anschaulichkeit, Erfahrbarkeit und die Verankerung im konkreten Handeln spielen also gerade in der Grundschule noch eine große Rolle, auch wenn die Kinder mit zunehmendem Alter zu größerer Abstraktionsfähigkeit hingeführt werden sollen. In diesem Sinne sollte der Unterricht geöffnet sein, während dagegen das Prinzip der Selbstbestimmung, das im Offenen Unterricht gilt, zur Überforderung der jüngeren Kinder führen wird. Gerade sie sind noch auf ein hohes Maß an Unterrichtsführung durch den Lehrer angewiesen, der den Unterricht immer wieder transparent machen sollte, die verbindlichen Unterrichtsziele erklären, Arbeitsanweisungen geben sowie in Arbeitstechniken detailliert einführen sollte. Im Zusammenhang mit der Unterrichtsführung soll der Unterricht in der Grundschule nach den vorliegenden Befunden eher traditionell gestaltet werden, wobei die Kinder aber kontinuierlich an mehr Selbstständigkeit herangeführt werden müssen, damit auch Lernziele höherer Ordnung, die sogenannten Schlüsselfunktionen, mit der Zeit beherrscht werden". (180)

Geradezu abenteuerlich sind Reichens Einlassungen zum 'Üben'. "Übung macht den Meister." In neurobiologischer Hinsicht ist diese Volksweisheit längst eingeholt und auf vielfache Weise bestätigt. Reichen äußert sich zum Üben (Zitat Reichen-Script):

 

Dieses Nachahmungslernen mit anschließender Dauerübung ist nicht der didaktische "Königsweg". Wer tiefer in die Problematik von Lernprozessen eindringt, stellt sehr bald fest, dass selbstgesteuertes Lernen durch Selbstentde­ckung mit lediglich funktional-begleitender Mitübung das überlegenere Lernverfahren ist. Solange aber aufgezwun­genes Nachahmungslernen mit anschließendem Üben, Üben, Üben dominant bleibt, werden alle anderen "Refor­men" randständig und d.h. zugleich wirkungslos bleiben. Und die Grundschule wird abschließend auch ihre Proble­me nicht lösen können, von denen sie inzwischen ja mehr als genug hat. Zur kindgemäßen und zukunftsoffenen Schule, in der Kreativität, Mitmenschlichkeit, Zusammenarbeit, kritische Urteilsfähigkeit und altersgemäße Mündig­keit im Zentrum stehen, wird sie erst, wenn allgemein akzeptiert wird, dass das Üben das größte aller Übel ist!

(181)

Dass Üben in der Schule die Entwicklung einer kindgemäßen und zukunftsoffenen Schule, von Kreativität, Mitmenschlichkeit, Zusammenarbeit, von kritischer Urteilsfähigkeit und altersgemäßer Mündigkeit behindern könnte, ist eine ziemlich hirnrissi­ge Idee, die hier nicht weiter diskutiert werden muss. Die Erkenntnisse der Entwicklungs- und Lernpsychologie zum Thema 'Üben' hat Dr. Kordula Rose-Werle von 'Internationales Centrum für Begabungsforschung' (European Council for High Abilitiy [ECHA]) unter dem Titel "Üben und Sichern" in Kurzform zusammengetragen (182):

Es ist im Übrigen anzunehmen, dass Reichen sehr wohl um die unübersehbaren Schwächen seiner Methode - insbesondere des Schriftspracherwerbs im Verständnis der gegenwärtigen Didaktik - wusste, verantwortlich dafür macht er indes mit kru­der Argumentation die "Rechtschreiberei" (Zitate Reichen-Script):

 

Unsere ganze "Rechtschreiberei" ist doch bei Lichte betrachtet absurd. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts gab es keine Rechtschreibung. Goethe konnte keine Rechtschreibung, trotzdem gab es damals eine hochentwickelte Wissenschaft, Literatur und Philosophie. Wie absurd das Ganze ist, zeigen nicht zuletzt die immer wieder angesagten und manchmal auch versuchten "Reformen". Betrachtet man genauer, was die "Ortho-Grafen" in ihrer Regelungswut fordern, kann man wirklich nur mit Walter Boehlich von "halben Lösungen und ganzen Idiotien" sprechen. (vgl. Titanic 1/1995) Selbst wenn die Leute in der Rechtschreibung schlechter wären, als sie es heute sind, was würde das ändern? Rechtschreibung sei wichtig, wird gebetsmühlenartig landauf, landab betont. Frage: Warum eigentlich? Für wen eigentlich? Ich sage nein! Sie ist unerheblich - totes Wissen, mit dem man auf dem Weltmarkt keine müde Mark verdienen kann. Man sollte sich doch wirklich mal die Frage stellen, was man eigentlich von dieser Rechtschreibung hat? Glaubt denn irgend jemand, dass ein amerikanischer Konsument, der ein deutsches Produkt kaufen soll, damit der deutsche Export floriert, sich dafür interessiert (und seine Kaufentscheidung davon abhängig macht), ob der deutsche Hersteller die Rechtschreibung beherrscht? Man muss Mathematik können, Physik, Chemie, Psychologie, Ökonomie usw. aber nicht Rechtschreibung. Rechtschreibung zum zentralen Selektionskriterium zu machen, wie das in Deutschland der Fall ist, führt dazu, dass wir den braven Angepassten, den Bürokraten und Ordnungsfanatikern, den "Erbsenzählern" usw. die Zukunft anvertrauen, während die Kreativen, die Eigenwilligen, die sich eigene Gedanken machen, auf der Strecke bleiben. Wer will das so? (ebd.)

Heute, da Rechtschreibung an den Computer zu delegieren ist und dem wachsenden wirtschaftlichen Wettbewerbsdruck nur mit kreativ-produktiven Fähigkeiten begegnet werden kann, gibt es eine Alternative: Die Rechtschreibung als das zu sehen, was sie ist: eine Hilfe für Leser, nicht mehr und nicht weniger und sie damit nicht länger hin so wichtig zu nehmen. Der bisherige, didaktisierte Rechtschreibunterricht gehört abgeschafft, vor allem aber müssten die künftig wirklich wichtigen Qualifikationskriterien die schulische Selektion bestimmen. (183)

Wie bei der Grammatik zerstören „Fehler“ nicht die Verständlichkeit, sie erschweren sie höchstens. Und weil die Rechtschreibung im Unterschied zur Grammatik, die sowohl in der mündlichen wie in der schriftlichen Sprache eine Rolle spielt, nur im Schriftbereich zum Zuge kommt, ist sie das unwichtigste. Rechtschreibfehler verringern, wie gesagt, nicht mal die Verständlichkeit, der einzige Nachteil, den sie haben: sie erschweren die Lesbarkeit: „Ain klainer Töifl sas neben dem Misthaufen.“ Ja, sie erschweren die Lesbarkeit – nur: ist das wirklich soooo schlimm? (ebd.)

Das wäre allenfalls noch hinnehmbar, wenn Rechtschreibung ein wichtiges, wirklich nützliches, die die kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Weiterentwicklung beflügelndes Können wäre – aber das ist ja keineswegs der Fall, im Gegenteil: Rechtschreibung ist ein unproduktives, totes Buchstabenwissen, das einer Bürokratenmentalität Vorschub leistet. (ebd.)

Vielleicht steht mir nicht zu, die Hochschätzung des Bildungsgutes „Rechtschreibung“ als Ausfluss einer kollektiven Zwangsneurose verächtlich zu machen und die redlichen Bemühungen ganzer Schüler-, Eltern- und Lehrergenerationen als kontraproduktiv zu verspotten bzw. mit der Unterstellung zu konfrontieren, der ganze Aufwand habe letztlich nichts anderes im Sinn, als die sozialen Aufstiegschancen von Grundschichtkindern zu verringern und gleichzeitig die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Bevölkerung wirtschaftlich und politisch besser beeinflusst werden kann. (ebd.)

Die Frage, warum die Rechtschreibung im deutschen Schulwesen gegen jede Vernunft einen derart zentralen Stellenwert hat, wie sie hat, ist für mich abschließend nur zu verstehen, wenn ich die Annahme mache, dass Rechtschreibung in Deutschland zu einer "überwertigen Idee" wurde, geboren aus einer kollektiven Zwangsneurose, welche höchstwahrscheinlich mit Schuldverdrängungen nationalsozialistischer Verbrechen in einem Zusammenhang steht. (ebd.)

Diese schlichte Argumentation gegen die "ganze 'Rechtschreiberei' " müsste eigentlich nicht kommentiert werden. Reichen wird wissen, dass sein einseitig phonographisch orientiertes Konzept bei den Kindern schon bald falsche Vorstellungen über richtiges Schreiben verfestigt und dass der Rechtschreibunterricht eigentlich vor allem dem silbischen, dem morphologischen sowie dem syntaktischen Prinzip eine bedeutende Rolle zuweisen müsste. "Keineswegs bildet die Orthographie eine reine oder auch nur halbwegs klare Abbildung des phonetisch/ phonologischen Systems." (184)

Kinder, die in der neuen Grundschule von heute erfolgreich sind, verdanken ihre Erfolge keineswegs der in die Irre führenden allerorten praktizierten sog. neuen Didaktik wie 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'. Die in Stadt und Land sprießenden Nachhilfeinstitute, die Eltern, Großeltern oder fachkundigere Verwandte haben längst den außerschulischen Förderunterricht in die Hand genommen, um den antrainierten Lese- und Rechtschreibschwächen beizukommen: Buchhandlungen bieten inzwischen zur häuslichen Nachhilfe in überbordender Fülle Materialien an. Hinreichend bekannt ist inzwischen, dass die Schule das auf diese Weise erworbene Wissen und Können der Kinder als ihre Erfolge feiert.

Lehramtsstudenten jedweden Lehramts trugen Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre, beifallheischend und - selber wohl auch auf Arbeitserleichterung hoffend ('das Schulmeisterkreuz mit der Rechtschreibung' !), den Slogan "Rechtschreibwissen ist Herrschaftswissen" in die Schulen: Alles Rechtschreibwissen sei als elitäres Wissen zu verabscheuen, da es schon immer als Herrschaftsinstrument der herrschenden Klasse missbraucht werde. Zu lautstarken Diskussionen kam es mancherorts zwischen ihnen und den Altgedienten, die dem neuen Trend in keiner Weise zustimmten und den Rechtschreibunterricht partout nicht auf ein Minimum beschränken wollten.

In einem gewissem Sinne hatten die 68er mit ihrer flotten Parole allerdings schon Recht, nur zogen sie ganz sicher daraus die falschen Schlüsse: 'Wissen' bedeutete schon immer auch 'Macht', wie der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon (1561-1626) bereits zu Anfang des 17. Jahrhunderts konstatierte. Das galt und gilt wohl auch für die Kompetenz, richtig schreiben und lesen zu können. Die besondere Bedeutung der Schriftkompetenz schon in alter Zeit beschreibt der Sprach- und Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Peter Stein (185) und zeigt, dass es schon immer so war - wie es wohl auch heute noch bzw. schon wieder ist:

"Schriftkompetenz war eine Spezialfähigkeit, die zur Herrschaftsausübung gehörte und deswegen Eliten vorbehalten war. So betrachtet hat die Fähigkeit zur Schriftnutzung den Effekt gehabt, Herrschaft zu erhalten und zu erhöhen. Der französische Ethnologe C. Lévi-Strauss ging sogar so weit zu behaupten, »daß die Schrift zunächst der Ausbeutung des Menschen diente, bevor sie seinen Geist erleuchtete.« (Zit. nach Kuckenburg (1989), S. 220.) Dieses Interesse ist nicht zu bestreiten, zumal unverkennbar ist, dass im Schreiben immer ein Fest-Schreiben wirkt, das Schrift zur Vorschrift werden lässt und die Texte in ihrer kanonischen Funktion zur Geltung bringen will."

Schriftkompetenz ist auch heute weiterhin ein bedeutendes Instrument der Herrschafts-/Machtausübung und in allen mögli­chen Lebensbereichen - auch in halbprivaten und sogar in privaten - von großer Bedeutung. Sprachhandlungskompetenz ist die Grundlage für Kommunikationskompetenz und somit auch für die Erlangung sozialer Handlungskompetenz. Schon Anträ­ge, Verträge, Ankündigungen, Aufforderungen etc. wird der eher weniger lesekompetente Leser - zu seinem Schaden - oft nicht verstehen können oder missdeuten. Geht mit einer defizitären Lesekompetenz eine mangelhafte bzw. unzureichende Formulierungs- und Rechtschreibkompetenz einher - was in der Regel der Fall ist - , findet sich der auf diese Weise in seiner Sprachhandlungskompetenz Restringierte schon bald in der - je nach Fall und Situation unterschiedlich ausgeprägten - Ver­liererrolle. Man weiß, dass Menschen, die in ihrer Sprachhandlungskompetenz Defizite haben, oft genug ihre Rechte nicht wahrzunehmen imstande sind oder aus Scham darüber, jemand könne sich über ihre schriftlichen Einlassungen belustigen, darauf verzichten. Reichens Argument gegen die "Rechtschreiberei", dass nämlich heute "Rechtschreibung an den Computer zu delegieren ist", ist unreflektierte Nacherzählung, auf die hier nicht näher einzugehen ist. Was der Computer mit Falschrei­bungen wie diesen macht, ist leicht überprüfbar: Fiele läute wahren an denn ständen zu Seen, sieh Alle wahren Gans begeistert. Zu Schreibungen wie diesen sagt Reichen: "Ja, sie erschweren die Lesbarkeit – nur: ist das wirklich soooo schlimm? "(Siehe oben!)

Mit den hier vorgestellten Auffassungen von Unterricht lässt sich keine Schule entwickeln, die Chancengleichheit und Chan­cengerechtigkeit gewährleistet, eine 'humane' und 'demokratische' Schule also, die zukunftswirksam ist, mit einem Höchst­maß an wirklicher Individualisierung, u. a. durch den Einsatz getesteter effektiver alters- und kindgemäßer Unterrichtsfor­men und ebensolcher Lehr-/Lernmittel, eine Schule, die kein Kind zurücklässt, die sich fürsorglich um alle Kinder kümmert, die alle fordert und alle fördert und alle darauf vorbereitet, als gebildete und gut ausgebildete, als mündige und wachsame - als kompetente Bürger - für sich, für andere sowie für unsere Demokratie Verantwortung übernehmen zu können.

Reichens "laufen lassen" ist keinesfalls ein pädagogisches Konzept, mit diesem Konzept geben Pädagogen (gr.- lat. = Kinder­führer) ihre Rolle auf: Die Kleinsten sollen auf der Reise in die Schriftsprache intuitiv von sich aus den Weg finden können. Der Schriftspracherwerb als Selbstläufer! Ein unsinniges Prinzip!

Nach Veröffentlichung dieses Kapitels XV wurden vom Heinevetter-Verlag etliche der hier zitierten Seiten bzw. einzelne Zitate von ihrer Homepage genommen.


XIX.

Prof. Dr. rer. soc. H. Brügelmann: Reformpädagoge ohne Lehramtsbefähigung

- Der Erfinder der radikal-reformpädagogisch gedachten 'Lesen-durch-Schreiben'-Version -


Aus Lehrerforen: Aufsatzerziehung for Dummies:

Dumm

'Dativ' oder 'Akkusativ' nach 'helfen'?

DATAk3

In einem Forum für Primarstufenlehrer wandte sich am 21. September 2012 hilfesuchend eine ratlose und besorgte Grundschullehrerin mit folgendem Eintrag an ihre Kolleginnen:

Lehrerfor Primar

Mit der folgenden - unglaublichen - Antwort besonders schnell dabei war ein Lehrer/eine Lehrerin für Sonderpädagogik:

Lehrerforprimar2

Die Rat suchende Lehrerin, offenbar eine Berufsanfängerin, bedankt sich indes ohne Argwohn:

Lehrerforprimar3

Wie kann das sein: Immerhin haben Grundschullehrerinnen mindestens drei Jahre lang an einer Universität studiert und in einem Seminar eine zweijährige Vorbereitungszeit abgeleistet. Professorin Renate Valtin wäre nicht erstaunt, von solchen Zuständen zu hören, sie weiß nämlich, dass es darüber hinaus Lehrern oft auch sogar am Rüstzeug für eine umfassende grammatische Regelkunde fehlt: "Viele Lehrer haben bisher viel zu wenige Grammatikkenntnisse erworben." (186) Zudem hat Professorin Cordula Löffler in zahlreichen Untersuchungen herausgefunden, dass viele Lehrer/Innen selber nicht einmal die für korrektes Schreiben zwingend notwendigen Rechtschreibregeln beherrschen. Sie stellt daher durchaus zu Recht die Frage, wie Lehrer/Innen denn wohl auch zu diesem Wissen kommen sollten. Ihre Antwort: "Wenn es nicht schon an der Hochschule gelehrt wird, ist es sehr schwierig, sich dieses Wissen ohne die entsprechende Anleitung anzueignen." (187)

Doch Hochschulen/Universitäten vermögen offenbar das eigentlich von ihnen Geforderte immer weniger noch zu leisten. Ein Grund dafür mag sein, dass eine nicht übersehbare Anzahl an Studentinnen/Studenten bei Professoren studiert, die ohne Zweifel überfordert sind, weil sie nicht viel mehr als einen eben solchen Werdegang nachzuweisen haben wie Dr. rer. soc. Hans Brügelmann:


curriculum vitae des Reformpädagogen Prof. Dr. rer. soc. H. Brügelmann: (Internet-Aufnahme vom 11. November 2012):

1946

geb. in Berlin, Abitur in Köln

1966/1968
1969/1970

Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften in Berlin, Bonn und Tübingen (1. jur. Staatsexamen 1970)

1968/1969

Studium am London Institute of Education (Political Education) - (einsemestriges Fernstudium ?)

ab 1970

Aufbaustudium in Konstanz*

1973

Abschluss des Aufbaustudiums in Konstanz mit dem Grad Lic. rer. soc. (Sozialwissenschaften)

1973/1975

Forschungsstipendium der Stiftung Volkswagenwerk (Universität Konstanz, CARE/UEA Norwich, OISE Toronto, CIRCE Urbana/Ill.)

1975

Promotion zum Dr. rer. soc. (Sozialwissenschaften) in Konstanz

1975-1977

wiss. Mitarbeiter am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik, Münster

1977/1980

Evaluation der einstufigen Juristenausbildung in Konstanz als wiss. Mitarbeiter des Justizministeriums Baden-Württemberg

* Bisweilen findet sich in “Aufbaustudium in Konstanz“ der Zusatz “Grundschuldidaktik“. Dazu ist anzumerken, dass in Deutschland die ersten Lehrstühle für Grundschulpädagogik bzw. Grundschuldidaktik erst ab 1966 in Hessen und ab 1971 in Bayern eingerichtet wurden, d. h., in Konstanz gab es 1970 keinen Lehrstuhl für Grundschulpädagogik bzw. Grundschuldidaktik. Von der Universität Konstanz war zu erfahren, dass an Baden-Württem­bergs Universitäten schon immer nur die Ausbildung zum Gymnasiallehrer und zu Lehrern im beruflichen Schulwesen stattfand. Deshalb gab es an der baden-württembergischen Universität Konstanz auch nie Professuren für den Bereich der Grundschulpädagogik/-didaktik. Grundschulpädagogik und -didaktik werden in Baden-Württemberg seit jeher ausschließlich an Pädagogischen Hochschulen gelehrt.

In einer Kurzbiographie für Bayern-alpha-forum stellt Brügelmann selber klar (screenshot): Es gab kein Aufbaustudium der Grundschuldidaktik.

Brü Interview

Brügelmann mag nicht geahnt haben, welche beruflichen Möglichkeiten ihm sein Ausbildungsgang auch ohne zweites juristisches Staatsexamen eröffnen könnte. Dass er damit keinesfalls eine Professur für Orthopädie, für Molekularbiologie, Germanistik oder Linguistik an einer Universität anstreben konnte, mag er wohl angenommen haben: mit einer Bewerbung auf ein solches Amt wäre er zweifelsohne auf völliges Unverständnis und Spott gestoßen. Dass sein Ausbildungsgang jedoch für die Übernahme einer Professur in Grundschulpädagogik reichte, hat ihn vielleicht selber verwundert:

 

1980/1993

Professor für Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben an der Universität Bremen

seit 1993

Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität/Gesamthochschule Siegen

Weil Brügelmann weder irgendein Lehramtsstudium mit den abschließenden I. und II. Staatsexamina vorweisen konnte, er also keinerlei Lehramtsbefähigung hatte, hätte er nicht einmal an einer Privatschule unterrichten dürfen. Hinderlich bei seiner Berufung zum Professor für Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben war offenbar auch nicht, dass er über keinerlei Praxis in Schulklassen verfügte. Allerdings muss es wohl Kreise gegeben haben, die ihn dennoch für tauglich hielten, als Professor Lehramtsstudenten auszubilden, darin also, wie und was sie nach ihren bestandenen Examina als Lehrerinnen/Lehrer in der Grundschule zu unterrichten haben.

Im Jahre 1980 wurde der Doktor der Sozialwissenschaften H. Brügelmann von der Universität Bremen zum Professor für An­fangsunterricht mit den Schwerpunkten Erstlesen u. Erstschreiben ernannt. Die Universität Bremen galt zu der Zeit, und das weit über die Bundesrepublik hinaus, als "rote Kaderschmiede" und war verschrien als "Marx- und Moritz-Uni". (188) Versammelt hatten sich dort die DKPler aus Marburg, Spontis aus Frankfurt und die Roten Zellen aus Berlin, die Kommunistische Studentenorganisation (KSO), der Kommunistische Studentenbund (KSB), der Marxistische Studentenbund "Spartakus" sowie der Sozialistische Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB). (189) Über die damalige Lehre an der Bremer Universität heißt es noch heute: „Kritiker ätzten über ihr Schwergewicht an 'Laberfächern' wie Pädagogik und Politik." (190) In der Berliner Zeitung war am 07.06.2006 zu lesen:

"Anfang der achtziger Jahre war die Sache vollends verfahren. Die Stadt Bremen wollte mit ihrer Uni nichts mehr zu tun haben und weigerte sich, deren Lehramtsabsolventen zu übernehmen.“ (191)

Nicht genehme Bewerber um eine Professur kamen nicht auf die Bewerbungsliste, wenn sie, wie ein Dienstleiter formulierte, "wissenschaftlich über- oder politisch unterqualifiziert" waren. (192) Und es kam vor, dass sogar solche Bewerber zum Zuge kamen, die erst im vorhergehenden Jahr das Studium mit der Promotion beendet und weitere Lehr- und Forschungstätigkeit nicht aufzuweisen hatten. (ebd.) Bis etwa Ende der 80er Jahre hatte die Universität Bremen in der Wissenschaftlergemeinde einen derart schlechten Ruf, dass sie völlig isoliert dastand. Mehrmals versuchte die Bremer Universität, in die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen zu werden, immer wieder scheiterte man jedoch an Qualitätsfragen. Inzwischen, seit etwa 2006, heißt es von der Universität Bremen: "So regiert heute zackiger Wettbewerbsgeist, wo sich einst Genossen zum Palavern trafen". (193)

Wer seinerzeit nach Bremen gerufen wurde, musste schon d'accord sein mit solchen Verhältnissen, musste das alles akzeptie­ren - und musste selber akzeptiert werden. Manch einer konnte von dem Ungeist, der die "Marx- und Moritz-Uni" in jenen Zeiten regierte, profitieren: Wer wissenschaftlich über- oder politisch unterqualifiziert war, hatte ohnehin keinerlei Chancen zur Übernahme einer Professur, es bedurfte zudem nicht unbedingt eines Fachstudiums, nicht jahrelanger eigener For­schungstätigkeit - betr. Brügelmann in den Bereichen Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben sowie in Grundschuldidaktik -, es bedurfte außerdem nicht eines ansonsten üblichen ordentlichen Habilitationsverfahrens z. B. mit Einreichung einer Habilitationsschrift. So ließ sich Brügelmann in einem Gespräch mit Willi Streit widerspruchslos als "Quereinsteiger" bezeichnen. (194) Undenkbar, an Universitäten solche "Quereinsteiger" auch als Professoren für Orthopädie und Unfallchirurgie, für Molekularbiologie oder Teilchenphysik anzutreffen. Nicht abwendbar ist da wohl auch die Frage, was von einer Wissenschaft wie der Grundschuldidaktik zu halten ist, wenn Quereinsteiger wie Brügelmann diese "Wissenschaft" jahrzehntelang mit fast durchweg abstrusen pädagogischen Konzepten (z. B. Spracherfahrungsansatz u. radikaler Konstruktivismus) dominieren können. Von der Wirkung seiner Lehren mochte Brügelmann denn auch nie etwas wissen: PISA, IGLU und VERA-Vergleichsarbeiten lehnt er wortreich und mit findiger Argumentation ab. Mit dieser Position knüpft er offenbar an die alten Forderungen der 70er und 80er Jahre aus der Universität Bremen an, in dem seinerzeit geplanten Hochschulrahmengesetz eine sog. "Experimentierklausel" verankern zu lassen. Der Bundesrat lehnte das ab und entschied sich damit auch gegen die darin angestrebten Bremer Reformen wie die geforderte freie Wahl der Prüfer und die freie Auswahl der Prüfungsthemen, die Abschaffung aller Zensuren, die Abschaffung von punktuellen Zwischenprüfungen. (195)

Später räumte der Quereinsteiger Brügelmann ein:
 


Als ich 1980 von der Universität Bremen auf eine Professur für Anfangsunterricht berufen wurde, hatte ich von Lese- und Schreibdidaktik kaum Ahnung. Um mich vor den Studierenden nicht zu blamieren, las ich alles, was ich in die Hände bekam – und war irritiert: Überall konnte ich lesen, wie man Lesen und Schreiben lehrt, aber ich fand kaum empirische Befunde bzw. Erklärungsansätze dazu, wie Kinder lesen und schreiben lernen.“

(196)

Des ungeachtet schrieb der Seiteneinsteiger Prof. Brügelmann drei Jahre nach seiner Ernennung, also 1983, sogar schon sein erstes Buch zur Lese- und Schreibdidaktik im Anfangsunterricht, es sollte wegweisend werden: Grundschulpädagogik lässt sich – nach brügelmannschem Verständnis - sogar am Schreibtisch - erlernen.

Grundschullehrer/innen unterrichten heute durchweg so – und das mit hohem Engagement und nach bestem Wissen und Gewissen - wie sie es an den Hochschulen und Seminaren gelernt haben und es ihnen oft sogar vorgeschrieben wird (teilweise in Thüringen): nach 'Schreiben nach Gehör ('Lesen durch Schreiben') bzw. nach dem 'Spracherfahrungsansatz'. Gelernt haben sie bei Professoren, die oft genug nicht einmal irgendein Lehramt studiert haben, die nur in Ausnahmefällen auf eine schulische Tätigkeit verweisen können - was jedoch regelmäßig Jahrzehnte zurückliegt -, die auch kein Fachstudium in Einzelwissenschaften wie der Fachdidaktik Deutsch, der Psychologie oder der Sprachwissenschaft nachweisen können. Es ist auch nicht bekannt, dass je ein Professor für Grundschulpädagogik über längere Zeit hinweg eigene berufsbegleitende regelmäßige Unterrichtstätigkeiten vor Ort als notwendigen praktischen Teil seiner Aufgaben gesehen hätten. Professoren aus anderen Fachrichtungen monieren das zu Recht:

Der Hirnforscher Prof. Dr. Manfred Spitzer:

"Die Vorstellung, dass ein Professor nach dem Studium für ein paar Monate an eine Klinik geht, um sich dann der Didaktik der Medizin und der Ausbildung der Ärzte (und sonst nichts) zuzuwenden, ist in der Medizin ab­surd. Genau dies geschieht jedoch in der Pädagogik. Die klinischen Aufgaben eines Universitätsprofessors in der Medizin würden ein viertel bis zu einem dreiviertel Deputat an einer Schule entsprechen. Warum können Professoren für Pädagogik dies nicht ähnlich handhaben?" (74)

Folglich drängt Spitzer in 'Medizin für die Bildung - Ein Weg aus der Krise' auch auf Veränderungen in der Lehrerausbildung:

"[.....] Und nur derjenige, der auch Schüler unterrichtet, darf Lehrer ausbilden. Damit wäre eine Reihe wichtiger Forderung erfüllt: Warum sollen Sie sich all dies vorstellen? - Weil Sie dann einen Eindruck davon bekommen, was im Bereich der Lehrerbildung der Normalfall ist. Professoren für Pädagogik haben keine Schüler. Die "Praxis" erleben Studenten irgendwo an Schulen, losgelöst von der Theorie. Nirgends erfahren Lehramtsstudenten, wie ihr theoretisches Wissen von demjenigen, der es lehrt, konkret angewendet wird. Die Lehren der Professoren sind nicht in der Praxis geerdet." (129)

Prof. Dr. Rainer Dollase, Universität Bielefeld, Abteilung Psychologie:

Ein Chirurgieprofessor kann seinen Studierenden auch die Entfernung eines Blinddarms vormachen und die Stu­dierenden lernen durch Beobachtung, also durch Vormachen und Nachmachen, wie man so etwas tut. So ge­schieht es in der Erziehungswissenschaft seit 20 - 30 Jahren nicht mehr: Fachfremde Professorinnen und Profes­soren phantasieren auf der Basis von Literatur sich neue pädagogische Theorien zusammen, bilden im Brustton der Überzeugung Lehrkräfte aus, die dann den Stoff in Prüfungen perfekt herunterrasseln, ohne in irgendeiner Form irgendetwas für die Praxis gelernt zu haben. […..]

Wie soll man eine verbesserte Qualität in unserem Schulsystem erreichen? Der einfachste Weg wäre, wenn man Lehrerausbildungsinstitutionen hätte, in denen Professoren mindestens einmal im Jahr einen Monat lang eine schwierige Sekundarstufe I Klasse übernähmen (keine S II Klasse) und ihre weltabgehobenen Ideologien dort vor Ort testen. Wenn also die Professorinnen und Professoren, die unsere Lehrer und Lehrerinnen ausbilden, selber Experten für die Praxis wären. Dann hätten wir einen Zustand wie in der Medizin.“ (197)

Prof. Dr. Hans Peter Klein, Goethe-Universität Frankfurt, Abteilung für Didaktik der Biowissenschaften:

"Dazu ein kleiner Vergleich: Selbstverständlich würde es jeder als völligen Unsinn ansehen, wenn zum Beispiel ein Fußballbundesligist von einem Trainer trainiert würde, der selbst nie im Leben Fußball gespielt hat, wohl aber vorgibt zu wissen, wie man erfolgreich Fußball spielt. Oder würde jemand Dirigent der Berliner Philharmoniker, der noch nie ein Instrument in der Hand gehabt hat? Dies wäre undenkbar. Leider ist es derzeit bei der schuli­schen Bildung aber genau so. Es werden Konzepte fast ausschließlich von Personen entworfen, die das letzte Mal in der Schule waren, als sie ihr eigenes Abiturzeugnis abgeholt haben, die aber selbst noch nie eine Klasse mit 35 Schülern unterrichtet haben." (198)

Als der Reformpädagoge Dr. rer. soc. H. Brügelmann im Jahre 1980 zum Professor für Anfangsunterricht mit den Schwerpunkten Erstlesen und -schreiben ernannt wurde,

Praxisferne Professoren für Anfangsunterricht mit den Schwerpunkten Erstlesen und Erstschreiben verbreiten nicht selten abstruse praxisferne Lehren:

In der Medizin lassen sich die Folgen einer Lehre mit bedenklichen Inhalten schon bald durch die fatalen Auswirkungen für die Patienten belegen. Professoren in Sachen Grundschulpädagogik müssen solche Risiken nicht befürchten. Die Folgen obskurer pädagogischer Lehren auf der Basis weltabgehobener Ideologien werden in ihrem ganzen Ausmaß zumeist erst an den weiterführenden Schulen deutlich erkennbar, zudem wird kein Kind daran körperlich leiden oder gar sterben müssen. Kritik an den den nicht selten diffusen Lehren wird mit Attacken begegnet, die der Selbstimmunisierung dienen. So wettert der Professor Brügelmann unaufhörlich gegen Studien wie PISA und IGLU sowie gegen jegliche Form von Vergleichsarbeiten wie VERA: Sie könnten eines Tages unangenehme Wahrheiten herausfinden. Von evidenzbasiertem Handeln hält die reformierte Grundschulpädagogik nicht viel.

In 1983, drei Jahre nach Antritt seiner Professur in Bremen, sah Brügelmann, der Professor für Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben, seine Bemühungen, die mangelnden Kenntnisse in Lese- und Schreib­didaktik durch Lesen zu beheben, offenbar schon als ziemlich erfolgreich an. Das führte dazu, dass er sich nunmehr auch für kompetent genug hielt, sein erstes Buch ausgerechnet zum Thema 'Schriftspracherwerb' zu veröffentlichen: „Kinder auf dem Weg zur Schrift“. Nur drei Jahre eifrigen Lesens hatten dem fachlich unkundigen Brügelmann ausgereicht, aus dem erlesenen Wissen seine neue Theorie vom 'Spracherfahrungsansatz' zu konstruieren, sie gleich aufzuschreiben und auch zu ver­markten. Die Wirksamkeit seiner neuen Pädagogik wenigstens einmal über vier Grundschuljahre selber auszuprobieren und zu beobachten, hielt der pädagogische Laie Brügelmann offenbar für wenig sinnvoll. Mit evidenzbasierter Pädagogik hätte auch das natürlich noch immer nichts zu tun gehabt.

Wesentlich mitentscheidend für Brügelmanns Erkenntnisse über den Anfangsunterricht war seinem Bekunden nach ein Bericht über Sylvia Ashton-Warner, einer neuseeländischen Malerin und Schriftstellerin ("Quelle meiner Einsamkeit", Roman/"Das Fräulein", Novelle). Ihr pädagogischer Grundsatz: individuelle Freiheit. Ashton-Warners Credo*:

Der praxisferne Prossor Brügelmann wird kaum wissen, wie sich Ashton-Warners Forderungen vor Ort in heutigen Grundschulklassen auswirken: Auch Sylvia Ashton-Warners neuer Unterricht war „voller Bewegung und Geräusche“. Sie nannte das 'geräuschvolle Art von Stille' und empfahl:*„Wer keinen Lärm verträgt, darf nicht Lehrer werden.“ (Sylvia Ashton-Warner)*

Dass sich heute viele Kinder durch den hohen Lärmpegel in ihren Klassen gestört fühlen und dadurch in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind, wird verschwiegen. Um die Atmosphäre nicht in Chaos umschlagen zu lassen, empfahl Ashton-Warner daher als optimale Gruppengröße 8-10 Kinder.* In nicht wenigen Bundesländern dürfen in Grundschulklassen noch immer 30 Kinder sitzen. Ob H. Brügelmann das überhaupt je wissen wollte? (Aus: 136)

Brügelmanns konstruktivistische Hypothesen und reformpädagogische Heilskonzepte, zu einem guten Teil entwickelt aus den Ideen Sylvia Ashton-Warners, bestimmen inzwischen das Geschehen in der neuen Grundschule und instrumentalisieren die Didaktik und den Unterricht zur Durchsetzung pädagogischer Träumereien und außerpädagogischer Interessen. Der Kon­struktivismus, d. h. dessen überschwänglich und mit inhaltsarmem sozialrevolutionärem Pathos propagierte Didaktik, inter­pretiert den Lernprozess als einen individuellen Vorgang der aktiven Wissenskonstruktion, Lernende konstruieren ihr Wissen abhängig von den Vorerfahrungen. Wissen wird sich nicht einfach angeeignet oder durch Unterricht übernommen, sondern selbstaktiv und individuell unterschiedlich konstruiert: Wissen ist nicht vermittelbar, sondern muss immer wieder individuell konstruiert, reorganisiert und erweitert werden. Die größte Bedrohung für das Lernen nach diesem Ansatz ist, dass der Lerner nicht hinreichend eigenständig konstruieren darf. Laut Konzept müssen Lernprozesse daher so gestaltet werden, dass die Ler­nenden möglichst frei in der Lernmethode sind und genügend Möglichkeiten haben, das neue Wissen in das bereits vorhande­ne einzuordnen. Insgesamt ist der radikale Konstruktivismus wohl eher so etwas wie ein Eiertanz zwischen banalen Selbstverständlichkeiten, pädagogischen Träumereien und inzwischen auch cleveren Geschäftsideen. Die Schnittmenge von Konstruk­tivismus und den Vorstellungen der Reformpädagogik über Schule und Unterricht ist so umfänglich, dass es als gerechtfertigt erscheint, inzwischen insgesamt von einer Neo-Reformpädagogik zu sprechen. Nach dem radikal neo-reformpädagogisch gedachten Offenen Unterricht Brügelmanns führt der Brügelmannschüler und -mitarbeiter Falko Peschel, der auch bei Brügelmann promovierte, inzwischen seine private Grundschule für eine ausgewählte Schülerschaft.

Brügelmanns Ideengeber für seine neu gedachte offene Grundschule kamen aus den unterschiedlichsten radikal-reformpädagogischen Lagern, dazu gehörten:

Reformpädagogischer Konsens verband Brügelmann auch mit Gerold Becker (ehem. Leiter der Odenwaldschule) und dessen Lebensgefährten Hartmut von Hentig. Es gab übrigens, wie in 'Die Zeit-online' berichtet wird (200), vielfältige übergreifende Kontakte zwischen den Spitzen der Reformpädagik (Hartmut von Hentig, Gerold Becker, Enja Riegel, Reinhard Kahl, Hans Brügelmann): gemeinsame Symposien, Bücher, Gremien, Arbeit an Lehrplänen, auch noch, nachdem die Missbrauchsfälle in 1999 (Frankfurter Rundschau vom 17. November 1999) bekannt geworden waren. (202) Gerold Becker war im Übrigen auch Berater bei dem von Wolfgang Harder, zunächst Lehrer an der Odenwaldschule, später dann Nachfolger Gerold Beckers als Schulleiter, mitinitiierten Netzwerk BÜZ, dem Verbund der Reformschulen 'Blick über den Zaun'. Ein anderer Ideengeber von 'Blick über den Zaun' war/ist Hans Brügelmann, er ist inzwischen auch Sprecher dieses Verbunds. Gegen Harder wurden im Jahre 2010 Ermittlungen wegen aktiven Täterschutzes eingeleitet (203): Eine ehemalige Mitarbeiterin der Odenwaldschule hatte nämlich an Eides statt versichert, Harder schon Mitte der 80er Jahre auf einen sexuellen Übergriff Beckers aufmerksam gemacht zu haben. Unmittelbar nachdem am 17. November 1999 in der Frankfurter Rundschau über den Missbrauch an der Odenwaldschule berichtet worden war, bezeichnete Wolfgang Harder den Missbrauch von Schülern als "ein Stück Vergangenheit". Er als Schulleiter habe keine Veranlassung gesehen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Schließlich hätten "alle Menschen auch von Herrn Beckers Wirken profitiert". Gerold Becker hat übrigens schon nach den ersten öffentlichen Anschuldigungen im November 1999 zu den massiven Vorwürfen geschwiegen, die allerdings auch von den einschlägigen reformpädagogischen Kreisen schlichtweg ignoriert wurden.

Der Sprecher des BÜZ, Hans Brügelmann, scheute sich - laut Leserbericht in der 'taz' (204) - auch nach dem ersten Be­kanntwerden des beckerschen Missbrauchssystems an der Odenwaldschule im Jahre 1999 nicht, mit Becker gemeinsame Podiumsdiskussionen zu bestreiten. Als ob nichts gewesen wäre, saßen Becker und Brügelmann bereits am 15.10. 2002 wieder gemeinsam am "Runder Tisch Bildung" und standen der Hansestadt Bremen mit ihren Bildungsempfehlungen bei, Leiter der Veranstaltung war Wolfgang Harder. Auch beim Bremer Bildungstag, am 06.02.2003 im Bremer Rathaus, demonstrierten Becker, Brügelmann und Harder ihre einvernehmliche Zusammenarbeit: Dr. Wolfgang Harder als Moderator, Prof. Dr. Hans Brügelmann als Referent mit dem Thema "Sprach- und Lesekompetenz und selbstständiges Lernen", Gerold Becker als Referent über das Thema "Bessere Bildung für ‘Risikogruppen‘ und Ausgleich von sozialen Benachteiligungen". (205) Mindestens diese beiden gemeinsamen Veranstaltungen gab es seinerzeit noch, nachdem bereits ein zweites Mal - im März 2002 - in der Presse über den Becker-Skandal an der Odenwaldschule berichtetet worden war, weil 12 Lehrer des Hessischen Landerziehungsheims "Schloss Bieberstein" gegen die Rückkehr Gerold Beckers in den Vorstand der "Hermann-Lietz-Schulen" lautstark protestiert hatten. Spätestens nach diesem März des Jahres 2002 wusste zumindest jeder, der Anlass hatte, sich mit Becker an einen Tisch zu setzen, wer Becker war - und dass dieser sich öffentliche Auftritte nur deshalb leisten konn­te, weil ihn niemand rechtzeitig angezeigt hatte und seine Straftaten daher bereits verjährt waren. Aus all dem den Schluss zu ziehen, Reformpädagogik habe grundsätzlich etwas mit sexuellem Missbrauch oder auch mit dessen Duldung zu tun, wäre natürlich falsch. Dass sich jedoch insbesondere die Neo-Reformpädagogik zunehmend mit Vorwürfen wegen Kindesmissbrauchs der anderen Art, die mit Sexualität absolut nichts zu tun hat, auseinandersetzen muss, ist inzwischen nicht mehr zu übersehen: Gemeint ist der Missbrauch von Kindern für schulische Experimente, die nicht einmal auf eine plausible und abgesicherte Theorie verweisen können. Wenn sich in 1994 der so hochverehrte Reformpädagoge Gerold Becker, einer der pädokriminellen Kindheitsräuber an der Odenwaldschule, mit einer Schrift ausgerechnet unter dem Titel "SCHULE, LEHRER UND GEWALT -WAS TUN?" (201) an die Öffentlichkeit wagte, weist das auf eine in der Reformpädagogik generell weit verbreitete Arroganz und Geisteshaltung hin, die in hohem Maße menschenverachtende Züge aufweist und absolut nichts mehr mit einer gewissenhaften und aufrichtigen 'Pädagogik vom Kinde aus' zu tun hat, die um die Würde des Kindes besorgt ist. Davon wird hier noch zu berichten sein!

Bremer Bildungstag

Für den von ihm entworfenen radikal gedachten Offenen Unterricht konstruierte Brügelmann eine neue Sichtweise des Erstlese- u. Erstschreibunterrichts, wobei er jedoch auch tradierte wesentliche fachdidaktische und fachwissenschaftliche Aspekte entweder einfach außer acht ließ oder sie auf seine Zielvorstellungen hin ummodulierte. Nach seinem Bekunden führte das Lesen dieser Schriften* Brügelmann zu seiner Theorie, dem 'Spracherfahrungsansatz':

Ihren Berichten nach erfand Sylvia Ashton-Warner in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine neue Methode des Schriftspracherwerbs, mit der es ihr - ihrem eigenen Bekunden nach - seinerzeit gelungen sein soll, benachteiligte Maori-Kin­der in Neuseeland in die Welten der Schrift einzuführen. In "Mein Weg zum Spracherfahrungsansatz" (in: GS aktuell 104, November 2008) beschreibt Brügelmann, wie ihm in seiner Anfangszeit in Bremen u. a. dieser Bericht über den "Ansatz" der Sylvia Ashton-Warner "geholfen hatte", zu finden war dieser in einem Taschenbuch mit dem Titel 'Gegenschulen – Ra­dikale Reformschulen in der Praxis' (136). Dieser Bericht über den „Ansatz“ der Sylvia Ashton-Warner und die Sprach­erfahrungsansatz-Theorie des Amerikaners Kenneth Goodman, der wie die Vertreter von 'Lesen durch Schreiben' davon aus­geht, dass Lesen- und Schreibenlernen genau wie das Sprechenlernen natürliche Prozesse sind und die Schriftsprache nicht als eine kulturelle Erfindung zu betrachten ist (135), bildeten weitestgehend die Grundlage für Brügelmanns neue Theorien zum Anfangsunterricht sowie zum Schriftspracherwerb: Er gab ihnen den Namen 'Spracherfahrungsansatz'.

In seiner Lehre zum Anfangsunterricht orientiert sich Brügelmann weitestgehend an Ashton-Warner:

*(136)

Sowohl unter die Ideen Ashton-Warners vom offenen Lernen "Es gibt keine effektivere Methode, als wenn Kinder sich die Worte, Lesen, Schreiben usw. selber beibringen." als auch unter ihre Forderung nach totaler Individualisierung des Lese-/Schreibunterrichts stellt Brügelmann seine Hypothesen über den Anfangsunterricht sowie über das Erstlesen/Erst­schreiben und entwickelt daraus sein Konzept' Spracherfahrungsansatz' - mit dem Grundsatz: Die lernenden Individuen be­stimmen immer selbst. Weder Brügelmann selber – was er auch gar nicht gekonnt hätte, da ihm jegliche praktische Unter­richtserfahrung fehlte – noch ein anderer arbeiteten je unter neutraler wissenschaftlicher Begleitung über wenigstens einen Grundschuldurchgang von vier Jahren nach diesem am Schreibtisch erfundenen Konzept für den Anfangsunterricht. Gele­gentliche Hospitationen in Showstunden nach potemkinscher Manier reichen allerdings nicht aus, die Schule, deren Schüler und die Wirkungsweisen von Unterrichtskonzepten kennenzulernen. Wenn Brügelmann in seinem Buch 'Die Schrift erfinden' von Grundschullehrerinnen/-lehrern "handwerkliches Können und methodisches Geschick" einfordert, so ist zu bezweifeln, ob er selber zu konkretisieren imstande ist, was damit im Ernstfall gemeint sein könnte.

Alle wesentlichen Merkmale des Ansatzes von Sylvia Ashton-Warner bzw. Brügelmann finden sich inzwischen in allen Lehr- und Bildungsplänen bei der Beschreibung der Anforderungen an den Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben wieder.
Neben seinen 'Spracherfahrungsansatz' stellte Brügelmann sein Konzept 'Freies Schreiben'. Indes fand sich die Idee zu Brü­gelmanns 'neuer' Methode 'Freies Schreiben' schon vor über 100 Jahren bei den Reformpädagogen Heinrich Scharrelmann (206) und Fritz Gansberg (207): Sie nannten ihr Konzept damals „Freier Aufsatz“. So hieß es bei Scharrelmann: „Die Kinder schreiben Geschichten auf, ohne Zwang, nur dem inneren Drange folgend, mit wilder Orthographie, mit einer Fülle grammatischer Fehler, mit einer Schrift, die nur die Schreiber selbst mitunter mit Mühe entziffern.“ Noch vor Ablauf des 2. Jahrzehnts im letzten Jahrhundert wurde diesem Konzept Einhalt geboten: Man hatte herausgefunden, dass man die Kinder nach einer langen Phase orthographischer und grammatischer Beliebigkeiten kaum mehr an regelgerechtes Schreiben heranführen konnte und es nicht gelang, die bereits eingeprägten Muster von Fehlschreibungen wieder zu korrigieren. Neuere Untersuchungen stützen die damaligen Befunde.

Kurz nach seiner Berufung zum Professor in 1980 übernahm Brügelmann zudem wesentliche Teile aus Theorie und Praxis Jürgen Reichens, dieser war der Erfinder der Methode 'Lesen durch Schreiben'. Als Nachruf zum Tode Reichens schrieb er seinerzeit:


Damals war Mut nötig zu fordern, was heute in der Didaktik fast schon Gemeingut ist und in der Praxis eher der Differenzierung bedarf. 500 Jahre Fibeltradition waren so fest etabliert, dass ein Verzicht auf Lehrgänge noch in den 1970er Jahren den meisten undenkbar schien. Mir persönlich haben Reichens Arbeiten damals geholfen das, was ich als Außenseiter am Schreibtisch gedacht hatte, entschiedener zu formulieren und trotz meiner Unsicherheit zu veröffentlichen. Reichen hatte seine Pädagogik und Didaktik im Schulalltag erfolgreich erprobt. Er konnte aus eigener Erfahrung zeigen, dass praktisch möglich war, was ich nur argumentativ begründen konnte.“ [.....] H. Brügelmann zum Tode von Jürgen Reichen (208)

Die folgende Beschreibung skizziert die Arbeit mit der Anlauttabelle, sie folgt einer Information für Eltern zur Einführung des Lehrwerks ZEBRA, das sich an den Prinzipien des Spracherfahrungsansatzes orientiert:

"ZEBRA folgt einem schreiborientierten Ansatz. Das bedeutet, dass Ihr Kind erst schreiben und dann lesen lernt. Das funktioniert so: Da das Unterrichtswerk keine vorgegebene Buchstabenabfolge wie in einer klassischen Fibel enthält, können die Kinder/die Lehrerin die Reihenfolge der Erarbeitung der Buchstaben selbst bestimmen. Ausgangspunkt ist die Schreibtabelle, die in der Mitte des Buchstabenheftes sowie als Einleger zu finden ist. Alle Buchstaben stehen übersichtlich mit Anlautbildern zur Verfügung. Anhand von diesen Bildern wird die Lautseite der Sprache abgebildet, z.B. A für Affe, B für Baum. Mit Hilfe der Schreibtabelle und dem Buchstabenheft kann sich Ihr Kind die Buchstaben nach freier Wahl erarbeiten und dann eigene Texte verschriften. Ihre Tochter oder Ihr Sohn isoliert den ersten Laut aus dem Wort und sucht dann auf der Schreibtabelle das passende Bild, das den gleichen Anlaut hat. Der dazugehörige Buchstabe wird dann auf Papier gebracht. (Am Anfang gleicht dieses Aufschreiben eher einem „Malen“.) Daraufhin wird das Wort wieder gedehnt vorgesprochen und versucht, den nachfolgenden Laut herauszuhören. Wieder folgen eine Zuordnung zum Anlautbild und das „Abmalen“ des Buchstabens. Es ist für viele Kinder zu Beginn des Schriftspracher­werbs nicht einfach, die „flüchtige“ Lautkette exakt zu zergliedern und in ihrer richtigen Reihenfolge niederzuschreiben. Sie verschriften nach Gehör. Fehler sind in diesem Lernprozess völlig normal und zeigen der Lehrerin, bei welchen Schritten im Schriftspracherwerb sich Ihr Kind gerade befindet. Es ist sehr wichtig, Ihr Kind beim Lernprozess regelmäßig zu loben und zu motivieren. Meistens kann man das Wort "erahnen", das geschrieben werden sollte. Aber es gibt nichts Schöneres für den Lernenden, wenn jemand das Wort erkennt und "vorliest".Für die meisten Kinder ist es sehr anspornend, eigene Wörter aufzuschreiben. Die Schreibtabelle bietet ihnen die Möglichkeit, dies immer wieder selbstständig zu tun.[.....]"*

*(Auszug aus einem Elternbrief d. Klett-Verlags) (209)

Grundschuldidaktiker, die das Gebiet der Sprachwissenschaft beherrschen, wissen, wie unsinnig solcher Unterricht mit der Anlauttabelle ist (Siehe oben, Kap. IV):

Überall finden sich Ad-hoc-Vorschläge darüber, wie eine Schriftvermittlung aussehen könnte, bis zur Aufwertung der völligen Systemlosigkeit, wie sie durch den Leselehrgang ’Lesen durch Schreiben’ (Reichen) initiiert wurde und wie sie sich unter dem falsch verstandenen Paradigma des „individualisierten und eigenverantwortlichen Lernens“ epidemisch an den Schulen verbreitet hat.“ (210)

Buchstaben sind nicht Abbilder von Lauten, sondern kodieren phonologische, prosodische, morphologische und syn­taktische Eigenschaften von Wörtern und Sätzen.“ (2010)

Prof. Dr. K. - H. Ramers mit den Forschungsgebieten Phonetik und Phonologie, Schriftlinguistik, Morphologie, Syntax lehrt, „dass die Relationen zwischen Schriftsystem und Lautsystem vielschichtig und z. T. verwickelt, ja verworren sind. Keineswegs bildet die Orthographie eine reine oder auch nur halbwegs klare Abbildung des phonetisch /phonologischen Systems." (39)

Prof. Dr. Ch. Röber beklagt "den derzeitigen didaktischen Konsens“:

Es ist Zeit, über Modelle zur Optimierung des Unterrichts nachzudenken. Der heutige Unterricht „ist auf Seiten der Beschreibung des Lerngegenstands, der Orthographie, durch die Annahme einer linearen Lautkette im Gesprochenen, die graphisch durch eine lineare Buchstabenkette repräsentiert würde, ergänzt durch zusätzliche »Schreibprinzipien«, geprägt. (Anm. J.G.J.: Prinzip 'Schreib', wie du sprichst') Der Erwerb wird als eine in Stufen erfolgende Reifung mit minimaler Instruktion im Unterricht gesehen (z.B. in Form einer Anlauttabelle), die die Eigenständigkeit des Entwicklungsprozesses nicht behindern soll."*

Dieser 'Unterricht' ist schädlich, weil er verhindert, die Kinder "- und das ist lerntheoretisch gravierend - Orthographie als ein Regelsystem, das erkundbar ist, wahrnehmen zu lassen." (211) Sie haben "Schreiben nicht als kognitive Aufgabe kennen gelernt, die von Anfang an über einen regelbasierten Wissensaufbau zu lösen ist.“* Die Folge ist, dass "die zu Beginn des Lernprozesses erworbene Lautfixierung der zentrale Faktor" (211) des Schreibens bleibt.

Prof. Dr. G. Hinney hätte auch formulieren können: Der Spracherfahrungsansatz und LdS konterkarieren die Idee der 'Pädagogik vom Kinde aus':

Die Annahme, lautgetreue Schreibungen wären ohne ungefähre Einsicht in den Aufbau von Wörtern möglich, kann nur von dem vertreten werden, der die Wortschreibungen kennt und der Sprachdifferenzbewusstheit sowie Kenntnis der Wortformen und lexikalisches Wissen stillschweigend voraussetzt. Das Schreiben der meisten Wörter im Deutschen ist nur für einen geüb­ten Schreiber scheinbar lautgetreu.“

Demnach beruht die Orthographie zwar auf dem alphabetischen Schriftsystem, die Buchstaben und deren Kombination wer­den jedoch nicht nur zur Wiedergabe von Lauten oder Lauteverknüpfungen genutzt, sondern auch zur Repräsentation pros­odischer, morphologischer und syntaktischer Informationen. Die Normierung, die immer gleiche Schreibung, erleichtert dem Leser die Sinnentnahme und ist auf maximale Verständnissicherung ausgerichtet. In der Orientierung an den Bedürfnissen des Lesers liegt somit der Schlüssel zum Verständnis der Rechtschreibung. Das Deutsche ist eine typische Leseorthographie.“ (210)

Im vierten Jahr nach Antritt seiner Professur in Bremen – und ein Jahr nach Veröffentlichung seiner ersten Schrift, gab der am Schreibtisch so kreative Professor für Grundschulpädagogik Brügelmann 1984 sein zweites Buch zum Erstlesen/-schreiben heraus: 'Die Schrift entdecken'. Als „Ideengeberin“ (so Brügelmann) arbeitete schon 1984 die Studentin Erika Brinkmann (Studium an der Universität Bremen für das Lehramt an der Primarstufe, Fächer: Deutsch und Ästhetische Erziehung mit dem Schwerpunkt Musik) an dieser Publikation mit. Brinkmann wurde, nachdem Brügelmann an die Universität Siegen gewechselt war, bei diesem wissenschaftliche Mitarbeiterin. Inzwischen haben beide übrigens ihren gemeinsamen Wohnsitz in Bremen gefunden. Wiederholt war sie Co-Autorin brügelmannscher Schriften. Im Vorwort zu dieser Schrift heißt es u. a.:

Dieses Buch will die Aufmerksamkeit fördern für das, was Kinder schon können und was sich oft an Denkfortschritten hinter ihren Fehlern verbirgt. Insbesondere an den beiden ausführlich erzählten und dokumentierten Fallgeschichten von Lisa und Ben wird dies anschaulich. In verständlicher Form werden dazu Entwicklungsmodelle kindlicher Strategien beim Schreiben und Lesen vorgestellt.“

In der Tat ist diese Schrift – insbesondere in ihrer ersten Hälfte - eine eher unterhaltsame Erzählung, weit entfernt von jeglicher auf Wissenschaft basierter solider Empirie und von auf seriöser Fachwissenschaft gestützten Erkenntnissen. Fundament für den hier geforderten neuen Unterricht und den 'Spracherfahrungsansatz' sind die aus der radikalen Reformpädagogik zusammengetragenen Ideen. Eines der wichtigsten Anliegen ist ganz offenbar beiden ebenso gemeinsam: die Fibel aus der Schule zu verdrängen. Anliegen in der zweiten Hälfte der Schrift ist die Vorstellung der von Brügelmann/Brinkmann herausgegebenen Materialien für den Erstlese-/Erstschreibunterrichts sowie begründende Handlungsanweisungen für deren Einsatz."

Brügelmanns 'Spracherfahrungsansatz': Pädagogik vom begüterten und bildungsprivilegierten Kinde aus:

Der 'Spracherfahrungsansatz' des Hans Brügelmann ist ein naher Verwandter des Ansatzes  'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben'). Neuere Entwicklungen legen die Annahme nahe, dass beide Ideen, 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') und 'Spracherfahrungsansatz', in­zwischen in Theorie und Praxis eine enge Symbiose eingegangen sind, die häufig als "lernwegsorientiert" bezeichnet wird. Als besonders verhängnisvollen Irrtum in beiden Ansätzen sehen Didaktiker und wissenschaftliche Forschung vor allem die ins Zentrum des Unterrichts gestellte Arbeit mit Anlauttabellen. Darüber hinaus führen Kritiker für beide Ansätze die schwache Systematik sowie die fehlende Übersichtlichkeit der Methode an, was schnell zur Überforderung der Lehrerinnen/Lehrer und der Kinder führen könne. Hinzu kommt, dass es den Eltern bei diesen Konzepten in der Regel unmöglich ist, den Lernstand ihres Kindes richtig einzuordnen und ihm somit gegebenenfalls die richtige Hilfestellung leisten zu können. Die derzeit am häufigsten nach dem Konzept 'Spracherfahrungsansatz' vorgehenden Lehr-/Lernmittel sind wohl sämtliche Materialen des 'Spracherfahrungsansatz'-Erfinders Hans Brügelmann und seiner Co-Autorin Erika Brinkmann sowie die Lehrwerke ZEBRA, Confetti, Kunterbunt, ABC-Lernlandschaft (etc.).

Wenn Brügelmann/Brinkmann in 'Die Schrift erfinden' Variationen der Schreibentwicklung bei Grundschulkindern beschrei­ben und daraus ihre neue Didaktik entwickeln, tun sie dies an Hand von ausgewählten Beispielen, die sie irgendwo in der Literatur gefunden haben oder - ausführlicher noch - an den Verschriftungsversuchen von Ben und Lisa, zwei (!) Kindern aus ihrem nächsten privaten Beobachtungsumfeld: Ben und Lisa sind Kinder aus 'bildungsnahen' Elternhäusern mit mindes­tens altersgemäßem 'Weltwissen', mit elaborierter Sprech- und Spracherfahrung sowie mit der dort üblicherweise gepflegten Schriftnähe. (Siehe auch in: 212) Brügelmann/Brinkmann - ohne jegliche/bzw. mit nur einjähriger Unterrichtspraxis (Brinkmann) - dürften aus naheliegenden Gründen kaum daran interessiert gewesen sein, ihre neue Didaktik zunächst einmal selber auszuprobieren – dies über Jahre hinweg auch an Brennpunktschulen sowie an Schulen, die vornehmlich von Unter-/Mittelschicht- und Migrantenkindern besucht werden. Ganz ohne Zweifel hängt der Wortschatz eines Kindes von seiner Erfahrungswelt ab. Bei Ben und Lisa ist die Erfahrungswelt weit: mit mindestens altersgemäßem 'Weltwissen', mit elaborierter Sprech- und Spracherfahrung, aufgewachsen mit ständiger Nähe zur Schrift. Selbstbewusst sind diese Kinder, selbstständig, mit altersgemäß entwickeltem Selbstkonzept. Die Schreib- u. Leseentwicklung der meisten Kinder haben Brügelmann & Brinkmann bei der Entwicklung ihrer neuen Didaktik nicht im Auge gehabt: Kinder, inzwischen nicht mehr nur an Brennpunktschulen, sind in einer nicht mehr zu übersehenden Anzahl in unterschiedlicher Ausprägung erfahrungsarm, kommunikationsarm, spracharm, sprechgehemmt, artikulationsunsicher und mit großen Defiziten in der Aussprache, sie wachsen auf in Elternhäusern ohne Zeitung u. ohne Buch, viele von ihnen mit massiver Ich-Schwäche, wenig selbstständig und mit unterentwickeltem Selbstkonzept. Eine immer größer werdende Anzahl ist verwahrlost und vernachlässigt, interessenlos und unmotiviert auch, weil mediengeschädigt, hinzukommen Migrantenkinder, die wegen ihrer großen Sprachdefizite zu Problemkindern wurden. Diese Kinder werden bei Brügelmann/Brinkmann nicht erwähnt: sie gehören bei diesem Konzept zu den Verlierern. 26,5% der Kinder aus 1. und 2. Klassen verfügen lediglich über eine schwache lautsprachliche Kompetenz, was sich negativ auf den Schreib-/Leselernprozess auswirkt. (Siehe hierzu auch oben, in Kap. X: Wegschauen schadet den Kindern - den meisten Kindern könnte nachhaltig geholfen werden) Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass heute die weitaus meisten der eingeschulten Kinder Störungen aufweisen. Nicht selten liegen bei Kindern mit Defiziten mehrere Störungen gleichzeitig vor, die in vielen Fällen wegen ihrer Interdependenzen dazu auch noch verstärkende Einflüsse untereinander ausüben. Alarmierenden Charakter hat dieser Befund, der auf alle Bereiche zutrifft: Dr. Michael Winterhoff, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie sowie für Sozialpsychiatrie, konnte über Jahrzehnte hinweg beobachten, wie sich Kinder in den beiden letzten Jahrzehnten verändert haben: "Gab es vor 15 oder 20 Jahren etwa zwei bis vier auffällige Kinder pro Schulklasse, so hat sich das Verhältnis heute genau umgedreht [...]: Von etwa 25 Kindern in einer Schulklasse sind heute noch zwei bis vier Kinder komplett unauffällig, alle anderen zeigen, in der Mehrzahl miteinander kombinierte, Störungsbilder." (213) An anderer Stelle heißt es: "... . In der Konsequenz führt das dazu, dass der Entwicklungsstand eines Kindes bei der Beschulung nicht mehr vergleichbar ist mit dem Status quo, der etwa zu Beginn der 90er Jahre vorherrschte." (213) Die inzwischen von Brügelmann und seiner Co-Autorin herausgegebenen zahlreichen Arbeitsmaterialien (Siehe unten!) für den Anfangsunterricht basieren, wie in der Werbung dargestellt, auf der Annahme, dass Kinder sich den Weg in die Schriftsprache selbstständig erarbeiten können, sie sollen

In der Werbung zu den brügelmannschen/brinkmannschen Materialien heißt es:

Wir trauen Schülerinnen und Schülern etwas zu. Wir gehen von Kompetenzen und nicht von ihren Defiziten aus und sehen sie als Steuerer ihrer eigenen Lernprozesse. Deswegen orientieren wir uns an den pädagogischen und didaktischen Leitbildern Differenzierung, Individualisierung und offener Unterricht.“

Überall da, wo vom selbst­bestimmten Lernen die Rede ist, taucht begleitend auch regelhaft die werbende hohle und entsetzlich dumme Phrase vom eigenaktiven Lernen auf: Noch nie hat jemand - was und wie auch immer - lernen können, ohne dass er dabei eigenaktiv gewesen wäre: Jede Form des Lernens setzt Eigenaktivität voraus. Es existiert bisher nicht eine Studie, die für den Unterrichts mit den Ansätzen 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') bzw. mit dem Spracherfahrungsansatz breite Erfolge nachweisen könnte, sicher belegt ist indes, dass diese Konzepte bei einer erheblichen Anzahl von Migrantenkindern sowie Kindern aus bildungsfernen Schichten methodenverursacht zu massiven Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten führen. Bekannt ist auch, dass viele nach 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracher­fahrungsansatz' unterrichtete Kinder mittlerer Begabung bei effektiveren Methoden in Lesen und Schreiben bes­sere Ergebnisse hätten erzielen können.

Hattie-studie


Hattie2

Spracherfahrungsansatz, Offener Unterricht und selbstbestimmtes Lernen sind die Maximen, die seit gut zwei Jahrzehnten in Deutschland die von der Reformpädagogik geprägte Praxis des Anfangs-/Grundschulunterrichts diktieren: Es sind diejenigen Schulkonzepte, für deren Wirksamkeit in der Hattie-Studie keinerlei Effekte nachgewiesen werden konnten. Wenn sich der bekannte Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Oelkers zur Hattie-Studie äußert, unterstreicht er: "Aus Hatties Untersuchung geht erneut hervor, dass gelenkter und fordernder Unterricht bezogen auf die Leistungen effektiver ist als ungelenkter und erleichternder. Und die Resultate, also die Lernstände der Schülerinnen und Schüler, sind weitaus stärker von den Faktoren des Unterrichts beeinflusst als von denen der Schule oder gar der Schulstruktur." (215) Als Fazit aus den Ergebnissen seiner Studie lehnt Hattie im Übrigen den von der deutsche Reformpädagogik geforderten Einsatz von Lehrpersonen in der Rolle als Lernbegleiter ("faciliator") strikt ab und plädiert statt dessen für Lehrpersonen in einer aktiven Rolle als Unterrichtsgestalter ("activator"), wie sie im Unterrichtsansatz der "Direkten Instruktion" üblich ist. Es ist keine Frage, dass die neue Grundschulwirklichkeit auf die jahrzehntelangen intensiven Bemühungen Brügelmanns zurückzuführen sind, die Grundschule in Deutschland nach seinen radikal-reformpädagogischen Ideen zu reformieren. Geholfen haben ihm dabei u. a. seine führenden und richtungsweisenden Rollen in Organisationen wie der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS), dem Grundschulverband - mit wirksamer Präsens in den Schulministerien der Bundesländer - sowie in dem von ihm initiierten Netzwerk BÜZ (Verbund der Reformschulen Blick über den Zaun), die er für die Verbreitung seiner bunten Ideenlandschaft nutzbar machen konnte.

Zunehmend halten Reformpädagogen Hatties Studie für beunruhigend. Man schweigt, argumentiert hilflos oder mit unerträg­lichem Zynismus, so heißt das am häufigsten vorgebrachte Argument gegen ein schlüssiges Fazit aus den Studien Hatties: "Moderne Unterrichtskonzepte wie der Spracherfahrungsansatz, Offener Unterricht und selbstbestimmtes Lernen schaden den Kindern nicht." Verantwortungsbewussten Lehrerinnen/Lehrern muss der Atem stocken, wenn sie gezwungen werden, sich an solchen neo-reformpädagogischen Maximen zu orientieren: Wann wurde je bei der Beurteilung von Unterrichtskonzepten der Aspekt der Effektivität in einer derartigen dümmlichen und verantwortungslosen Manier ausgeblendet? Völlig neu ist das allerdings alles nicht: Über die Schäden, die unzähligen Kindern durch falsche Unterrichtskonzepte und die Vorenthal­tung effektiven Unterrichts zugefügt werden, haben Reformpädagogen schon immer am liebsten nur schweigen wollen. Igno­rante und von diversen außerschulischen Interessen gesteuerte Schulpolitik folgt indes ohne Einschränkungen der noch igno­ranteren, ihr allerdings durchaus dienlichen Neo-Reformpädagogik. So finden sich inzwischen nicht nur im auf reformpädagogischen Kurs gebrachten Bundesland Thüringen derzeit in Stellenausschreibungen zur Besetzung von Leiterstellen an Grundschulen - ganz im brügelmannschen Sinne - folgende Qualifikationsanforderungen:

Mit 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/dem Spracherfahrungsansatz wird die neue Grundschulpädagogik zur Geschäftsidee.

Im Gegensatz insbesondere zu angloamerikanischen Ländern hat Deutschland allerdings keine Tradition in vergleichender Grundschulforschung. Die Ursachen sind vielfältiger Natur, aber wenn es um die Erforschung der Wirksamkeit moderner Un­terrichtsmethoden geht, sind die Gründe recht eindeutig bestimmbar: Es gibt "vor allem unter den Anhängern des offenen Unterrichts erhebliche Widerstände gegen vergleichende Untersuchungen durch unabhängige Wissenschaftler." (Roßbach, Hans-Günther: Lage und Perspektiven der empirischen Grundschulforschung. In: Empirische Pädagogik, 10, 1996) Prof. Peter May sieht darin eine „Abschottung gegenüber empirischer Überprüfung des Lernerfolgs“, die nichts anderes ist als „eine Form der Selbstimmunisierung“, die „Raum für beliebige Spekulationen und Erfolgszuschreibungen lässt“. (216)

Im Übrigen sind darüber hinaus nicht wenige Professoren/Professorinnen an der weiteren Verbreitung von LdS/Spracherfahrungsansatz interessiert und daher keineswegs geneigt, solche Studien zu initiieren oder zuzulassen, die LdS/den Sprachrach­erfahrungsansatz bzw. generell die derzeit geübte Praxis sog. moderner Pädagogik in Frage stellen könnten. Ein Eingeständnis der Macher der derzeit praktizierten sog. modernen Grundschulpädagogik, sich bei der Einschätzung zur Wirksamkeit ihrer methodischen Konzepte geirrt zu haben, ist auf lange Sicht nicht zu erwarten. Das heißt, dass solche Professoren kaum bereit sein werden, ihre Lehre zu revidieren, ihre Veröffentlichungen zu Makulatur zu erklären und ihre lukrativen Nebentätigkeiten für Verlage aufzugeben. Zu viele von ihnen haben inzwischen selber für Verlage ihre Schulmaterialien entwickelt oder sind für Verlage als 'Wissenschaftliche Berater' bei der Herausgabe von Lehrwerken tätig, wie z. B. Prof. Dr. Cordula Löffler: als Herausgeberin von 'Oskar', Lehrwerk für den Elementarbereich und den Anfangsunterricht, sowie als wissenschaftliche Beraterin bei 'Zebra', Unterrichtswerk für den individualisierten Deutschunterricht von Klasse 1 bis 4.(217) Im Übrigen befinden sich Professoren für Grundschulpädagogik, vornehmlich im Fach Deutsch, in einer privilegierten Situation und machen reichlich Gebrauch von der Möglichkeit, über Jahre hinweg in Vorlesungen einseitig ihre Veröffentlichungen zu verarbeiten und die Lehrerinnen/Lehrer auf die dazu entwickelten Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien einzuschwören. Nicht selten: Zur Abschlussprüfung schreiben sie dann auch noch ihre Veröffentlichungen als Pflichtlektüre zur Prüfungsvorbereitung vor. Zur Festigung der Linientreue formulierte Brügelmanns Co-Autorin Brinkmann für ihre Stu­dentenschaft den einprägsamen, jedoch recht einfältigen Slogan "Offenheit mit Sicherheit", der inzwischen auch in der Werbung für die von ihr herausgegebenen Unterrichtsmaterialien seine Wirkungsmöglichkeiten entfalten soll. (218) Wie bereits oben angedeutet, bildet inzwischen ein großer Teil der Professorenschaft für Grundschulpädagogik, allen voran Brügelmann und seine Co-Autorin Brinkmann, zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS e.V.) und dem Grundschulverband, dessen Leiter bis 2010 über viele Jahre hinweg Horst Bartnitzky war, ein riesiges Netzwerk zur Verbreitung reformpädagogischer Ideen zum Lesen- und Schreibenlernen. So darf z. B. Erika Brinkmann bei einer Tagung der DGLS e.V. (25.11.2011) mit dem Titel "Lesen- und Schreibenlernen mit Hilfe des Computers: Können Programme den eigenaktiven Schriftspracherwerb der Kinder sinnvoll unterstützen?" ihre über Klett/VPM vertriebenen Arbeitsmittel LAUSCH-WERKSTATT, BUCHSTABEN-WERKSTATT und WÖRTER-WERKSTATT vorstellen. (219) Enger und intensiver ist indes die Zusammenarbeit zwischen Grundschulverband/Bartnitzky einerseits und Brügelmann und Brinkmann andererseits, beide auch seit Jahren als Funktionsträger in diesem Verband tätig. Ute Andresen, Grundschuldidaktikerin, lange Jahre über selber im Grundschulverband tätig - von daher verfügt sie über ein erhebliches Insiderwissen -, bezichtigt den Grundschulverband, er sei inzwischen "eine mächtige Lobby geworden. Sein Vorstand hat jetzt Zugang zu allen entscheidenden Instanzen in den 16 Kultusministerien, kann auf Referenten und Lehrpläne einwirken ..." Als "Einflussgruppe" nennt sie namentlich Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker, Erika Brinkmann sowie Hans Brügelmann, allesamt sind sie Funktionsträger im Grundschulverband. (220) In 2007 wurde Horst Bartnitzky von der Universität Siegen, an der Hans Brügelmann lehrt, mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde geehrt. Hans Brügelmann, der die Laudatio hielt, hob dabei u. a. die Verdienste Bartnitzkys in der "Erforschung und Modernisierung der Grundschulpädagogik" hervor.

Nach zahlreichen Veröffentlichungen, seiner regen Tätigkeit für die DGLS (Deutsche Gesellschaft für Lesen und Schreiben) und den Grundschulverband, dessen Leiter über viele Jahre Horst Bartnitzky war, hat inzwischen Brügelmann seinen Spracherfahrungsansatz zur Geschäftsidee entwickelt: Zusammen mit Prof. Erika Brinkmann ist Brügelmann Herausgeber/Mitherausgeber einer Fülle von Materialien für die Umsetzung der neuen Pädagogik im Anfangsunterricht, z. B.:


Ideenkiste - 163 Ideen für das Lesen und Schreiben
& Schrift-Memo & Quatsch -Tiere - ein Silbenspiel & Domino -Box - ein Anlegespiel & Domino-Reime - Spielkarten & Regenbogenlesekiste 1 und 2 & Das Spieleset - Materialien zur Schrifterkenntnis &Planeten und Spurenbox - (Erstleser-Bibliothek) (Zu finden unter: http://www.vpm-verlag.de/)

Bei eben diesem VPM-Verlag ist die Co-Autorin Brügelmanns, Erika Brinkmann, inzwischen Herausgeberin des am Spracherfahrungsansatz Brügelmanns orientierten Lehrwerks 'ABC-Lernlandschaft'.

Geht es um die Verbreitung, Durchsetzung und Verteidigung neo-reformpädagogischer Ideen, hat Brügel­mann ganz offensichtlich seine eigenen Strategien und Taktiken zum Umgang mit Realitäten entwickelt: Im­merhin geht es auch um eine Geschäftsidee.

Beispiele:

  1. Causa: Wenn redliche Wissenschaft auf der Strecke bleibt

Um sich wirkungsvoll in Szene zu setzen, bedienen sich Politiker immer wieder einer recht einfältigen Diskussionsstrategie: Sie treten aufgeregt Behauptungen entgegen, die es so nie gegeben haben kann. Diese Diskussionsstrategie scheint aber dennoch das Professoren-Duo Brügelmann/Brinkmann so beeindruckt zu haben, dass sie sich nun auch darin üben. So verkünden die beiden in der November-Ausgabe der Grundschulzeitschrift „Grundschule heute“ (2006): „Ein weiterer Forschungsmythos ist die These, die US-amerikanische Forschung beweise, dass Fibellehrgänge erfolgreicher seien als ein Unterricht nach dem Spracherfahrungsansatz.“ Indes, kein ernstzunehmender deutscher Fachwissenschaftler hat je eine solche Behauptung aufgestellt, denn die Faktenlage ist allgemein bekannt: In den Vereinigten Staaten gab und gibt es nicht die Methode wie die des in Deutschland weit verbreiteten Spracherfahrungsansatzes mit der Verwendung einer Anlauttabelle. Bis vor kurzem weit verbreitet war dort die 'whole language (approach)'-Methode, die für den Anfangsunterricht in Deutschland von Brügelmann um die Arbeit mit der Anlauttabelle erweitert wurde. 'whole language (approach)' ging davon aus, "that reading and writing were ideas that should be considered as wholes, learned by experience and exposure more than analysis and didactic instruction": Unterricht mit selbstbestimmtem Lernen also an Stelle von direktem Unterricht (didactic instruction) als dem bedeutendsten Merkmal. Wie hierzulande beim Spracherfahrungsansatz spielte darüber hinaus dabei das Freie Schreiben eine zentrale Rolle. Die inzwischen in den USA landesweit einzige praktizierte Methode zum Erlernen des Lesens und Schreibens basiert auf dem sog. 'phonics training', die in der Tat wirksamkeitsentscheidende Gemeinsamkeiten mit dem didaktisierten Schriftspracherwerbsunterricht sowie mit einem Fibelunterricht aufweist. Der in be­sonderem Maße kennzeichnende Unterschied zu 'whole language (approach)' ist, dass der Unterricht nach 'phonics (training)' nach den Maßgaben der 'didactic instruction' geführt wird. Der Forschungslage entsprechend hätte es schon in 2006 in dem Statement des Professoren-Duos Brügelmann/Brinkmann ehrlicherweise heißen müssen: Es ist kein Forschungsmythos, dass die US-amerikanische Forschung beweist, dass 'phonics (training)'/ (didaktisierter Unterricht) erfolgreicher sei als ein Unterricht nach 'whole language (approach)'/(US-amerikanischer Spracherfahrungsansatz).“ Für die landesweite Verbreitung dieser Methode, das „phonics training“, sorgte in 2001 der amerikanische Präsident George W. Bush.

Das Professoren-Duo Brügelmann/Brinkmann, die Protagonisten des Offenen Unterrichts, des Spracherfahrungs­ansatzes und des Freien Schreibens mit Anlauttabelle, definiert das US-amerikanische „phonics training“ in der November-Ausgabe 2006 der Grundschulzeitschrift „Grundschule heute“ ganz so, wie es beide wohl am liebsten hätten:

"Dagegen steht im deutschen Sprachraum beim Spracherfahrungsansatz das freie Schreiben im Vordergrund. Beim Konstruieren der Schriftform tun die Kinder genau das, was in der US-amerikanischen Forschung am „phonics training“ der dortigen primers gelobt wird: Wörter in ihre Laute zerlegen und über Buchstaben-Laut-Beziehungen wieder aufbauen.“

Mit ihrer Definition für das in den USA praktizierte "phonics training" liegen die Professorin und der Professor indes um Lichtjahre entfernt von dem, was „phonics training“ in den USA nun wirklich ist, diese Aussage weist geradezu Merkmale einer sich selbst zugefügten Rufschädigung auf. Niemals würden US-amerikanische Didaktiker auf die Idee kommen, die Kinder Wörter in ihre Laute zerlegen und über Buchstaben-Laut- Beziehungen wieder aufbauen zu lassen. Prof. Sarah-Jane Blakemore vom Institute of Cognitive Neuroscience am University College in London und Uta Frith, Professorin für Kognitionspsychologie und Direktorin dieses Instituts, berichteten in 2005 über neue Ergebnisse der Hirnforschung, die in einem europäischen Kooperationsprojekt (Eraldo Paulescu [Mailand], Jean-François Demonet [Toulouse] und Uta Frith [London] ) gewonnen wurden. In diesem Zusammenhang verglichen sie in 'Wie wir lernen/Was die Hirnforschung darüber weiß' (München 2005) das Schreibsystem des Italienischen (Phonem-Graphem-Korrespondenz nahezu 1:1) mit dem des Englischen (Phonem-Graphem- Korrespondenz 1:n):

"Man vergleiche zum Beispiel Englisch und Italienisch: Das Italienische hat eine ganz transparente und regelmäßige Orthografie - »what you see is what you say«. Reiht man die Laute Buchstabe für Buchstabe aneinander, kommt das ganze Wort mehr oder weniger so heraus, wie es sollte: Napoli, Milano, Tortellini. Im Englischen dagegen ist die Entsprechung zwischen Wörtern und Lauten alles andere als einfach, und es wäre unsinnig, sich auf das buchstabengetreue Aneinanderreihen von Lauten zu verlassen."

Der renommierte und weltweit geschätzte US-amerikanische Schriftspracherwerbsforscher Prof. Robert E. Slavin sagte 2005 in einem Interview:

"I think the phonics is absolutely essential to success for all. I think that when we began in 1987, the world was absolutely on the other side. Whole language was the craze*. And it would have been a lot easier for us to have just gone along with that. But we reviewed the literature. We did not start off, by the way, as reading people; we started off as school organization people and motivation people. And our first work had been in math so it wasn’t as though we’ve always done reading from day one.

So we had to be convinced going into this about what was the best curriculum for reading. We did a review of the literature back then and the literature was crystal clear that phonics was more effective. Study after study found that children who struggled in reading had to be taught a phonetic, systematic strategy for unlocking the reading code.

There are children who learn fine either way, but that’s not our problem. We don’t know of any group of children that’s harmed by phonics. But there’s a large group of children, I think, who’s harmed by the lack of phonics. And so we wanted to use the most effective strategies and we took a great deal of heat for many, many years for having adopted that approach."(221)

(*craze=Wahn/J.G.Jansen)

  1. Causa: Wenn Initiatoren von Studien sich die Ziele ebenso wie die Regeln selbst setzen

In einer Studie kurz nach dem Mauerfall wurden die Rechtschreibleistungen in BRD, DDR und Schweiz untersucht. Die Schweizer Vergleichsgruppe war ausschließlich nach der Methode 'Lesen durch Schreiben' von Reichen unterrichtet worden. In der Rechtschreibung schnitten seinerzeit DDR-Schüler nach der Grundschulzeit am besten ab, die Leistungen der BRD-Schüler und der Kinder aus der Schweiz lagen dicht beieinander. Die Wissenschaft ist allerdings nicht geneigt, diese Studie anzuerkennen:

Grundschul-Sprachdidaktiker wie Prof. Schründer-Lenzen zog daraus den durchaus nachvollziehbaren Schluss, die Vertreter des Spracherfahrungsansatzes hätten die Ergebnisse dieses Vergleichs danach so gewichten können, dass man daraus eine Akzeptanz des Reichen-Konzepts ableiten konnte. (170) Besondere Brisanz: Prof. Hans Brügelmann, Frontkämpfer für die Konzepte 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'/'Freies Schreiben' und Anhänger des Konzepts von J. Reichen, war seinerzeit federführend an der Untersuchung beteiligt.

  1. Causa: Wenn die pädagogischen Erfolge herbeigeredet werden müssen

Bei Pisa 2003 stand Südtirol im Lesen ganz oben auf dem Siegertreppchen. Die Professoren Brügelmann und Brinkmann deuteten den Südtiroler Erfolg auf ihre Weise und ganz in ihrem Sinne, schließlich hatten Hans Brügelmann, Erika Brinkmann sowie weitere Kollegen, die auch "freies Schreiben von Anfang an" als Teil eines übergreifenden Konzepts vertraten, seit vielen Jahren im Rahmen eines umfassenden Reformkonzepts für den Unterricht dort systematisch Fortbildung betrieben: „Die sehr positiven Ergebnisse bei PISA-II (2003) stellen keine direkte Evaluation freien Schreibens dar. Sie belegen aber, dass ein Bildungssystem sehr positive Ergebnisse erreichen kann, wenn es dieses Konzept in einen sowohl didaktisch als auch innovationsstrategisch umfassenden Reformansatz einbaut. Dazu zählen eine Förderung des selbstständigen Lernens in allen Fächern und auf allen Schulstufen, die Unterstützung des freien Lesens und Schreibens (im Unterricht und außerschulisch) und eine intensive, auf die didaktisch-methodische Reform abgestimmte Lehrerfortbildung“. (222) Landesregierung, Presse, Fachwissenschaftler und Gewerkschaften führten allerdings seinerzeit die beindruckenden Resultate aus Südtirol auf völlig andere Effekte zurück. (223) Offenbar fühlte sich Brügelmann nach seiner vollmundigen Darstellung der vermeintlichen Erfolge seines Unterrichtskonzepts nun ertappt und reagierte am 12.12.2006 auf seine Weise: mit einer "Gewinnwarnung" (224):

Gewinnwarnung

Auf dieses - allerdings durchsichtige - Ablenkungsmanöver Brügelmanns reagierte man seinerzeit in Südtirol mit einer entsprechenden Tatsachen-Darstellung (Zitat):

"Die Durchführung der Tests

An der deutschen Schule wurden die Tests zwischen dem 2. und 15. April 2003 durchgeführt. 1.318 Schülerinnen und Schüler wurden für den Test ausgelost. 1.264 Schüler und Schülerinnen haben am Test teilgenommen. Mit 96,13% ist die Quote der effektiven Beteiligung sehr hoch und liegt weit über dem internationalen Durchschnitt und über jenem, den die OECD als Mindestteilnahme gefordert hat.

Quality-Monitoring

Die Tests sind überall reibungslos verlaufen. An 10% der beteiligten Schulen fand ein Quality-Monitoring statt. Im Auftrag der OECD hat eine Person die Durchführung der Tests an einigen, zufällig ausgewählten Schulen während des gesamten Verlaufs (Vorbereitung der Tests, Durchführung, Abschluss und Verpacken der Testhefte) überprüft." (225)

  1. Causa: "Einführung der Vereinfachten Ausgangsschrift"

Da, wo Schreibschrift heute noch einen Platz im Unterricht findet, ist es zumeist die VA, die Vereinfachte Ausgangsschrift, die heute gelehrt wird. Sie hat schon vor rund 30 Jahren die bis dahin übliche Lateinische Ausgangsschrift verdrängt. Die Vereinfachte Ausgangsschrift hat die Lateinische Ausgangsschrift (LA) als Grundlage und ori­entiert sich zusätzlich an der Druckschrift. Tatsächlich wurde indes die VA nicht etwa zum Wohle von Kindern aus pädagogisch-didaktischen Überlegungen heraus erfunden: Die Buchstaben der VA waren wohlkalkuliert so gestaltetet, dass sie - im Gegensatz zur Lateinischen Ausgangsschrift – sich nun auch in Maschinenschrift aneinander reihen ließen. Die Entwicklung der VA kam allein wirtschaftlichen Interessen nach - und war in höchstem Maße kinderfeindlich, wie es sich schon bald zeigen sollte.

Der Grundschulverband (vordem: 'Arbeitskreis Grundschule') war es, der seit den 80er Jahren die VA in die Schulen hineinlancierte. Die Folgen: Wie von vielen Fachleuten vorausgesagt, nahm die Qualität der Handschriften bald ab, die Entwicklung der Handschriften war ein Desaster, das Lehrerinnen und Eltern heute gleichermaßen beklagen. Es war Brügelmann, der - immer schon als Funktionsträger im Grundschulverband tätig - damals schon besonders vehement kämpfend die Einführung der VA in die Grundschulen betrieb. In der Grundschule wurde diese Neuerung wieder einmal als 'Innovation' gefeiert, obschon weder Brügelmann noch andere Befürworter eine seriöse Argumentation zur Begründung dieser 'Innovation' vorgetragen hatten. In Brügelmanns "Kinder auf dem Weg zur Schrift" (Konstanz 1983) war sogar zu lesen: " Die LA-Schreiber machen rund 20% mehr Wortwahrnehmungs- und Durchgliederungsfehler als die VA-Schüler. Für einen kausalen Zusammenhang zwischen Schriftart und Rechtschreibleistung spricht die gleiche Zahl von Regel- und Merkfehlern, während die Wahrnehmungs- und Durchgliederungsfehler erheblich abnehmen." (138)

Im 7. Forschungsbericht der Universität Regensburg/Berichtszeitraum: 1994 bis 1997, beschreibt nach einer eigenen Studie Prof. Sigrun Richter ihren Befund unter "Mögliche Auswirkungen der gelernten Schreibschrift auf die Rechtschreibleistung":

"Im Anschluss an die Veröffentlichung von Topsch (1976), der die von Grünewald (1981) festgestellten positiven Auswirkungen der Vereinfachten Ausgangsschrift auf die Rechtschreibleistung auf ein methodisches Artefakt zurückführt, wurde in zweiten bis vierten Klassen die Rechtschreibleistung von Kindern, die im Anschluss an die Druckschrift die Vereinfachte Ausgangsschrift erlernten, mit der von Kindern verglichen, die - ebenfalls im Anschluss an die Druckschrift - die Lateinische Ausgangsschrift erlernten. Die Erhebung ergab keine positiven Effekte der Vereinfachten Ausgangsschrift auf die Rechtschreibleistung, sondern im Gegenteil in drei der sechs Untergruppen (Geschlecht/Jahrgang) signifikant bessere Leistungen von Kindern, die die Lateinische Ausgangsschrift schreiben."(226)

Der Erziehungswissenschaftler Wilhelm Topsch wies 1996 nach, dass es für die Einführung der Vereinfachten Ausgangsschrift seit den 1980er Jahren keine anderen wissenschaftlichen Gutachten gegeben hatte als die ihres Erfinders Heinrich Grünewald, denen so ahnungslos wie gläubig jene lärmigen Befürworter der Vereinfachten Ausgangsschrift wie z. B. Brügelmann und der Grundschulverband folgten. (138)

Neuerdings trommelt Prof. Dr. Hans Brügelmann, Fachreferent beim Grundschulverband für Qualitätsentwicklung, für die Abschaffung der Schreibschrift. In den meisten Lehrplänen der Bundesländer heißt es - wie in den nordrhein-westfälischen – : „Ausgangsschrift für das Lesen und Schreiben ist die Druckschrift. Im Zuge der Verflüssigung des Schreibverlaufs und der individuellen Ausprägung der Schrift entwickeln die Schülerinnen und Schüler später aus der Druck­schrift ihre persönliche Handschrift.“ Diese schulische Innovation - ebenso gespeist aus dem Erfindungsreichtum der wortführenden Elite des Grundschulverbandes - setzt darauf, dass Schülerinnen und Schüler eigeninitiativ, selbstbestimmt und selbstgesteuert „später aus der Druckschrift ihre persönliche Handschrift“ entwickeln könnten. Der Grund­schulverband gibt bereits seit Mai 2011 zum Preis von € 39 sein Lehrwerk zur Einführung der Grundschrift heraus: "Grundschrift - Damit Kinder besser schreiben lernen" Wiederum gibt es nicht eine Studie zur Wirksamkeit der Grundschrift. Wie bei anderen schulischen Reformen gehen die Reformer auch auch dieses Mal zeitig Bündnisse mit Schulbuchverlagen ein. Erst kürzlich kündigte der Klett-Verlag ein neues Schulbuch zur Grundschrift an. Autorin ist Brügelmanns Co-Autorin Erika Brinkmann, Professorin für deutsche Sprache, Literatur und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, aktives Mitglied im Grundschulverband und Miterfinderin der Grundschrift.

XX.

 

'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') und 'Spracherfahrungsansatz':

ein vernichtendes Urteil aus der Hirnforschung

Befunde aus der neueren Hirnforschung könnten schon recht bald mit dazu beitragen, dass jeglicher Anfangsunterricht nach 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') sowie nach dem 'Spracherfahrungsansatz' verboten wird. In «"Die Schulä fenkt an" - Wie Kinder in der Grundschule schreiben lernen» (Sendereihe PISAplus des Deutschlandfunks/ PISAplus, 10.12.11: Wie Kinder in der Grundschule Schreiben lernen) fällte am 10.12.2011 der weit über Deutschland hinaus bekannte Hirnforscher Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer ein vernichtendes Urteil über derzeitige Praxis des Unterrichts zum Schriftspracherwerb. Um allen Missverständnissen vorzubeugen, wurde es vorgezogen, den folgenden vollständigen Redebeitrag Spitzers wort-/silbengetreu in Schriftsprache umzusetzen. (besorgt durch J. G. Jansen).

Ausschnitt mit dem Redebeitrag Prof. Manfred Spitzers:

Moderation: Regina Brinkmann

Gesprächspartner:

Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Gründer des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen, Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, sein Forschungsschwerpunkt liegt im Grenzbereich der kognitiven Neu­rowissenschaft und Psychiatrie, mehrfache Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte in den USA (u. a. Har­vard University sowie am Institute for Cognitive and Decision Sciences der University of Oregon)

Prof. Dr. Petra Hanke, Institut für Allgemeine Didaktik und Schulforschung an der Uni Köln Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender Deutscher Philologenverband

* * * * *

Brinkmann: Wie und wann sollten Kinder richtig Schreiben lernen?

Spitzer: Es ist sicherlich richtig, dass Lernen Spaß machen sollte und dass man deswegen auf den Spaß achten sollte. Es stimmt aber gleichzeitig, dass sich beim Lernen im Gehirn Spuren bilden. Und über diese Spuren weiß man nun mal, dass sie sehr veränderungsresistent sind nach dem Motto: Wenn sie sich erst mal was angewöhnt haben, dann ist es viel schwieriger, sich das wieder abzugewöhnen und sich was Neues anzugewöhnen - als sich’s gleich richtig anzugewöhnen. Und das ist ein Riesenproblem, wenn die Kinder, ja ich sag mal, die ersten zwei Schuljahre schreiben dürfen wie sie wollen und alle sagen: “Ach ja, toll, du hast’s jetzt begriffen!“, und ist alles wunderbar. Und plötzlich in der 3.1 kommt der Hammer, da kommen erstens Noten, und zweitens darf man dann nicht mehr schreiben, wie man will. Sondern plötzlich schreiben sich Sachen, die gleich klingen wie Bus und Nuss, und dann nehmen Sie Köln und Neukölln, das eine hat zwei ’ll’ und das andere eins, und man fragt sich: “Warum eigentlich?“, und man versteht es nicht. Und damit sind die Kinder ab der 3.1 erstens gefrustet, weil das, was vorher toll war, nun ganz furchtbar ist, und zweitens kriegen sie ab der 3.1 auch noch Noten, und dann kriegen sie ihren Frust - dann gleich auch noch schriftlich. Und wenn es dann so läuft - und leider läuft es halt oft so, das weiß ich von vielen Schulen, dann läuft es natürlich maximal schlecht. So hat man zwar am Anfang für ein bisschen Spaß gesorgt - und man hat auch dafür gesorgt, dass man versteht, Schrift ist Verschriftlichung von Lauten, das schon, aber man hat eben auf der anderen Seite dafür gesorgt, dass man bei einem schönen Anfangserfolg dann so richtig frustriert ist, die Rechtschreibung richtig zu lernen, und das finde ich, ist keine gute Idee.

Brinkmann: Manchmal stellt man sich ja auch das Gehirn ein bisschen wie so eine Computerfestplatte vor, und dann brennt sich da meinetwegen jetzt die falsche Rechtschreibung ein. Welche Möglichkeiten hat man denn eigentlich noch, erfolgreich diese Schreibweise auch zu korrigieren?

Spitzer: Ja, das Gehirn ist natürlich nur bedingt eine Computerfestplatte. Das Gehirn ist eine verschneite Landschaft, auf der dann Spuren entstehen, dadurch, dass man auf der rumläuft. Und je besser man sozusagen von A nach B und wieder von B nach A läuft, entstehen halt schöne Trampelpfade. Und der Punkt ist der, der Schnee wird dann immer härter und immer härter, und dann sind neue Trampelpfade immer schwieriger zu machen. Und wenn Tiefschnee ist, ist das sowieso sehr beschwerlich, und man nimmt viel lieber den, der schon da ist. Und es hat tatsächlich im Jahr 2003 z. B., da gibt’s ne schöne Arbeit, die ist in dem Fachblatt Science erschienen, wo man ganz klar nachgewiesen hat, dass, wenn erst mal Repräsentationen in der menschlichen Gehirnrinde entstanden sind, also Nervenzellen, die für was Bestimmtes stehen, dann hat man ganz große Mühe, die zu löschen und dann wieder was Neues zu lernen: im Gegenteil, die sind sehr veränderungsresistent. Und gerade, wo man so was weiß, finde ich es sehr wichtig, dieses Wissen zu nutzen und dann zu sagen: “Wir lernen’s von Anfang an richtig und nicht erst falsch - und dann noch mal anders.“ Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, den versteht man nur, wenn man ein bisschen das Gehirn versteht - aber dann wird er umso deutlicher.

Brinkmann: Findet denn das, was Sie jetzt gerade so sagen, findet das Gehör in der Schullandschaft?

Spitzer: Nun, ich hab’ 2004 in Ulm das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen gegründet, weil es ja nicht sein kann, dass Hunderttausende von Gehirnforschern, die sich im Wesentlichen um das Lernen kümmern, denn das ist die Aufgabe des Organs Gehirn, dass die jährlich etwa 40.000 wissenschaftliche Arbeiten schreiben , wo es genau darum geht: Wie lernt das Gehirn? Und dass von diesen Arbeiten nichts, also noch mal: ’Null Komma Null’ im Kindergarten und in der Schule ankommt. Deswegen habe ich gedacht: “Das kann nicht sein! Wir müssen dafür sorgen, dass was passiert.“ Aber es ist viel schwieriger, als ich gedacht habe. Man kann schon sagen, die Schullandschaft, oder ich sag mal: die ’pädagogische Landschaft’, die ist sehr veränderungsresistent. Da gibt’s viele Programme - und aus dem hohlen Bauch wird alles Mögliche gemacht. Aber wissenschaftliche Grundlagenforschung, also echtes Wissen, in Handlung umgesetzt, so wie man das aus anderen Wissenschaften, wie beispielsweise der Medizin her kennt: Das findet im Bereich von Kindergarten und Schule leider nicht statt, obwohl wir das Wissen haben, es fehlt nur an der Umsetzung.

Brinkmann: So weit der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer.

Mehr über neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung in einem höchst empfehlenswerten Buch von Prof. Dr. Manfred Spitzer: Medizin für die Bildung - Ein Weg aus der Krise. Heidelberg 2010. (129)

Alles, was an Falschem bzw. Fehlerhaftem, auch an irreleitenden Prozeduren, über längere Zeit hinweg ge­lernt bzw. antrainiert wurde, lässt sich bei einer Vielzahl von Kindern kaum mehr heilen. Nach Professor Gün­ther Storch ist prozedurales Wissen ein Wissen, das Verhalten und Fertigkeiten (skills) zugrunde liegt. „Es handelt sich dabei nicht nur um motorische Fertigkeiten, sondern ebenso um mentale (z. B. Kopfrechnen). Fertigkeiten setzen sich aus Teilfertigkeiten auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen und mit verschiedenen Regelsystemen zusammen, z. B. pragmatische, syntaktische, morphologische, phonologische; sprachliches kommunikatives Handeln setzt prozedurales Wis­sen auf jeder dieser Ebenen voraus.“ (134) Prozedurale Programme laufen dann zumeist automatisch ab.

Der weltweit anerkannte Grundlagenforscher der Neurowissenschaft, Prof. Dr. Dr. Onur Güntürkün (Universität Bochum), ist einer von vielen Hirnforschern, die ebenso zu der Erkenntnis beitragen, dass das Lernen nach 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben') oder nach dem 'Spracherfahrungsansatz' falsch ist (wie u. a. auch Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer). Güntürkün lehrt, dass das prozedurale Gedächtnis alle automatisierten Handlungsabläufe "beherbergt" und somit deren Gedächtnis für geübte Fertigkeiten ist. Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang: Prozedurale Gedächtnisinhalte können ohne Beteiligung des Bewusstseins genutzt werden. Um Missverständnissen, die es durchaus gibt, vorzubeugen, unterstreicht er: "Es wäre falsch, das prozedurale Gedächtnis nur als einen Speicher für Handlungen anzusehen." (133) Vor Zuhörern auf dem Delegiertentag 2012 des 'Verbands der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen in NRW e.V.' (Thema: Was macht Lernen erfolgreich: Erkenntnisse der Hirnforschung für eine Schule der Zukunft) konkretisierte Prof. Dr. Dr. Onur Güntürkün seine Forschungsergebnisse:

Im Kölner Stadt-Anzeiger vom 24. 04.2012 präzisierte der Biopsychologe Güntürkün jüngst noch einmal: "Dass man Kinder zunächst frei schreiben lasse und erst später Rechtschreibung vermittele, widerspreche auch dem, was man heute über Lernprozesse im Hirn wisse, sagt Prof. Onur Güntürkün, Biopsychologe an der Ruhr-Uni-Bochum: «Umkehrlernen dauert länger und erhöht die Fehlerquote.» LdS hält er deshalb für falsch. (227)

Es ist allerdings zu bedenken, dass es keineswegs die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer waren, die in Deutsch­land den Anfangsunterricht nach 'Schreiben nach Gehör' (’Lesen durch Schreiben’) sowie nach dem ’Spracherfahrungsansatz’ in die Schulen lanciert haben: Es waren vielmehr ausgerechnet deren Professoren, die mit ihren wissenschaftsfernen und weltabgehobenen Ideologi­en indoktrinierend auf die Lehramtstudentinnen/-studenten einwirkten und so auf lange Zeit hin die Praxis in den Schulen bestimmten, die sich längst als ’Pädagogik gegen das Kind’ erwiesen hat.

Nicht wenige Professoren/Professorinnen werden indes auch weiterhin an der weiteren gewinnorientierten Verbreitung von LdS/Spracherfahrungsansatz interessiert und daher keineswegs geneigt sein, die derzeit geübte Praxis sog. moderner Pädago­gik in Frage zu stellen. Ein Eingeständnis der Macher der derzeit praktizierten sog. modernen Grundschulpädagogik, sich bei der Einschätzung zur Wirksamkeit ihrer methodischen Konzepte geirrt zu haben, ist auf lange Sicht nicht zu erwarten. Das heißt, dass solche Professoren kaum bereit sein werden, ihre Lehre zu revidieren, ihre Veröffentlichungen zu Makulatur zu er­klären und ihre lukrativen Nebentätigkeiten für Verlage aufzugeben. Zu viele von ihnen haben inzwischen selber für Verlage ihre Schulmaterialien entwickelt oder sind für Verlage als 'Wissenschaftliche Berater' bei der Herausgabe von Lehrwerken tä­tig. Im Übrigen befinden sich Professoren für Grundschulpädagogik, vornehmlich im Fach Deutsch, in einer privilegierten Si­tuation und machen reichlich Gebrauch von der Möglichkeit, über Jahre hinweg in Vorlesungen einseitig ihre Veröffentli­chungen zu verarbeiten und die Lehrerinnen/Lehrer auf die dazu entwickelten Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien einzuschwören.

Hinzu kommt, dass inzwischen in nahezu allen Bundesländern die Grundschulinspektion von Lehrerinnen und Lehrern das “Bekenntnis zu zeitgemäßen Unterrichtsformen“ erwartet, was für den Anfangsunterricht das Bekenntnis zu 'Schreiben nach Gehör' (’Lesen durch Schreiben’)/’Spracherfahrungsansatz’ bedeutet, und deren Praxis auch unter diesem Gesichtspunkt beurteilt.

Wenn Spitzer klagt: “Aber wissenschaftliche Grundlagenforschung, also echtes Wissen, in Handlung umgesetzt, so wie man das aus anderen Wissenschaften, wie beispielsweise der Medizin her kennt: Das findet im Bereich von Kindergarten und Schule leider nicht statt, ….“, so ist dieser Zustand möglicherweise/wahrscheinlich am wenigsten auf ein Fehlverhalten von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern zurückzuführen: Die unterrichten schließlich so, wie sie es an den Hochschu­len gelernt haben und wie es schon an den Ausbildungsseminaren von ihnen verlangt wurde. Immerhin korrigierte sich Spit­zer ja auch: "Man kann schon sagen, die Schullandschaft, oder ich sag mal: die ’pädagogische Landschaft’, die ist sehr veränderungsresistent."

Seit der Einführung von 'Schreiben nach Gehör' (’Lesen durch Schreiben’)/’Spracherfahrungsansatz’ vor mehr als zwei Jahrzehnten dürften inzwischen in der Grundschule Hunderttausende von Kindern methodenverursacht massive und kaum zu revidierende Schädigungen erlitten haben - mit in aller Regel schlimmen Folgen für ihre weitere Schullaufbahn.


XXI.

Die nationale Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 mit Fokus auf den Orthographieunterricht:

ernüchternde Befunde und falsche Konsequenzen

Die jüngst veröffentlichten Teilergebnisse aus der nationalen Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 zeigen erneut, wie schlimm es um den Schriftspracherwerbsunterricht an deutschen Grundschulen bestellt ist. Im Rahmen von IGLU-E 2006 wurden die orthographischen Leistungen von fast 8000 Schülerinnen und Schülern aus allen 16 Bundesländern untersucht. Zur Messung der orthographischen Kompetenz wurden Tests ausgewählt, die in der Praxis verbreitet sind und linguistisch begründete Einzelfehleranalysen aufweisen. Wie in der ersten IGLU-Erhebung kam die 'gutschrift-Diagnose' (ehemals Dortmunder-Schriftkompetenz-Ermittlung) zum Einsatz. Zusätzlich wurde die Deutsche Schreibprobe DSP (ehemals Hamburger Schreibprobe) verwendet. Daneben wurde der Sprachsystematische Rechtschreibtest SRT, eine innerhalb der Voruntersuchung zu IGLU-E pilotierte Neuentwicklung, eingesetzt. (228) Jedes Kind hatte einen dieser Tests zu absolvieren:

  1. 'gutschrift-Diagnose': Lückensatzdiktat mit 35 diktierten Wörtern

  2. DSP: Teil 1: Es sind 23 diktierte Wörter zu schreiben, deren Begriff gleichzeitig visualisiert dargestellt wurde. Teil 2: Im Anschluss daran mussten in kleine Geschichten 35 diktierte Wörter in Lücken eingetragen werden, die Interpunktion wurde teilweise selbstständig gesetzt.

  3. SRT: Fließtextdiktat mit 121 Testwörtern: davon 43 »kleine« Wörter wie Artikel, Pronomen, Präpositionen oder Konjunktionen, deren Schreibung Kindern einer 4. Klasse leicht fällt; 78 Wörter als Substantive, Verben, Adjektive sowie Wörter, die über Kompositabildung entstanden sind.

Darüber hinaus wurde im Sommer 2006 an elf Dortmunder Schulen in 26 Klassen mit etwa 560 Kindern eine Vergleichsstudie durchgeführt, dabei hatte allerdings jedes Kind alle drei Tests zu absolvieren.

Teilnehmende Kinder bei 'gutschrift-Diagnose': 566

Teilnehmende Kinder bei DSP: 561

Teilnehmende Kinder bei SRT: 562

Ergebnis dieser Vergleichsstudie: Die Leistungen der Dortmunder Stichprobe liegen auf einem vergleichbaren Niveau mit den Leistungen der Kinder aus der für Deutschland repräsentativen Stichprobe. (Kerstin Kowalski /Andreas Voss: Die IGLU-Ergänzungsstudie 2006 zur Rechtschreibkompetenz von Viertklässlern, in: (139)

Das zusammenfassende Ergebnis aus der nationalen Ergänzungsstudie IGLU-E 2006:

Für den Lernbereich 'Orthographie' in der Grundschule ist inzwischen gut belegt, dass an deutschen Grundschulen weitestgehend weder ökonomisch sinnvoll noch effektiv unterrichtet wird:

Auch dies berichten K. Kowalski und A. Voss:

An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, noch einmal auf einen inzwischen viele Male wissenschaftlich abgesicherten Sachverhalt hinzuweisen:

Nach den Befunden, die K. Kowalski und A. Voss vorgetragen haben, steht ohne jeden Zweifel fest, dass die Grundschule es z. B. bezüglich der Orthographie nicht schafft, nach dem Ablauf der ersten Klasse in den folgenden nahezu drei vollen Schuljahren für alle Kinder das geforderte Rechtschreibniveau zu erreichen: Seit dem Anfang der 2. Klasse bis in Klasse 4 bleiben immerhin 25% der Kinder zurück. Das heißt, wie auch Prof. Shaywitz et al. 1999 mit der sogenannten Connecticut Studie (ebd.) belegten, dass diese Schwierigkeiten mit der Orthographie mindestens auch noch bis zur 12. Klasse anhalten. Es ist folglich nicht zu erwarten, dass mit einer Verlängerung um zwei weitere Jahre die Grundschule die Rechtschreibsituation dieser 25% der Viertklässler entscheidend verbessern könnte. Der Vorwurf, dass an deutschen Grundschulen weitestgehend weder ökonomisch sinnvoll noch effektiv unterrichtet werde, betrifft im Übrigen ebenso die anderen Bereiche des Deutschunterrichts sowie mindestens auch das Fach Mathematik.

In ihrem Aufsatz "Eine silbenanalytische Auswertung von Wortschreibungen und ihre Konsequenzen für den Schrift­erwerbsunterricht" beschreibt Prof. Christa Röber das Desaster des heutigen Schrifterwerbsunterrichts: "Es gehört zu den großen Verdiensten von PISA und IGLU, an Ergebnisse über die Bedingungen schulischen Lernens aus dem vergangenen Jahrhundert wieder anzuknüpfen, die Relevanz von Unterricht für den Unterrichtserfolg bestimmter Schülergruppen vielfach nachgewiesen haben. [.....] Die Arbeit an der Optimierung des Unterrichts für alle Schüler aus didaktischer Perspektive tut not, nicht die Stützung der sozial differenzierenden Funktion, die Schule - insbesondere in Deutschland (vgl. PISA und IGLU) - auch zugewiesen wird. Es ist Zeit, über Modelle zur Optimierung des Unterrichts nachzudenken, damit nicht das geprüft wird, was gar nicht unterrichtet wurde, Schülern so individuell Defizite zugeschrieben werden, deren Ursachen sie gar nicht zu verantworten haben." (229) Damit beklagt Röber einerseits den Niedergang von Unterrichtskultur, andererseits kritisiert sie "den derzeitigen didaktischen Konsens. Dieser ist auf Seiten der Beschreibung des Lerngegenstands, der Orthographie, durch die Annahme einer linearen Lautkette im Gesprochenen, die graphisch durch eine lineare Buchstabenkette repräsentiert würde , ergänzt durch zusätzliche »Schreibprinzipien«, geprägt. (Anmerkung des Autors: Prinzip 'Schreibe, wie du sprichst') Der Erwerb wird als eine in Stufen erfolgende Reifung mit minimaler Instruktion im Unterricht gesehen (z.B. in Form einer Anlauttabelle), die die Eigenständigkeit des Entwicklungsprozesses nicht behindern soll. "(ebd.) Dieser 'Unterricht', wenn man ihn denn noch als einen solchen bezeichnen will, ist, zumal er inzwischen vielfach über Jahre hinweg in dieser Manier stattfindet, ist in höchstem Maße unökonomisch; ineffektiv, ja sogar schädlich ist er, weil er verhindert, die Kinder "- und das ist lerntheoretisch gravierend - Orthographie als ein Regelsystem, das erkundbar ist, wahrnehmen zu lassen." (ebd.) Sie haben "Schreiben nicht als kognitive Aufgabe kennen gelernt, die von Anfang an über einen regelbasierten Wissensaufbau zu lösen ist." (ebd.) Die Folge ist, dass "die zu Beginn des Lernprozesses erworbene Lautfixierung der zentrale Faktor" (ebd.) des Schreibens bleibt. Die Folge dieser Didaktik ist denn auch,

Im Schulprogramm einer norddeutschen Grundschule mit Unterricht nach der 'Methode Sommer-Stumpenhorst' ist nachzulesen: "Die Entwicklung von Rechtschreibgespür - nicht von Rechtschreibsicherheit - ist unser zentrales Anliegen." (230)

Tatsächlich unterrichten nicht wenige GrundschullehrerInnen die Orthographie mit der irrigen Annahme, 'Gespür' sei ein Synonym für 'Bauchgefühl' - wie tatsächlich in etlichen Synonymwörterbüchern nahegelegt wird - und bei Kindern sei die Fähigkeit des richtigen Schreibens im Wesentlichen abhängig von Instinkten, Intuitionen oder so etwas. Ein Gespür zu entwickeln für die in einem Wort verwirklichten orthographischen Prinzipien hat jedoch nichts mit Gefühlen oder Ähnlichem zu tun, sondern mit dem Vorhandensein eines erheblichen Repertoires an Wissen und Können. Bei der Überprüfung ihrer Schreibungen sollten Kinder in der Lage sein, mit Hilfe ihrer bereits erworbenen phonographischen und grammatischen Kompetenz den der jeweiligen Schreibung immanenten Indizien, Hinweisen, Anhaltspunkten nachgehen zu können, sich also auf gezielte Spurensuche zu begeben, um dann aus ihrem Repertoire an Wissen und Können die richtige Lösung herauszufiltern. Rechtschreibgespür, das Wort kann seine Verwandtschaft mit 'Spur' nicht verleugnen, ist nicht einfach nur eine beiläufig erworbene Fähigkeit, sie basiert vielmehr darauf, mit einem hohen Grad an phonographischen und grammatischen Kompetenzen sich auf plausible Spurensuche begeben und so mit solidem Wissen und Können die richtige Lösung ansteuern zu können. Ein Orthographieunterricht, der über lange Zeit hinweg die Kinder nach Bauchgefühl und mit Anlauttabelle Wörter, sogar Texte verschriften lässt und ihnen vorgaukelt, dass man Buchstaben hören könne, führt genau dazu, dass "die zu Beginn des Lernprozesses erworbene Lautfixierung der zentrale Faktor" des Schreibens bleibt. (In: 139). Indes bleibt den meisten Kindern nicht auf Dauer verborgen, dass ein Großteil ihrer Schreibungen dem Zugriff ihrer phonographischen 'Kompetenz' entzogen bleibt. Die Folge sind erhebliche Verunsicherungen, wie sie von unterschiedlichen Autoren beschrieben werden. (In: 139) Sie sind dem Versäumnis zuzurechnen, dass Kinder nicht Schreiben als kognitive Aufgabe kennen lernen, die von Anfang an über einen regelbasierten Wissensaufbau zu lösen ist. (Prof. Christa Röber: Eine silbenanalytische Auswertung von Wortschreibungen und ihre Konsequenzen für den Schrifterwerbsunterricht", in: 139) An erster Stelle für die fachdidaktische Arbeit mit Kindern steht für Prof. Christa Röber

Dass sich viele Grundschulen inzwischen von den Zielvorstellungen, bei möglichst vielen Kindern eine möglichst große Rechtschreibsicherheit zu erreichen, verabschiedet haben, mag vielleicht auch den oft nur dürftig reflektierten und weitgehend unkonturierten Erfahrungen mit der Erfolglosigkeit ihres Unterrichts geschuldet sein.

Die Teilergebnisse aus der oben bereits erwähnten nationalen Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 sowie die Ergebnisse aus der im Sommer 2006 an elf Dortmunder Schulen in 26 Klassen mit etwa 560 Kindern durchgeführte Vergleichsstudie zeigen eindrücklich, wie groß die Verunsicherung bei vielen Kindern ist. Darauf wiesen bereits in 2005 I. Löffler/U. Meyer-Schepers hin: "Die im Unterricht zu erzielende Klärung, worin eine Schreibvorschrift besteht, welche Anwendungsbedingungen zu beachten sind und wie sie zu anderen orthographischen Vorschriften im Verhältnis steht, ist offensichtlich nicht genügend sicher bei ihnen >angekommen.< Mehr noch: In ihre Rechtschreibbemühungen ist mehr oder weniger starke Verunsicherung eingekehrt, ein ungelöstes Problem zieht weitere Probleme nach sich." (231) Die Zahlen über die außergewöhnliche Höhe der Schreibvarianten der Testwörter liefern einen beredten Beweis für die Verunsicherungen bei den Kindern.

Schreibvarianten: Die Ergebnisse der Dortmunder Vergleichsstudie von 2006

Teilnehmende Kinder bei 'gutschrift-Diagnose': 566

Teilnehmende Kinder bei DSP: 561

Teilnehmende Kinder bei SRT: 562

'gutschrift-Diagnose': Lückensatzdiktat mit 35 diktierten Wörtern

DSP: Teil 1: Es sind 23 diktierte Wörter zu schreiben, deren Begriff gleichzeitig visualisiert dargestellt wurde. Teil 2: Im Anschluss daran mussten in kleine Geschichten 35 diktierte Wörter in Lücken eingetragen werden, die Interpunktion wurde teilweise selbstständig gesetzt.

SRT: Fließtextdiktat mit 121 Testwörtern: davon 43 »kleine« Wörter wie Artikel, Pronomen, Präpositionen oder Konjunktionen, deren Schreibung Kindern einer 4. Klasse leicht fällt; 78 Wörter als Substantive, Verben, Adjektive sowie Wörter, die über Kompositabildung entstanden sind.


Ungemütliche Erkenntnisse

ungemuetliche

*Siehe unter 'Kurzbeschreibung der Tests/3.'!

Zu dem bereits oben zitierten Buch "Kompetenzmodelle der Orthographie" (Renate Valtin/Bernhard Hofmann [Hrsg.]) heißt es im Untertitel: "Empirische Befunde und förderdiagnostische Möglichkeiten". Es ist zu fragen, wie sinnvoll es ist, bei diesen Befunden insgesamt, die für die Kinder in Klasse 4 gravierende Entwicklungen in der Orthographie ausweisen, sich nahezu ausschließlich auf die Entwicklung immer neuer förderdiagnostischer Instrumente zu konzentrieren: Wo bleibt die objektive Forschung, die sich endlich mit der Entwicklung bzw. Empfehlung von effektiven und unschädlichen Schriftspracherwerbsmethoden befasst, mit deren Hilfe von vornherein desaströse Entwicklungen bei vielen Kindern verhindert werden könnten? Anstatt dessen gibt derzeit der sich reformpädagogisch gerierende Markt - stets auf maximale Gewinnmöglichkeiten fixiert - mit abenteuerlichsten Lernmaterialien zur Erlangung von orthographischer Kompetenz die didaktischen und methodischen Handlungslinien vor. Beklagenswert oft und zunehmend sind solche der Reformpädagogik zugewandten universitären Mitarbeiter dabei die Berater der Bildungsindustrie, die noch nie, weil sie über keinerlei Ausbildung zum Grundschullehrer verfügen, oder seit Jahrzehnten nicht mehr auch nur eine Schulklasse in den Schriftspracherwerb geführt haben.

Im Übrigen muss entschieden angezweifelt werden, dass bei 25% der rechtschreibschwachen Viertklässler die verbleibenden 75% getesteten Schülerinnen/Schüler ihre Orthographiekompetenz - auf welcher Stufe auch immer - in der Schule erworben haben. Der folgende Aspekt bleibt bei Untersuchungen zum Leistungsstand von Schülern ständig ausgeklammert:

Vermehrt haben schon seit Langem besorgte Eltern von Grundschulkindern als Privatlehrer am Nachmittag den Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen selbst in die Hand genommen oder schicken ihre Kinder in den professionellen Nachhilfeunterricht, der mittlerweile selbst in dörflichen Gemeinden angeboten wird: inzwischen ein Milliardengeschäft in Deutschland. Anzeigekampagnen der Nachhilfeinstitute sowie die in Buchhandlungen angebotene Fülle an Nachhilfematerialien für den häuslichen Nachhilfeunterricht insbesondere in Rechtschreiben, Lesen und Rechnen belegen, wie enorm der Bedarf in den letzten Jahren gestiegen ist. Bildungsbewussten und engagierten Eltern, die über die finanziellen, zeitlichen und entsprechenden kompetenzbasierten Ressourcen verfügen, diese Angebote ausschöpfen zu können, kann es denn auch gelingen, ihre Kinder aus der Gefahrenzone herauszuführen und ihnen zu einer Orthographiekompetenz - auf welcher Kompetenzstufe auch immer - zu verhelfen, damit sie zu den erfolgreicheren 75% der getesteten Schülerinnen/Schülern gehören können. Insofern ist es natürlich bei solchen Untersuchungen abwegig davon auszugehen, der jeweilige Leistungsstand der Kinder sei durchweg das Ergebnis der schulischen Lehre. Deshalb ist wohl auch die Feststellung von K. Kowalski /A. Voss, dass nur (!) rund einem "Viertel aller Schülerinnen und Schüler der Weg zur Schriftlichkeit mit den etablierten didaktischen Vermittlungsansätzen verwehrt bleibt", keineswegs eine valide Aussage, die die schulische Realität in Deutschland zuverlässig beschreibt. (Kerstin Kowalski /Andreas Voss: Die IGLU-Ergänzungsstudie 2006 zur Rechtschreibkompetenz von Viertklässlern, in: (139)

Wie hinreichend belegt ist, finden wir mangelnde Rechtschreib- und Lesekompetenz zumeist bei Schülerinnen/Schülern aus sozialschwachen und bildungsfernen Elternhäusern sowie bei Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund. Es gibt sie bereits zuhauf, die ratlosen und aufgebrachten Eltern, die den Schulen vorwerfen, nicht effektiv den Service zu leisten, für den sie ihre Steuern bezahlen: Schließlich belasten die Gebühren, die sie für den Nachhilfeunterricht zu entrichten haben, oder die Kosten der Materialien für den häuslichen Nachhilfeunterricht oft genug in erheblichem Umfang ihr Haushaltsbudget bis an die Grenzen des noch Leistbaren. Kinder aus sozialschwachem Milieu bleiben ohne Chance. Bildungsferne Eltern werden jedoch kaum für die schulische Situation ihrer Kinder zu interessieren sein, und für Kinder aus - in sprachlicher Hinsicht - nicht integrierten Familien mit Migrationshintergrund entfällt aus naheliegenden Gründen in aller Regel die Möglichkeit, sich von ihren Eltern in ihrer Rechtschreib- und Lesekompetenz unterstützen zu lassen.

Die Arbeit des LOS-Instituts wird wissenschaftlich begleitet. In Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg führte der Wissenschaftliche Beirat der LOS (Lehrinstitute für Orthographie und Schreibtechnik) im Jahre 2006 die sog. LOS-STUDIE* durch, aus der die folgenden Tabellen 1, 2 und 4 sowie die Anmerkungen dazu stammen.

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Tabelle 1: Alter und besuchte Klassenstufe der Schüler bei Trainingsbeginn*

"Nach Abschluss des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts nimmt die Zahl der Schüler, die in einem LOS vorgestellt werden, deutlich zu, in Klasse 2 beträgt der Anteil 6,9 Prozent und steigt in Klasse 3 auf 14,6 Prozent. Deutliche Schwerpunkte bilden die Klassenstufen 4 und 5, aus denen zusammen sich fast 40 Prozent der Schülerschaft der LOS rekrutiert."*

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Tabelle 2: Besuchte Schulform der Schüler bei Trainingsbeginn*

"Allerdings stimmen diese Zahlen nicht mit den Anteilen der Schüler aus verschiedenen Klassenstufen (siehe Tabelle 1) überein. Der Anteil der Grundschüler ist deutlich höher, als dies die Anteile der Schüler aus den einzelnen Klassenstufen der Grundschule ausweisen."

* 6) einschließlich konfessionelle Grundschulen/7) einschließlich Haupt- und Realschule-Kombination, Mittelschule

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Tabelle 3: Bildungsabschluss der Eltern*

"Demnach ergibt sich, dass der Anteil der Eltern von LOS-Schülern mit höherer Bildung höher ist als in der Normal­population, gleichzeitig ist der Anteil von Eltern ohne Schulabschluss in der LOS-Stichprobe deutlich geringer. Nimmt man den jeweils höchsten Bildungsabschluss beider Eltern in den Familien der LOS-Schüler, so sinkt der Anteil der Familien mit geringer Bildung (d. h. höchstens Hauptschulabschluss) auf 16 Prozent, während der Anteil der Eltern mit hoher Bildung (mindestens Abitur oder Fachhochschulreife) 46 Prozent ausmacht."*

*LOS-STUDIE (2006). (MAY, P.: Zur Wirksamkeit der Förderung im LOS. Überprüfung der Rechtschreibleistungen und Elternbefragung. ISBN 978-3-933699-32-9. Berlin: trainmedia GmbH, 2008. Herausgeber: Wissenschaftlicher Beirat der LOS (Lehrinstitute für Orthographie und Schreibtechnik) in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg/Referat Standardsicherung und Testentwicklung LIQ-1 Stand: 10.03.2006 Verantwortlich für die Druckfassung des Berichts: Eberhard Aurich)

Es ist nicht denkbar, dass irgendwo sonst bei einer Ausfallquote von 25% nicht umgehend die Verfahrensweisen geändert würden, um nicht ständig über Reparaturarbeiten reflektieren zu müssen, die - wie hier für den Lernbereich 'Orthographie' dargestellt - dennoch in der Regel nicht mehr zum Ausgleich der entstandenen Defizite führen können.

Weil die deutsche Grundschule es nicht schafft, Schulerfolg vom Sozialstatus unabhängig zu machen und die im europäischen Vergleich nominell größte Leistungsdiskrepanz zwischen Kindern aus Familien ohne Migrationshintergrund und Kindern aus Familien, in denen beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, zu beseitigen, behaupten viele Grundschulpädagogen im Einklang mit der deutschen Reformpädagogik neuerdings immer vernehmlicher, "vier Grundschuljahre seien zu kurz, um Chancengleichheit zu schaffen und jedem Kind seine individuelle Entwicklung zu ermöglichen." (Kölner Stadtanzeiger vom 6./7. Februar 2010) Ein Armutszeugnis angesichts der Tatsache, dass sämtliche Länder, die bei IGLU besser abgeschnitten haben als Deutschland, genau dies bis in die vierte Klasse schaffen.

Ganz offenbar ist jedoch mit dem individualisierenden Unterricht in 5. und 6. Klassen der geplanten Primarschule nach neo-reformpädagogischer Dogmatik auch weitestgehend wieder nur ein Selbst-Unterricht nach irgendwelchen Lernvorlagen gemeint. Wenn es um den Deutsch-Teilbereich 'Rechtschreiben' geht, liegen die Konzepte bereits vor. So soll die individuelle Förderung in der 5. und 6. Klasse nach einem Modulsystem erfolgen (Modul 1: Vokale/Diphtonge/falsche Grapheme, Modul 2: Groß- und Kleinschreibung/Endungen/Vorsilben/einfache Ableitung, Modul 3: Dehnung/Dopplung I, Modul 4: Großschreibung abstrakter Nomen + Nominalisierungen/erweiterte Ableitung/grammatische Endungen, Modul 5: Dehnung/Dopplung II, Modul 6: Begabtenförderung/ Rechtschreibbesonderheiten/Lesen) (232) . Nach einer differenzierten Diagnose durch das 'gutschrift-Institut' (Dortmund) sollen diese Module, die im Schweregrad aufeinander aufbauen, von den Lehrerinnen "zugeteilt" werden. Zur Bearbeitung von Modul 6 heißt es dann wörtlich:

Paraphrasieren ließe sich das auch so: Die guten Rechtschreiber werden zunächst einmal als 'Hilfslehrer' missbraucht, um dann, sollte es zeitlich dazu reichen, sich selber zu fördern: sich selber die Kenntnisse über Rechtschreibbesonderheiten zu erarbeiten oder sich intensiv mit der Grammatik zu befassen.

Das unvermeidbare Fazit:

Den Lese-/Rechtschreibschwächen vieler Berliner Kinder ist nach 6-jähriger Grundschulzeit kaum mehr beizukommen. Der Kolumnist Harald Martenstein vom Zeit-Magazin fragt sich in der Ausgabe 39/2010, ob die Berliner Schulpolitiker noch ganz bei Sinnen sind - und zeigt zumindest für die Leseschwächen bei Grundschülern einen plausiblen Ausweg aus dem Dilemma auf: "Wenn man Kindern das Foto eines Bären zeigt, sind alle Bildungsprobleme wie weggezaubert". >http://www.zeit.de/2010/39/Martenstein

Harald Martenstein legt nach: über das Erlernen der Rechtschreibung nach Gehör:> http://www.zeit.de/2011/48/Martenstein

 

XXII.

"Früher waren die Rechtschreibleistungen besser!" -

Alles dummes Geschwätz?

Bemühungen um Klarheit gab es etliche - und die Befunde sind eindeutig

Schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrzehnts überprüften zwei junge Wissenschaftlerinnen der Universität Heidel­berg, Claudia Zerahn-Hartung und Ute Pfüller, den Wahrheitsgehalt dieser immer wieder - bisweilen auch - einfach nur so daher gesagten Behauptung. In 1995 ließen sie 592 junge Erwachsene (16-30-jährig) aus verschiedenen Berufsgruppen einen Rechtschreibtest absolvieren, wie er unter denselben Bedingungen schon 1968 mit einer Testgruppe durchgeführt wor­den war, bekannt geworden ist das Testdiktat unter dem Namen " 'Moselfahrt'-Diktat". (Die vollständigen Untersuchungser­gebnisse sind zu finden unter: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, Ergebnisse aus Psychoanalyse, Psycholo­gie und Familientherapie.) (233) Ergebnis: Die Probanden schrieben doppelt so viele Wörter falsch wie damals. Während sei­nerzeit 5 % der Arbeiten mit „ungenügend“ bewertet werden mussten, waren es jetzt 39,1 %. Zählt man die 9,1 % der mit „mangelhaft“ zu bewertenden Arbeiten hinzu, ergeben sich, an dem damaligen Berechnungsmodus gemessen, 48,2 % nicht ausreichender Rechtschreibleistungen: Nahezu die Hälfte aller Probanden erzielte also nicht einmal ausreichende Ergebnisse. Zu ähnlichen Ergebnissen, beschrieben von Prof. Dr. Wolfgang Schneider, kommt die LOGIK-Studie, eine Longitudinal­studie zur Genese individueller Kompetenzen, die im Jahre 1984 begonnen und 2004 abgeschlossen wurde. In seinem Aufsatz heißt es u. a. : "..... . Dies impliziert, dass mehr als 60% der LOGIK-Probanden mit ihrer heutigen Testleistung vor 35 Jahren als relativ rechtschreibschwach eingestuft worden wären. Die Befunde entsprechen denen von Zerahn-Hartung et al. (2002), die für ihre Stichproben einen mittleren Fehlerwert von 19.8 Fehlern berichtet hatten." (117) In 2001 führte der Schulpsychologe Alexander Geist (118) eine ähnliche Untersuchung durch. Diesmal waren die Probanden ausschließlich Gymnasiasten der 5. Klasse. Sein Befund: Während die Ergebnisse in den 60er Jahren der Normalverteilung (nach Gauß) entsprachen, müssten heute, etwa 40 Jahre später, etwa 40 % der Gymnasiasten aus der 5. Klasse als rechtschreibschwache Schüler oder Legastheniker eingestuft werden. Hinzurechnen müsste man eigentlich noch die Zahl der rechtschreibschwachen Real­schüler und Hauptschüler. Darauf müssen wir jedoch verzichten. Grund: Real- und Hauptschullehrer hatten Alexander Geist von einer Untersuchung dieser Schülergruppen abgeraten, um eine Katastrophe zu vermeiden: Schüler dieser Schulformen wären unsagbar überfordert gewesen. Sind unsere Kinder also dümmer geworden? Das Gegenteil ist der Fall! Die oben ge­nannten Forscherinnen Claudia Zerahn-Hartung und Ute Pfüller betonten in diesem Zusammenhang, dass die sprachfreie In­telligenz seit 1977 von 100 auf 111 IQ-Punkte angewachsen ist. Auch das ist erwähnenswert: Unmittelbar nach dem Fall der Mauer wurden vergleichende Studien zur Rechtschreibung in Ost und West (im Stadtstaat Hamburg) durchgeführt. (119) Er­gebnis: Die Rechtschreibung im Osten war deutlich besser als im Westen (im Stadtstaat Hamburg). Peter May bilanziert: "Bezüglich der Rechtschreibsicherheit bei vorgegebenen Wörtern und Sätzen zeigen die ostdeutschen Kinder in allen Klassen deutliche Vorteile, wobei die Unterschiede zu den Hamburger Kindern im Laufe der Grundschulzeit wachsen. Die Unterschie­de bleiben auch dann enorm, wenn die - in Hamburg wesentlich häufigeren - Ausländerkinder aus dem Vergleich ausgeklam­mert werden. Der Anteil von Schülern mit Rechtschreibleistungen, die nach Hamburger Kriterien als überdurchschnittlich einzustufen sind, ist schon gegen Ende der ersten Klasse höher und steigt bis gegen Ende der Grundschulzeit auf etwa 60 Pro­zent. Gleichzeitig ist die Gruppe der schwachen Rechtschreiber in der DDR zahlenmäßig gering, und extrem schwache Recht­schreiber finden sich dort äußerst selten." (119)"Bezüglich der Rechtschreibung in Aufsätzen zeigen sich die DDR-Kinder am Ende der vierten Klasse den Hamburger Kindern im Mittel deutlich überlegen: 95,4 % aller Wörter der DDR-Kinder enthalten keine Rechtschreibfehler (in Hamburg: 86,3 %). Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man nur die verschiedenen Wörter (ohne Eigennamen) betrachtet: 92,4 % (DDR) vs. 77,8 % (im Westen) der verschiedenen Wörter enthalten weder Rechtschreib- noch Grammatikfehler." (119) Eine Studie 15 Jahre später ergab: Mittlerweile war die Rechtschreibung im Os­ten genau so schlecht wie im Westen. In 2009 veröffentlichten im Rahmen der DESI-Studie (2008) Prof. Dr. Günther Thomé und Prof. Dr. Wolfgang Eichler die Ergebnisse einer Untersuchung zur Rechtschreibkompetenz von 9000 Neuntklässlern. In einem 68-Wörter-Diktat (!), das im Übrigen von Experten aus den zuständigen Ministerien vorab als zu leicht eingeschätzt worden war, betrug der Mittelwert der Fehleranzahl 16. Das Ergebnis überraschte nicht: 78% der Teilneh­mer (Kompetenzstufe A und B) erwiesen sich als schlechte oder sehr schlechte Rechtschreiber, lediglich 22% der Schüler/in­nen stuften Thomé/Eichler als "relativ sichere Rechtschreiber" ein. (149/150)

Die Ergebnisse der DESI-Studie (149/150):

DESI Study

Prof. Dr. Wolfgang Steinig et al. eine "Studie zur Diachronie schulischen Schreibens". (120) Dabei geht es um einen Ver­gleich von Texten, die 1972 und 2002 in vierten Grundschulklassen geschrieben wurden: nach den gleichen Verfahren, sogar auf dem gleichen Schreibpapier, an den gleichen Schulen in Dortmund und Recklinghausen - nur lagen eben dreißig Jahre da­zwischen. Auch die Ergebnisse aus dieser Studie sprechen eine eindeutige Sprache (Zitat W. Steinig et al., ebd.):

Auch ihre Vermutung, dass die Fehlerzahlen damals in 1972 weniger stark streuten als 2002, fanden W. Steinig et al. bestätigt.

 

Nachdem sich 1972 in 44% der Texte nur 0-5 Fehler auf 100 Wortformen fanden, die Gruppe mit 6-10 Fehlern bei 37% lag und darauf die Gruppen mit höheren Fehleranteilen deutlich kleiner wurden, sind in 2002 die fünf Gruppen mit zwischen 11 und 35 Fehlern deutlich größer geworden.

Ebenso zeigen die folgenden Ergebnisse der Untersuchung unmissverständlich, dass in 30 Jahren die Rechtschreibleistungen aller Kinder nachgelassen haben, sie zeigen auch, dass in besonderem Maße wieder die Kinder aus schriftfernen Elternhäu­sern betroffen sind.

Steinigstudy

In FOCUS-SCHULE-online ließ die FOCUS-SCHULE-Redakteurin Simone Scheufler den Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Günther Thomé von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, der die Rechtschreibmisere an unseren Schulen gründlich untersucht hat, zu Wort kommen. (121) Nach seinen Befunden ist die Rechtschreibung von Kindern und Jugendlichen schlecht wie nie. "Die Hälfte der Schüler ist heute rechtschreibschwach, wenn sie aus der Schule kommen", sagte Günther Thomé. "Sie haben so große Probleme, dass man ihre Orthografie mit der Note 5 bewerten müsste."

Eine solide Ursachenforschung ist nicht in Sicht

Dass aus diesen Befunden solide Konsequenzen gezogen werden, ist indes nicht in Sicht, immerhin gibt es jedoch auch einen kleinen Fortschritt: Es wird - wenn auch einstweilen noch nur halbherzig - nach den Hauptursachen für diese Entwicklung in die Rechtschreibkatastrophe gesucht, bislang geäußert werden indes nur Mutmaßungen:

1. Die Leistungsanforderungen sind seit den 70er Jahren erheblich abgesenkt worden (Beispiel Lehrpläne Grundschule NRW):


Lehrplan 1969

Die Kinder sollen "richtig schreiben und sinnvoll anwenden können"

Lehrplan 1985

"der rechtschriftlich zu übende Grundwortschatz soll umfassen":

2. Schj.

1000 bis 1300 verschiedene Wörter

300 Wörter

3. Schj.

1700 bis 2100 verschiedene Wörter


4. Schj.

2500 bis 3ooo verschiedene Wörter

1000 Wörter

Das Fazit Prof. Dr. Wolfgang Steinigs: "Die Anzahl richtig zu schreibender Wörter wurde für Viertklässler um 60 bis 67 Pro­zent gesenkt und im Gegenzug nahmen die Fehlerzahlen um 77 Prozent zu." (120)

Anmerkung J. G. Jansen: Für die heutige Grundschule wird nicht mehr von 'Leistungsanforderungen', sondern von zu erwerbenden 'Kompetenzen' gesprochen. Als besonders wichtige Kompetenz zählt heute auch die 'Abschreibkompetenz', diese 'Kompetenz' wird in Klassenarbeiten abgeprüft, die Bewertungsnoten der 'Abschreibkompetenz' bestimmen in vielen Schulen die Entscheidung über die Rechtschreibnote.

Bereich: Schreiben

Schwerpunkt: Richtig schreiben

Kompetenzerwartungen am Ende der Klasse 4

Die Schülerinnen und Schüler

  • schreiben methodisch sinnvoll und korrekt ab
  • verwenden Rechtschreibstrategien zum normgerechten Schreiben (z. B. Mitsprechen, Ableiten und Einprägen)
  • kennen grundlegende Regelungen der Rechtschreibung und nutzen sie (s. nachfolgende Tabelle)
  • verwenden Hilfsmittel (z. B. Wörterbuch, Lernkartei, Rechtschreibhilfe des PC)
Auszug aus: Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, 2008

2."Als wesentlichen Grund für diesen außergewöhnlich hohen Anstieg (Anmerkg. J. G. Jansen: gemeint ist der Fehleranstieg) sehen wir den Rückgang von Instruktions-, Lern- und Übungszeit, die im Deutschunterricht auf die Rechtschreibung verwandt wird." (120)

3. "In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen, die vor diesem konstruktivistischen Wunderland des Schreibens warnen. In empirischen Untersuchungen wird zunehmend deutlicher, dass 'Risikokinder' des Schriftspracherwerbs mit offenen, schülerorientierten, an Selbststeuerung, Eigenaktivität und Erfahrung mit Schriftlichkeit orientierten Konzepten zu wenig gefördert werden können, so dass sich der Abstand zwischen guten und schlechten Schreibern vergrößert." [.....] Der Unterricht in den 1970er Jahren war noch durch intensive Instruktion und systematisches Üben gekennzeichnet, so dass es bei 'Risikokindern' nicht zu den Defiziten kam, wie wir sie 30 Jahre später in den Texten von Kindern aus der Unterschicht beobachten konnten. Die Öffnung des Unterrichts, Selbststeuerung und kreative Schreibphasen kommen dagegen vor allem Kindern aus der Mittelschicht zugute. Sie sind die Gewinner der konstruktivistischen Didaktik." (120)

4. "In den 1990er Jahren kam die Konzeption prozesshaften Schreibens mit integrierten Phasen der Überarbeitung hinzu. Der Schreibprozess mit seinen unfertigen und fehlerhaften Zwischenstadien wurde aufgewertet. Formale Aspekte wie Rechtschreibung oder eine 'schöne' Schrift traten gegenüber Schreibzielen und -inhalten zurück. Insbesondere für das kreative Schreiben wurde gefordert, dass die Entwicklung von Gedanken und Formulierungen nicht durch Probleme bei der Suche nach der korrekten Schreibung von Wörtern gestört werden sollte." (120)

Prof. Dr. Wolfgang Steinig bezeichnet die Grundschule als "innovativste Schulform",

So muss es für Steinig als "Dilemma" erscheinen, wenn - zumindest in der Rechtschreibdidaktik - ausgerechnet die "innova­tivste Schulform" aller Schulformen versagt, was ihn zu der Fragestellung führt: "Aber womöglich gibt es Elemente in der älte­ren Rechtschreibdidaktik, die den heutigen überlegen sind." Wie zuvor gezeigt hat Steinig durchaus Antworten auf diese Frage - sie alle weisen in dieselbe Richtung, dass nämlich - zumindest - die Rechtschreibdidaktik der "innovativsten Schulform" mit aller Sorgfalt und vorbehaltlos zu hinterfragen ist. Wenn er von der Rechtschreibsituation in den 1970er Jahren spricht, ist er der - im übrigen irrigen - Auffassung, dass "innere Differenzierung und individuelle Förderung noch kaum zum Handlungs­wissen von Lehrern" gehörten. Er fährt fort: "Es wurde vielmehr frontal unterrichtet; Anforderungen und Aufgaben waren für alle Schüler gleich. Möglicherweise sorgte gerade dieses undifferenzierte Vorgehen dafür, dass dass Leistungsspektrum der Schüler nicht so breit war wie heute und orthografische Fehler nicht so stark streuten wie heute." Angesprochen werden hier das damals in den 1970er Jahren vorgeschriebene 'zielerreichende Lernen' und das heute allerorten praktizierte 'zieldifferente Lernen'. Allerdings ist die Grundschule als "innovativste Schulform" mit ihren Vorgaben zum 'zieldifferenten Lernen' so organisiert, dass eine geringe Leistungsstreuung geradezu verhindert wird. Die Praxis des 'zieldifferenten Lernens' ist ohne jeden Zweifel eine schlimme Variante der bislang angeprangerten schulischen Selektion - verbunden mit einer nicht revidierbaren Zerstörung der Zukunftschancen vieler Kinder. Obschon selbstverständlich nicht alle Kinder auf hohem Lernniveau alles das lernen können, was sie wissen und können sollten, empfahl Franz E. Weinert, der allzu früh verstorbene Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung (München), zur Erhaltung der Chancen­gleichheit aller Kinder: "Dafür sind die Methoden des zielerreichenden Lehrens und Lernens geeignet." (123) Eindringlich forderte er, dass zielerreichendes Lernen, gerade zur Vermittlung grundlegender Kompetenzen, unverzichtbar sei: "Der dafür erforderliche Mehraufwand an Unterrichtszeit ist in heterogen zusammengesetzten Klassen aller­dings groß, aber für die Gewährleistung fairer Lernchancen für alle Schüler unumgänglich." (123) Mit diesem Postulat reagier­te Franz E. Weinert auf die kruden Vorstellungen zum 'zieldifferenten Lernen' mit individuell unterschiedlichen Lernzie­len, die für die Kinder schon von vornherein entscheidend die jeweils verordnete Kompetenzstufe bzw. den für möglich gehal­tenen Output determinieren. Erinnern wir uns auch daran, dass in Hamburger Untersuchungen "bei zieldifferentem Lernen Rückstände kaum mehr aufzuholen waren und eine breite Leistungsstreuung erhalten blieb." (124) Wie oben bereits erwähnt sagt Steinig über den Rechtschreibunterricht in 1970er Jahren: "Es wurde vielmehr frontal unterrichtet; Anforderungen und Aufgaben waren für alle Schüler gleich. Möglicherweise sorgte gerade dieses undifferenzierte Vorgehen dafür, dass Leistungsspektrum der Schüler nicht so breit war wie heute und orthografische Fehler nicht so stark streuten wie heute." Nicht unbedingt erwartungsgemäß zieht er daraus das Fazit: "Ein Weg zurück zum Frontalunterricht alter Schule wird die Probleme jedenfalls nicht lösen." Nun ließe sich trefflich darüber streiten, ob ein Rechtschreibunterricht nicht dennoch ein frontal gestalteter Unterricht sein müsste, wenn dieser zu den oben aufgezeigten wesentlich besseren Leistungen der 1970er Jahre führen könnte. Es ist indes ganz anders.

Schon 1966 war in Alexander Beinlichs Handbuch des Deutschunterrichts wie auch in anderen um die Zeit erschienenen Schriften zum Rechtschreibunterricht das nachzulesen, was seinerzeit an den Hochschulen gelehrt und wie an den damaligen Volksschulen unterrichtet wurde (48): "Ein überlegener, weniger planmäßiger als planvoller Rechtschreibunterricht (nichts ist unergiebiger als bloßer Gelegenheitsunterricht) wird oft nur einen Teil der jeweiligen Unterrichtsstunde belegen. Sehr oft wird er in einem ausgesprochenen Zusammenhang mit dem übrigen Deutschunterricht und dem Sachunterricht stehen. Es wird also verhältnismäßig selten Rechschreib'lektionen' mit ausgeformter, fest nach Plan nachvollzogener Stundenstruktur geben." Karl Graucob verweist bereits in 1962 auf die notwendigen Verbindungen des Rechtschreibunterrichts mit den Themen des Lesens und des Heimatkundeunterrichts hin und hebt auch noch für den Rechtschreibunterricht in der dritten und vierten Klasse hervor: "Den Schülern wird keine Planung vom Orthographischen her bewußt, für sie bleibt alles Formale und Konventionelle an packende Inhalte gebunden; sie werden aber dennoch im Laufe zweier Jahre zur Erlernung aller für ihr Alter möglichen und erforderlichen Grundkenntnisse geführt." (125) Auch das ist natürlich alles andere als ein Beleg dafür, dass es in den 1960er Jahren den Rechtschreibunterricht üblicherweise als Frontalunterricht gegeben hätte. Auch in Befragungen zahlreicher in den 1960er Jahren an Grundschulen in den Klassen 1 bis 4 unterrichtender Lehrerinnen und Lehrer fand sich niemand, der je den frontalen Rechtschreibunterricht mit 45-Minuten-Unterrichtsstunden erteilt hatte. Und in der Tat ist ein Rechtschreibunterricht als Frontalunterricht auch völlig undenkbar. Neben kurzen Instruktionsphasen, wie sie auch in offenen Unterrichtsformen üblich sind, dominierten das Üben und Wiederholen in mannigfaltigen Formen den Rechtschreibunterricht - in Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit. (126) Didaktik und Methoden des Rechtschreibunterrichts orientierten sich übrigens in den 1960er Jahren bis teilweise weit in die 1980er Jahre hinein an der Wortbildtheorie, was freilich schon seinerzeit Sprachbuchautoren und Lehrerinnen/Lehrer nicht daran hinderte,
- ohne sie damals schon wissenschaftsorientiert benennen zu können - dem morphologischen sowie dem syntaktischen Prinzip im Rechtschreibunterricht eine tragende Rolle zuzuweisen. In geschickt und fundiert angelegten Arbeitsanweisungen wurde schon - spätestens - ab den 1960er Jahren zum Entdecken regelhafter Schreibungen angeleitet - dies wiederum in Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit. Und auch diese Aussage Steinigs zum Rechtschreibunterricht in den 1970er Jahren ist nicht haltbar: "...."damals gehörten die innere Differenzierung und individuelle Förderung noch kaum zum Handlungswissen von Lehrern." Karl Graucob fordert bereits in 1962 (125): "Besonders wichtig für die gesamte Rechtschreibpraxis der Grundschule ist die didaktische Beachtung des Prinzips der Individualisierung und Differenzierung (R. Kade). Man entmutigt die Schwächeren und stellt den Erfolg des Unterrichts für sie völlig in Frage, wenn man ihnen stets das Gleiche zumutet wie den übrigen. [.....] Man hemmt und bindet aber auch die Durchschnittlichen und Begabten, wenn man das Ziel zurücksteckt und sie immer wieder an den für die Schwachen notwendigen Übungen teilnehmen läßt." (Graucob/125) Ähnliche Forderungen finden sich u. a. auch in Alexander Beinlichs Handbuch des Deutschunterrichts 1966 sowie in den ebenfalls oben bereits genannten Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule 1969. (48) Darüber hinaus fordert Alexander Beinlich in seinem Handbuch eine "gewisse Selbsttätigkeit" für den Rechtschreibunterricht und unterstreicht: "Selbsttätigkeit heißt freilich nicht Sichselbst-Überlassensein; denn sonst sinken die Leistungen. Sie bedeutet auch nicht äußeren Betrieb, sondern Arbeit mit verschiedenartiger Aufgabenstellung nach Begabung und Veranlagung des einzelnen. Individualisieren nach Stoffumfang, Arbeitsweise, Arbeitstempo und Zielstellung" (48) - wobei mit "Zielstellung" die konkret gestellten Aufgaben gemeint waren, keineswegs jedoch das zielerreichende Lernen infrage gestellt war. Wenn heute von Differenzierung und Individualisierung gesprochen wird, ist - wie z. B. bei der Methode 'Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz' nahezu ausnahmslos - von lernstarken, schnell lernenden und langsam lernenden Kindern die Rede, eine folgenschwere Schablonisierung. Was zur Folge hat, dass die sogenannten langsam lernenden Kinder, für die eine Lese-Rechtschreib-Schwächen/-Störungen ausschließlich als Folge von Entwicklungsverzögerungen angenommen wird, oft jahrelang mit immer denselben für alle Kinder gleichermaßen vorgefertigten Materialen, Wiederholungen und stereotypen Abschreibübungen befasst werden (z. B. bei der Methode Sommer-Stumpenhorst), sie beim freien Schreiben über die Maßen fehlerhafte Wörter/Texte konstruieren - währenddessen Lehrerinnen/Lehrer darauf warten, dass - gem. der Annahme, das Erlernen des Schreibens folge einem naturwüchsigen Entwicklungsprozess - der 'Knoten' dennoch eines Tages 'platzt'. Für Kinder indes mit unterschiedlich verursachten Defiziten in den Sprachwahrnehmungsleistungen und in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten von vornherein anzunehmen, sie seien allesamt langsam lernende Kinder, ist ein schlimmer Irrtum mit fatalen Folgen. "Undifferenzierte und ungeübte Diktate in herkömmlicher Form als Leistungskontrolle werden aus sprachdidaktischer Sicht als ein wenig sinnvolles Mittel zum Erwerb von Rechtschreibfähigkeiten abgelehnt." So Prof. Dr. Wolfgang Steinig. (120) Diese Sichtweise gibt allerdings ebenso in keiner Weise die tatsächliche Praxis der 1960er Jahre bis in die 1970er hinein wieder. Im Schulalltag unterschieden damals Grundschullehrer zwischen Prüfungsdiktaten und Übungsdiktaten. Die Prüfungsdiktate wurden spätestens in den 1960er nie als "sinnvolles Mittel zum Erwerb von Rechtschreibfähigkeiten" betrachtet, sie dienten einerseits zwar der Notengebung, waren aber auch "Erfolgskontrollen, wie z. B. in den Richtlinien und Lehrplänen für die Grundschule in NRW von 1969 nachzulesen ist (126)(Zitat):

Das Diktat als "sinnvolles Mittel zum Erwerb von Rechtschreibfähigkeiten" - war wohl in den 1960er Jahren schon lange abgeschafft. Bei Alexander Beinlich lesen wir 1966: "Niemand will mehr die Rechtschreibung unbekannter Wortbilder nach der 'Diktiermethode' lehren." (Anmerkg: gemeint ist die damals überwiegend praktizierte Didaktik zum Erlernen der Rechtschreibung) (48) Als 'Übungsdiktate' zum Üben und Wiederholen galten die mehrmals pro Woche geschriebenen Diktate, drei oder vier Sätze umfassend und in der Regel inhaltlich auf die Inhalte des Lese- oder Sachunterrichts zurückgreifend. Gearbeitet wurde dabei in Partner- oder Gruppenarbeit, diktiert wurde der Text weniger oft von einem Lehrer als vielmehr von dem Arbeitspartner oder einem Gruppenmitglied. Man beriet sich anschließend in der Arbeitspartnerschaft oder in der Gruppe und arbeitete gemeinsam unter Heranziehung von Wörterbüchern und vorhandenen Merktexten an der Berichtigung, schließlich hatte jeder in der Gruppe seine Erkenntnisse zu formulieren. Übungsdiktate waren allerdings nicht die einzige Übungsform des Rechtschreibunterrichts, die praktizierten Übungsformen waren schon damals so zahlreich, dass sie hier nicht aufgezählt werden können, experimentiert wurde zum Ende der 1960er Jahre auch mit gewissen Formen des programmierten Lernens.

Prof. Christa Röber beschreibt in ihrem Aufsatz "Eine silbenanalytische Auswertung von Wortschreibungen und ihre Konsequenzen für den Schrifterwerbsunterricht" (in: 127) das Desaster des heutigen Schrifterwerbsunterrichts und klagt bezüglich des Rechtschreibunterrichts über den Niedergang von Unterrichtskultur. Innovativ mit modernem Schriftspracherwerbs- und Rechtschreibunterricht ist die Grundschule von heute - zweifelsohne, zu Lasten der Kinder und der Eltern, die bemüht sein müssen, die schulisch antrainierten Defizite auszugleichen. Durch 'Lernstandserhebungen' wie VERA lassen sich inzwischen die tatsächlichen Lernstände allerdings auch nicht mehr ermitteln. Alle möglichen Tests zu Leistungsuntersuchungen in Schulen werden heute als sog. ’lehreradministrierte Tests’ durchgeführt, was immerhin auch zur Folge hat, dass diese 'lehreradministrierten' Testverfahren nicht wenige LehrerInnen zum 'selbstgesteuerten' kreativen Umgang mit solchen Tests verleiten - sie mogeln, wodurch als Folge zweifelsohne sämtliche objektiven Gütekriterien außer Kraft gesetzt werden. Unter der Überschrift „VERA 08 – Ansichten und Einsichten“/„Vom »Mogeln«“ wurde im September 2008 in ’GRUNDSCHULE AKTUELL’, Zeitschrift des Grundschulverbandes, davon berichtet. (Siehe auch weiter unten!)

Tatsächlich will niemand etwas von der Rechtschreibsituation an deutschen Schulen wissen. In 'DIE ZEIT', Nr. 51, vom 16.12.2010 berichtete Thomas Kerstan in der Kolumne 'Kultusminister' davon:


 Wie früher

Die SPD-regierten Länder scheuen den Rechtschreibvergleich

Ob Siegma Gaabrijell das weiß? Vergangene Woche haben seine SPD-Genossen in der Kultusminis­terkonferenz verhindert, dass im kommenden Jahr verglichen wird, wie gut die Grundschüler der 16 Bundesländer die Rechtschreibung beherrschen.

Offiziell begründen das die Vertreter der 'Partei der Bildung' (Wilhelm Liebknecht) damit, dass "die genaue Normierung der Standards" durch das beauftragte Forschungsinstitut "noch unscharf" sei. Merkwürdig, denn die unionsregierten Länder sahen darin kein Problem. Und so darf man vermuten, dass sich die SPD-regierten Länder, allen voran Bremen, wohl eher vor dem Ergebnis des Vergleichs fürchten. Das erinnert unangenehm an die achtziger Jahre, als die Kultusministerkonferenz sich Schulleistungsvergleichen verweigerte und immer der Lahmste das Tempo vorgab.

Der SPD-Vorsitzende dürfte mit dem Verhalten seiner Schulpolitiker hadern. Denn "Leistung", so hatte es Sigmar Gabriel seinen Genossen eigentlich ins Stammbuch geschrieben, "muss geradezu ein sozial-demokratischer Kampfbegriff in der Bildungspolitik werden." Bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Thomas Kerstan

Bundesbildungsministerin Annette Schavan stellte am 28. Februar 2011 in Berlin gemeinsam mit dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Bernd Althusmann und Rita Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes, sowie mit Prof. Anke Grotlüschen von der Universität Hamburg die Ergebnisse eines sogenannten Level-One Surveys (leo) zum Ausmaß von Analphabetismus in Deutschland vor. (128)Die Studie der Universität Hamburg kam folgendem Ergebnis:

Es ist davon auszugehen, dass die innovative Grundschule von heute mit ihrer derzeit praktizierten Didaktik dabei ist, in sämtlichen der aufgezeigten Gruppen die Situation noch weiter zuzuspitzen. Prof. Christa Röber kritisiert in ihrem Aufsatz (in: 127) "den derzeitigen didaktischen Konsens. Dieser ist auf Seiten der Beschreibung des Lerngegenstands, der Ortho­graphie, durch die Annahme einer linearen Lautkette im Gesprochenen, die graphisch durch eine lineare Buchstabenkette re­präsentiert würde , ergänzt durch zusätzliche »Schreibprinzipien«, geprägt. Der Erwerb wird als eine in Stufen erfolgende Rei­fung mit minimaler Instruktion im Unterricht gesehen (z.B. in Form einer Anlauttabelle), die die Eigenständigkeit des Ent­wicklungsprozesses nicht behindern soll. "(127) Dieser 'Unterricht', ist ineffektiv, ja sogar schädlich ist er, weil er verhindert, die Kinder "- und das ist lerntheoretisch gravierend - Orthographie als ein Regelsystem, das erkundbar ist, wahrnehmen zu lassen." (127) Sie haben "Schreiben nicht als kognitive Aufgabe kennen gelernt, die von Anfang an über einen regelbasierten Wissensaufbau zu lösen ist." (127) Die Folge ist, dass "die zu Beginn des Lernprozesses erworbene Lautfixierung der zentrale Faktor" (127) des Schreibens bleibt.

Ganz offenbar hat man inzwischen jedoch gelernt, mit den Ergebnissen aus Studien, in denen es um Schülerleistungen geht, 'geschickter' umzugehen. Für den ersten innerdeutschen Grundschulvergleich zwischen den Bundesländern hatte das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Frühjahr 2011 die schulischen Leistungen von mehr als 30.000 Schülern der vierten Klasse untersucht. Verglichen wurden die Grundschüler in den Disziplinen Lesen, Schreiben, Rechnen und Zuhören. Die Testaufgaben hatten die Kultusminister aus den neuen bundesweiten Bildungsstandards entwickelt. Diese geben an, was Schüler am Ende eines Lehrjahres wissen und können sollten. Eigentlich sollte das Abschneiden der Länder miteinander verglichen werden. Doch dazu kam es nicht ganz.

Die Ergebnisse des Grundschulvergleichs der 16 Bundesländer, (unvollständig) veröffentlicht im Oktober 2012, überraschten wieder einmal nicht: Der Süden, allen voran Bayern, lag vorne, die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen bildeten das Schlusslicht: Die Verlierer des Bildungsvergleichs wiesen teilweise einen Lernrückstand von einem Jahr auf.

Wo auch immer der Interessierte nach den vollständigen Ergebnissen aus der Studie suchte, es fanden sich lediglich die Re­sultate für Lesen, Rechnen und Zuhören: Für den Bereich 'Schreiben' gab es keinerlei Daten. Zu entdecken war lediglich ein vager Hinweis darauf, dass der Testbereich 'Schreiben' wirlich nicht ausgefallen war. Anstatt der Daten gab es allerdings allerorten eine wortgleiche Formulierung: "Generell zeigt sich, was frühere Erkenntnisse bereits bestätigt haben: Mädchen können besser lesen und schreiben, während Jungen im mathematischen Bereich tendenziell vorne liegen. Die Viertklässlerinnen haben in der Orthografie teilweise einem Lernfortschritt von einem halben Jahr." Thomas Kerstan mutmaßte in der Wochenzeitung DIE ZEIT (11.10.2012): "Die Orthographiekenntnisse wurden auch getestet, aber so, dass ein Bundesländervergleich nicht möglich ist. Offenbar hatten einige Länder Angst vor den möglichen Ergebnissen." Als Kerstan das schrieb, wusste er wohl noch nicht, dass er damit bei der Wahrheit lag.

Wenn Orthographiekenntnisse in Bildungsvergleichen tatsächlich keine Rolle mehr spielen sollen, müsste man sie auch nicht mehr abtesten: Studien kosten schließlich eine Menge Geld. Um zukünftig nicht auf die Veröffentlichung von unerwünschten Ergebnissen aus Grundschulvergleichen verzichten zu müssen, könnte man neben der Kompetenz im Zuhören nunmehr anstatt dessen auch die Kompetenz im Abschreiben überprüfen: Die Kompetenz, "methodisch sinnvoll und korrekt abschreiben" zu können, gilt in der Grundschule von heute tatsächlich noch für vierte(!) Klassen als besonders erwähnenswertes Ziel zum Erreichen von Sprachhandlungskompetenz.
(Siehe weiter oben: Kompetenzerwartungen am Ende der Klasse 4!)

XXIII.

Zielerreichendes Mogeln:

Warum sich durch bundesweite 'Lernstandserhebungen' wie VERA die tatsächlichen Lernstände nicht mehr ermitteln lassen

Inzwischen scheint man in Deutschland die oben beschriebene Problematik durch die Setzung von Bildungsstandards lösen zu wollen. Diese auf der Ebene von Mindestlernzielniveau-Formulierungen abgefassten Vorgaben der KMK zeichnen sich allerdings auf besondere Weise durch ihre Plastizität aus und sind von daher offen für jedwede Beliebigkeit. Lernstandserhebungen sollen nun Auskunft darüber geben, was deutsche Schülerinnen und Schüler in den Klassen 3 (VERA) und 8 (Zentrale Lernstandserhebung in Klasse 8) tatsächlich leisten: Doch dieser Versuch muss inzwischen als gescheitert angesehen werden.

Die meisten Lehrerinnen/Lehrer waren ohnehin noch nie davon begeistert, sich vergleichen zu lassen, die Reformpädagogen verstanden dieses Ansinnen offenbar sogar als Provokation und versuchten eine Kontradiktion mit ihrem rustikalen Spruch: "Vom vielen Wiegen wird die Sau auch nicht fett." Ein anwidernder Vergleich und töricht ohnehin! Eine Säuglingsmutter wird ihr Kind in den ersten Lebenswochen und Lebensmonaten nicht deshalb regelmäßig wiegen, weil sie sich erhofft, es möge vom vielen Wiegen zunehmen. Sie tut dies vielmehr, um Entwicklung und Entwicklungsstand ihres Kindes zu überprüfen und bei heraufziehenden Gefahren und Fehlentwicklungen rechtzeitig eingreifen zu können - nötigenfalls unter Einbeziehung weiter­führender Hilfen von außen. Vielen Bildungsverantwortlichen in Schulpolitik und Schulen scheinen indes solche Verfahrensmuster, die sich an Verantwortungs- und Fürsorgeverpflichtung orientieren, weitgehend fremd zu sein.

Der bekannte Grundschuldidaktiker Dr. Horst Bartnitzky äußerte sich recht kritisch zu dem Verfahren an Grundschulen (235), den Berichten von Lehrerinnen/Lehrern an weiterführenden Schulen dürfte es auch dort nicht wesentlich anders zugehen:

Februar 2005:

Mai 2009:

Ebenfalls am 11. Mai 2009 (Screenshots vom 29.10.2009):

Veraergebnisse 1

Veraergebnisse 2

Alle möglichen Tests zu Leistungsuntersuchungen in Schulen werden heute als sog. ’lehreradministrierte Tests’ durchgeführt, was immerhin auch zur Folge hat, dass diese 'lehreradministrierten' Testverfahren nicht wenige LehrerInnen zum 'selbstge­steuerten' kreativen Umgang mit solchen Tests verleiten, wodurch als Folge zweifelsohne sämtliche objektiven Gütekriterien außer Kraft gesetzt werden. Unter der Überschrift „VERA 08 – Ansichten und Einsichten“/„Vom »Mogeln«“ wurden im Sep­tember 2008 in ’GRUNDSCHULE AKTUELL’, Zeitschrift des Grundschulverbandes, 4 Leserbriefe von SchulleiterInnen/Leh­rerInnen veröffentlicht. Hier stellvertretend – wörtlich zitiert - eine Version von insgesamt 4 Briefen ähnlichen Inhalts:


Man kann diese Testhefte unter Verschluss nehmen, Stillschweigen bewahren und den Drittklässlern erstmals am Tag der beiden Tests vorlegen. Man kann sie sich aber auch vorher ansehen, in Kenntnis der Testaufgaben dann mit den Schülern gezielt dafür üben und die Kinder daraufhin vorbereiten.

Die Versuchung ist groß. Welche Grundschule will nicht als stark anstatt schwach erscheinen? Welcher Lehrer will nicht als erfolgreich anstatt erfolglos dastehen? Meine Kolleginnen und ich haben uns bei befreundeten Kolleginnen umgehört. Geübt wurde überall, entweder sogar auf »heimliche« Anweisung der Schulleitung oder aus persönlicher Sorge, schlechter als andere abzuschneiden. Teilweise wurde eine richtige »Übungswoche« eingelegt und Aufgabentyp für Aufgabentyp »gebüffelt«. (…)

Und bitte glauben Sie mir, ich rede hier nicht von Einzelfällen! (Bei einem Kontakt zu 10 verschiedenen Schulen wurde in 10!!! Schulen vorher explizit für VERA geübt.)

Gitta Sch.“

Der Sprache-Teilbereich 'Rechtschreiben' spielt übrigens bei VERA längst keine Rolle mehr. Das hängt offenbar damit zusammen, dass man inzwischen wohl doch erkannt hat, zu welchem Desaster neue Methoden im Schreibunterricht der Grundschulen ['Schreiben nach Gehör' ('Lesen durch Schreiben')/'Spracherfahrungsansatz'] geführt haben. Diese Tatsache findet auch regelmäßig ihren Niederschlag in den Tagesordnungen für die Unterstufen-Fachkonferenzen an weiterführenden Schulen.

Auch zu Beginn des Jahres 2011 waren die VERA-Termine für das Schuljahr 2010/2011 (länderübergreifend) längst bekannt:

 

10.05.2011 Mathematik   12.05.2011 Deutsch (1.Tag)   18.05.2011 Deutsch (2.Tag)

Neue Geschäftigkeit breitete sich an Deutschlands Grundschulen/Schulen aus (gefunden in einem Lehrerforum am 05.01.2011):

Vera200111

Auf der Homepage der Bezirksregierung Köln werden die Ziele der Vergleichsarbeiten definiert: "Die Vergleichsarbeiten überprüfen die langfristig erworbenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Sie dienen den Lehrkräften dazu, die Leistungen ihrer Lerngruppen oder ihrer Klassen schulübergreifend zu vergleichen und an den in den Lehrplänen festgelegten Zielen zu messen." (236) Die derzeitige schulische Praxis spricht dagegen, dass diese Ziele auch nur annähernd erreicht werden könnten.

Die Lehrerin aus dem Lehrerforum wird sich allerdings noch ein wenig gedulden müssen: Die Aufgaben zu VERA werden in aller Regel erst drei Wochen vor dem Testspektakel an die Schulen versandt. Einstweilen hilft da die Lehr-/Lernmittelindustrie weiter:

Vera Lernmittel

In Deutsch und Mathematik heißt es daher an nicht wenigen Schulen schon zeitig im neuen Jahr - entgegen allen Bekenntnissen zum entdeckenden und selbstbestimmten und selbstgesteuerten Lernen: "teaching to the test". Denn das Strickmuster von VERA (das dem von IGLU und PISA ähnelt) ist bekannt, und darüber hinaus verbleiben auch viele Aufgaben im Aufgabenpool. Inzwischen ist eine 'teaching to the test'-Mentalität in die Schulen eingezogen, die vielerorts eine Verengung des Unterrichts auf die Anforderungen der Tests bewirkt hat. Der Frankfurter Professor der Pädagogik Dr. Eckhard Klieme warnte bereits in 2003 vor Problemen mit solchen Leistungsvergleichen und prophezeite "bei schlechten Tests" fatale Auswir­kungen: die Entwicklung des Unterrichts hin zum 'teaching to the test'. (237)

Die LehrerInnen an den weiterführenden Schulen haben inzwischen von den Kolleginnen/Kollegen an den Grundschulen gelernt, wie professionell gemogelt wird. In „Wie die Fischer im Mahlstrom !?“ berichtet der Erziehungswissenschaftler Prof. Heinz Schirp von seinen Recherchen an weiterführenden Schulen zu dieser Thematik. (238)

Wenige Jahre später werden die Gymnasiasten dann - nach dem Abitur - wieder einmal von den neuen Wirklichkeiten überrascht - von den Anforderungen an einer Universität. Der Mathematikprofessor Hans M. Dietz über seine Studenten: "Vor zehn Jahren fehlte es noch eher an höherer Mathematik, jetzt haben viele schon Probleme mit quadratischen Gleichungen oder dem Bruchrechnen. [...], schon die Rolle der Klammern ist nicht allen klar, obwohl das eigentlich in der vierten oder fünften Klasse gelernt worden sein sollte. " (239)

Insbesondere sind auch reformpädagogisch orientierte Grundschullehrerinnen und -lehrer nicht sehr begeistert von vergleichenden Lernstandserhebungen, zumal diese auch noch ein ziemlich unsinniges und auf Bloßstellung gerichtetes Ranking-Verfahren nach sich ziehen: Während sie einerseits in manchen Bundesländern in Ausbildung und Fortbildung, selbst in Richtlinien/Lehrplänen ermuntert, sogar aufgefordert werden, zieldifferentes Lernen zu praktizieren, haben sie andrerseits in den Vergleichsarbeiten alle Kinder mit Anforderungen zu konfrontieren, wie sie nach einem Unterricht mit zielgleichem Lernen gerechtfertigt wären.


XXIV.

Deutschlandradio Kultur - Radiofeuilleton am 23.07.2012

Thema: Medienkompetenz sehr gut, deutsche Sprache mangelhaft

Studie fördert bestürzende Lücken bei Studienanfängern zutage


Deutsche Studienanfänger weisen massive Lücken in Rechtschreibung und Grammatik auf und zeigen zudem eine mangelnde Lesekompetenz. Zu diesem Schluss kommt eine bislang unveröffentlichte Studie unter den Philosophischen Fakultäten an deutschen Universitäten.

Ulrike Timm: Irgendwie passt das nicht zusammen. Die Zahl der Abiturienten ist erneut gestiegen, titelte gerade stolz ein Hamburger Lokalblatt, und nahezu jeder vierte Abiturient habe einen Einserschnitt im Abitur. So oder so ähnlich ist es fast überall. Bestens vorbereitet fürs Studium, die jungen Leute. Könnte man meinen, und dann hört man von Uni-Abbruchquoten von bis zu 50 Prozent in Mathematik und Naturwissenschaften. Bei den Geisteswissenschaften sind diese Quoten nicht so hoch, dafür bestürzt die Unis, mit welchen sprachlichen und welchen Lesefähigkeiten oder vielmehr -unfähigkeiten die Stu­denten dann bei ihnen landen. Eine Umfrage an den philosophischen Fakultäten förderte Deprimierendes zutage. Wir spre­chen darüber mit Gerhard Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie an der Universität in Bayreuth. Schönen guten Tag!

Gerhard Wolf: Guten Morgen!

Timm: Herr Wolf, was genau haben Sie denn herausgefunden?

Wolf: Also, wir hatten bei unserer Umfrage zunächst einmal angezielt, dass wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen an den 135 Fakultäten, die wir ja repräsentieren, über die Frage unterhalten, wie kann es sein, dass wir an sich so viele gute Noten im Abitur auf der einen Seite haben, auf der anderen Seite aber uns diese Qualitätsmängel bei den Studierenden förmlich ins Auge springen. Und der Sinn der Umfrage war zunächst mal, herauszubekommen, wie das überhaupt von den Kolleginnen und Kollegen empfunden wird. Das Ergebnis war ziemlich bestürzend, weil die Kritik also derartig heftig war, dass wir uns dann auch entschlossen haben, also dieses nicht alles zu veröffentlichen.

Timm: Aber was genau haben Sie nun herausgefunden?

Wolf: Es gibt vor allem Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung, der Orthographie, der Beherrschung von Grammatik und Syntax. Es ist insgesamt eine mangelnde Fähigkeit beobachtet worden, selbstständig zu formulieren, zusammenhängende Texte zu schreiben und vor allem auch eine mangelnde Fähigkeit bei der Lesekompetenz, also etwa bei Vorträgen mitzuschreiben.

Timm: Was heißt das genau? Ich meine, die können lesen, die können schreiben, wenn sie aus der Schule kommen. Sind sie nicht in der Lage, einen anspruchsvollen Text zu verstehen, zu analysieren? Was ist das genaue Problem?

Wolf: Also, das sollte man meinen. Also, natürlich können sie lesen. Aber es fällt ihnen sehr schwer, den roten Faden eines Textes zu begreifen. Und auch eine ähnliche Beobachtung haben wir aus den Vorlesungen erhalten, dass die Studierenden nicht in der Lage sind, also den Verlauf einer Vorlesung in ihren Exzerpten so zu folgen, dass sie das nachher noch mit Gewinn dann wieder verwenden können.

Timm: Wenn jemand mit einer schwachen Orthographie und Grammatik Lehrer werden will, dann findet er ja später bei seinen Schülern womöglich nicht mal die grundlegenden Fehler.

Wolf: Ja. Das ist das nächste Problem. Wir hatten ja in einigen Bundesländern in der letzten Zeit wieder einen Lehrermangel. Jetzt hat sich das weitgehend geändert. Und da ist auch unsere Befürchtung, dass diese Lehrer dann später genau die von ihnen beschriebenen Schwierigkeiten haben. Aber da müsste man eben bei der Ausbildung zum Lehrer eingreifen. Man müsste sich auch die Frage stellen, ob dieses Lehramtsstudium, das ja sehr heikel ist für die Gesellschaft ist, wirklich von jedem studiert werden kann.


Die PASSAUER NEUE PRESSE fügt diesem Interview noch am 23.07.2012 eine ergänzende Bemerkung Professor Gerhard Wolfs hinzu:

"Eine mögliche Ursache für die sprachlichen Defizite sieht Wolf in Mängeln im Schulunterricht. Zu befürchten sei zudem, dass auch die junge Lehrergeneration bereits über derart schlechte Kenntnisse verfüge, dass sie nicht in der Lage sei, die Fehler ihrer Schüler zu erkennen und zu korrigieren. − Nachrichtenagentur dapd"

 

C. Ein vorläufiges Schlusswort


In den Kapiteln 2 und 3 meines Elternbriefs Nr. 8 verweise ich auf den Erziehungswissenschaftler Prof. (em.) Dr. Keim und dessen Sicht auf die Reformpädagogik, die er als
Bewegung vom begüterten und rassisch gesunden Kinde aus wahrnimmt.

Die eigentlichen Ursprünge der Reformpädagogik sind bei Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Schriftsteller und Philosoph in Frankreich, zu finden: Deren Auswirkungen sind bis heute insbesondere in den Grundschulen dieses Landes auszumachen. Unter dem Einfluss Lockes stellte Rousseau in dem Erziehungsroman »Émile« (1762) sein Erziehungsideal auf: naturgemäße Entfaltung der Anlagen des Individuums, Fernhalten von allem Zwang, von allem, was die von Natur gut gerichteten Kräfte der Individualität hemmen oder verbilden kann. Grundzüge pädagogischer Anschauungen Rousseaus, dargelegt in seinem 'Émile':

Damit erregte Rousseau über die Grenzen Frankreichs hinaus großes Aufsehen. Dass ausgerechnet er, der keinerlei praktische Erfahrung mit der Erziehung von Kindern hatte - seine fünf mit Thérèse Levasseur gemeinsamen Kinder lud er schon bald nach der Geburt eines nach dem anderen im Findelkinderheim (enfants trouvés) ab - einen Erziehungsroman schrieb, störte offenbar auch schon damals niemanden sonderlich. Auch ein freimütiges Bekenntnis in seinem „Emile“ zum Umgang mit Schwachen/Kranken bewahrte ihn nicht davor, ihn für einen Philanthropen zu halten und ihn später den großen Reformpädagogen zuzurechnen: „Ich mag keinen Zögling, der sich selbst und anderen unnütz ist, der allein damit beschäftigt ist, sich am Leben zu erhalten, und dessen Leib der Erziehung der Seele schadet. Verschwende ich meine Fürsorge an ihn, so verdoppele ich den Verlust, indem ich der Gesellschaft zwei statt nur einen Menschen entziehe. Mag ein anderer sich dieses Krüppels annehmen. Ich bin einverstanden und lobe seine Nächstenliebe, hier aber liegt nicht meine Stärke. Ich kann nicht jemanden leben lehren, der nur daran denkt, wie er dem Tode entgeht“. Wieso sollte das ihn, den großen Reformpädagogen Rousseau, ausgerechnet in Deutschland diskreditieren? Fanden sich doch in den reformpädagogischen Schriften selbst bedeutendster deutscher Reformpädagogen ab 1890 Selektionsgedanken und Pläne, die in ihrer Menschenverachtung Rousseau bei weitem übertrafen.

Es geht (Siehe Kap. 3 des Elternbriefes Nr. 8!) außerdem um Ellen Key (141), bis heute immer wieder als Lichtgestalt der Neo-Reformpädagogik genannt, die expressis verbis für die Euthanasie „unheilbar kranker und missgestalteter Kinder“ plädierte. Sie postulierte außerdem, alle "fremdrassigen" und "irgendwie ersichtlich Kranken und erblich Belasteten seien aus dem Volkskörper auszuschließen." Der Erziehung falle die positive Aufgabe einer verstärkten staatlichen "Sorge" für die Kinder gesunder Eltern zu. Key hatte immer wieder ein gezieltes Paarungsverhalten von „Mann und Weib“ gefordert: Erblich geistig und körperlich Kranke, selbst an Tuberkulose oder an Krebs erkrankte Menschen dürften sich nicht weiter fortpflanzen. Sie verlangte sogar gesetzliche Regelungen, die bestimmen sollten, dass Heiratswillige vor ihrer Heirat ein Gesundheitszeugnis beizubringen hätten. Mit ihren Vorstellungen von Rassehygiene und Euthanasie eilte sie damit den menschenverachtenden Lehren im Nationalsozialismus voraus.

Für ihre so gezüchtete Schülerschaft, also für die übriggebliebene „Elite“, entwickelten sie wie auch die ihr folgende Re­formpädagogik ihre Ideen zu einer neuen Schule: „Sie sollte Gesamtschule sein, auf dem Prinzip der Selbsttätigkeit wie der Ganzheitlichkeit des Lernens mit Herz, Kopf und Hand basieren, den Unterricht auf Unentbehrliches reduzieren und dafür der Individualisierung des Lernens durch Wahlfreiheit Raum geben, nicht zuletzt auf Zeugnisse und Belohnungen verzichten“. (241) Auf diese Kernaussage stütz(t)en sich in der Folgezeit die Fortentwicklungen der Reformpädagogik zur Neo-Reformpädagogik - bis heute. Eugenik, Euthanasie und Antisemitismus waren damals in reformpädagogischen Kreisen – siehe auch Peter Petersen! - weitestgehend keineswegs umstrittene Themen. Später nach dem Ende der Nazi-Diktatur formierte sich die Reformpädagogik neu, wobei auch das nicht ganz richtig ist, denn die reformpädagogische Bewegung als „Bewegung vom begüterten und rassisch gesunden Kinde aus“ durfte es nach 1945 nicht mehr geben, mit einem Advokatenkniff erst wurde sie wieder salonfähig gemacht. Die Reformpädagogik trennte sich – natürlich nicht explizit verbal - von den Vorstellungen der 'neuen Schule' für eine gezüchtete Schülerschaft, also für die übriggebliebene „Elite“, und forderte nunmehr – wie in der der Schulentwicklung von heute sichtbar - nur noch: die Gesamtschule, basierend auf den Prinzipien der Selbsttätigkeit sowie der Ganzheitlichkeit des Lernens mit Herz, Kopf und Hand, mit einem auf das Unentbehrliche reduzierten Unterricht, mit Individualisierung des Lernens durch Wahlfreiheit sowie mit dem Verzicht auf Zeugnisse und Belohnungen. Hinzufügen seien hier die weiteren reformpädagogischen Postulate, um die die Reformpädagogik nach Key die Grundideen bereits seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erweiterte, – deren Auswirkungen derzeit in den Schulen zu beklagen sind. Am 16.05.2013 gedachte der ZEIT-Redakteur Jan-Martin Wiarda in "Der Strippenzieher" (242)des Hellmut Becker, der an jenem Tag 100 Jahre alt geworden wäre. Becker, Jurist/Rechtsanwalt, war ehedem eingeschriebener Nationalsozialist und dadurch bekannt geworden, dass er als besonders engagierter Verteidiger im Prozess gegen den SS-Brigadeführer Ernst von Weizsäcker aufgetreten war. Obschon Becker nie Lehrer war oder Pädagogik studiert hatte, nicht irgendwelche Tätigkeiten im Bereich der Pädagogik aufzuweisen hatte, wurde er 1963 erster Direktor des neu gegründeten Max-Planck-Institus für Bildungsforschung in Berlin: Beckers außergewöhnliche Fähigkeiten als vorausschauender Netzwerker - und eben als cleverer Strippenzieher - hatten zu diesem Erfolg geführt. Als Chef seines Instituts nahm der ehemalige Nationalsozialist 1969 die alten reformpädagogischen Heilslehren wieder auf und wurde - nach Entfernung der belastenden Elemente aus der Vorkriegsreformpädagogik - mit den nunmehr salonfähig modellierten Ideen der Begründer der Neo-Reformpädagogik. Seitdem galt er als "Star der Reformpädagogikszene“. Nicht umsonst galt er in den Zeiten seines Wirkens als der "heimliche Kultusminister der BRD". In den siebziger Jahren galt sein Institut als „Hort linksradikalen Gedankenguts“ und Geburtsstätte „für antiautoritäre Phantastereien.“ Diese Sichtweise ist allerdings durchaus auch heute noch gerechtfertigt. (243)

Bemerkenswert ist allerdings auch,

(Wird fortgesetzt!)


J. Günter Jansen


Siehe auch: Text Nr. 23
(in: Nachrichten): Neues zur Rechtschreibwerkstatt des N. Sommer-Stumpenhorst: "eine Mischung aus un­terlassener Hilfeleistung und gezielter Irreführung"  (Prof. Dr. W. Sendlmeier, Sprachwissenschaftler)

Neu!>
Elternbrief Nr. 24:
Grundschrift in der Kritik - Die Abschaffung der verbundenen Schreibschrift - Es geht um mehr als nur um die Entsorgung eines Kulturguts



Literatur/Quellen:

  1. Prof. Dr. Gerhard Augst/Prof. Dr. Mechthild Dehn: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2oo2

  2. Prof. Dr. Angela Enders: Weg mit der Schrift - Über die Dominanz der gesprochenen Sprache, Radiovortrag im SWR 2 2006

  3. Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen: Schriftspracherwerb und Unterricht, Opladen 2004

  4. Dipl.-Psych. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Rechtschreiben lernen mit Modellwörtern, Berlin 2005

  5. Prof. Dr. Utz Maas: Phonologie, Göttingen 2006

  6. Prof. Dr. Uta Frith: Wie wir lernen/Was die Hirnforschung darüber weiß, München 2005

  7. Dr. Ulrike Liebisch: Grundlagen des Bilder-Paradigmas: Wernicke-Areal, Broca-Areal, ventraler Pfad, Gyrus praecentralis, Dissertation Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2005

  8. Prof. Richard F. Thompson: Das Gehirn, Heidelberg, Berlin 2001

  9. Prof. Dr. Uta Frith: Wie wir lernen/Was die Hirnforschung darüber weiß, München 2005

  10. Prof. Dr. Uwe Multhaup: Hirnareale und ihre Funktionen, Internetveröffentlichung 2002

  11. ebd.

  12. Profs. Stefanie Beck und Sandra Mang: Asymmetrien der Sprachverarbeitung, Internetveröffentlichung 2005

  13. Prof. Dr. Uwe Multhaup: Hirnareale und ihre Funktionen, Internetveröffentlichung 2002

  14. Prof. Christoph Herrmann/Dr. Dipl. Psychologe Christian Fiebach: Gehirn & Sprache, Frankfurt am Main 2004

  15. ebd.

  16. ebd.

  17. ebd.

  18. ebd.

  19. Hanus Papousek/Mechthild Papousek in: Prof. Dr. Gisela Kann-Delius: Spracherwerb, Weimar 1999

  20. Prof. Dr. Gisela Szagun: Sprachentwicklung beim Kind (überarbeitete Neuausgabe), Weinheim und Basel 2006

  21. Prof. Dr. Gisela Kann-Delius: Spracherwerb, Weimar 1999

  22. Prof. Christoph Herrmann/Dr. Dipl. Psychologe Christian Fiebach: Gehirn & Sprache, Frankfurt am Main 2004

  23. Prof. Dr. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen (†): Lernschwierigkeiten am Schulanfang, Weinheim und Basel 2006

  24. Dipl.-Psych. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Rechtschreiben lernen mit Modellwörtern, Berlin 2005

  25. ebd.

  26. Prof. Dr. Manfred Spitzer: Lernen, Heidelberg-Berlin 2002

  27. Dipl.-Psych. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Rechtschreiben lernen mit Modellwörtern, Berlin 2005

  28. Habilitandin Dr. Angela Enders: Weg mit der Schrift - Über die Dominanz der gesprochenen Sprache, Radiovortrag im SWR 2, 2006

  29. ebd.

  30. Prof. Dr. Jakob Ossner: Sprachdidaktik Deutsch, Paderborn 2006

  31. Prof. Dr. Iris Füssenich/Prof. Dr.Cordula Löffler: Schriftspracherwerb, München 2005

  32. Prof. Dr. Helga Andresen: Schriftspracherwerb und die Entstehung von Sprachbewusstheit, Opladen 1985

  33. Prof. Dr. Swantje Weinhold (unter Mitarbeit von Prof. Dr. M. Dehn, Prof. Dr. G. Otto, Prof. Dr. H. W. Giese): Text als Herausforderung, Freiburg i. Breisgau 2000

  34. Prof. Dr. Eva-Maria Kirschhock: zu finden unter http://www.opus.ub.uni-erlangen.de/opus/volltexte /2004/55/, 2004

  35. Prof. Dr. Jakob Ossner: Sprachdidaktik Deutsch, Paderborn 2006

  36. ebd.

  37. Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld/Guido Nottbusch 2006

  38. Prof. Dr. Uta Frith: Wie wir lernen/Was die Hirnforschung darüber weiß, München 2005

  39. Prof. Dr. Karl-Heinz Ramers: Einführung in die Phonologie, München 2001

  40. Prof. Dr. Johannes Schwitalla: Gesprochenes Deutsch, Berlin 2006

  41. Prof. Dr. Karl-Heinz Ramers: Einführung in die Phonologie, München 2001

  42. Prof. Dr. Swantje Weinhold (unter Mitarbeit von Prof. Dr. M. Dehn, Prof. Dr. G. Otto, Prof. Dr. H. W. Giese): Text als Herausforderung, Freiburg i. Breisgau 2000

  43. Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen: Schriftspracherwerb und Unterricht, Opladen 2004

  44. Prof. Dr. Jakob Ossner: Sprachdidaktik Deutsch, Paderborn 2006

  45. ebd.

  46. Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen: Schriftspracherwerb und Unterricht, Opladen 2004

  47. Hessen: Zitat aus den hessischen Lehrplänen für die Grundschule

  48. Alexander Beinlich: Handbuch des Deutschunterrichts, Emsdetten 1966

  49. Prof. Dr. Uta Frith: Cognitive process in spelling. London 1980

  50. Prof. Dr. Gerheid Scheerer-Neumann: Wortspezifisch: Ja – Wortbild: Nein. Ein letztes Lebewohl an die Wortbildtheorie. In: Brügelmann, Hans/ Balhorn, Heiko [Hrsg.]: Rätsel des Schriftspracherwerbs. Neue Sichtweisen aus der Forschung. Lengwil am Bodensee 1986

  51. Prof. Dr. Wolfgang Einsiedler in: Empirische Grundschulforschung im deutschsprachigen Raum – Trends und Defizite. IfG – Institut für Grundschulforschung der Universität Erlangen-Nürnberg 1997

  52. Prof. Dr. Gerhard Augst/Prof. Dr. Mechthild Dehn: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2oo2

  53. Heinrich Scharrelmann: Erlebte Pädagogik. Gesammelte Aufsätze und Unterrichtsproben, Hamburg 1912

  54. Fritz Gansberg: Der freie Aufsatz. Seine Grundlagen und seine Möglichkeiten. Ein fröhliches Lehr- und Lesebuch, Leipzig 1914

  55. Prof. Dr. Renate Valtin: Tagesspiegel vom 02.02.2006

  56. Dipl.-Psych. Sommer-Stumpenhorst: Rechtschreiben lernen mit Modellwörtern, Berlin 2005

  57. Prof. Dr. Andreas Helmke: Vom Optimisten zum Realisten? Zur Entwicklung des Fähigkeitsselbstkonzeptes bis zur 6. Klassenstufe. In: Franz E. Weinert [Hrsg.]: Entwicklung im Kindesalter, Weinheim 1998

  58. ebd.

  59. Prof. Dr. Christian Klicpera/Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera: Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten, Weinheim 1998

  60. Prof. Dr. Gerhard Augst/Prof. Dr. Mechthild Dehn: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2oo2

  61. ebd.

  62. Prof. Dr. Gerheid Scheerer-Neumann: Wortspezifisch: Ja – Wortbild: Nein. Ein letztes Lebewohl an die Wortbildtheorie. In: Brügelmann, Hans/ Balhorn, Heiko [Hrsg.]: Rätsel des Schriftspracherwerbs. Neue Sichtweisen aus der Forschung. Lengwil am Bodensee 1986

  63. ebd.

  64. Brown. A.S.: A Review of Recent Research on Spelling. Educational Psychology Review, 1990/aus: Dr. Karl Landscheidt: Wie lernen Kinder Rechtschreiben?

  65. Prof. Dr. Gerhard Augst/Prof. Dr. Mechthild Dehn: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2oo2

  66. ebd.

  67. Prof. Dr. Hans Brügelmann/Prof. Dr. Erika Brinkmann: Rechtschreibung im Anfangsunterricht. In: Grundschule aktuell, November 2006

  68. Prof. Dr. Mechthild Dehn: Zeit für die Schrift I, Berlin 2006

  69. Prof. Dr. Iris Füssenich/Prof. Dr.Cordula Löffler: Schriftspracherwerb, München 2005

  70. Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen: Schriftspracherwerb und Unterricht, Opladen 2004

  71. Prof. Dr. Gert Schulte-Körne: Elternratgeber Legasthenie, München 2004

  72. Shaywitz, S. E., Fletcher, J. M., Holohan, J. M., Schneider, A. E., Marchione, K. E., Stuebing, K. K., Francis, D. J., Pugh, K. R. & Shaywitz, B. A. Persistence of dyslexia: the connecticut longitudinal study at adolescence, 1999

  73. Ch. Klicpera/B. Gasteiger Klicpera: Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten, Weinheim 1998

  74. Prof. Dr. Manfred Spitzer: Lernen - Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg/Berlin 2002

  75. Dr. Lisa Dummer-Smoch: Förderdiagnostische Möglichkeiten der Früherkennung von Leselernschwierigkeiten durch begleitende Erfolgskontrollen, unveröffentlichtes Manuskript 2005

  76. Prof. Dr. Rudolf Kretschmann: Störungen beim Schriftspracherwerb - Ursachen und Prävention aus systemischer und entwicklungsökologischer Sicht. In: 'Sprachliches Handeln in der Grundschule - Schatzkiste Sprache 2', Hrsg. Balhorn/ Bartnitzky/ Büchner/ Speck-Hamdan. Beiträge zur Reform der Grundschule. Arbeitskreis Grundschule/DGLS 2000

  77. Prof. Dr. Gert Schulte-Körne: Elternratgeber Legasthenie, München 2004

  78. Prof. Dr. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen (†): Lernschwierigkeiten am Schulanfang, Weinheim und Basel 2006

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  83. Prof. Dr. Helmut Breuer/Dr. Maria Weuffen (†): Lernschwierigkeiten am Schulanfang, Weinheim und Basel 2006

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  85. Prof. Dr. Jakob Ossner: Sprachdidaktik Deutsch, Paderborn 2006.

  86. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Richtig Schreiben lernen von Anfang an, Berlin 2001

  87. Prof. Dr. Petra Hanke: Öffnung des Unterrichts in der Grundschule, Münster 2005

  88. Prof. Dr. Günther Thomé: Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Legasthenie, Weinheim und Basel 2004

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  90. Dipl.-Psych. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten vorbeugen und überwinden, Berlin 2006

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  95. Dipl.-Psych. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Richtig Schreiben lernen von Anfang an, Berlin 2001

  96. Prof. Dr. Gert Schulte-Körne: Lese-Rechtschreib-Störung. In: Günther Thomé [Hrsg.]: Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Legasthenie, Weinheim und Basel 2004

  97. Dipl.-Psych. Norbert Sommer-Stumpenhorst: Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten vorbeugen und überwinden, Berlin 2006

  98. Prof. Dr. Gert Schulte-Körne: Elternratgeber Legasthenie, München 2004

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  100. Prof. Dr. Wilhelm Grießhaber: zu finden unter http://spzwww.uni-muenster.de/~griesha/exm/els.html

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  102. Schulpsychologin Dr. Dipl.-Psych. Christine Mann: Frühe Signale und Prävention von LRS im 1. und 2. Schuljahr. In: Günther Thomé [Hrsg.]: Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Legasthenie, Weinheim und Basel 2004

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  114. Prof. Dr. Peter Eisenberg. In: Duden - Die Grammatik. Mannheim 2009

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  248. Prof. Dr. Hans Brügelmann: in: Reinhard Kahl im Gespräch mit Hans Brügelmann: http://www.reinhardkahl.de/ artikellesen146r_5.html./Stand: 24.3.2006

  249. Nachzulesen unter: http://www2.agprim.uni-siegen.de/printbrue/freiesschreiben.pdf/Stand 15.12.2014

  250. Prof. Spitzer in einem Radio-InterviewPISAplus: Wie Kinder in der Grundschule Schreiben lernen. 10.12.11

  251. Prof. H. Brügelmann/Prof. E. Brinkmann: http://mediathek.bildung.hessen.de/material/themen/dia_foe/alpha/Brinckmann.pdf/Stand 15.12.2012

  252. Prof. Dr. Wolfgang Schneider: in: 'Mainpost Würzburg' vom 16.02.2012, ferner in seinen Veröffentlichungen zur Entwicklungspsychologie

  253. Prof. Hans Brügelmann: unter: www.grundschulverband-bayern.de/files/stellungnahme_phon._schreiben.pdf/ Stand 31.07.2013

  254. Prof. Hermann Helmers: Didaktik der deutschen Sprache. Stuttgart 1966

  255. Prof. Mark Galliker: Sprachpsychologie. Tübingen 2013; von Galliker eingeschobenes Zitat aus: L. S. Wygotskij: Denken und Sprechen. Frankfurt a. M. 1972)

  256. Prof. Wolfgang Eichler: in: Eichler contra Brügelman/https://dl.dropboxusercontent.com/u/21116330/eichler.13. sea_rsu.eigenes_konzept.130911.korr.pdf/ Stand 01.11.2013

  257. Prof.H. Brügelmann: Die Schrift entdecken. Konstanz 1989

  258. Prof. Maik Philipp: Lese- und Schreibunterricht. Tübingen/Basel 2013

  259. Prof. Martin Wellenreuther: http://www.rpi-virtuell.net/workspace/3719FF1D-F109-402F-96DA-702285484082/dats/2010/tol-schule/ wellenreuther-paedagogische-wende.pdf/09.05.2014

  260. Prof. Martin Wellenreuther: Lehren und Lernen – aber wie? Baltmannsweiler 2014)

  261. Prof. Hans Brügelmann : ( http://shiftingschool. files.wordpress.com/2013/07/ brue-eichler-konsenspapier_lesen_schreiben-sea-kurz-130717.pdf /28.07.2013)

  262. Landeselternschaft NRW: http://landeselternschaft-nrw.de/wp/category/anhoerungen/20.05.2014

  263. Prof. Dr. Renate Valtin, Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Ehlich, Dr. Beate Lütke et al.: http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/ schulqualitaet/expertise_sprachfoerderung.pdf /Stand 30.05.2014

  264. Profs. Ingrid Naegele/Prof. Dr. Renate Valtin in: LRS in den Klassen 1-10. Handbuch der Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten. Band 2: Schulische Förderung und außerschulische Therapien. Weinheim/Basel 2000

  265. Prof. Ingrid Naegele in: Konkrete Hilfe statt Kritik und unbrauchbarer Ratschläge, PÄDAGOGIK, Heft 1/01

  266. Prof. Dr. Sandra Deneke: Konstruktionen über Schriftsprache und Schriftsprachlernen. Hannover 2006

darüber hinaus:

Ingrid M. Naegele: Schulschwierigkeiten in Lesen, Rechtschreibung und Rechnen, Weinheim und Basel 2001

Kai S. Cortina, Jürgen Baumert et al. : Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, Reinbek bei Hamburg 2003

Andreas Warnke, Uwe Hemminger, Ellen Plume: Lese-Rechtschreibstörungen, Göttingen, Bern, Toronto, Seattle, Oxford, Prag, 2004

Bernd Ganser, Wiltrud Richter (Hrsg.): Was tun bei Legasthenie in der Sekundarstufe?, Donauwörth 2004

Werner Radigk: Wie lernen Kinder sprechen, lesen, schreiben?, Berlin 2006

Petra Küspert: Neue Strategien gegen Legasthenie, Ratingen 2004

Ada Sasse, Renate Valtin (Hrsg.): Schriftsprache und soziale Ungleichheit, Berlin 2006

Peter Marx: Intelligenz und Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, Hamburg 2004

Paul Helbig, Eva-Maria Kirschhock, Sabine Martschinke, Ursula Kummer: Schriftspracherwerb im entwicklungsorientierten Unterricht, Bad Heilbrunn/ObB, 2005

Werner Braukmann: Freies Schreiben, Berlin 2003

Karin Krafft, Anja Rahm: Aufsatzunterricht, München, Düsseldorf, Stuttgart 2003

Bernhard Hofman, Ada Sasse (Hrsg.): Übergänge - Kinder und Schrift zwischen Kindergarten und Schule, Berlin 2006

Ch. Klicpera/B. Gasteiger Klicpera, Alfred Schabmann: Legasthenie, München, Basel 2003

Leonhard Blumenstock: Schreiben und Schreiben lernen, Weinheim, Basel, Berlin 2003

Wilfried Metze: Differenzierung im Erstleseunterricht, Berlin 1995

Ute Spiegel: Richtig Schreiben, Berlin 2005

Wilhelm Topsch: Grundkompetenz Schriftspracherwerb, Weinheim und Basel 2005

Eva-Maria Kirschhock: Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen im Anfangsunterricht, Bad Heilbrunn/ObB, 2005

Karl R. Gegenfurtner: Gehirn & Wahrnehmung, Frankfurt am Main 2004

Jürgen Bredenkamp: Lernen, Erinnern, Vergessen, München 1998

Fritz Oser, Maria Spychiger: Lernen ist schmerzhaft, Weinheim und Basel 2005

Werner Wiater: Vom Schüler her unterrichten, Donauwörth 1999

Günther Schorch: Grundschulpädagogik und -didaktik - eine Einführung, Bad Heilbrunn 1998

Georg E. Becker, Britta Kohler: Hausaufgaben, Weinheim und Basel 2002

Horst Bartnitzky: Sprachunterricht heute, Berlin 2000

Wolfgang Boettcher, Jean Firges, Horst Sitta, Hans Josef Tymister: Schulaufsätze - Texte für Leser, Düsseldorf 1973

Hans Josef Tymister: Projektorientierter Deutschunterricht, Düsseldorf 1975

Wolfgang Boettcher, Gunter Otto, Horst Sitta, Hans Josef Tymister: Lehrer und Schüler machen Unterricht, Mün­chen, Berlin, Wien 1976

Hans Josef Tymister: Sprechen Handeln Lernen, München, Wien, Baltimore 1978

Hans Uwe Otto, Jürgen Oelkers (Hrsg.): Zeitgemäße Bildung, München und Basel 2006

Marcus Hasselborn, Andreas Gold: Pädagogische Psychologie, Stuttgart 2006

Hannelore Grimm, Hermann Schöler, Margret Wintermantel: Zur Entwicklung sprachlicher Strukturformen bei Kin­dern, Weinheim und Basel 1975

Ulrich Herrmann (Hrsg.): Neurodidaktik, Weinheim und Basel 2006

Hans Christoph Steinhausen (Hrsg.): Schule und psychische Störungen, Stuttgart 2006

Wolfgang Schnotz: Pädagogische Psychologie: Weinheim 2006

Andreas Krapp/Bernd Weidenman (Hrsg.): Pädagogische Psychologie, Weinheim 2001

Jürgen Oelkers: Wie man Schule entwickelt, Weinheim 2003

Walter Edelman: Lernpsychologie, München-Weinheim 2000

Ralf Caspary: Lernen und Gehirn, Freiburg im Breisgau 2006

Wolfgang Steinig/Hans Werner Huneke: Sprachdidaktik Deutsch, Berlin 2004

Waldemar von Suchodoletz (Hrsg.): Therapie der Lese-Rechtschreib-Störung (LRS), Stuttgart 2006

Jürgen Oelkers: Reformpädagogik (Neubearbeitung), Weinheim und München 2005

Gisela Szagun: Wie Sprache entsteht, Weinheim und Basel 2001